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Basels älteste Bäckerei

Mit „viel Liebe und Butter“ handgemacht: die Gipfeli von „KULT“, einem Himmelreich (nicht nur) für Croissant-Fans

Out of Schwarzwald In dieser Ausgabe: Ein Ausflug in die Schweiz

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Klein, aber fein: Basels ältestes Backlädeli in der Riehentorstraße 18

FOTOS: Nicolas Gysin (2), Anaïs Pohler

Basels älteste Bäckerei wird wieder jung

Ein fast 300 Jahre altes

„Backlädeli“, ein drohender

Konkurs, drei junge Leute mit vielen frischen Ideen – das ist die Geschichte der Bäckerei

„KULT“ in Basel. Hier lesen Sie

aber außerdem noch, warum die Kunden bis auf den Gehweg Schlange stehen …

Die aktuelle Chefetage der Bäckerei KULT (von links): Lukas Schertenleib, Lea Gessler, Florian Girandel und Leon Heinz

Wir schreiben das Jahr 1726. In Dresden beginnt der Bau der Frauenkirche. In Reutlingen vernichtet ein Großbrand 80 Prozent der Stadt. Und der Ire Jonathan Swift veröffentlicht seinen Roman „Gullivers Reisen“ ... In jenem Jahr eröffnet nahe des Rheinufers in Basel eine kleine Bäckerei. In einem schmalen, unscheinbaren Haus in der Riehentorstraße 18 in Kleinbasel, dem Stadtteil der „einfachen Leute“.

Fast 300 Jahre existierte diese Backstube, die damit nachweislich älteste der Stadt, als sie 2015 plötzlich vor dem „Aus“ stand. Es drohte der Konkurs. Aber drei pfiffige Studenten verhinderten, dass der Ofen in der Riehentorstraße 18 für immer ausging: Sie stellten einen Aufruf ins Internet, übernahmen den Betrieb und ließen ihrer Kreativität freien Lauf. Heute beschäftigt die Bäckerei über 40 Mitarbeiter und gehört zu den beliebtesten in der Region! „Mein Schwarzwald“ hat die Bäckerei KULT besucht, um sich von Mitgründerin und Co-Chefin Lea Gessler (34) die spannende Rettungsgeschichte erzählen zu lassen!

Immer wieder: „Bitte ein Gipfeli!“

Zunächst mal heißt es aber: anstehen. Denn die morgendliche Schlange vor dem Backlädeli, wie es viele nennen, reicht wieder bis auf den Gehweg. Eine Kundin kauft knusprige Baguettes, denen man bei KULT vom Ansetzen des Vorteiges bis zum Verlassen des Ofens 72 Stunden Zeit gibt. Ein Familienvater mit zwei Kids nimmt gleich mehrere Sauerteigbrote und ein junger Mann in Fahrradmontur ein Sandwich, mit Pesto bestrichen, mit würzigem Käse und gegrilltem Spargel belegt. Und immer wieder hört man: „Bitte ein Gipfeli!“

Die „mit viel Liebe und Butter“ hausgemachten Croissants sind ein Renner, ob pur, gefüllt mit Nuss- oder Mandelcreme oder auch als „Pain aux Raisins“ – Gipfeliteig in Schneckenform gerollt und mit Vanillecreme und Rosinen gefüllt. Ebenfalls homemade. „Bei uns wird eigentlich alles handgemacht, selbst die Marmeladen“, sagt Lea Gessler stolz. Industriell vorgefertigte Halbfabrikate und Zusatzstoffe, also alles jenseits von Mehl, Salz, Butter, Zucker, Eiern, Milch, sind bei KULT ein No-Go. Verwendet werden fast nur Produkte regionaler Anbie-

Eine süße „Winkekatze“ (in Japan ein Glücksbringer) begrüßt die Kunden der

Bäckerei Einer der sieben Elsässer Bäcker, die bei KULT arbeiten, beim Abwiegen von Roggenmehl

Auch bei den Produkt-Namen ist man kreativ, wie hier bei den Sandwiches

FOTOS: Michael Santen (2), Nicolas Gysin (2), KULT

ter, wie z. B. Weizen-, Roggen- und Dinkelmehl einer Mühle, die ausschließlich Korn von Bauern der Gegend verarbeitet. „Nur Zutaten wie Schokolade oder Senf kaufen wir fertig ein.“

Das war von Anfang an Teil der KULT-Philosophie, die da lautet: nur „ehrliche“ Rohstoffe verwenden. Allen Teigen viel Zeit geben. Sorgfältige Handarbeit. Allen Kunden mit Herzlichkeit begegnen. Die Mitarbeiter mit ihren Ideen in die Produktion miteinbeziehen!

