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Ausgabe 2_19
In dieser Ausgabe: 230 Millionen Euro erstritten – Seite 2 | Europa und deutsches Recht – Seite 3 | 120 Jahre gewerkschaftlicher Rechtsschutz – Seite 4
Knall-Gummi
Cartoon: Harm Bengen
Mike Krügers „Nippel durch die Lasche zieh‘n“ oder Passierschein A38 von Asterix und Obelix – es gibt viele schöne Parabeln auf die umständlich förmliche Bürokratiewelt. In der Arbeit der DGB Rechtsschutz GmbH hört sich das so an: Eine ominöse „Gummihülle war über den Luftauslass eines Luftdruckschraubers angebracht. Der Geschädigte übersah beim Bedienen des Luftdruckschraubers die Gummihülle, weshalb diese platzte.“ Strittig war nun, ob der Lärm des „geplatzten Luftschlauchs“ zu einem Knalltrauma führte und das Ohr verletzte. Und ob somit ein Arbeitsunfall vorlag. Dramatische Worte vor Gericht. Um es vorweg zu nehmen: Der Schlauch-Platzer war zu leise für ein Knalltrauma. Im eigentlichen Kündigungsschutzverfahren wegen Krankheitsfehlzeiten war die Sachlage zu Ungunsten des Gekündigten längst geklärt. Er wurde u.a. krankgemeldet in einer Disko ertappt. Der Luftschlauch-Platzer war nur ein weiterer verzweifelter Versuch, die Kündigung zu verhindern. Das richterliche Behördendeutsch sorgt jedoch für Erheiterung. Wir hätten es wohl so formuliert: Ein geplatztes Kondom macht nicht taub. Zu viel Disko schon.
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Antrag per Telefon Ein Gleichstellungsantrag bei der Agentur für Arbeit kann per Telefon gestellt werden. So konnte ein Mandant in Braunschweig die dreiwöchige Vorfrist einhalten und vom Sonderkündigungsschutz Schwerbehinderter profitieren. 3 Wochen „Vorfrist“
Foto: Frank Ott / DGB Rechtsschutz GmbH
Zwischen den Zeilen
Die Richter*innen fanden im Gesetz keine besondere Form für die Antragsart. Somit wirkte der Kündigungsschutz für den Mandanten von Natalia Hoffmann.
Reicht eine Antragstellung per Telefon oder muss sie schriftlich erfolgt sein? Bei einem Gleichstellungsantrag eines behinderten Produktionsmitarbeiters bei der Agentur für Arbeit entschied diese Frage letztlich über die Wirksamkeit seiner Kündigung. Strittig war der Zeitpunkt der Antragstellung und somit die erforderliche Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt. Im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen bekam er Recht – unterstützt durch die DGB Rechtsschutz GmbH in Braunschweig.
Der Beschäftigte hatte eine krankheitsbedingte Kündigung erhalten. Bei Schwerbehinderten und ihnen Gleichgestellten muss das Integrationsamt dieser zwingend zustimmen. Das regelt § 168 SGB IX, bzw. bis 2018 § 85 SGB IX. Um sich auf den Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen berufen zu können, müssen Beschäftigte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Gleichstellungsantrag mindestens drei Wochen vor Erhalt des Kündigungsschreibens bei der Arbeitsagentur gestellt haben. Dies tat der Mandant des DGB Rechtsschutz Büros Braunschweig am 6. März 2017 – allerdings zunächst telefonisch. Nach dem telefonischen Antrag sind die ordnungsgemäß ausgefüllten Antragsunterlagen bei der Agentur für Arbeit am 13. März eingegangen. „Der Gleichstellungsbescheid wurde am 13. April erteilt, die Kündigung vom 30. März ging dem Kläger allerdings bereits am 31. März zu“, erklärt Rechtsschutzsekretärin Natalia Hoffmann. „Nach Auffassung des Arbeitgebers hatte der Beschäftigte die Vorfrist von drei Wochen für den Kündigungsschutz nicht eingehalten. Das Arbeitsgericht Braunschweig folgte dieser Ansicht.“
LAG nutzt Sozialrecht Die Richter*innen am Landesarbeitsgericht (LAG) in Hannover jedoch nahmen weitere Paragraphen in der Sozialgesetzgebung zu Hilfe, mit dem Ergebnis: Für einen Gleichstellungsantrag ist im Gesetz keine besondere Form vorgesehen. Er
www.dgbrechtsschutz.de
könne formlos, schriftlich oder mündlich gestellt werden. Im vorliegenden Fall hatte dies sogar die Bundesagentur für Arbeit angenommen und im Gleichstellungsbescheid eine Rückwirkung auf die Antragstellung am 6. März festgehalten. Interessante Nebenbemerkung im Gerichtsurteil: Auch bei einer mündlichen oder telefonischen Antragstellung bleibe es im Übrigen dem Sachbearbeiter unbenommen, die Angaben aus dem Formular selbst abzufragen. Dann wäre der korrekte Zeitpunkt definitiv nicht strittig gewesen. Landesarbeitsgericht Niedersachsen, am 23. Oktober 2018, Az.: 11 Sa 225/18
GLEICHSTELLUNG Gleichgestellte Menschen haben bis auf wenige Ausnahmen den gleichen Status wie schwerbehinderte Menschen. Für sie gilt beispielsweise ein Sonderkündigungsschutz. Deshalb lohnt sich ein Antrag auf Gleichstellung vor der Agentur für Arbeit für Menschen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40. Der Einzelfall wird geprüft und untersucht auch die Arbeitsplatzbedingungen. Das Sozialgesetzbuch IX enthält Kriterien für die Kündigung von Schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Personen. Dabei spielt das Integrationsamt eine besondere Rolle, da es einer bevorstehenden Kündigung zustimmen muss. Seit 2018 ist das SGB IX neu geregelt. Aus dem früheren § 85 wurde § 168, der die Integrationsamt-Zustimmung enthält.