Recht So! 5/2017

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RECHT SO!

G EMEI N SAM. ZIELE. ER R EICH EN.

Zwischen den Zeilen

Formlos sprachlos Ob es manchmal einfach die Worte sind, die Arbeitgeber zu illustren Ideen motivieren? Die verpflichtende Information des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei einer beabsichtigten Kündigung wird nun einmal „Betriebsrats-Anhörung“ genannt. Bei einer Feuerverzinkerei in Hagen hatte der Arbeitgeber hierbei irgendwie eine Schere im Kopf. Er griff zum Telefon. Allerdings dabei dann nicht zum Hörer. Vielmehr haute er hektisch in die Tasten und sendete eine SMS an das Dreier-Gremium. Er hatte es schließlich eilig. Ok, im Gesetz – hier § 102 Betriebsverfassungsgesetz – ist die Schriftform nun nicht exakt ausdefiniert. Aber mal ehrlich: Ist es so schwer, den letzten Anstand förmlicher Kommunikation aufrecht zu erhalten? Müssen nun Rechtsratgeber geschrieben werden, die den Umgang mit Smartphone, Whatsapp-Nachrichten etc. und das Kündigungsschutzgesetz erklären? Gerade im Arbeitsrecht und in Bezug auf Kündigungen sind verbindliche Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgehalten. In § 623 (BGB) wird beispielsweise die Schriftform betont – und jegliche elektronische Form ausgeschlossen. Eine Betriebsratsanhörung ist nur dann ordnungsgemäß, wenn die Arbeitgeber-Informationen so ausführlich sind, dass eigene Nachforschungen nicht notwendig sind, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Dafür SMS zu senden scheint nicht nur umständlich, sondern kann beim falschen Vertrag sogar auch noch teuer werden.

Null ist nicht gleich null Ansprüche aus einem Arbeitszeitkonto verfallen nicht einfach, wenn der Arbeitgeber beschließt, das Konto auf null zu stellen 91 Stunden und 37 Minuten hatte ein Lagerarbeiter in einem Unternehmen der Luftfrachtabfertigung auf seinem Arbeitszeitkonto als Plusstunden angesammelt. Bei vier weiteren Kollegen verhielt es sich ähnlich. Zwischen 42 und 126 Plusstunden hatten auch sie bis zum 31. Mai 2016 auf ihren Arbeitszeitkonten positiv zu Buche stehen. Diese sollten zum 1. Juni anspruchslos verfallen. Grund: Im Mai sollte eine Betriebsvereinbarung in Kraft treten mit dem Wortlaut: „Die Betriebsparteien haben sich entschieden, dass das Arbeitszeitkonto ab dem 1. Juni 2016 gilt und mit 0 beginnt.“ Hierbei lief bereits im Vorfeld nicht alles im Sinne der Betriebsparteien. Denn die Vereinbarung erging durch einen Spruch der Einigungsstelle im Februar. Den hatte der Betriebsrat angefochten und die Betriebsvereinbarung wurde in der Folge gekündigt. Der Arbeitgeber war dennoch nicht davon abzuhalten, die Arbeitszeitkonten zum 1. Juni auf null zu stellen. Immerhin gab es dieses Konto bereits im Vorfeld – und nach seiner Auffassung hätte die Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit“ den Anspruch aufgehoben, das angesammelte Zeitguthaben auszuzahlen. Zusätzlich sicherte sich das Unternehmen ab, indem es auf Ausschlussfristen aus dem Arbeitsvertrag verwies. Hiernach wäre der Anspruch zum Zeitpunkt der Geltendmachung bereits verfallen gewesen.

„Streitlos gestellt“

Illustration: Leo Pellegrino

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„Die Zahlungen standen unseren Mandanten zu“, erklärt die beauftragte Rechtsschutzsekretärin Beate Alt vom Frankfurter Büro der DGB Rechtsschutz GmbH. „Das hatte das Unternehmen mit der Monatsübersicht im Mai selbst zugegeben. Denn dort waren die Plusstunden eindeutig aufgeführt, weshalb die von den Lagerarbeitern erbrachte Arbeitsleistung festgehalten war. Diese zu begleichen ist eine grundsätzliche Verpflichtung von Arbeitgebern.“ Es existierten keine klaren Regelungen zu dem „alten“ Arbeitszeitkonto. Und auch die neue Betriebsvereinbarung „Arbeitszeit“ enthielt keine Aussagen darüber, was mit den zuvor angesammelten Plusstunden passieren sollte. Ein einfaches auf null stellen

www.dgbrechtsschutz.de

Foto: DGB Rechtsschutz GmbH, Frank Ott

In dieser Ausgabe: Präsenz als Brücke zu den Gewerkschaften Sperren als Mittel ohne wichtigen Grund Normen als Kern der Globalisierung

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Beate Alt vom Frankfurter Büro der DGB Rechtsschutz GmbH erstritt für mehrere Lagerarbeiter die Vergütung von Plusstunden, die der Arbeitgeber verfallen lassen wollte. „Eine leider übliche Praxis, die zu häufig einfach hingenommen wird.“

reichte hierbei nicht, wie auch die Richter*innen am Arbeitsgericht Frankfurt feststellten. „Die Änderung des Arbeitszeitkontos auf den Stand ‚0‘ enthält keine Aussage über das Schicksal des Vergütungsanspruchs für die zuvor streitlos gestellte Mehrarbeit.“ Auch arbeitsvertraglich festgehaltene Verfallsfristen waren unerheblich, da der Arbeitgeber mit seiner Monatsübersicht, in der die Plusstunden bis zum 31. Mai festgehalten waren, diese unstreitig gestellt hatte. Für die Beschäftigten ergaben sich Vergütungsansprüche von knapp 500 bis 1.600 Euro – eine Rechnung mit null, die nicht aufging.

Arbeitsgericht Frankfurt, am 6. Juli 2017, Az. (u.a.): 19 Ca 8717/16


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