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Kunstwerke zum Vernaschen
Kleine Kunstwerke
zum Vernaschen
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Springerle werden gerne zu Weihnachten gebacken. Mit Holzformen, den sogenannten Modeln, werden Motive in den Teig gedrückt


Sie sehen wunderschön aus: Springerle sind für die Offenburgerin Marion Jentzsch nicht nur ein feines Gebäck. Sie sind auch ein Kulturgut, das einfach nicht verloren gehen darf. Deshalb zeigt uns die Bäckerin, wie sie am besten gelingen
Ganze 40 Minuten lang quirlt sich das Rührgerät durch die Eiermasse. Das ist eine kleine Ewigkeit – doch darauf kommt es an. „Nur so bekommt der Teig die richtige Konsistenz“, verrät Marion Jentzsch, die sich dabei von einer Küchenmaschine helfen lässt. Doch der Rest ist reine Handarbeit, verlangt nicht nur viel Gespür, sondern auch Erfahrung. Das Ergebnis am nächsten Tag: kleine Kunstwerke. Wie es sich gehört, sind die traditionellen Anisplätzchen im Ofen gleichmäßig aufgegangen, und die feinen Motive der Springerle zeichnen sich deutlich ab. Und der Geschmack? Hmmm, herrlich! Das Eierschaumgebäck ist wunderbar weich mit leichtem Biss und zergeht förmlich auf der Zunge. Marion Jentzsch ist zufrieden.
„Für Springerle braucht man Zeit“
Das Backen ist seit jeher die große Leidenschaft der Offenburgerin. Schon vor über 20 Jahren hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht, später natürlich auch eine Prüfung bei der Handwerkskammer abgelegt und eine angemietete Backstube auf den geforderten Standard aufgerüstet. Ihre süßen Köstlichkeiten, die sie größtenteils über das Internet vertreibt und auf kleinen Messen verkauft, waren selbst der überregionalen Zeitschrift „Stern“ einen Tipp wert. Schwarzwälder Kirschtorte, den regionalen Klassiker, den beherrschte sie schon als Kind. Ihre Liebe gehört mittlerweile einer anderen Region. Marion Jentzsch hat sich auf italienisches Gebäck spezialisiert, stellt Biscotti, Cantuccini und Amaretti her nach Originalrezepten aus der Toskana und dem Piemont. Das hat sie ihrem Mann zu verdanken. „Er war Halbitaliener“, verrät sie, „gemeinsam waren wir viel in Italien unterwegs.“
Ab November jedoch duftet es in der kleinen ProfiKüche nach Anis. Puderzuckerpackungen stapeln sich, und an der Eierstation ist die Küchenmaschine im Dauereinsatz. Dann nämlich widmet sich die Badenerin ganz ihren Springerle. Mit hölzernen Modeln, von denen Marion Jentzsch mittlerweile eine ganze Sammlung besitzt, werden filigrane Motive in den Teig gedrückt und später ausgestochen. „Ich liebe diese Bildgebäcke“, schwärmt die studierte Kunsthistorikerin, der es einfach wichtig ist, dass diese schöne Tradition nicht verloren geht. Mal eben schnell ein paar Plätzchen backen, das funktioniere bei Springerle nämlich nicht. Schon beim Eieraufschlagen braucht es Geduld, dann muss der Teig ruhen und nach dem Ausstechen lange trocknen. Und vor dem Backen wird jedes einzelne Plätzchen noch einmal auf ein feuchtes Tuch gedrückt. „Man braucht einfach Zeit, und das ist heutzutage leider gar nicht mehr im Trend, selbst bei Menschen, die eigentlich gerne backen“, bedauert die Bäckerin.
Springerle sind in Süddeutschland, dem Elsass, der Schweiz, in Teilen Österreichs und in Ungarn bekannt. Der Name kommt wahrscheinlich vom Aufspringen (Aufgehen) des Teigs beim Backvorgang. Das im Teig enthaltene Hirschhornsalz und auch das Kirschwasser bewirken das Hochgehen des Gebäcks. Beim Backen kann man beobachten, wie die Plätzchen auf die doppelte Höhe wachsen. „Man sagt dazu, sie bekommen Füßle“, erklärt Marion Jentzsch. Eine andere Theorie besagt, der Name komme vom allerersten Motiv, das angeblich eine Reiterfigur war. Wann genau die Springerle erfunden wurden, ist unbekannt. In Mitteleuropa lassen sich Model bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen, hat die Offenburgerin nachgelesen. In Süddeutschland und in den angrenzenden deutschsprachigen Regionen kennt man Springerle seit dem 16. Jahrhundert.

