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Mysteriöses Leiden in der Speiseröhre
Betroffene wissen oft jahrelang nicht, warum sie sich unbemerkt im Schlaf übergeben. Viele erfahren nie, dass sie an Achalasie leiden. Chirurg Johannes Zacherl spezialisierte sich auf die Behandlung dieser wenig erforschten Erkrankung.
Von Claudio Honsal
IT-Spezialist Gerhard Senft, heute 36, wachte während seines Auslandssemesters an der Universität Moskau 2020 eines Morgens auf und musste feststellen, dass er sich im Schlaf übergeben hatte. „Ein unangenehmer, schlimmer und nicht ganz ungefährlicher Zustand.“ Auslöser waren weder Alkohol noch unbekömmliche Speisen. Anfangs ein einmaliges Ereignis, verschlimmerte sich sein Zustand nach der Rückkehr nach Wien.
Der Beginn eines dreijährigen Leidensweges: Schlafen konnte Senft nur noch aufrecht und kaum mehr essen sowie trinken, ohne zu erbrechen. In drei Monaten verlor er mehr als zehn Kilogramm und bekam zusehends psychische Probleme. „Ich bin nicht mehr mit Freunden ausgegangen, weil ich fürs Trinken eines Bieres Stunden benötigt habe, fühlte mich miserabel und brauchte dringend Hilfe.“ Nach einigen Tests und Untersuchungen erhielt er die Diagnose Achalasie.
Sehr selten und unheilbar
Univ.-Prof. Primar Dr. Johannes Zacherl ist Leiter der Abteilung für Chirurgie und Spezialist für Speiseröhren- und Magenchirurgie. Senfts Krankheitsbild beurteilt er als „sehr typischen Fall von Achalasie“. Bei der sehr seltenen und grundsätzlich unheilbaren Krankheit unerforschten Ursprungs handelt es sich um eine kombinierte Störung der Speiseröhrenbeweglichkeit und des Schließmuskels zwischen Speiseröhre und Magen. „Normalerweise tritt beim Schlucken eine peristaltische Bewegung der Speiseröhre ein und befördert Speisen und Flüssigkeit in den Magen“, erklärt Zacherl. „Wenn diese Muskelkontraktionen unkoordiniert laufen, führt das jedoch dazu, dass sich die Nahrung in der Speiseröhre anstaut und nicht in den Magen transportiert wird.“

Einziger Ausweg Operation
Medikamentös lässt sich die Krankheit kaum in den Griff bekommen. Bei Senft wurden auch Dehnungen des Schließmuskels durchgeführt, jedoch ohne anhaltenden Erfolg. Der Ausweg war eine von Zacherl durchgeführte 90-minütige laparoskopische (= minimalinvasive) Operation. „Hier erfolgt eine Spaltung des Schließmuskels zwischen Speiseröhre und Magen. So kommt es zu dessen Deaktivierung. Das Anlegen einer Antirefluxplastik verhindert zusätzlich das eventuelle Auftreten einer folgenden Refluxerkrankung.“
Leider ist Achalasie zu Beginn gastroskopisch oft nicht erkennbar. Zacherl erinnert sich an den Fall einer jungen Frau. Weil sie keine Nahrung behalten konnte, wurde sie fast 20 Jahre lang psychotherapeutisch auf Bulimie behandelt. Erst später erfolgte die korrekte Diagnose: Achalasie. In Senfts Fall besserten sich sämtliche Symptome und Beschwerden unmittelbar nach der Operation. „Ich lebe wieder ganz normal wie vor der Erkrankung, esse, was ich möchte, und fühle mich geheilt.“
Lexikon
Das ist Achalasie: Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet „fehlende Erschlaffung“. Er beschreibt eine chronische Beweglichkeitsstörung der Speiseröhre mit unzureichender Erschlaffung des unteren Speiseröhrenschließmuskels beim Schlucken. Dadurch erfolgt keine peristaltische Bewegung der Speiseröhre. Speisen sowie Getränke werden nicht in den Magen weitertransportiert. Achalasie ist eine äußerst seltene, unerforschte und unheilbare Krankheit, die meist nur operativ gelindert werden kann.
Wussten Sie schon?
Weniger als ein Prozent der Bevölkerung erkrankt an Achalasie.
© Alek Kawka