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Recht auf Cannabis

Bild: www.flaticon.com

Mensch gegen Krankenkasse, Arzt gegen sozialmedizinischen Dienst, Streitpunkt Cannabis: Seit März 2017 können Cannabisblüten zur Schmerzbehandlung bei „schwerwiegenden Krankheiten“ durch das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verschreibungspflichtig genehmigt werden. Und dennoch bleibt dabei vieles im Nebel. Spätestens bei den Kosten folgt oft Streit. So bei einem 52-Jährigen in Trier, in einem von der DGB Rechtsschutz GmbH geführten Verfahren. Das Bizarre daran: Es brauchte tatsächlich den richterlichen Spruch, obwohl selbst der Vertragsarzt der Krankenkasse die Notwendigkeit der Cannabis-Behandlung nicht abweisen konnte. Vor Gericht war das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V das letzte Blatt, an das sich die Krankenversicherung klammerte. Der Mensch und sein chronisches, schwerwiegendes Einzelschicksal blieben in diesem Fall nicht auf der Strecke. Und dennoch bleibt zu vermuten, dass „Kiffen auf Krankenschein“ in Deutschland ein unangenehmes und negativ besetztes Thema bleibt.

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Dienstlicher Kaffee? Bestätigte Arbeitsunfälle sparen Beschäftigten viele Kosten während der Arbeitsunfähigkeit. Ob während des Weges zu ihrer Vorgesetzten ein Arbeitsunfall vorlag, gestaltete sich für eine Kassiererin im Westerwald zum langjährigen Streit. Zum Glück mit positivem Ende. Eigentlich zeigte die Kassiererin im Herbst 2012 vor allem ihren guten Willen, an einer Neustrukturierung mitzuwirken. Während ihres Erholungsurlaubs stand sie in Kontakt mit der zur Filialleiterin aufgestiegenen Kollegin. Im Oktober 2012 machte sie sich daher mit ihrem Fahrrad auf den Weg zu ihrer Vorgesetzten nach Hause. Während der Rückfahrt stürzte sie schwer, zwölf Tage Krankenhaus waren die Folge. Im Februar 2014 begann der Streit um die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall. Vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz erhielt die mittlerweile 67-Jährige im November 2018 endgültig Recht.

Kein „Kaffeeklatsch“ „Das war ein schwieriger Fall. Aus der Besprechung einer PLU-Liste, also den Codenummern für die Kasse, erwuchs eine harte Auseinandersetzung“, stellt Rechtsschutzsekretär Christoph Zschommler vom Büro Koblenz fest, der die Mandantin zunächst vertrat. „Die Ausgangslage war undurchsichtig. Die Chefin lehnte beispielsweise die Auffassung ab, dass sich beide schon am Vortag darüber verständigt hätten, neue Arbeitsaufgaben der Kassiererin zu besprechen.“ Nach ihrer Meinung handelte es sich lediglich um einen „Kaffeeklatsch“. Vor Gericht waren letztlich die Aussagen der Zeugen entscheidend. So urteilte das Sozialgericht Koblenz zunächst, dass durch den Besuch der Kassiererin bei ihrer Vorgesetzten am Unfalltag ein Versicherungsschutz bestand. Etwaige Zeitanteile, die das Gespräch vor Ort in privat und dienstlich aufteilten, seien nicht von Belang. Der Anlass für die Fahrt diente wesentlich betrieblichen In-

teressen, sonst wäre der Weg gar nicht zustande gekommen.

Dienstlich und privat Der Streit um die Anerkennung ging jedoch weiter. Die Vorgesetzte erklärte, es habe keine arbeitsvertragliche Pflicht bestanden, während des Urlaubs in Vorbereitung auf ihre spätere Tätigkeit Fragen zu Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Arbeitsinhalt und speziell zu Zahlencodes zu besprechen. Die beklagte Berufsgenossenschaft führte im Berufungsverfahren aus: Der Umstand, dass anlässlich privater Treffen auch dienstliche Angelegenheiten besprochen worden seien, genüge nicht, um den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu begründen. Ansonsten wäre jede Unterhaltung, gleich wo und unter welchen Umständen sie stattfinde, versichert, sofern sie sich nur auf betriebliche Vorgänge beziehe. Das sahen die Richter*innen am Landessozialgericht anders, so Christoph Hahn vom DGB Rechtsschutz Büro Mainz: „Auch gemischte Tätigkeiten, also Handlungen, die untrennbar zugleich eigenwirtschaftlichen wie versicherten Belangen dienten, können den Versicherungs-

Foto: Frank Ott / DGB Rechtsschutz GmbH

In dieser Ausgabe:

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„Warum die Vorgesetzte den Streit eskalieren ließ, bleibt ihr Geheimnis. Erst mit Hilfe der Zeugenaussagen konnten wir unserer Mandantin zu ihrem Recht verhelfen.“ Christoph Zschommler, DGB Rechtsschutz Büro Koblenz.

schutz begründen, wenn sie nach Inhalt und Bedeutung wesentlich auch versicherten Zwecken dienen sollten.“ Erst in der zweiten Instanz kam es zur Klärung. Ein Unfall mit Folgen für eine kollegiale Freundschaft – und ein langer Rechtsstreit zur Anerkennung als Arbeitsunfall. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, am 19. November 2018, Az.: L 2 U 100/16 Sozialgericht Koblenz am 28. Januar 2016, S 7 U 226/14

ANERKENNUNG VON ARBEITSUNFÄLLEN Für Berufsgenossenschaften ist für die Anerkennung von Arbeitsunfällen die versicherte Tätigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII entscheidend: Der Unfall muss infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit geschehen sein. Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII zählt hierzu auch das Zurücklegen des Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit.

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Das Bundessozialgericht definierte 2012 (Az.: B 2 U 8/11 R) weitere Kriterien: Die zum Zeitpunkt eines Unfalls vorgenommene Verrichtung sei darauf gerichtet, eine objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen. Oder sie stellt eine objektiv nicht geschuldete Handlung dar, um eine vermeintliche Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis zu erfüllen.


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