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Andi all'arrabiata
MASSIMO ROCCHI
ANDI ALL’ARRABBIATA
Ich bin ein Homo Variluxer mit unzähligen Brillen – eine für den Urlaub, eine für den Computer, eine, um zu essen, eine, um zu fahren. Beim Sehtest bin ich weitsichtig, kurzsichtig, über-/unter-, durchsichtig, und wegen meiner Hornhautverkrümmung sehe ich so viele Pünktchen, aber so dermassen, wahrscheinlich die, die «mein» FC Basel irgendwo verloren hat. Item …
Im Jahr 2003 war ich frisch aus Bern in Grossbasel gelandet und betrat Ramstein Optik. Der Laden sah so aus wie die Höhle von Ali Baba. Es gab alles da drin, viele Mitarbeitende, super Espresso und sogar Brillen, aber so viele, dass ich den Eindruck hatte, sie vermehren sich vor meinen Augen.
Ist die Brillenfassung etwas Besonderes für Basel, und umgekehrt? Aber fangen wir beim Anfang an.
PRIMUM RAMSTEIN
Der Anfang von Ramstein Optik liegt angeblich im alten Rom. Ein Kaiser sass im Kolosseum und blickte in die Sonne. Das ganze Publikum sollte wissen, wer ihm Brot und Spiele schenkte. Aber der Tyrann war von der Sonne geblendet. So hielt er sich selber während der «Spiele» ein dickes, dunkles Glasstück vor die Augen, um die «Kämpfe» zu geniessen.
Im Publikum sass Saxa Craemum, ein Kaufmann auf der Suche nach dem Rezept für «Bucatini alla carbonara». Er importierte die Idee des Glases (nicht der Carbonara) nach Helvetia und gründete ein Negotium in Grossbasel, das damals Basilikum hiess. Immerhin besser als Rucola, der ursprüngliche Name von Zürich. Saxa Craemum wurde helvetisiert in Stein-Rahm und schliesslich, da – entgegen eidgenössischen Meinungen – kein Rahm in die Carbonara gehört, zu RAMSTEIN. Aus OCULARES OCULORUM OCULARIBUS (Bus der Augen) wurde das Wort «Brille», nach Beryllium, einem Metall, das die Gläser polierte. Migros hatte zu dieser Zeit Miobrill noch nicht auf den Markt gebracht.
POSTEA ANDI
Das Brillengeschäft lief zwar sofort prima, doch es gab ein Problem. Genauso wie heute mit den Smartphones fehlte den Menschen die eine Hand, die mit dem Gläserhalten beschäftigt war. Jahrelang gab es keine Lösung, bis ein lachender junger Mann aus Baselland (ja, ja, ja) eines Nachmittags «Heureka!»rief (übersetzt: Hoppla Georges!). Sein Name war Andreas, was auf Altgriechisch «der Tapfere» bedeutet. Angesprochen wird er als Andi, denn je lieber man in der Schweiz jemanden hat, desto mehr wird der Vorname gekürzt. Warum? Man kann die Person dann deutlicher und schneller rufen. In Frankreich braucht man immer so viel Zeit: Jean-Jérôme, Jean Baptiste, Jean-François Duc de Navarra et Carcassonne Premier Cru de France. In der Schweiz: Dänu, Pesche. Und Andi eben, tapfer und immerzu aktiv.
Andi hatte schon immer eine gute Nase, auch offene Ohren. Alle waren bei ihm willkommen, er hörte zu, er diskutierte mit Enthusiasmus, er kombinierte und fügte dieses oder jenes hinzu, hett umedäääfelet, bis er zu einer Erleuchtung kam.
Was trägt man an der Basler Fasnacht? Eine Maske, pardon, die Larve. Er reduzierte sie und … Fiat conspicillum! Es wurde die Brillenfassung: ein Lärvchen. Ist das nicht ein genialer Streich? Eine BRILL …ante Zusammen-Fassung?
ULTIMUM
Brillenfassungen machen Menschen. Man versucht damit, die eigene Ausstrahlung zu verstärken. Ausserdem geben sie Mut, wie die Maske bei Arlecchino – ohne das Gesicht zu zeigen, ohne eine Meinung zu äussern … aber nüt für unguet! Ich habe mehrere Brillen, nur beruflich trage ich keine, weil ich das Publikum unscharf wie die Milchstrasse im Nachthimmel sehen will. Oder wie schon der alte Saxa Craemum zu sagen pflegte: «Omnia non semper acuta esse debent. Nisi penne arrabbiata.» Es muss nicht immer alles scharf sein. Ausser Penne all’arrabbiata.
Auguri an alle Ramsteinerinnen und Ramsteiner, Massimo Rocchi
MASSIMO ROCCHI, Komiker, Schauspieler, Autor und Regisseur. Sein Repertoire umfasst Pantomime und Sprachakrobatik (Deutsch/Schweizerdeutsch, Französisch, Italienisch) und präsentiert Hintersinniges über das Leben, die Götter und andere Verrücktheiten, sowie die Absurditäten des menschlichen Daseins. In Basel und Bern ist er zuhause. Es isch eso u fertig.