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Endlich wieder daheim – und jetzt?
KLINIKAUSTRITT
Die Rückkehr von der Klinik in die gewohnte Umgebung stellt viele vor grosse Herausforderungen, der Alltag ist ein anderer als beim stationären Aufenthalt.
Von Peter Birrer
Roman Späni hat sich bereits im SPZ in Nottwil intensiv auf die Rückkehr vorbereitet. Assia Al-Zubaidi tut sich schwer damit, dass sie nicht mehr in ihren geliebten Beruf zurückkehren kann. Sie beide erhalten Unterstützung bei der SPV.
Der schwere Kampf der Assia AlZubaidi
Die Arbeit erfüllt sie, als Chef-Rezeptionistin in einem Hotel gönnt sie sich nur selten freie Tage. «Das war mein Leben», sagt die 49-Jährige. Und jetzt? Vieles ist an-
Assia AlZubaidi holt sich Hilfe ders und nur schwer zu akzeptieren. Oder mit ihren Worten formuliert: «Früher war ich im Ferrari unterwegs. Heute fühle ich mich wie in einem Trabi in den Ferien.» Das Tempo hat sie drosseln müssen, gezwungenermassen. Im April 2018 rutscht sie auf einer Eisfläche aus und zieht sich einen Brustwirbelbruch zu, die Ärzte diagnostizieren bei ihr eine schwere Osteoporose. Sie denkt, ganz Optimistin: «Das wird schon wieder.»
Aber sie irrt. Es wird schlimmer. 2019 und 2020 müssen mehrere Wirbel versteift werden, Assia Al-Zubaidi kämpft mit Gleichgewichtsstörungen. Ein Eingriff am 15. Mai 2020 zwingt sie in den Rollstuhl, es folgt die Rehabilitationszeit im SPZ Nottwil. Aber das ist nicht alles: 2022 muss sie sich einer weiteren Rückenoperation unterziehen.
Arbeitsort war die zweite Stube
Sie verliert ein grosses Stück ihrer Unabhängigkeit, fühlt sich ausgeliefert und nur noch «wie ein halber Mensch». Auf einmal ist sie, die so ungern Hilfe in Anspruch nimmt, auf Support angewiesen, sie muss akzeptieren, dass sie nicht mehr eigenständig ins Bett gehen kann. Und dass es nichts mehr wird mit der Rückkehr in ihren geliebten Beruf. Zweimal pro Tag erhält sie Unterstützung von der Spitex. Sie ist sehr wohl dankbar dafür, aber sie tut sich schwer. Und sagt: «Ich kann Menschen, die depressiv werden, immer besser verstehen.» Assia Al-Zubaidi leidet auch, weil die Schmerzen manchmal unerträglich sind und aufs Gemüt schlagen. Sie benötigt teils starke Medikamente, um einigermassen durch den Tag zu kommen. Die Deutsche mit irakischen Wurzeln lebt jetzt wieder allein in Klosters, unweit des Hotels, das über Jahre wie ein zweites Wohnzimmer für sie gewesen ist.
«Holt Hilfe!»
Die Struktur durch die Arbeit ist ihr abhandengekommen. Das ist es, was für sie die Situation so herausfordernd macht. Und das Loslassen bereitet ihr grösste Mühe. Nach dem stationären Aufenthalt in Nottwil muss sie sich in einer angepassten Wohnung einrichten, Termine arrangieren, das ganze Leben neu ordnen. Oft hat sie während ihres Aufenthalts im SPZ gehört: «Es wird vieles anders sein, wenn du wieder daheim bist.» Nun realisiert sie: Das stimmt. Wiederholt fühlt es sich an, als würde ihr die Decke auf den Kopf fallen. Das Gefühl, überfordert zu sein, lässt sich nicht auf Knopfdruck beseitigen.
Aber sie ist dankbar dafür, dass sie sich nicht gescheut hat, Hilfe zu holen. Sie war zuerst bei der Sozialberatung im SPZ und danach bei der Lebensberatung der SPV. «Ohne diese Hilfe wäre ich total aufgeschmissen», sagt sie. Darüber hinaus stehen ihr die Seelsorge und psychologische Unterstützung in schwierigen Phasen bei. Jeder und jedem Betroffenen rät sie aufgrund ihrer Erfahrung: «Holt Hilfe! Wendet euch an Fachleute!»
Die Chemie stimmt
Die Frau hat Humor, und sie bemüht sich immer wieder, das Positive im Leben zu erkennen. Dazu zählt ihr Umfeld, das ihr Halt gibt. Der Chef steht ihr jederzeit bei. Die Vermieter kümmern sich rührend um sie, und von grösster Bedeutung ist für sie Nottwil. «Während des Aufenthalts im SPZ habe ich wahnsinnig tolle Leute kennengelernt, denen ich ohne mein Schicksal wohl nie begegnet wäre», sagt sie, «die Chemie mit dem Pflegepersonal und den Menschen der Sozialberatung stimmte einfach.»

Die engen Verbindungen mit Menschen, die ihr nahestehen, geben ihr Hoffnung und Mut. Sie helfen, aus Krisen zu finden, von denen es immer wieder welche gibt, mal grössere, mal kleinere.
