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Sportarten entdecken, Freundschaften schliessen

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Jacqueline Calame

Jacqueline Calame

«MOVE ON»

Bewegung ist auch für Menschen im Rollstuhl ein zentrales Thema. An der achten Austragung von «move on» in Nottwil zeigte sich zudem, wie wichtig für die Teilnehmenden der gegenseitige Austausch ist.

Von Peter Birrer

Die Klingen werden gekreuzt, und der Maître ist zufrieden mit dem, was er sieht. Manchmal gibt er Anweisungen, oft motiviert er und überträgt seinen Enthusiasmus auf jene zwei, die sich im Rollstuhl gegenübersitzen und sich im Fechten üben. Gabriel Nielaba heisst der Trainer, der im Rahmen der «move on»-Woche allen Interessierten zeigt, wie seine Sportart funktioniert, worauf zu achten ist, warum sie so reizvoll ist.

Eben haben zwei Teilnehmer vom Wissen des Maître d’armes des Fechtclubs profitiert: Fredi Bangerter aus Oberdorf SO und Felix Dettwyler aus Bern, 74 der eine, 12 erst der andere. «Das ist ein cooler Sport», sagt Junior Felix, und Senior Fredi pflichtet ihm bei: «Wir haben einen sehr guten Einblick ins Fechten erhalten.»

Die Zufriedenheit ist überall spürbar an den sechs Tagen, an denen in Nottwil und Umgebung 31 Teilnehmende aus 17 verschiedenen Sportarten auswählen, neues entdecken oder Bekanntes vertiefen. 2014 fand die Woche erstmals statt, damals noch im überschaubaren Rahmen. Jetzt, bei der achten Austragung, reicht die Angebotspalette von Badminton über Fechten und Kajak bis zu Curling, Yoga und erstmals gar E-Sports.

Alain: Sport und Freundschaften

Alain ist kein «move on»-Neuling mehr, er war letztes Jahr bereits dabei. Und im Juni nahm er an der erstmaligen Premiere auch in Yverdon teil. Alain, 32-jährig und aus Le Mont-sur-Lausanne, spielte früher Fussball, auch Badminton, jetzt ist er im Rollstuhl mit dem Racket in der Halle unterwegs und beweist viel technisches Geschick.

Der gelernte Sanitärzeichner leidet an Multipler Sklerose, zudem ist sein Sehvermögen stark eingeschränkt. Aber wenn er sportlich aktiv ist, denkt er nicht an die Beeinträchtigung, sondern geniesst es, sich bewegen zu können. Er, der in seiner Freizeit regelmässig Curling spielt, ist ohnehin ein positiv denkender Mensch: «Ich frage mich nicht, wieso ich von der Krankheit betroffen bin, ich überlege auch nicht, wie mein Alltag in ein paar Jahren aussehen könnte. Ich akzeptiere die Situation und mache das Beste daraus.»

Alain Spass am Rugby Sandra gefällt Sportschiessen

Drei Tage verbringt er in Nottwil, nach einer Reha-Phase in Sitten fehlt ihm die Kraft, um eine ganze Woche zu bleiben. Er hat Badminton als Hauptsportart gewählt, die er an drei Halbtagen betreibt. Daneben hat er sich für Schnuppersportarten eingeschrieben, lernt Powerchair-Hockey kennen – und vor allem fasziniert ihn Rugby. «Das war für mich das Highlight», sagt er. Ihm gefällt es, nicht nur physisch, sondern auch strategisch gefordert zu sein. Dazu kommt eine weitere, genauso wichtige Komponente: Die «Verlängerung» danach mit den Kolleginnen und Kollegen an einem Tisch bei einem Getränk.

Überhaupt sind es die vielen Begegnungen und Gespräche vor, während oder nach den Trainings, die «move on» zusätzlich einen besonderen Anstrich geben. Alain schätzt das Unbeschwerte, die spannenden Unterhaltungen und die Möglichkeit, Freundschaften zu schliessen, wie zum Beispiel mit Dorian. Für den jungen Walliser aus Orsières, der 2020 verunfallte, ist der Sport ein wichtiges Mittel, um die eigene Physis und Psyche zu stärken. «Dann gerät der Rollstuhl total in den Hintergrund», sagt er, der liebend gerne Basketball spielt.