Von Anfang an – das heißt seit Herbst 2015. Verrückt, was damals passierte ... „Mein Schulfreund Leon Heinz und Felicia Schäfer, die an der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst studierten, bastelten an Ideen herum, wie sich Essen und Events verquicken lassen“, erzählt Lea. „Dafür gründeten sie schon zu Uni-Zeiten die ‚Gastronautische Gesellschaft‘.“

Als sich Felicia Schäfer im Backlädeli, das zu dieser Zeit „Feinbäckerei am Riehentor“ hieß, ein Gipfeli kauf-

An den kleinen Häschen aus Zopfteig, bestreut mit Hagelzucker, wird letzte Hand angelegt

Ständig werden neue Leckereien ertüftelt te und es auf Facebook lobte, wurde die Frau des Bäcke- Internet-Plattform „We make it“ – ein Volltreff er! „In reibesitzers auf die kreativen Gastronauten aufmerksam wenigen Tagen kamen fast 40 000 Schweizer Franken und kontaktierte sie. Denn das Geschäft lief schlecht. durch 350 ‚Sympathisanten‘ zusammen“, berichtet Lea. „Vielleicht haben diese jungen Menschen ja eine Idee, „Viel mehr, als wir erwartet hatten!“ Alle Investoren wie wir die Schließung verhindern können“, hofft e sie. bekamen dafür Goodies, wie Gutscheine für ein FrühDas Hausbesitzer-Paar wollte sich von Leon und Felicia stück mit Gipfeli und Kaff ee. Einzulösen für den Fall, beraten lassen. Voll Eifer holten die beiden Endzwanzi- dass alles klappt. Und es klappte. Leon, Lea und Felicia ger auch noch ihre Freundin Lea ins Boot, begannen zu engagierten einen jungen Bäcker aus dem Elsass und dritt, ein „frisches Konzept“ für das Lädeli zu erarbeiten. boten der neugierigen Kundschaft ihre handwerklich Neuartige Produkte, Events im Geschäft .

Lea studierte zu dieser Zeit in Paris Th eaterwissenschaft en, hatte in Frankreich schon in einer Land-Bäckerei gearbeitet. „Uns verband die Lust auf gutes Backwerk. Der Meister und sein Und der Wunsch nach einer echten Bäckerei – traditio- Lädeli: So sah es vor ziemnell, aber zukunft stauglich. Wir wollten den historischen lich genau 100 Jahren in der Ort neu denken.“ Aber es war zu spät ... „Es tut mir leid, kleinen Bäckerei aus der Konkurs steht an“, teilte der Hausbesitzer den dreien mit. „Vielleicht mögt ihr das Geschäft übernehmen und es mit euren Ideen und auf eigenes Risiko versuchen?“

Leon, Lea und Felicia sagten zu. Auch, weil ihnen der Mann die Bäckerei für anfänglich einen Franken Miete pro Monat überließ – aus Liebe zu dem kleinen, alten Lädeli, das nicht sterben sollte. Aber: wie an das nötige Geld kommen, um solch ein Projekt zu stemmen? Die drei starteten einen Crowdfunding-Aufruf auf der

Verkäuferin Iris und eine glückliche Kundin – Freundlichkeit wird bei KULT ganz groß geschrieben

hochwertigen Brote, Sandwiches, Törtchen und Gipfeli an. Warum unter dem Namen KULT? „Wir wollten, dass er klassisch klingt – wie Bäckerei Müller. Also Bäckerei KULT“, sagt Lea schmunzelnd. „Uns gefi el aber auch, dass das Wort Kultur darin steckt. Es war ja unsere Vision, gute Backwaren zu kultivieren. Und natürlich hofft en wir, dass unser Baby auch wirklich einmal Kult wird“, fügt sie augenzwinkernd an. Wurde es.

Durch die immer wieder neu ertüft elten Backwaren. Wie das Wasserbrot – 0,9 Liter Wasser auf ein Kilogramm Mehl. Oder die Pizzaschnecke – hausgemachte Sauce aus Oliven, Mozzarella, Parmesan, in Baguetteteig eingewickelt. Aber auch durch Events wie SauerteigWorkshops oder eine „Nacht der off enen Backstube“, wo man den Bäckern zuschauen und sie befragen kann,

Nachhaltig und ein wirklich schöner

Anblick: die BioBaumwolltaschen der Bäckerei

dazu Wildschwein-Wecken schlemmt und ein Bier trinkt. Schon bald war es im Lädeli, in dem nur Platz für eine Th eke, ein Brotregal, zwei kleine Tischchen und die kleine, off ene Backstube ist, zu eng – die Bäcker (inzwischen gab es mehrere Elsässer) traten sich beim Gemüseschneiden, Zitronenreiben, Eieraufschlagen und Gipfelirollen auf die Füße. Und es war kein Platz mehr da für die vielen verschiedenen Teige.