Assia Al-Zubaidi will leben, sie ist auch bereit, dafür zu kämpfen, dass sie gut lebt: «Wenn eine höhere Macht gewollt hätte, dass es vorbei ist, wäre ich nicht mehr hier. Jetzt bin ich da und versuche, das Beste zu machen. Obwohl das oft sehr schwierig ist.»
Der eiserne Wille des Roman Späni
Während seiner Primärrehabilitation fühlt sich der 45-jährige Schwyzer nie alleingelassen. Im neuen Alltag findet er sich gut zurecht – auch dank positiver Einstellung.
Wenn er wieder daheim sei, in der alten Umgebung, werde er bei null anfangen müssen. Die Worte hört er mehrmals, und sie klingen wie eine Warnung. Aber Roman Späni lässt sich nicht entmutigen, im Gegenteil. Auch heute noch stacheln ihn diese Worte an. Während der Erstrehabilitation im SPZ verzichtet er bewusst darauf, ständig um Hilfe zu bitten.
Manchmal beisst er, manchmal leidet er – aber der eiserne Wille hilft ihm, Fortschritte zu machen. Plötzlich gelingt es ihm, selber die Zähne zu putzen. Das steigert sein Selbstvertrauen.
«Gefüttert wie ein kleiner Vogel»
Es ist ein kurzes Vergnügen im Wasser, das ihn in eine neue Welt katapultiert und ihn zwingt, radikal umzudenken. Am 29. September 2019 macht ein Badeunfall auf den Kapverden aus ihm einen Tetraplegiker. Der sechste Halswirbel wird zertrümmert, keine 20 Stunden später wird der Schwyzer in Nottwil operiert.
Der Elektromechaniker liegt sechs Wochen auf der Intensivstation. Er, der sich gewohnt ist, anzupacken, Sport zu treiben, zu reisen, wird anfänglich «gefüttert wie ein kleiner Vogel». Späni fühlt sich ausgeliefert, aber doch gut aufgehoben.
In Nottwil wird früh schon die Zukunft thematisiert. Etwas mehr als zwei Monate nach dem Unfall besichtigt er mit zwei Ergotherapeutinnen, einem Architekten und dem Hausbesitzer seine Wohnung in Freienbach SZ. Der Besuch ist emotional. Und wertvoll. Weil klar ist, dass er dank baulichen Massnahmen nicht umziehen muss. Das Bad wird angepasst, ein Lift geplant und Schwellen werden abgetragen.
TodoListe der Sozialarbeiterin
Roman Späni fühlt sich nie alleingelassen. Neben der medizinischen und therapeutischen Versorgung erhält er im SPZ täglich Besuch von der Familie und Freunden. Von der ParaWork steht ihm Nathalie Bregy als Jobcoach zur Seite. Und da ist Sozialarbeiterin Judith Stocker, die mit ihm einen zentralen Punkt intensiv anschaut: Welche Leistungen stehen dem Betroffenen zu?
In der Familie kümmert er sich um Angelegenheiten wie die Krankenkasse, er hat auf diesem Gebiet eine Ahnung: «Aber natürlich wusste ich nicht über alles Bescheid.» Dafür hat er nun Judith Stocker, die eine To-do-Liste mit allen wichtigen Punkten führt. Woche für Woche findet ein Austausch zwischen den beiden statt, was Späni ein gutes Gefühl gibt: «Ich wusste, dass ich mich bei Fragen immer an sie wenden konnte.»
Nach acht Monaten in Nottwil kehrt er nach Hause zu seiner Frau Ana und den zwei Buben Gabriel und Davi zurück, die ihm alles bedeuten und sein grosser Rückhalt sind. Freunde des Eishockeyteams Power Ants in Pfäffikon SZ gründen den Gönnerverein «Power4Roman» und sam-
Roman Späni tankt bei der Familie auf
meln Geld für ihren Teamkollegen, der sich so einen Kleinbus kaufen und ein hohes Mass an Mobilität wahren kann.
Das Problem mit der Suva
Roman Späni kehrt in neuer Funktion zum alten Arbeitgeber zurück. Gemeinsam mit dem Vorgesetzten, dem ParaWork-Jobcoach und dem Case Manager der Suva legen sie fest, dass seine Leistungsfähigkeit rund 16 Stunden pro Woche beträgt. Den Fall beurteilt ein Spezialist der Suva aber anders: Er findet, dass Späni 70 Prozent seines Pensums zuzumuten sind. «Er hat so entschieden, ohne mich gesehen zu haben», sagt er. «Ich bin alles andere als faul. Aber die Einschränkungen lassen nicht mehr zu.»
Roman Späni erinnert sich an einen Hinweis der Sozialberatung, dass das Institut für Rechtsberatung der SPV just für solche Fälle Unterstützung leistet. Mit dessen Hilfe erhebt er Einsprache. Noch ist diese hängig.
Im neuen Alltag findet er sich grundsätzlich gut zurecht. Das hat viel mit seiner Einstellung zu tun, seiner positiven Art, das Schicksal anzunehmen: «Aufgeben ist keine Option. Man muss im Kopf stark sein und wissen: Es gibt für fast alles eine Lösung, wenn man bereit ist, etwas dafür zu tun.»