FOTOS: Michael Bode
Ab November duftet es in der kleinen Backstube von Marion Jentzsch wieder nach Anis. Ein eindeutiges Zeichen: Jetzt sind Springerle in der Produktion
Für die Zubereitung braucht man nicht allzu viele Zutaten, dafür jedoch jede Menge Gefühl

Die Holzform fest und gleichmäßig in den Teig drücken, damit sich die Motive abzeichnen
Die Offenburger WerresVögel als Springerle

FOTOS: Michael Bode
Wo kann man Model kaufen?
Die Springerle-Model werden überwiegend aus Birnbaumholz hergestellt, das für diese Art Schnitzkunst am besten geeignet ist: Es ist mittelhart und außerdem kurzfaserig. So kann es quer zur Faser und damit in alle Richtungen gestochen werden, ohne dass das Holz splittert und Teile herausbrechen. Alte Springerlemodel werden gerne vererbt. Fündig wird man auch auf Handwerkermärkten oder auf dem Flohmarkt. Schöne handgefertigte Model aus Birnenholz gibt es hier: www.modelmanufaktur-angele.de Die Manufaktur fertigt auch Motive nach Wunsch der Kunden an. Die Schweizer Firma Änis-Paradies stellt Formen mit alten und neuen Motiven aus Gießharz her. Das Material ist zwar weniger ansprechend als Holz, ist aber pfl egeleichter: www. springerle.com
Die Th emen reichen von Tieren und Blumen bis zum Jäger, der von der Jagd heimkommt. Die ersten Springerlemotive waren kirchlichen Ursprungs, die Bilder biblischen Geschichten entlehnt, oder sie stellten christliche Symbole dar. Heutzutage darf natürlich auch ein Schneemann zur Weihnachtszeit nicht fehlen. Mit einem Bändel zum Aufh ängen sind die Springerle auch ein schöner Weihnachtsschmuck. „Passen perfekt zu Äpfeln und Bienenwachskerzen – ein Weihnachtsbaum wie früher.“
Was Model und Motive angeht, ist Marion Jentzsch durchaus kreativ und lässt sich bei einem Modelstecher in Th üringen auch Formen nach eigenen Vorstellungen anfertigen: Die Off enburger Hex, die Werres-Vögel, die im Off enburger Stadtbild häufi g zu sehen sind, oder auch das Durlacher Engele wurden bereits in Eierschaumteig verewigt.
Bewundern, ja, aber bitte auch essen!
Der Teig selber besteht nur aus wenigen Zutaten, weshalb Marion Jentzsch auch kein Problem damit hat, ihr Rezept preiszugeben (siehe rechts). Auf die richtige Konsistenz kommt es an, und dafür braucht es viel Erfahrung. „Der Teig muss weich genug sein, um die Modeltextur aufzunehmen, zugleich fest genug, damit das Motiv nicht verschwimmt.“ Vor dem Backen müssen die Springerle leicht antrocknen, damit sich das Motiv verfestigt. Aber auch hier kommt es auf die Dosis an. „Wenn sie zu trocken sind, gehen sie nicht richtig auf und die Füßle werden nicht schön.“
Viele sagen ja, an Springerle beiße man sich die Zähne aus. Doch Marion Jentzsch weiß: „Das kommt ganz darauf an, wie man den Teig herstellt.“ Ihre Exemplare jedenfalls sind überraschend weich. Damit sie nicht hart werden, sollte man sie jedoch nicht in beheizten Räumen lagern. Sollte es doch passieren, dass die Plätzchen hart werden, hilft dieser Trick: „Die Springerle in ein Leinensäckchen packen und draußen aufh ängen. Dann ziehen sie aus der Luft die Feuchtigkeit.“
Aber darf man solche Kunstwerke überhaupt essen, Frau Jentzsch? „Unbedingt“, betont die Bäckerin. „Anschauen und bewundern, ja. Dann aber unbedingt reinbeißen und genießen.“ ANDREA BUCHMANN
KONTAKT Damit Springerle gut gelingen, braucht es etwas Übung. „Es soll aber vor allem Spaß machen“, sagt Marion Jentzsch, deshalb plant sie, in Zukunft auch Backkurse anzubieten. Ihre eigenen Produkte verkauft sie vor allem über die Homepage. Auch einige Feinkosthändler und Kaffeeröstereien gehören zu ihren Abnehmern. Wer in Offenburg wohnt, hat Glück, denn dort hat Edeka Timm-Zinth der Bäckerin sogar ein eigenes Regal eingeräumt. Kontakt: Marion Jentzsch, Telefon 07 81/9 19 52 09, www.die-backwerkstatt.com
Beim Backen sind die Springerle aufgegangen und
haben „Füßle“ be-
kommen. Das Motiv ist trotzdem schön zu sehen. Perfekt!
SPRINGERLE – SO GELINGEN SIE AM BESTEN
ZUTATEN FÜR 2 BACKBLECHE
4 Eier (Größe M), 500 g Puderzucker, 1 Msp. Hirschhornsalz, 1 EL Kirschwasser, 470 bis 500 g Weizenmehl (Typ 405), 2 EL Anissamen; Außerdem: Mehl zum Arbeiten, Backpapier, weicher Backpinsel, 2 Kanthölzer (je 1 cm hoch)



