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Perspektiven-Interview
Es bedarf auf allen Ebenen eines Wandels.
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Lars Ohlig
Herr Ohlig, welche Herausforderungen kommen in diesem Jahrzehnt in Bezug auf die Mobilität ganz allgemein auf uns bzw. die Stadt zu? Lars Ohlig: Die Herausforderungen in Sachen Mobilität aktuell und in der näheren Zukunft sind riesig! Es bedarf hier auf allen Ebenen eines Wandels – zugleich wandelt sich kaum ein Angebotssegment so stark. Das Gelingen dieser „Mobilitätswende“ ist einer der wesentlichen Beiträge zum Klimaschutz. Mobilität ist darüber hinaus ein Grundbedürfnis von uns Menschen, allerdings stand jahrzehntelang das Auto im Mittelpunkt der Verkehrs- und Stadtplanung. Als Ergebnis nehmen wir zunehmend die negativen Effekte vom Autoverkehr auf Klima, Umwelt und Menschen wahr, die es zu reduzieren gilt. Deshalb ist Mobilität nachhaltig aufzustellen und zu vernetzen. Wir gewinnen durch Mobilitätsmanagement mehr Raum, mehr Möglichkeiten, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Gesundheit – und mehr Lebensqualität. Für Sundern stellen sich deutlich komplexere Fragestellungen als lediglich die Frage nach dem Bau des nächsten Radweges oder dem Aufbau einer Ladeinfrastruktur. Vielmehr ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Grundvoraussetzung ein gesellschaftlicher Konsens darüber ist, dass das Auto nicht mehr der Verkehrsträger der Zukunft sein wird – egal ob elektrifiziert oder nicht.
Die Mobilität wird sich in den nächsten Jahren rapide wandeln. Bei aktuellen Spritpreisen jenseits der 2-Euro-Marke wird das Autofahren zwangsläufig zum Luxus – auch eine leichte Erhöhung der Pendlerpauschale wird nicht die erhoffte Entspannung bringen. Doch auch abseits dieser aktuellen Diskussion ist uns seit vielen Jahren klar, dass sich unsere Mobilität verändern wird und muss. HEIMATLIEBE hat mit beiden Seiten gesprochen: mit der, die unsere Wegenetze der Zukunft plant und umsetzt, sowie der, die bereits kreative Lösungen für das individuelle Pendeln gefunden hat.
Wie sehen Vater und Sohn die Entwicklung? Thomas Baehr: Ansätze sind erkennbar, wie die Radwegplanungen von Arnsberg oder Sundern zeigen. Aber von dem, was erforderlich ist, um den Auto- bzw. Lkw-Verkehr deutlich zu reduzieren, sind wir noch sehr weit weg. In den Köpfen von Industriellen, Politikern und uns Bürgern muss erst ein Umdenkprozess in Gang gesetzt werden, um wirklich spürbar etwas zu bewegen. Wieso werden erst Mehrwertsteuer-Senkungen oder höhere Pendlerpauschalen gefordert? Der erste Gedanke müsste sein: Wo kann ich selbst einsparen? Mit Fahrgemeinschaften – oder Alternativen wie zu Fuß oder mit dem Rad zur Arbeit, Schule oder zum Sport? Malte Baehr: Ich würde mir wünschen, dass zwischen den einzelnen Orten mehr Radwege geschaffen werden. Diese sollten vorzugsweise ohne Umwege und asphaltiert sein, sodass man sauber und schnell zur Arbeit kommt und diese auch mit einem Rennrad und nicht nur mit einem Mountainbike befahren kann. Ich bin mir sicher, wenn die Gefahr der viel befahrenen Straßen wegfiele und stattdessen sichere Radwege vorhanden wären, würden mehr Leute mit dem Rad oder E-Bike zur Arbeit fahren. Wie kommen Sie morgens zur Arbeit? Lars Ohlig: Leider tatsächlich weitgehend mit dem privaten Pkw. Zwar gibt es von meinem Wohnort Neheim eine sehr gute Anbindung mit dem ÖPNV bis zum Rathaus – der Bus fährt im Halbstundentakt, stündlich sogar als Schnellbus – aber leider reichen meine Arbeitszeiten in den Abendstunden oftmals bis in Zeiten, wo der Bus nicht mehr oder nicht regelmäßig fährt. Zudem sind mit meiner Tätigkeit häufig Termine vor Ort oder Veranstaltungen außerhalb des Hauses verbunden, für die ich das Fahrzeug benötige. Dennoch ist es mein Ziel, künftig zumindest ein- bis zweimal die Woche den Bus zu nutzen. Auch die Idee, einzelne Tage mit dem E-Bike zur Arbeit zu fahren, existiert – allerdings würde ich hier auf die Fertigstellung des Radwegelückenschlusses zwischen Müschede und Reigern warten wollen, weil man als Radfahrer auf der B229 in diesem Abschnitt sehr gefährlich lebt. Thomas Baehr: Mein Sohn und ich fahren täglich mit dem Rad von Sundern nach Hüsten zur Arbeit. Eine Strecke sind ca. 17 Kilometer.

