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Blumensträuße aus dem Schwarzwald

Tierische Helfer: Marienkäfer tragen dazu bei, das ökologische Gleichgewicht zu erhalten

„Jede Blume hat ihre Zeit“, sagt die Slow-Flower-Bewegung. Das bedeutet: im natürlichen Rhythmus der Natur pflanzen und ernten, lokale Alternativen zu Blüten aus Übersee finden. Wir haben eine Farmerin besucht, deren Blumen wildschön sind – und nicht perfekt sein müssen

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FOTOS: Floralita, ID Photography/Christina Loesch

Sonia Grimm aus Sinzheim leitet zusammen mit ihrem Vater Markus Schmälzle das nachhaltige Blumen-

unternehmen „Floralita“

Blumensträuße aus dem Schwarzwald – das ganze Jahr über

Winterastern bringen zum Saisonende hin Farbe in den Garten

In den Gewächshäusern gibt es keine Klimatisierung. Um im Sommer Schatten zu gewinnen, wird weiße Kalkfarbe auf die Dächer gesprüht

In dieser Erde arbeitet es! Organisches Mulchmaterial wird dem Boden zugeführt, um ihn mit Nährstoffen zu versorgen

FOTOS: Floralita (2), ID Photography/Christina Loesch (4) Schau mal, ein Marienkäfer“, sagt Sonia Grimm und zeigt auf das rote Insekt mit den schwarzen Punkten, das es sich auf einer Kugeldistel gemütlich gemacht hat. Andere Gärtnerinnen würden jetzt vielleicht zur Chemiekeule greifen, um das Tierchen von der Pflanze fernzuhalten, nicht so Sonia. Im Gegenteil: Die 32-Jährige freut sich, dass das Ökosystem, das sie geschaffen hat, intakt ist. Bei „Floralita“, wie sie ihren Betrieb genannt hat, trägt jeder Organismus etwas bei und ergibt als Teil eines nachhaltigen Ganzen Sinn.

In Sinzheim, in der Nähe von Baden-Baden, bewirtschaftet Sonia mehrere Hektar Wiesen, Felder und acht Gewächshäuser, hinzu kommt ein Blumenladen. Nach ihrem Studium der Landschaftsarchitektur und einer Gärtnerlehre stieg sie ins Familiengeschäft ein. Zusammen mit ihrem Vater Markus Schmälzle (63) stellte sie das Unternehmen 2017 auf „bio“ um.

An diesem eisigen Morgen im Spätherbst steht die Blumenfarmerin in ihrem Gewächshaus vor zwei Reihen üppig blühender Eukalyptuspflanzen. Das grüne Myrtengewächs wird durch das Glasdach sanft von der Sonne beschienen. Im Treibhaus ist es kalt; es wird nicht auf tropische Wärme hochgeheizt, damit rund ums Jahr alle Sorten gezüchtet werden können, sondern die Temperatur wird mit sehr geringer Heizenergie aus Holzhäckselabfall auf lediglich über null Grad gehalten, damit sich kein Frost bildet und die Wasserleitungen nicht einfrieren. Das gehört zum Konzept des umweltbewussten Blumenanbaus im Sinne der Slow-Flower- Bewegung. 2013 wurde sie in den USA von der Pflanzenexpertin und Autorin Debra Prinzing ins Leben gerufen, um ein Bewusstsein für chemiefreie, saisonal wachsende Blumen zu schaffen. Seit März 2019 finden sich auch in Deutschland die ersten Anhänger. Mittlerweile sind es fast 200 Mitglieder, und es werden stetig mehr. Sie treffen sich regelmäßig, tauschen Tipps und Ratschläge aus, unterstützen sich. Zu den selbst auferlegten Leitlinien gehört der Verzicht auf Pestizide, genma-

nipulierte Pflanzen, Steckschaum und Einmal-Plastik. Und, ganz entscheidend ist, die Blumen im Rhythmus der Natur anzubauen und zu ernten. „Slow Flower bedeutet ja ‚langsame Blume‘. Es geht um organisches Wachstum. Wie man es auch von regionalen Lebensmitteln kennt. Pflanzen werden nur in der Jahreszeit genutzt, in der sie auch bei uns wachsen“, erklärt Sonia Grimm, die mit „Floralita“ den bisher größten SlowFlower-Betrieb in Deutschland führt.

In ihrem Blumenladen sehen die Sträuße, die sie mit ihren Mitarbeiterinnen bindet, jeden Monat unterschiedlich aus. Im Winter verwenden sie Anemonen, Pistaziengrün, Zierkohl und Amaryllis, jedoch gibt es keine frischen Rosen mehr. Im Gewächshaus stehen ein paar letzte Exemplare, aber wenn sie geerntet sind, wird Sonia keine Importware zukaufen: „Im Winter wachsen bei unseren klimatischen Bedingungen nun mal keine Rosen. Was viele nicht wissen, ist, dass 80 Prozent der Schnittblumen, die man in Deutschland bekommt, aus Lateinamerika und Ostafrika importiert werden. Aber man muss sich nur mal vor Augen halten, dass sie 6000 Kilometer weit geflogen werden und man in diesen Ländern Pestizide einsetzen darf, die in der EU schon lange verboten sind. Beides will ich auf keinen Fall unterstützen.“ Die Konsequenz: „Erst im Mai werden wir wieder Rosen haben. Aber ich finde das überhaupt nicht schlimm: Jede Blume hat ihre Zeit.“

Es verlangt Selbstbewusstsein und unternehmerische Risikobereitschaft, die Rose, die laut Zentralverband Gartenbau die beliebteste Schnittblume der Deutschen ist, nicht