ZUBEREITUNG
1. Alle Zutaten sollten Zimmertemperatur haben, vor allem die Eier. 2. Zunächst die Eier mit dem Rührgerät oder der Küchenmaschine auf höchster Stufe 10 Minuten lang sehr schaumig schlagen. Dann die Geschwindigkeit auf die niedrigste Rührstufe reduzieren und den gesiebten Puderzucker löffelweise dazugeben. Sobald der Puderzucker eingearbeitet ist, die Geschwindigkeit wieder auf Maximum stellen und den Teig weitere 10 Minuten rühren. 3. Das Hirschhornsalz im Kirschwasser aufl ösen und dazugeben. Weitere 20 Minuten lang rühren. 4. Die Geschwindigkeit auf Minimum reduzieren und das gesiebte Mehl löffelweise – bis auf gut 5 bis 6 gehäufte Esslöffel – unterrühren. 5. Den Teig aus der Schüssel auf eine mit Mehl bestäubte Arbeitsfl äche geben und von Hand weiterverarbeiten. Jetzt nur noch so viel Mehl unterkneten, dass der Teig nicht mehr klebt, aber noch weich ist. 6. Den Teig in zwei Portionen teilen und zwei schöne Kugeln mit glatter Oberfl äche formen. Die Kugeln etwas fl ach drücken, in zwei Gefrierbeutel packen, gut verschließen und 1 Stunde in den Kühlschrank legen. 7. Zwei Backbleche mit Backpapier auslegen und mit jeweils 1 EL Anissamen so gleichmäßig wie möglich bestreuen. 8. Die Arbeitsfl äche dünn mit Mehl bestäuben und eine der beiden Teigportionen 1 cm dick ausrollen. Die andere Portion in der Zwischenzeit im Kühlschrank lassen. Zwei Kanthölzer rechts und links des Teigs können helfen, dass der Teig beim Ausrollen gleichmäßig dick wird. 9. Die Teigoberfl äche dünn mit Mehl bestäuben und dieses mit Gefühl in den Teig „einmassieren“. Die Model mit etwas Mehl bestäuben und mit gleichmäßigem Druck auf den Teig pressen. Mit einem passenden eckigen oder runden Ausstecher (oder einem Teigrädchen) die Motive ausschneiden. Überschüssiges Mehl mit einem weichen Backpinsel von den Springerle entfernen. Die Springerle dann auf das mit Anissamen bestreute Backblech legen und über Nacht an einem warmen Ort trocknen lassen. 10. Den Backofen auf 150 Grad (Ober-/Unterhitze) vorheizen. Wichtig: Kurz bevor man das Blech in den Ofen schiebt, jedes Springerle kurz auf ein feuchtes Tuch stippen. Die Unterseite soll dabei gleichmäßig feucht werden. 11. Die Springerle auf der zweiten Schiene von unten 15 bis max. 18 Minuten backen. Sie sollten oben ganz hell bleiben und unten nur einen Hauch von Farbe annehmen. Vollständig auskühlen lassen und zur Aufbewahrung in eine gut schließbare Dose geben.

