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Termin beim Chef: Stefan Stenzel von Vincorion

„Kaum zu glauben, aber es ist erst gut zwei Jahre her, da hat mir einmal ein Bundestagsabgeordneter gesagt: Ihr von der Wehrindustrie, Ihr werdet in Berlin ganz weit hinten gehandelt, bei Eurem Image und Eurer Bedeutung.“ Stefan Stenzel referiert diese Begebenheit in seinem Wedeler Büro emotionslos, als trage er einen Geschäftsbericht vor. Das mag nicht nur am gelassenen Naturell des 59 Jahre alten Geschäftsführers von Vincorion liegen, der als Sohn eines Artillerieoffiziers schon die Nachrüstungsdebatte aufmerksam verfolgte. Es spiegelt auch die Berufserfahrung vieler Manager in der deutschen Wehrtechnik wider. Die haben den in der Politik so beliebten Begriff der Wertschätzung über Jahrzehnte real kaum erlebt. Bis zur „Zeitenwende“ vor gut einem Jahr. „Der Bundeskanzler hat damit das Wort des Jahres 2022 generiert, das hat er sehr gut gemacht“, lobt Stenzel den Mentalitätswandel, der zumindest an der Staatsspitze eingetreten zu sein scheint. „Auch wenn die Aufträge noch kommen werden, ist die Umsetzungsgeschwindigkeit unzureichend, wenn wir sehen, dass von 100 Milliarden Euro bis jetzt gerade mal ein zwei- bis dreistelliger Millionenbetrag beauftragt worden ist – bei uns ist noch wenig angekommen.“ Dabei ist das Technologieunternehmen Vincorion vor den Toren Hamburgs prädestiniert, um bei einer ganzen Reihe von Waffensystemen aktuell für Erneuerung zu sorgen: ein hochmodernes 170-Kilowatt-Energiesystem mit integriertem Starter-Generator für den über 1.000 PS starken Schützenpanzer Puma; die Waffenstabilisierung für die Rohre des Kampfpanzers Leopard II, aktuelle Version A7V; die Nase für Eurofighter und Tornado, Torpedomotoren oder eine hybride Stromversorgung für das Patriot-Luftabwehrsystem – alles made by Vincorion, gefertigt von rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Wedel, 200 im bayrischen Altenstadt und 70 in Essen. Woran das Zeitlupentempo der Zeitenwende liegt? Der vor mehr als 30 Jahren in Neumünster zum Panzerjäger ausgebildete Stenzel sieht gleich mehrere Gründe: „Die Politik hat vor allem im letzten Jahr nicht stringent entschieden: Weder wissen wir, ob und wie viele Puma beschafft werden sollen noch gibt es Aufträge zum Ersatz der Leoparden, die an die Ukraine gehen.“ Dabei liegt die Vorlaufzeit von der Bestellung bis zur Auslieferung neuer Panzer bei mindestens 24 Monaten – keine Fließband –, sondern zeitintensive Manufakturfertigung hochkomplexer Systeme prägt die Wehrindustrie. Allerdings schöpft der Rüstungsmanager Hoffnung, seit der neue Verteidigungsminister im Amt ist: „Boris Pistorius hat die Problemthemen erkannt und angesprochen. Nach einigen Monaten würden wir dann auch Entscheidungen erwarten.“

Warten auf die Zeitenwende

Deren Umsetzung allerdings hängt vom Beschaffungsamt der Bundeswehr mit Zentrale in Koblenz ab, kurz BAAInBw, die mit über 11.000 Mitarbeitern und über 100 Dienstorten größte technische Behörde Deutschlands. „Dort hat man in den letzten 30 Jahren mit über zehn Prozent unbesetzten Dienstposten Mangelwirtschaft durch das Verteidigungsministerium organisiert, das Runterfahren der Bundeswehr vom Vor-Wende-Niveau auf die heutige Situation“, erläutert Stenzel. Nur mit einem Mentalitätswechsel, wie ihn der neue Minister verkörpere, könne da eine Umkehr eintreten. Und mit mehr als 100 Zeitwende-Milliarden, von denen nur ein Bruchteil für neues Gerät aus Deutschland ausgegeben wird. „20 Milliarden Euro werden von Zinsen auf das Sondervermögen, weitere 20 von der Inflation aufgefressen, noch mal 20 gehen für F-35-Kampfflugzeuge und schwere Transporthubschrauber in die USA weg, 20 sind für neue Munition nötig“, rechnet der promovierte Volkswirt Stenzel vor. „Bleiben 20 Milliarden über fünf Jahre gestreckt für Ausrüstung aus deutscher Produktion. Damit erreichen wir noch nicht mal das Zwei-Prozent-Ziel der NATO“, so Stenzel. Dass Vincorion immerhin rund 30 Prozent seiner Umsätze mit Produkten für die zivile Luftfahrtindustrie mache, helfe in diesen Zeiten nur bedingt weiter: Die Branche erholt sich gerade erst vom schweren Einbruch durch die Pandemie. Auch der internationale Rüstungsmarkt bietet Vincorion und deutschen Mitbewerbern derzeit keine großen Wachstumsfelder: Exporte militärischer Güter sollen nach dem neuesten Entwurf des Rüstungskontrollgesetzes aus dem grün geführten Bundeswirtschaftsministerium eher noch weiter eingeschränkt werden als bisher, trotz der aus dem Ruder laufenden Weltlage. Stefan Stenzel analysiert nüchtern: „Unsere Bemühungen, in andere Länder zu liefern, waren in den letzten zehn Jahren wenig erfolgreich, selbst im NATO-Terrain. Das liegt vor allem daran, dass potenzielle Käufer selbst in Nachbarländern wie Polen die Gefahr scheuen, am Ende keine Ausfuhrgenehmigung der Bundesregierung zu erhalten.“