KULT bekam Zuwachs im Stadtteil St. Johann – ein großer Laden in der Elsässerstraße mit viel Platz für Öfen, Arbeitstische und eine lange Th eke. „Aber es läuft so gut, dass wir schon wieder an Grenzen stoßen“, gesteht Lea Gessler. Und so ist KULT-Standort Nummer drei bereits in Planung, wie sie verrät. Wird aus dem Erfolgsrezept von Leon, Felicia und Lea vielleicht eine Bäckerei-Kette? „Nein. Wir wollen lokal bleiben und anspruchsvolles Back-Handwerk anbieten. Das war der Ur-Gedanke, und dem bleiben wir treu.“

Es ist Mittag geworden. Vor dem unscheinbaren Haus Riehentorstraße 18 bildet sich die zweite Schlange des Tages. Jetzt sind Gemüse-Quiches, exotische Sandwiches und Stücke von der puren Schoko-Bombe „Don Chocolato“ gefragt. Und frische Gipfeli, natürlich.

MICHAEL SANTEN

KONTAKT: Bäckerei KULT, Riehentorstr. 18, CH-4058 Basel, geöffnet von DI–FR 6.30–18.30 Uhr, SA 8–16 Uhr, SO 8–14 Uhr, www.baeckereikult.ch

Brot-Literatur zum Blättern und (für KULT produzierter) Kaffee zum Mitnehmen

Hier gibt es „gutes Brot“, verspricht das kleine Schaufenster

Autor Michael Santen traf KULT-Chefin Lea Gessler – am größeren Standort in St. Johann. Das Ur-Lädeli war voller Kunden ...

FOTOS: Michael Santen

Traditions-Bäckereien im Schwarzwald

Auch diesseits der Grenze gibt es alteingesessene Bäckereien – mit feinen Brot- und Kuchen-Spezialitäten. Hier eine Auswahl:

5Bäckerei + Café Müller, Freudenstadt, MartinLuther-Str. 12–14 (www.cafe-mueller.de): Im Jahr 1856 von Johann Georg Müller im Altkaufhausviertel eröffnet. Am heutigen Platz seit über 100 Jahren und in fünfter Generation geführt. Das Angebot reicht von Brezeln bis Pralinen, von Torten bis Chia- und 5-KornQuarkbrot. 5Bäckerei Ochsenmühle im idyllischen Unterharmersbach (Hauptstr. 157). Hier ist die elfte Generation am Start – mit 100 Prozent Frauenquote im Team von Chefin Angelika WelleMännle. Renner bei den Kunden: Nussecken, Elsässer Weckle und Zwetschgen-Streusel. 5Salinencafé, Schwenningen, Rietenstraße 16 (www.salinen-cafe.de): Im Jahr 1924 von Walter Jauch eröffnet. Eine seiner Töchter heiratete den Bäcker Hubert Singer. Ihr Nachfahre Frank führt den Betrieb heute, ist für seine Torten bekannt – und in der Fasnachtszeit für seine „Schwenninger Lebkuchenbären“. 5Bäckerei Burger, Emmendingen, Karl-FriedrichStraße 51: Schon seit 1888 wird in diesem Haus gebacken – früher unter dem Namen „Bäckerei Müller“, seit 2007 von der Familie Burger. Beliebtes Backwerk ist das Schneckenbrot – ein extra langsam geknetetes Weizenmischbrot, gedreht wie eine Schnecke. 5Bäckerei Schwehr, Dielenmarktstr. 3 in Endingen (www.baeckereischwehr.de): 1898 von Wilhelm Schwehr gegründet, heute in vierter Generation geführt von Matthias Schwehr (Brot-Sommelier, Brot-Blogger, Deutschlands Brot-Botschafter 2020). Prämiert wurden unter anderem: sein Hanfbrot, das Radlerbrot, das Kaiserstühler Krustenbrot und der Bireweck. 5Bäckerei Baier, dreimal in Herrenberg (www. baecker-baier.de): Existiert seit 1835, bezieht seine Mehle von einem der ältesten Demeterhöfe des Landes, backt knusprige Bio-Brote (vom Älbler Ur-Dinkel bis zum Feigen-Walnussbrot). Man kann die Backwaren auch im Online-Shop bestellen und es sich – spezialverpackt – frisch zusenden lassen!

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