Wilde Natur: Hagebutten sind die ungiftigen Sammelnussfrüchte verschiedener Rosenarten, etwa der Hunds-Rose. Wild wachsende Rosen sind wertvolle Nähr- und Schutzgehölze für viele Tierarten. Hagebutten bieten etwa Standvögeln eine vitaminreiche Nahrung Der bevorzugte Standort für Silberblättrigen Eukalyptus ist eine sonnige bis halbschattige Lage. Bei Sonia Grimm wächst er vor und im Treibhaus

FOTOS: Floralita (4), ID Photography/Christina Loesch (2)

„Es riecht immer so gut –vor allem nicht künstlich, sondern wirklich nach Blumen“, sagt Sonia

Es müssen nicht immer frische Blumen sein. Wer sich bei „Floralita“ für einen Kranz aus verschiedenen Trockenblumen entscheidet, hat lange seine Freude daran

jederzeit im Sortiment zu haben. Sonia Grimm sagt, es habe etwas gedauert, bis ihr Konzept bei den Kunden angekommen sei. Ihre Slow Flowers sind zwischen 20 und 30 Prozent teurer als Blumen aus dem konventionellen Anbau, aber immer mehr Menschen seien gewillt, dies zu bezahlen, fänden großen Gefallen daran, Blumen nach dem Kreislauf der Natur zu kaufen.

Wie frisch von der Wiese gepflückt

Eine von Sonia Grimms Stammkundinnen ist seit zwei Jahren Iris Eggerder. Die Frau mit dem hübschen Blumen-Vornamen liebt frisches Grün. Wenn die 31-Jährige spät dran ist und es nicht mehr während der Öffnungszeiten zu „Floralita“ schafft, legt Sonia ihr sogar einen Strauß vor die Ladentür, den sie online bezahlen kann. Iris Eggerder erzählt am Telefon, dass es ihr wichtig ist, beim Einkaufen Respekt für die Natur mitzubringen. „Die Slow Flowers sehen unregelmäßiger aus – aber für mich viel schöner als perfekt gleichmäßige Blumen, weil sie naturgetreuer sind, wie frisch von der Wiese gepflückt.“ „Wir wollen, dass die natürliche Form der Blumen zur Geltung kommt“, bestätigt Sonia Grimm. „Man soll

Infos zu „Slow Flower“

5Durch die Blume: In der Slow-FlowerBewegung haben sich Flowerfarmer, Floristen und Blumengärtnerinnen zusammengeschlossen. Ihre Schnittblumen sind frei von Pestiziden und aus der Region. Mehr Infos unter www.slowflower-bewegung.de 5In Baden-Württemberg betreibt neben Floralita auch „Wildling Blumen“ in Badenweiler bei Freiburg Blumenanbau nach den SlowFlower-Prinzipien: www.wildlingblumen.de Sträuße bietet „Blumenschmuck von Wiesental“: www.blumenschmuck-vonwiesental.de

sehen, dass sie krumme Stängel und Flecken haben und nicht aus Plastik bestehen. Sie sind ja nicht tot, manche wachsen in der Vase sogar noch eine Zeit lang weiter.“

Lebendig geht es bei „Floralita“ auch bei der Schädlingsbekämpfung und beim Düngen zu. Sonia setzt natürliche Helfer ein: Die Marienkäfer etwa, die wir auf der Kugeldistel beobachtet haben, fressen Blattläuse weg. Winzige Fadenwürmer ernähren sich von im Boden lebenden Larven und verhindern damit, dass sich für die Blumen gefährliche Trauermücken entwickeln. Und eine Herde von neun Schafen liefert Dung, der bei der Neupflanzung von Rosen verarbeitet wird. Der Verzicht auf Chemie erfordert viel mehr Handarbeit; Unkraut etwa wird im konventionellen Blumenanbau im Freien mit Herbiziden abgespritzt. Bei „Floralita“ zieht man es komplett per Hand. Ohne Chemie zu gärtnern, heißt aber auch, dass die Mitarbeiter keine Allergien gegen Spritzmittel entwickeln und auf Handschuhe und Pflanzenschutzmasken verzichten können.

Im letzten Gewächshaus, durch das wir gehen, haben Sonia und ihr Team Frühlingsblumen gepflanzt. „Hier werden wir Löwenmäulchen, Levkojen, Ranunkeln und Glockenblumen ernten.“ In der Blütezeit wird sie davon auch einige trocknen, was als Alternative zu Frischblumen mittlerweile sehr beliebt in der Floristik ist. Im Lager des Blumenladens stapeln sich violette, rosafarbene und gelbe Trockenblumen, die schonend von der Sonne gebleicht wurden. Dort finden sich dann doch noch ein paar Rosen – zart verblasst. Sonias Tipp: „Sie eignen sich super zur Deko von Adventskränzen. Und danach muss man sie nicht wegwerfen – sondern kann noch den Weihnachtsbaum damit schmücken!

FRAUKE RÜTH

KONTAKT Floralita, Tiefenau 116a, 76547 Sinzheim. Tel: 07221/83170. Die Öffnungszeiten des Blumenladens: Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr. Samstag von 9 bis 12 Uhr. www.floralita.de

Violette Frühlingstamarisken, ein Zierstrauch, der sich wunderbar zum Trocknen eignet

Ein Gebinde aus Trockenblumen. Man sollte es vor Sonneneinstrahlung schützen – sonst bleichen die Blumen weiter aus

Silberblatt, auch Mondviole genannt: Im Sommer trägt die Pflanze bunte Blüten, im Winter zartsilberne Blättchen

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