Der Ausbau von Radwegen wurde vernachlässigt.
Thomas Baehr
Auf dem Land sind die Möglichkeiten für Fahrradpendler doch sehr limitiert. Angebote wie Firmenbike-Leasing oder Lastenrad-Prämien sind nett, aber führen hier am Markt vorbei. Wie will man den Leuten dann das Radfahren schmackhaft machen? Lars Ohlig: Aus meiner Sicht führen Bike-Leasing-Angebote nicht am Markt vorbei. Im Gegenteil führen sie dazu, dass Menschen sich für entsprechende Investitionen entscheiden. Auch teile ich die Auffassung nicht, dass die Möglichkeiten für Fahrradpendler auf dem Land limitiert sind. Zwar fehlen teilweise nach wie vor sichere, überörtliche Verbindungen bzw. Abschnitte. Aber ich denke schon, dass der Ausbau der überörtlichen Radwegenetze in den vergangenen Jahren an Dynamik zugelegt hat. Bauchschmerzen bereiten mir eher die innerörtlichen Radwegenetze. Dort ist man im Ortseingangsbereich häufig gezwungen, von einem gut ausgebauten Radweg, der Ortsteil A und B verbindet, plötzlich auf eine vielbefahrene Straße auszuweichen. Man muss den Menschen das Radfahren auch nicht schmackhaft machen – der Boom bei den Verkäufen zeigt, dass viele Menschen gerne Rad fahren. Allerdings konzentriert sich dies oftmals auf den Freizeitbereich. Für Alltagsverkehr sind andere Qualitäten von Verbindungen erforderlich – diese sollten zweckmäßig, gut ausgebaut und möglichst direkt sein.
Was hat Sie dazu veranlasst, auf dem Land quasi nur noch aufs Rad zu setzen? Malte Baehr: Der Hauptgrund für meine Entscheidung, beim täglichen Pendeln das Rad zu nutzen, liegt im zeitlichen Vorteil. Durch meinen Sport, den Triathlon, benötige ich viel Zeit fürs Training. Damit das Lernen und Freundetreffen nicht zu kurz kommen, spare ich mir die Autofahrt, täglich mindestens 40 Minuten, und ersetze sie durchs Radfahren. Dadurch gewinne ich Zeit, die ich anders einsetzen kann. Der Nebeneffekt: Ich tue der Umwelt etwas Gutes und spare mir die Spritkosten. Das sind natürlich zusätzliche Pluspunkte.
Lars Ohlig


Malte Baehr
Zuletzt wurde bekannt, dass 60 Brücken der A45 über kurz oder lang erneuert werden müssen. Das bedeutet zwangsläufig: Verkehrschaos in der Region! Wie blickt die Stadt Sundern auf diese Vorgänge? Lars Ohlig: Wir sehen diese Entwicklung mit großer Sorge. Verschiedene Ortsteile sind unmittelbar von der aktuellen Schließung der Rahmede-Talbrücke betroffen. Und klar ist, dass der Zustand dieser Brücke kein Einzelfall ist. Leider sind die Möglichkeiten der Kommune hier begrenzt. Alle verkehrsrechtlichen Anordnungen werden in Abstimmung mit dem Straßenbaulastträger und der Polizei vorgenommen. Oftmals fehlt für Tempolimits die Möglichkeit – oder auch der Wille bei einzelnen Beteiligten. Es wurde viel zu lange nicht in die technischen Infrastrukturen investiert – zumindest nicht in ausreichender Form. Demgegenüber steht eine massive Zunahme von motorisierten Individual- und Schwerlastverkehren, die aus unserer Art zu leben und zu wirtschaften resultiert. Alles muss jederzeit verfügbar sein, Lagerhaltung auf den Straßen – das sind Entwicklungen, die in den 60er Jahren so nicht absehbar waren und auf die unsere Infrastruktur nicht ausgelegt ist. Wir sind allerdings gemeinsam mit politischen Mandatsträger*innen und den Ortsvorsteher*innen bemüht, hier im Dialog mit allen Beteiligten Lösungen zu finden. Wenn Sie so etwas wie zum Zustand der A45 hören – was geht Ihnen da als verkehrspolitischem Laien und überzeugtem Radler durch den Kopf? Thomas Baehr: Die Kommunen, das Land und auch der Staat haben nicht nur den Ausbau von Radwegen vernachlässigt. Es gibt so viele schlechte oder geflickte Straßen. Wenn dann auch noch eine viel befahrene Straße oder Autobahn gesperrt wird, ist ein Verkehrschaos wie jetzt in Lüdenscheid die Folge. Hier sind wir als Radfahrer viel flexibler und können so einen Mega-Stau sehr gut umfahren.