Damit erreichen wir noch nicht mal das Zwei-Prozent-Ziel der NATO.

Rigoroseres Rüstungskontrollgesetz droht

Wie steuert man ein Unternehmen in derart volatilem Umfeld, wollen wir wissen, und Stenzel lächelt vorsichtig: „Das ist tatsächlich eine Management-Herausforderung. Wir beschäftigen sehr hoch qualifizierte Fachkräfte, deren Fertigkeiten es erlauben, sie je nach Auftragslage mit neuen Projekten zu betrauen.“ Die Leiharbeiterquote liegt derzeit bei gerade noch fünf Prozent, die Vincorion Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist allerdings mit mehr als 100 Ingenieuren bestens besetzt, um an neuen Produkten zu arbeiten – zum Teil mit jahrzehntelangem Vorlauf: „Deutschland und Frankreich wollen bis 2040 einen Kampfpanzer-Nachfolger für den Leopard und sein französisches Pendant, den Leclerc, entwickeln. Wir haben den Auftrag gewonnen, um eine Studie des Energiesystems des neuen Main Ground Combat Vehicle, kurz MGCS, zu entwickeln“, berichtet Stenzel von immerhin einem multinationalen Projekt. Das steht ganz im Zeichen von „Green Military“: „Auch die NATO will bis 2050 CO2- neutral werden, wir haben schon bei der Energieversorgung für das Patriot-Raketensystem Technologien entwickelt, die für 34 Prozent mehr Energieeffizienz sorgen und wollen das fortsetzen.“ Die Zukunft der deutschen Rüstungsindustrie sieht der Manager, der seine Karriere in den Neunzigerjahren als Konzernstratege bei der Deutschen Börse sowie im Beteiligungscontrolling bei der Allianz startete, nur im europäischen und internationalen Verbund: „Die deutsche Politik sollte sich für eine europäische Konsolidierung in der Wehrindustrie einsetzen. Nicht alle sollten alles bauen, sondern die einen Panzer, die zweiten Kampfflugzeuge, die dritten Fregatten und Kreuzer.“ Eine Konsolidierung der Branche, wie sie in den USA längst üblich sei, würde für die Steuerzahler zu deutlich niedrigeren Kosten für Gerät führen. Im Sommer 2022 wechselte das Wedeler Unternehmen aus der Jenoptik-Gruppe unter das Dach der britischen STAR Capital Partnership LLP, einer europaweit in mittelständische Unternehmen investierenden Private-Equity-Gesellschaft. „Damit hat Vincorion einen erfahrenen Partner für das sehr volatile, von politischen Entscheidungen geprägte Geschäft“, sagt Stenzel, der Vincorion seit 2018 führt. Ganz gelassen bleibt der verheirate Familienvater zweier erwachsener Kinder auch bei diesen Sätzen. Schließlich ist man als Rüstungsmanager einiges gewohnt.

Wir beschäftigen sehr hoch qualifizierte Fachkräfte, deren Fertigkeiten es erlauben, sie je nach Auftragslage mit neuen Projekten zu betrauen.

Alexander Luckow

Vincorion

Mit Produkten für den Sicherheits- und Verteidigungsbereich, die Luftfahrt sowie die Bahn- und Transportindustrie erwirtschaftete Vincorion 2021 gut 145 Millionen Euro. Das Unternehmen besteht seit über 60 Jahre Jahren, ist NORDMETALL-Mitglied und hat seinen Sitz seit den 1920er-Jahren im südholsteinischen Wedel. Die norddeutsche Wehrindustrie beschäftigt über 15.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dr. Stefan Stenzel, CEO von Vincorion, mit einer hochmodernen Seilwinde für den NATO-Helikopter 90

Dr. Stefan Stenzel, CEO von Vincorion, mit einer hochmodernen Seilwinde für den NATO-Helikopter 90

Fotos: Christian Augustin