Recht So 5_19

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Recht so!

VERNETZT. KOMPETENT. SOLIDARISCH.

In dieser Ausgabe: Mitmischen an der Basis Direktionsrecht im Fokus Geld oder freie Tage

Befristungswahn Besonders im Hochschulbereich sind befristete Anstellungsverhältnisse gang und gäbe. Nach 15 Jahren und über 10 Befristungen wehrte sich eine künstlerische Assistentin an der Akademie der Bildende Künste Bayern erfolgreich dagegen.

Zwischen den Zeilen

Foto: PantherMedia / Andrew_Rybalko

Umzug mit Folgen Blindheit, Ignoranz oder Unvermögen? Eine Arbeitgeberin hatte die Kündigung einer Konditorin an eine alte Anschrift gesendet. Nachdem diese nicht zugestellt werden konnte, schickte die Arbeitgeberin ein Schreiben an die Betroffene mit einer Kopie der Kündigungserklärung, „die wir im Original fristgerecht und unwissentlich an Ihre alte Anschrift versendet haben“, so der Wortlaut. Das Bizarre: Das war ein Jahr später. Anfang Januar 2018 hatte die Konditorin den Arbeitsvertrag erst unterschrieben – befristet bis Ende des Jahres. Ihre Ummeldung von Potsdam nach Berlin war amtlich auf den 4. Januar 2018 datiert. Das ursprüngliche Original des Kündigungsschreibens war vom 22. Februar 2018. Im Februar 2019 „flog“ ihr Umzug auf. Unstrittig ist generell, dass die Kopie eines Kündigungsschreibens das Arbeitsverhältnis wegen § 623 BGB nicht beendet. Strittig war in Berlin, ob das zweite Schreiben das Original eines Kündigungsschreibens war. Vor Gericht bekam die Konditorin Recht. Ihre Kündigung war unwirksam. Bei solchen Arbeitgebern könnte es sich doch tatsächlich lohnen, ab und zu den Wohnort zu wechseln.

derungsverträge befristet. Danach wurde sie jeweils auf Projekte gestützt weitere vier Mal befristet. 2018 reichte es und sie ging vor Gericht. Ausschlaggebender Grund für die Mitarbeiterin: Ihre Tätigkeiten waren unIm Hamsterrad gefangen: „Der Befristungswahn an abhängig von Hochschulen ist unglaublich. Ich bin froh, dass wir jeglichen Projekunserer Mandantin zu mehr Sicherheit verhelfen ten immer konnten“, sagt Rechtsschutzsekretär Tobias Beetz. gleich, inklusive Lehrtätigkeiten. Warum nun Es ist nicht ganz neu, dass besonders nach einer weiteren auf ein nicht an deutschen Hochschulen der vorhandenes Projekt ihr ArbeitsverSchritt zum sicheren Erwerbsleben trag erneut auslief, wollte sie nicht durch zahlreiche Befristungen und mehr hinnehmen. Unterstützt durch umständliche Verfahren erschwert Rechtsschutzsekretär Tobias Beetz wird. Ein Beispiel aus Bayern zeigt bekam sie Recht. das ganz Ausmaß des „Karriereweges“ bei Behörden und Bildungsins- Sachgründe als einzige titutionen. Seit 2003 war die künst- Rechtfertigung lerische Mitarbeiterin an dem „Die Projektbefristung ist ein häufig Lehrstuhl für Bildhauerei tätig – bis gewähltes Mittel, um sich um den 2011 durch sieben Arbeits- bzw. Än- richtigen Arbeitsvertrag zu drü-

Bild: PantherMedia / ilona75

cken“, stellt Tobias Beetz fest. In diesem Fall ging es um das Projekt „Bildhauerische Praxis/Ausstellungspraxis“. Ob es dieses tatsächlich gegeben hat, gibt noch keinen Aufschluss darüber, inwieweit die künstlerische Mitarbeiterin für einen vorübergehenden Zeitraum mit „Sonder-“ und gerade nicht „Daueraufgaben“ beschäftigt werden sollte. „Die zu treffende Abgrenzung zwischen projektbezogenen Sonderaufgaben und einem etwaigen Dauerbedarf war nicht möglich ist. Damit war die Befristung ungerechtfertigt“, so der Rechtsschutzsekretär, der mittlerweile im Büro Bayreuth tätig ist. Die Richter*innen urteilten: „Die Befristung war unwirksam, da sie durch den Sachgrund des vorübergehend bestehenden betrieblichen Bedarfs an der Arbeitsleistung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz nicht gerechtfertigt ist.“ Die Klägerin hatte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung im Wert von fast 10.600 Euro. Arbeitsgericht Nürnberg, am 27. Mai 2019, Az.: 3 Ca 4904/18

DER WEG VOR GERICHT Will man sich gegen langjährige Befristungen wehren, muss eine wichtige Frist eingehalten werden: Soll geltend gemacht werden, dass die Befristung eines Arbeitsvertrages rechtsunwirksam ist, so muss innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden. Nur so kann vor Gericht festgestellt werden, dass das

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Arbeitsverhältnis aufgrund der Befristung nicht beendet ist (§ 17 Teilzeit- und Befristungsgesetz – TzBfG). Dreh- und Angelpunkt bei Auseinandersetzungen zu Befristungen ist der Sachgrund. Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nur bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Auch darf der Arbeitgeber die Befristung

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höchstens dreimal verlängern. Darüber hinaus sind Befristungen ohne Sachgrund unzulässig. Sachgründe liegen beispielsweise vor, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht oder die Befristung im Anschluss an eine Ausbildung oder ein Studium erfolgt, um den Übergang in eine Anschlussbeschäftigung zu erleichtern. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür liefert § 14 TzBfG.


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