Stichwort E-Mobilität und alternative Antriebe: Hier ist noch viel zu tun, gerade in den kleineren Kommunen. Ein ausreichendes Ladenetz fehlt immer noch. Wie sieht das in naher Zukunft für Sundern und Umgebung aus? Lars Ohlig: Die Frage des Ladenetzes ist sicherlich zentral für die weitere Entwicklung der E-Mobilität. Allerdings ist hier auch die Frage zu klären, in welcher Verantwortung eine Kommune steht. Wir vertreten hier – übrigens nicht als einzige Kommune in der Region – die Auffassung, dass es in erster Linie in der Zuständigkeit anderer Akteure liegt, das Ladenetz sachgerecht auszubauen. Sicherlich gibt es Bereiche, in denen wir eigene Ladepunkte anbieten müssen und dies ja auch schon tun. Zum Beispiel auf den Parkplätzen am Sorpesee, am
Rathausplatz oder auch am Schulzentrum bzw. Hallenbad. Andererseits muss aber auch festgestellt werden, dass das Laden der Fahrzeuge dort stattfindet, wo Menschen sich längere Zeit aufhalten. Das bedeutet, dass hier seitens der Arbeitgeber*innen, der Gastronom*innen und natürlich auch der Eigentümer*innen der Wohngebäude Angebote geschaffen werden müssen. Ich würde behaupten, dass 90 bis 95 Prozent der Ladeinfrastruktur aus privaten Initiativen erfolgen – was richtig ist. Die Stadt Sundern wird flankierend versuchen, die Ladeinfrastruktur sukzessive auszubauen. Zudem gibt es Überlegungen, auch als Arbeitgeber für die Mitarbeiter*innen Angebote zu schaffen, zum Beispiel am Rathaus oder am neuen Standort der Technischen Dienste oder der Stadtwerke.
Sind alternative Antriebe für Sie ein Anreiz, um irgendwann umzusteigen? Autos haben ja gegenüber Fahrrädern doch so ihre Vorteile … Malte Baehr: Ich finde die Vorstellung von einem E-Auto für den Arbeitsweg interessant, das wäre in den nächsten Jahrzehnten eine gute Alternative für den Winter. Im Frühling bis in den Herbst werde ich, auch wenn die E-Mobilität sich in den nächsten Jahren verbessern wird, auf das Rad setzten. Vor allem, weil das Radfahren mich fit und gesund hält.
Viele Bürger*innen haben den Eindruck, dass die Politik an ihnen und ihren Interessen vorbeiplant. Könnte man sie nicht einfach mit in den gemeinsamen Dialog holen?

Thomas und sein Sohn Malte Baehr leben in einer fünfköpfigen Familie in Sundern. Malte, 19 Jahre und Familien-Jüngster, macht eine Ausbildung als Mechatroniker. Thomas (55) fährt schon seit Jahren täglich mit dem Rad nach Hüsten zur Arbeit. Die große Familie besitzt zwei Autos und kommt damit sehr gut zurecht – selbst wenn ein Auto wegen Reparatur mal ausfällt. Sie sehen sich als sehr sportliche Familie, die sich täglich viel bewegt. Lars Ohlig: Seit ich bei der Stadt Sundern als Stadtplaner angefangen habe, gibt es Diskussionen über die Einbindung von Bürger*innen in Planungsprozesse und deren Rolle und Abgrenzung gegenüber den politischen Entscheidungsträger*innen. Und das ist auch gut so, denn eine fortdauernde Debatte darüber, wie Entscheidungsprozesse transparent und nachvollziehbar gestaltet werden können, ist auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Akzeptanz von Entscheidungen wichtig. Es ist aber zu beobachten: Je konkreter die Maßnahme ist, desto höher ist die Bereitschaft, sich in der Diskussion einzubringen. Je komplexer die Thematik jedoch wird, desto schwieriger wird es, die Bürger*innen in die Diskussionen einzubinden. Und leider ist Mobilität ein Thema, das einen ähnlichen Komplexitätsgrad aufweist wie zum Beispiel der Klimawandel. Hier sind Maßnahmen auf vielen Ebenen erforderlich – da ist eine Partizipation immer schwieriger. Daher ist es umso wichtiger, zu informieren und zu erklären.
Würden Sie sich mehr Beteiligung an Entscheidungen und Umsetzungen wünschen? Thomas Baehr: Sicherlich ist es immer besser, wenn man Betroffene anspricht und sich ihre Meinung anhört. Aber es wird für die Politiker auch immer schwieriger, Entscheidungen zu treffen.
Das Interview führte Simon Engels, Fotos: Ralf Litera

Lars Ohlig ist seit 2018 Leiter des Fachbereichs Stadtentwicklung und öffentliche Infrastruktur bei der Stadt Sundern. Er studierte von 1990 bis 1997 Geowissenschaften in Münster. Bei der Stadt Sundern ist er schon seit 1998 in der Stadtplanung tätig.