Recht So 4_19

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Recht so!

VERNETZT. KOMPETENT. SOLIDARISCH.

In dieser Ausgabe: Globale Herausforderung Betrieblich eingliedern Digitale Lücken

Riskieren oder verlieren Durch Minusstunden auf dem Arbeitszeitkonto eigene Risiken kompensieren ist eine weit verbreitete Methode von Leiharbeitsfirmen. In Stralsund sollte so an einem Beschäftigten ordentlich gespart werden. Der wehrte sich mit einer klaren Rechtsprechung im Rücken.

Zwischen den Zeilen

Foto: Frank Ott / DGB Rechtsschutz GmbH

Die Einfühl-Probe Den wirtschaftlichen Wert im Blick, mit Einfühlen zum neuen Job: Unbezahlte Probearbeitstage sind aus arbeitsrechtlicher Sicht kritisch. Ab wann übernehmen Beschäftigte auf Probe eine verwertbare Arbeitsleistung? Wie nah sind sie schon an einem richtigen Arbeitsverhältnis? Das alles sind kniffelige Fragen für den Job-Interessierten und den Arbeitgeber gleichermaßen. Gerade zur Abgrenzung von „echter“ Arbeitsleistung und Probearbeit wird daher gerne das Wort „Einfühlungsverhältnis“ verwendet. Das Bundessozialgericht hat diesem Wort am 20. August mit einem Urteil einen Sinn gegeben: Als „Wie-Beschäftigter“ darf auch ein Probearbeiter vom gesetzlichen Unfallversicherungsschutz profitieren. Ein Urteil mit Einfühlungsvermögen. Und ein kleiner Lichtblick für einen verletzten Arbeitssuchenden, der während seines Probearbeitstags ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Der Probearbeitstag habe gerade auch dem Unternehmer die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ermöglichen sollen – und damit einen objektiv wirtschaftlichen Wert gehabt. Viel wichtiger aber bleibt der Wert eines erkrankten Menschen.

Ausgabe 4_19

Daniel Schuch erstritt in Stralsund den verdienten Lohn für seinen Mandanten: „Arbeitszeitkonten können nicht dazu dienen, am Beschäftigten zu sparen und damit das unternehmerische Risiko auf ihn zu übertragen.“

„Aufgrund der Vereinbarungen über das Führen eines Arbeitszeitkontos wollte der Beklagte offenbar das unternehmerische Risiko, den Arbeitnehmer beschäftigen zu können, auf den Kläger abwälzen.“ Mit diesem Satz sprachen die Richter*innen am Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern einem Arbeitnehmer mehr als 6.200 Euro zu. Der Methode der Firma, über Minusstunden bares Geld zu sparen, wurde somit ein Riegel vorgeschoben.

Der Schweißer arbeitete von 2009 bis Ende April 2017 bei dem Unternehmen, das sich mit der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt. Neben seinem Arbeitsvertrag bestand eine Vereinbarung über die Führung eines Arbeitszeitkontos, das am Ende seiner Tätigkeiten ein negatives Stundensaldo von 163 Stunden auswies. Die wurden ihm von seinem Lohn abgezogen, obwohl er andererseits sogar mehr als 400 Überstunden unbezahlter Arbeit aus der Vergangenheit nachweisen konnte.

Stundenkonto unwirksam Der Arbeitgeber verwies auf Verjährungsfristen und berief sich auf das Arbeitszeitkonto, das die Minusstunden enthielt. „Dieses Stundenminus konnte aber unserem Mandanten nicht angelastet werden“, sagt Daniel Schuch vom DGB Rechtsschutz Büro in Stralsund. „Damit hätte die Firma ihr eigenes unternehmerisches Risiko auf den Schweißer übertragen.“ Das sahen auch die Richter*innen so, die festhielten, dass die Vereinbarung über das Stundenkonto unwirksam sei. Denn so würden die monatlich per Arbeitsvertrag festgehaltenen Arbeitsstunden als „Lohnvorschuss“ behandelt, was nicht zulässig ist.

„Das Arbeitszeitkonto im Leiharbeitsverhältnis darf nicht dazu eingesetzt werden, § 11 Absatz 4 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zu umgehen und das vom Verleiher zu tragende Beschäftigungsrisiko auf den Leiharbeitnehmer abzuwälzen“, so das Urteil. Damit schützt das Gesetz ausdrücklich Leiharbeitnehmer*innen vor Verdienstausfällen. Auch bei dem Beschäftigten war die Anwendung des Arbeitszeitkonto nicht rechtens.

Keine Argumente Darüber hinaus widersprach die Vereinbarung selbst der Argumentation des Arbeitgebers: Ein negativer Saldo des Arbeitszeitkontos war laut dieser gar nicht auf den Folgemonat übertragbar. Die regelmäßige Arbeitszeit war „innerhalb eines Referenzzeitraums (Monat) zu erreichen“. Die Minusstunden des Beschäftigten vom Mai 2014 konnten ihm drei Jahre später nicht mehr angerechnet werden. „Sparen an der falschen Stelle, nennt man das“, betont Rechtsschutzsekretär Daniel Schuch. „Mit ein bisschen mehr Weitblick hätte sich die Firma den Weg vor Gericht sparen können.“ Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, am 1. April 2019, Az.: 4 Sa 124/18

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DAS RISIKO DES ARBEITGEBERS

Bild: Nordreisender / stock.adobe.com

Die Regelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) garantieren die arbeitsrechtliche Gleichstellung von Leiharbeitnehmer*innen und fest angestellten Beschäftigten. Sie sichern die Ansprüche auf einen Arbeitsvertrag mit üblichen Leistungen wie bezahlten Urlaub, gesetzli4_19

chen Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Im AÜG ist ausdrücklich erwähnt, dass Leiharbeitnehmer*innen ihr Grundgehalt auch dann erhalten, wenn sie gerade nicht in einem Unternehmen eingesetzt sind – nämlich von der Zeitarbeitsfirma. Vereinbarungen,

www.dgbrechtsschutz.de

die dieses Prinzip einschränken, sind nach § 11 AÜG nicht zulässig. Das Prinzip lässt sich auch auf das Normalarbeitsverhältnis übertragen. Das Arbeitszeitkonto und der Umgang damit für den Beschäftigten widersprachen im vorliegenden Fall dem Grundsatz aus dem AÜG.


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