Alain pflichtet ihm bei und fügt an: «Ich kann allen empfehlen, bei ‹move on› mitzumachen.» Und für ihn ist klar: 2023 wird er mindestens einmal bei «move on» dabei sein – so gut wie sicher ist seine Teilnahme in Yverdon.

Sandra: Begeistert und beeindruckt

Zu den beliebten Sportarten zählt Tischtennis. Einer ragt mit seinen Qualitäten heraus: Silvio Keller nutzt die Woche, um in der Halle zu trainieren und sich auf die bevorstehende WM in Spanien einzustimmen. Keller ist ein Könner seines Fachs, er startete vergangenes Jahr an den Paralympics in Tokio. Und er kann jene mit Tipps und Tricks versorgen, die sich bei «move on» für Tischtennis entschieden haben.

Sandra ist eine von ihnen, aber die 51-Jährige aus dem Kanton Schwyz ist keine Anfängerin mit dem kleinen Schläger. Nach einem Autounfall im August 2020, der sie zur Paraplegikerin macht, kommt sie nach Nottwil und spielt während der Rehabilitation erstmals Tischtennis. Das schafft sie, obwohl ihr linker Arm seit einem Sturz aus beträchtlicher Höhe nicht mehr funktionsfähig ist.

Früher war sie polysportiv. Surfen, Joggen, Snowboard, Mountainbike – ihre Freizeit füllte sie gerne mit Sport aus. Und der Sport soll nun auch fester Bestandteil in ihrem «neuen» Alltag werden. Also bleibt sie gleich die ganze Woche in Nottwil, was für sie nur schon deshalb etwas Besonderes ist, weil sie zum ersten Mal seit dem Schicksalsschlag alleine so lange von zuhause weg ist und alles weitgehend selbstständig meistert. Es fühlt sich gut an für sie, jedenfalls bilanziert sie nach den sechs Tagen: «Es hat bestens geklappt.»

Positiven Einfluss darauf, dass die Tage ganz nach Sandras Geschmack verlaufen, haben auch die Umgebung und die involvierten Leute. Sie kennt den Campus in Nottwil, sie kennt ganz viele Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten – und sie kennt nun auch die Schar an Helfenden, die «move on» überhaupt möglich machen. «Sie alle bringen wahnsinnig viel Leidenschaft mit», sagt sie, «ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft sind echt. Mich beeindruckt das immer wieder von Neuem.» Die Organisation lobt sie ausdrücklich, auch der Küche im SPZ windet sie ein grosses Kränzchen – für die Veganerin hat das Team extra einen veganen Kuchen gebacken.

Was Alain betont, ist auch für Sandra ein bedeutender Punkt: der Austausch mit anderen Teilnehmenden. «Man ist während einigen Tagen mit Menschen zusammen, die ähnliche Probleme haben. Das Schöne ist: Man kann sich gegenseitig Tipps geben und helfen.»

Bei «move on» entdeckt Sandra das Fechten, sie kann sich vorstellen, diesen Sport in Zukunft vermehrt zu betreiben. Ausserdem findet sie das Sportschiessen reizvoll. Zum Abschluss sagt sie: «Das bleibt nicht das einzige Mal, dass ich bei einer solchen Woche dabei war.»

«Supergut»

Damit gehört sie zum überwältigenden Gros der Teilnehmenden, die vom Erlebten begeistert waren. Das ergab eine Umfrage, die Thomas Hurni als Organisator und Leiter Breitensport – Freizeit – Gesundheit der SPV am Ende von «move on» machte. 93 Prozent antworteten auf die Frage, wie ihnen das Sport- und Freizeitcamp gefallen habe, mit «supergut», 87 Prozent versicherten, sich wieder anzumelden.

Bis zu 50 Mitarbeitende waren involviert, um den Anlass zu ermöglichen. «Der Aufwand hat sich gelohnt», sagt Thomas Hurni, «Ziel war es, dass möglichst viele Menschen eine Sportart finden, die ihnen zusagt. Das wurde erreicht.»

Impressionen www.spv.ch (Breitensport)

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