Recht So! 4/17

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RECHT SO!

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Zwischen den Zeilen

Radfahren tut gut Die Straßenverkehrsordnung ist des Deutschen liebstes Streitobjekt. Dabei sind darin sehr wichtige Dinge geregelt. So auch, was unter einem „Fahrzeug“ zu verstehen ist. Ein Fahrzeug zur Personenbeförderung ist ganz klar auch ein Fahrrad (§ 21 StVO). So weit, so gut. Für einen Maurer, der 2016 häufiger auf Baustellen arbeitete, die mehr als 10 Kilometer von seiner Wohnung entfernt waren, sollte diese Definition bares Geld wert sein. Sein Arbeitsverhältnis unterliegt dem Baurahmentarifvertrag (BRTV), wonach eine Fahrtkostenabgeltung und ein Verpflegungszuschuss geregelt sind. Dafür muss man mehr als 10 Stunden und mehr als 10 Kilometer entfernt von seiner Wohnung abwesend sein. Sein Verlangen, von diesen Regelungen zu profitieren, landete vor Gericht. Denn der sportliche Maurer legte an den betroffenen Tagen die ca. 40 Kilometer Hinund Rückweg zu den Baustellen mit dem Fahrrad zurück. Das war für den Arbeitgeber der Grund, ihm die Zuschläge zu verweigern. Würde er ein Auto nutzen, wäre er ja schließlich nicht mehr als 10 Stunden von zuhause weg. Und der BRTV bezieht sich ja wohl nur auf die Benutzung eines PKW. Stimmt aber nicht, wie die Richter*innen spätestens vor dem Landesarbeitsgericht München feststellten. Denn der Tarifvertrag spricht einfach nur von „Fahrzeugen“. Dem Mandanten der DGB Rechtsschutz GmbH stehen die Zuschüsse zu.

Mustergültig Der umfangreiche Stellenabbau bei IBM Deutschland war 2016 für den Konzern bereits beschlossene Sache. Dank der deutschen Mitbestimmung und des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes konnten Massenentlassungen aber verhindert werden. Ein Musterurteil aus dem Leipziger Büro der DGB Rechtsschutz GmbH hat am Zurückrudern von IBM bei fast 1.000 ausgesprochenen Kündigungen einen hohen Anteil. Es steht exemplarisch für die erfolgreichen Kündigungsschutzklagen, die bundesweit vor Arbeitsgerichten geführt wurden. Dank des so ausgeübten Drucks verzichtete am 30. Juni 2017 der IBMArbeitsdirektor Norbert Janzen auf die Berufungen gegen die Urteile. Der Weg zu möglichen langwierigen Auseinandersetzungen vor den Landesarbeitsgerichten wurde eingestellt – fast 1.000 Stellen somit erfolgreich gesichert.

Kündigungen ohne „wichtigen Grund“ Im Juni 2016 wurde der Gesamtbetriebsrat über beabsichtigte Massenentlassungen informiert. Im September hatten Betriebsräte an den betroffenen Standorten den ausgesprochenen Kündigungen widersprochen. Seit Oktober liefen zahlreiche Kündigungsschutzklagen gegen die außerordentlich betriebsbedingten Kündigungen.

Hermann Kemper, Teamleiter im Büro Leipzig der DGB Rechtsschutz GmbH lieferte das „Muster“ für die erfolgreichen Kündigungsschutzklagen.

Das reicht im deutschen Arbeitsrecht nicht aus, um wahllos Stellen abzubauen, was letztlich Dafür fehlte aber nach Auffassung der Rich- auch die Arbeitgeberseite anerkannte, indem ter*innen am Arbeitsgericht Leipzig der wich- sie auf die Berufungsverfahren verzichtete. tige Grund. Und mehr noch: Die Kündigungen waren unwirksam, weil den Betroffenen keine Bundesweiter Druck dank Vernetzung Weiterbeschäftigungsmöglichkei- „Hier haben die Beteiligten alles richtig gemacht. ten dargestellt wurden. Genau das ver.di hat uns früh und ausführlich über die tarifist der Unterschied zwischen einer vertraglichen Gegebenheiten informiert. Die ordentlichen und einer außeror- Betriebsräte haben den ordentlichen Kündigundentlichen Kündigung. Nach § 626 gen zur richtigen Zeit widersprochen. Und die BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) Voraussetzungen für die betriebsbedingten auhaben Arbeitgeber eine gestei- ßerordentlichen Kündigungen waren schlicht gerte Darlegungs- und Beweislast, nicht erfüllt.“ Hermann Kemper vom DGB um einen wichtigen Grund für die Rechtsschutz Büro in Leipzig hatte den MusterKündigung zu rechtfertigen. Dazu schriftsatz geliefert, den ver.di für die weiteren zählen Maßnahmen, den Beschäf- Kündigungsschutzverfahren bundesweit nutzte. tigten anderweitige Beschäfti- So konnten zahlreiche Betroffene von der Expergungsmöglichkeiten anzubieten. tise der DGB Rechtschutz GmbH profitieren. IBM hatte sich ausschließlich auf eine angebliche Umstrukturierung im Unternehmenskonzern berufen. ArbG Leipzig am 22. März 2017, Az.: 11 Ca 3197/16

Cartoon: Harm Bengen

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Foto: DGB Rechtsschutz GmbH, Frank Ott

In dieser Ausgabe: Für die Praxis gestalten Zulagen und Mindestlohn Am Puls der Zeit

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www.dgbrechtsschutz.de


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