7.12.2013
Gemeinsam auf den Weg machen Modell Ganztagsschule an der Eichendorff-Grundschule einzügig geplant/Start zum Schuljahresbeginn 2014/15 In der Eichendorffschule weiß man, was Ganztagsschule heißt: Seit neun Jahren wird im Sekundarbereich, also den Klassen fünf bis zehn, vormittags und nachmittags die Schulbank gedrückt. Zunächst freiwillig („ungebunden“), seit drei Jahren verpflichtend („gebunden“). Jetzt soll das Modell auch in der Grundschule eingeführt werden. Vorgesehen ist, von den drei Zügen pro Jahrgangstufe zunächst eine erste und zweite Klasse zu Ganztagsklassen umzubauen, die zum Schuljahr 2014/2015 an den Start gehen. Welche Hoffnungen damit verbunden sind und welches Konzept zugrunde liegt, wollte die Familienblatt-Redaktion von Schulleiter Mathias Wanjek und seinem Stellvertreter Thomas Würthle wissen. Sie haben ein 24-seitiges Konzept erarbeitet, in dem Sie die Schulsituation als heterogen bezeichnen: Viele Nationalitäten und damit verbundene unterschiedliche Vorstellungen von Normen und Regeln. Hinzu kommen Sprachschwierigkeiten und nicht selten fehlender familiärer Rückhalt. Die Schule stehe im Spannungsfeld zwischen Überbehütung und Vernachlässigung – was meinen Sie damit konkret? Mathias Wanjek: Vorneweg, was ganz wichtig ist: Die Ganztagsschule, in welchem Bereich auch immer sie angeboten wird, ist keine Betreuungsanstalt. Es geht vielmehr um eine höhere Qualität von Bildung. In diesem Zusammenhang ist der Ansatz zu sehen, nicht defizitorientiert dranzugehen, sondern differenzorientiert. Auf gut Deutsch: Wir rücken nicht die Schwächen in den Vordergrund, sondern wollen mit einem gegliederten Angebot auf die unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen. Die Gesellschaft ist heterogen. Diese Vielfalt nehmen wir gerne auf und heißen alle Schülerinnen und Schüler an unserer Schule willkommen. Es geht darum, ver-
darin, jeden Einzelnen in seinem speziellen Lernen zu unterstützen. Jeder nimmt sich von dem großen Buffet etwas weg. Wir wollen uns gemeinsam auf den Weg machen. Man muss genau auf das einzelne Kind schauen.
Überzeugt vom Modell Ganztagsschule: Schulleiter Mathias Wanjek und Stell-
vertreter Thomas Würthle.
schiedenen Lebenswirklichkeiten in einem System (nämlich der Schule) zu begegnen. Wir wollen denjenigen, die weniger Chancen haben als andere, etwas bieten, ohne dass diejenigen, die mehr mitbekommen haben, zu kurz kommen. Wobei nicht der Eindruck entstehen soll, wir machen hier etwas besser oder wir wissen es besser als das Elternhaus. Wir haben einen anderen, manchmal etwas „objektiveren“ Fokus auf die Kinder. Gemeinsam mit den Eltern gelingt dann idealerweise eine hohe Qualität von Bildung. Thomas Würthle: Es geht nicht darum, etwas auszugleichen, sondern etwas hinzuzufügen. Das muss mit den Eltern Hand in Hand gehen. Wir können mitunter Versäumnisse auffangen und Verbesserungen anregen. Auch wenn die Ganztagsschule keine Betreuungsanstalt sein soll, muss ja doch für Betreuung gesorgt sein – wie soll das aussehen? Wanjek: Wir können nicht zu jeder Zeit einen Betreuungsschlüssel von 1 zu 1 liefern. Schule lässt sich also nicht mit der Familie vergleichen. Aber wer das erwartet, hat auch völlig unrealistische Vorstellungen. Es gibt jedoch ver-
Foto: Siefke
gleichbare Situationen. Auf dem Schulplatz sieht die Betreuungssituation anders aus als beim Sportfest oder im Unterricht, mit einem pädagogischen Assistenten oder beim gemeinsamen Mittagessen. Da muss sehr genau hingeschaut werden. Das Zauberwort heißt „individualisierte Unterrichtsangebote“ – wie stellen Sie sich das vor? Würthle: Das drückt es ganz genau aus – wir haben Kinder mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen. Nicht jedes Mädchen, jeder Junge bringt für die erste Klasse das mit, was benötigt werden müsste. Manche sind bereits im Kindergarten viel weiter als der „klassische Schulanfänger“. Andere brauchen noch Zeit für Entwicklungen. Außerdem ist ja niemand in allen Bildungsbereichen gleich gut oder schlecht. Daher haben wir ein Konzept vorgelegt, das hier ansetzt. Wie kann es uns gelingen, dass alle Kinder ihre Bildungsziele erreichen? Von den Pädagogen wird ein Umdenken verlangt. Die Schule muss vom Lernen her gedacht werden. Das heißt, die Lehrer haben mit völlig unterschiedlichen Schülern zu tun. Die große Aufgabe besteht
Sie wirken beide sehr überzeugt vom Modell Ganztagsschule – warum starten Sie dann erst mit einem Zug? Wanjek: Das wäre vom Platz her anders gar nicht machbar. Aber noch viel wichtiger: Das würden die Eltern nicht gutheißen. Die Wahlmöglichkeit ist für den Anfang an unserem Standort der richtige Weg. Wir wollen ja nichts überstülpen. Würthle: So etwas funktioniert nur in kleinen Schritten. Wanjek: Niemand soll gezwungen werden, jeder hat jetzt erst einmal die Möglichkeit, sich zu orientieren. Wobei wir schon der Meinung sind, dass wir ein überzeugendes Konzept haben. Aber ein Konzept muss sich auch erst in der Praxis bewähren. Und wie sieht das aus? Würthle: Wir wollen die Kinder mit ihren Problemen ernst nehmen. Da geht es um weit mehr als um Wissensvermittlung. Neben zwei schulpädagogischen Zielen besteht der Rest unseres Konzepts aus sozialpädagogischen Zielen. Es soll Wahlpflichtangebote geben, die sich auf die Kreativität beziehen, auf Musik, auf Sport. Hier muss herausgefunden werden, was die Kinder brauchen. Wir wollen auf die Bedürfnisse reagieren. Wanjek: Es geht darum, die Schule als Lebensraum im Sozialraum zu etablieren. Wir wollen uns nicht abschotten von der Welt, in der die Kinder außerhalb der Schule zuhause sind. Daher arbeiten wir mit Bildungspartnern zusammen, mit dem Stadtteil- und Familienzentrum Albersbösch, mit dem Siedlerhof. Es ist uns wichtig, aus der Schule herauszugehen und auch mit den örtlichen Vereinen zu kooperieren.