RECHT SO!
G EMEI N SAM. ZIELE. ER R EICH EN.
In dieser Ausgabe: Rechtsprechung national Übertarifliche Zulagen „Mehr“ ist ungesund
Zwischen den Zeilen
Schreihals am Ohr Lehrer sein ist nicht einfach. Und mit schreienden Kindern richtig schwer. Für eine Pädagogin, die zur Betreuung von auffälligen Kindern zur Unterstützung der Lehrkraft eingesetzt ist, war eine Auseinandersetzung mit einem Quälgeist im Klassenzimmer besonders verstörend. Das Kind schrie ihr ins Ohr, woraufhin sie unter Schmerzen nicht weiterarbeiten konnte und den Arzt aufsuchte. Dieser stellte zwar eine Lärmschädigung fest, die leicht behandelt werden konnte. Die Pädagogin wollte die Schreiattacke aber als Arbeitsunfall anerkannt haben. Das eingeholte Gutachten stellte jedoch klar fest: „Die Lautstärke eines Schreies ins Ohr ist nicht ausreichend, um einen bleibenden Schaden … hervorzurufen.“ Ihr wurde die Anerkennung verwehrt. Schlecht für sie, gut für die Gesellschaft. Einen Schrei als Berufsrisiko zu manifestieren, wäre doch ein bisschen übertrieben. Mögliche Ansprüche für Lehrer*innen daraus, könnten weitreichende Folgen haben. Müßig, zu erwähnen, dass sich die Arbeitsbedingungen im Lehrerberuf trotzdem mehr an dem Menschen vor der Tafel orientieren sollten.
Ausgabe 4_18
Keine Sackgasse Ob betriebsbedingt oder personenbedingt: eine Kündigung braucht nachvollziehbare Erklärungen. Einem Kfz-Mechaniker nach 35 Jahren wegen einer fehlenden Fahrerlaubnis zu kündigen, ist definitiv kein Grund. Es ist eine fast typisch gewordene Konstruktion, die sich ein Kfz-Handelsunternehmen für die beabsichtigte Kündigung eines älteren Arbeitnehmers einfallen ließ: Aufgrund einer Filialschließung und „stärker verdichteter Arbeit“ in den anderen Niederlassungen, sei kein Platz mehr für den Beschäftigten. Seit 1982 ist der Kfz-Mechaniker im Unternehmen. Zeit seines Lebens brauchte er schlicht kein Auto und somit auch keine Fahrerlaubnis. Genau das wollte sein Arbeitgeber nutzen, um ihn loszuwerden – und zog dabei bis vor das Landesarbeitsgericht Hamburg, um die Kündigung zu rechtfertigen.
Fahrerlaubnis vorausgesetzt Dort vertrat Grégory Garloff den Mandanten der DGB Rechtsschutz GmbH und konnte sich nur über die Unnachgiebigkeit des Unternehmens wundern: „Die Automobilkrise wurde vorgeschoben, um unseren Mandanten als Einzigen über die Klippe springen zu lassen – nur weil er noch nie einen Führerschein hatte. Alle anderen kamen unter.“
Damit meint der Rechtsschutzsekretär aus Hamburg, dass die Unternehmensleitung aus einem seit 35 Jahren funktionierenden System nun den Kündigungsgrund konstruierte. Aufgrund der fehlenden Fahrerlaubnis übernahmen im Arbeitsprozess des Kfz-Mechanikers andere Kollegen Fahrtätigkeiten, wie die Ein- und Ausfahrt in die Werkstatt oder Probe- und Testfahrten. Das funktionierte über all die Jahre, sei künftig aber nicht mehr möglich. Die 20 bis 25 Minuten umfassende Tätigkeit sei außerdem ein Bestandteil des Berufsprofils und werde bei neuen Einstellungen auch als zwingende Voraussetzung gesehen.
Foto: Heina Dannemann, foto-dannemann.com
„Kündigungen brauchen schlüssige Rechtfertigungen und keine wilden Konstruktionen.“ Grégory Garloff, DGB Rechtsschutz Büro Hamburg
Nicht haltbare Auslegungen Dieses geänderte unternehmerische Konzept sollte die Kündigung zunächst betriebsbedingt rechtfertigen. Dem widersprachen die Richter*innen. Und auch die ausgeführte zweite Argumentationskette, dass in der Person des Kfz-Mechanikers die Gründe für seine Kündigung liegen sollten, blieb wirkungslos. Grégory Garloff
und seine Kolleg*innen konnten die Weiterbeschäftigung durchsetzen: „Das Unternehmen hat den KfZ-Mechaniker ohne Fahrerlaubnis eingestellt und er hat ohne Beanstandungen seinen Job gemacht. Warum dies künftig nicht mehr möglich sein soll, erschließt sich schon rein objektiv nicht.“ Landesarbeitsgericht Hamburg, am 18. Juli 2018, Az.: 2 Sa 5/18
MISCHTATBESTAND „BETRIEBS- UND PERSONENBEDINGT“
Cartoon: Harm Bengen
Im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) können Kündigungen aus personen-, verhaltens- und/oder betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt sein. Dabei kann ein Mischtatbestand aus mehreren dieser Gründe vorliegen. Dies wollte der Arbeitgeber im vorgenannten Fall nutzen. Die betriebsbedingte Begründung des neuen Anforderungsprofils für den Kfz-Mechaniker,
4_18
welches auch den zwingenden Besitz einer Fahrerlaubnis vorsah, hielt vor Gericht nicht stand. Auch der personenbedingte Aspekt dabei verfiel: Eine personenbedingte Kündigung kann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, zu der nach dem Vertrag vorausgesetzten Arbeitsleistung ganz oder teilweise nicht mehr
www.dgbrechtsschutz.de
in der Lage ist. Das Fehlen einer Fahrerlaubnis, die Voraussetzung für einen maximal 25-minütigen Arbeitsprozess am Tag sein soll, rechtfertigt aber keine Kündigung, wenn das System 35 Jahre lang funktioniert hat.