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Eine Liebeserklärung

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Andi all'arrabiata

Andi all'arrabiata

HANNA GIRARD

EINE LIEBESERKLÄRUNG

Wenn ich am Morgen notfallmässig in Arnolds Avia-Tankstelle Milch kaufe, trinkt Hans-Jörg schon seinen Kaffee. Er sitzt am liebsten draussen: blickt über den Kannenfeldplatz, liest Zeitung, hat die Gehstöcke an die Scheibe gelehnt. Meistens spricht er mit einem der türkischen Grossväter, die dort Schach spielen. Manchmal spricht er aber auch mit dem ehemaligen Wirt des Sommerecks. 2011 hat meine Schulklasse in seinem Restaurant einen Krimi gedreht. Einen schlechten. Hans-Jörg schreibt richtig gute. Dass er ein berühmter Schriftsteller ist, interessiert hier niemanden. Und auch Arnolds frühere Boxkarriere interessiert nur dann, wenn das Kamerateam des Lokalsenders ihn besucht, um das neue Leben der früher stadtbekannten «Kobra»festzuhalten.

Vor der Avia-Tankstelle ist die letzten Jahre immer eine junge Frau gesessen. Sie hat sehr blaue Augen und sehr dunkles Haar, sass jeweils auf einem Paket aus Jacken, Pullovern und Schlafsäcken da, einen Papierbecher vor sich. Sie kommt aus Rumänien. Hat einen Mann mit dunklen Augen und schnellem Schritt. Wir verstehen uns zwar nicht recht, aber das spielt keine Rolle. Manchmal winken wir uns von Weitem, um Worte auszutauschen, die die andere nicht versteht. Manchmal vermisse ich sie.

Und Anna vermisse ich auch. Sie betrieb den kleinen Kiosk im Rhybadhüsli. Heute nicht mehr. «Esse isch fertig!», ruft da jetzt jemand anderes. Annas Stimme höre ich nur noch, wenn sie am Radio gespielt wird. Das ist oft.

Celal tröstet ein wenig darüber hinweg, dass Anna fort ist. Feigenbäume und Rosmarin wachsen vor seinem Café. Dort, wo früher im «Pumuckl» Männer zusammensassen, die gern Bier haben, bis sie sich wankend auf den Heimweg gemacht haben, gibt es heute Limonaden in Pastellfarben. Als Kind fuhr Herr Huber hier mit dem Schlitten vorbei. Als Erwachsener hat er ein kleines Schuhimperium in der Stadt aufgebaut. Die Geschäfte im Quartier gibt es heute nicht mehr. Den Schlitten meines Grossvaters gibt es aber vielleicht noch irgendwo. Auch er raste im Winter jauchzend den Mülhauserberg hinunter. Damals, als die Strasse wegen des Zweiten Weltkriegs mit Panzersperren abgesperrt war – ein Kinderparadies.

Am selben Ort wie ich heute hat auch mein Grossvater Milch eingekauft. Ganz frische, in einem Kessel aus Alu, vom Milchmann. Der kam damals mit einem Pferdewagen.

Meine älteste Freundin, Erika, fährt zwar keinen Pferdewagen, aber ein winzig kleines, knallgelbes Auto. Wenn sie an der Avia-Tankstelle tankt, winkt sie mir fröhlich aus den kleinen Fenstern zu. Früher stand Erika für lokale Modemarken Modell, hat in einem kleinen Laden Wein verkauft, ging im Hotel Basel ein und aus. Heute beobachtet sie gern Schiffe, die am Quartierpark vorbeiziehen. Im Sommer sitzt sie unter einem gelben Schirm am Wasser.

Am Flussufer arbeiten Elsässer, vertäuen die grossen Schiffe, die von Rotterdam her kommen. Die Elsässer zählen gern weisse Enten. Das Wort für «Schwan» kennen sie nicht mehr, haben sie mir erzählt. Die Vögel sitzen am liebsten unterhalb der Dreirosenbrücke. Am braunen Ufer unterhalb der mittlerweile nicht mehr ganz so «verbotenen Stadt». In «Vasellas Vorgarten»,wie wir manchmal sagen. Die Schwäne strecken die Hälse gern Richtung Frankreich. Mir scheint, die Wolken ziehen dort irgendwie schneller über den Himmel. Ein Hauch Abenteuer weht über die Grenze. Es ist immer genau so viel, dass mein Fernweh abklingt, ich zufrieden die Nase in den Wind strecke und denke: «Schön, bin i do dehei.»

HANNA GIRARD (*1998) ist freie Journalistin und Reporterin. In Basel arbeitete sie fürs Regionaljournal Basel auf SRF 1 und für den Jugend- und Kultursender Radio X. 2019 gründete Hanna Girard das Jugendkulturmagazin «Viral» und schloss 2020 an der Schweizer Journalistenschule MAZ mit Fachrichtung Radio ab. Hanna Girard ist Stiftungsrätin der Stiftung Radio Basel, welche jährlich den Audioförderpreis «KatalysatOHR» vergibt, und ist leidenschaftliche Hörbuchhörerin und Hobbygärtnerin.

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