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Wenn die Leber gezielt wächst

Um bei großen leberchirurgischen Eingriffen die Gefahr eines postoperativen Leberversagens zu minimieren, werden vor der Operation gesunde Leberteile zum Wachstum angeregt.

Von Heike Kossdorff

Barbara P. war 62 Jahre alt, als bei ihr im Jänner 2022 ein fortgeschrittener Dickdarmkrebs diagnostiziert wurde. Er hatte bereits gestreut und 15 Lebermetastasen entwickelt. „Die Ärzte gaben mir keinerlei Chance auf Heilung. Und schlugen als einzige Behandlungsmethode eine palliative Chemotherapie vor“, erinnert sich die ehemalige Krankenschwester an den schrecklichen Moment. Doch P. fand sich damit nicht einfach ab und holte eine Zweitmeinung ein. Sie wendete sich an das Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien, eine Fachklinik für den gesamten Verdauungstrakt.

Bei Chirurgin Dr.in Ingrid Haunold (li.) erfuhr Patientin Barbara P., dass es im „aussichtslosen Fall“ eine Chance auf Heilung gibt.
© Marcus Deak
Vorrang für die Leber

Oberärztin Dr.in Ingrid Haunold stellte den als aussichtslos beschriebenen Fall im Tumorboard vor. Das Board besteht aus Fachärzt*innen der Bereiche Interventionelle Radiologie, Onkologie, Chirurgie, Strahlentherapie und Pathologie. „Das Problem der Patientin war, dass sie an den Lebermetastasen gestorben wäre, auch wenn wir den Darmtumor operiert hätten. Um eine Chance zu haben, mussten wir zuerst die Lebermetastasen in Angriff nehmen“, erinnert sich die Chirurgin. Das Vorgehen nennt sich „Liver First“-Konzept.

In einem ersten Schritt wurden von Dr. Helmut Kopf, MSc, dem standortleitenden Oberarzt für Radiologie, die drei Metastasen im linken Leberlappen zerstört: mittels einer Mikrowellenablation, also Hitze. Herausfordernd waren jedoch die zwölf Metastasen im rechten Leberlappen. Das Team konnte sie nur durch die Entfernung des gesamten Lappens beseitigen. „Da bei großen leberchirurgischen Tumoroperationen jedoch prinzipiell die Gefahr eines postoperativen Leberversagens besteht, musste zuerst der jetzt metastasenfreie linke Leberlappen zum Wachsen angeregt werden, damit dessen Leberzellen die Funktion des zu entfernenden rechten Leberlappens übernehmen konnten.“

Im radiologischen Interventionsraum wird die Blutversorgung des rechten Leberlappens gedrosselt. Radiologe Helmut Kopf erklärt der Patientin im Interventionsraum auf dem Monitor sowie anhand von Computertomographiebildern, wie die LVD-Methode funktioniert.
© Marcus Deak
Wirksame LVD-Methode

Kopf setzte deshalb auf ein Verfahren, das seit 2021 erfolgreich im Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien und am Ordensklinikum Linz angewandt wird. „Die Leber ist ein sehr dynamisches Organ, das gut wachsen kann. Verschließt man die Blutgefäße von einem der beiden Leberlappen, wächst der andere.“ Der Verschluss gelingt durch die sogenannte Lebervenendeprivation, kurz LVD. „Dabei werden in einem interventionell-radiologischen Eingriff die Lebervenen, also die abführenden Blutgefäße der Leber, mit kleinen Metallgeflechten verschlossen und damit die Blutversorgung des Leberlappens gedrosselt. Zusätzlich gießen wir die Äste der Pfortader, die nährstoffreiches Blut in die Leber transportiert, mit einem speziellen Klebstoff aus.“

Die Angiographieaufnahme des Leberlappens zeigt die verschlossenen Gefäße (rot, grün) nach dem Eingriff sowie die beiden Schleusen (blau, gelb).
© Helmut Kopf/Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien

Rund drei Wochen nach dem minimalinvasiven Eingriff hatte sich das Volumen des linken Leberlappens bereits verdoppelt, sodass eine große Leberoperation mit Entfernung des gesamten rechten Leberlappens durchgeführt werden konnte – ohne die Gefahr eines anschließenden Leberversagens. „Dabei wurden auch die verbleibenden zwölf Metastasen entfernt“, beschreibt Kopf den erfolgreichen Eingriff. Im Anschluss unterzog sich Barbara P. vier Chemotherapiezyklen. Weitere fünf Monate später konnte Chirurgin Haunold die Operation des Dickdarmkrebses durchführen. „Seitdem ist die Patientin in allen Kontrolluntersuchungen tumorfrei.“

Präzisionsarbeit im Interventionsraum. Während des Eingriffs sieht der interventionelle Radiologe die Lebergefäße vergrößert auf dem Bildschirm.
© Helmut Kopf/Barmherzige Schwestern Krankenhaus Wien

Für die Patientin grenzt der Behandlungserfolg immer noch an ein Wunder. „Alle Patient*innen mit meiner Diagnose sollen wissen, was alles möglich sein kann. Und dass man immer eine zweite Meinung einholen sollte.“

© Marcus Deak, Headerbild

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