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Face to Face

Zwei Menschen, zwei Sichtweisen: Die Sozialdemokratin Dr. Melanie Leonhard (45), Senatorin für Wirtschaft und Innovation in Hamburg, und der parteilose Claus Ruhe Madsen (50), Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein, diskutierten auf Einladung von Standpunkte Wirtschafts- und Industriepolitik sowie die länderübergreifende Zusammenarbeit im Norden.

Standpunkte: Sie führen jetzt ein paar Monate lang als erste Frau die Wirtschaftsbehörde in Hamburg, Frau Leonhard. Sie sind seit einem guten halben Jahr der erste Däne, wahrscheinlich der erste Nicht-Deutsche, auf dem Stuhl des schleswig-holsteinischen Wirtschaftsministers, Herr Madsen. Wie fühlen Sie sich von Wirtschaft und Öffentlichkeit angenommen?

Leonhard: Ich bin überall sehr offen aufgenommen worden und auf große Gesprächsbereitschaft gestoßen. Frauen in Führung werden in weiten Teilen der Wirtschaft weit mehr als Selbstverständlichkeit wahrgenommen, als es allgemein diskutiert wird.

Madsen: Die Menschen achten nach meinem Eindruck mehr auf die Biografie und die Fähigkeiten, die ein Minister oder eine Senatorin haben. Ich war Unternehmer, IHK-Präsident und Oberbürgermeister. Das scheint mir ein sehr guter Mix. Ich glaube nicht, dass da jemand gedacht hat: „Oh, der hat ja einen dänischen Pass.“

Standpunkte: Jetzt haben Sie auch die deutsche Staatsbürgerschaft?

Madsen: Ja, seit Ende Februar. Ich habe mir gedacht: Ich werde wahrscheinlich Deutschland nicht mehr verlassen. Also würde es zu mir passen, mich zu dem Volk zu bekennen.

Standpunkte: Richtig tief scheint die norddeutsche Zusammenarbeit bisher nicht zu sein. Die Küstenwirtschaftsministerkonferenz trifft sich bisher nur einmal im Jahr.

Madsen: Ich hoffe, wir können dieses gute Format häufiger durchführen. Gelegentlich hat man ja das Gefühl, dass die süddeutschen Länder mehr zu sagen haben, als sie eigentlich sollten. Wir müssen die Interessen des Nordens mehr bündeln und herausstellen. In Sachen Fachkräfte brauchen wir unter anderem einfachere Verfahren für qualifizierte Zuwanderer. Und wir sollten nach dänischem Vorbild das ‚graue Gold‘ verstärkt nutzen, die Senioren aktivieren, indem wir sie nicht finanziell bestrafen, wenn sie arbeiten gehen.

Standpunkte: Bekämpfung des Fachkräftemangels und das internationale Einwerben von neuen Firmenansiedlungen, dies wären doch prädestinierte Punkte der Zusammenarbeit zwischen Hamburg und Kiel, oder?

Leonhard: Ja, bei Flächenansiedlungen und internationalem Auftritt als Standort für Unternehmensansiedlungen macht das Zusammenwirken großen Sinn, weil man gemeinschaftlich die jeweiligen Vorteile in die Waagschale werfen kann. Wenn uns aufgrund des Bundes eine Zusammenarbeit auch in Sachen Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bei der Fachkräftezuwanderung möglich wäre, gäbe es weitere Möglichkeiten: Schließlich ist man aus Pinneberg schneller in Hamburg als in Kiel.

Standpunkte: Die Industriepolitik scheint sich zwischen beiden Nord-Ländern zu unterscheiden. Sie versuchen gerade Northvolt zu halten, Herr Madsen, im Landtag haben Sie sich gegen eine Staatssubventionspolitik angesichts der Gefahr der Deindustrialisierung ausgesprochen und wir erreichen Sie gerade im Dienstwagen auf dem Weg zu Unternehmensbesuchen in einem Bundesland, dessen Namen wir jetzt aus Diskretionsgründen nicht nennen. Sie, Frau Leonhard, haben gerade mit Steuergeld Vattenfall und Shell das ehemalige Kohlekraftwerk Moorburg abgekauft, um dort Wasserstoff zu produzieren – machen Sie da in Hamburg mehr VEB statt PPP (Public Private Partnership; d. Red)?

Leonhard: Das Elektrolyse-Projekt in Moorburg wird von einem Konsortium von Industriepartnern, darunter Mitsubishi, und der Stadt gemeinsam betrieben. In Sachen Energiebeschaffung sind wir gegenwärtig in einer schwierigen Transitionsphase, womöglich der schwierigsten seit dem Zweiten Weltkrieg. Da ist es hilfreich, wenn es einen handlungsfähigen Staat gibt, der bei Transitionen vorübergehend unterstützen und bei Anfangsinvestitionen für den Markthochlauf helfen kann. Am Ende ist es auch kein Dienst im Kampf gegen den Klimawandel, wenn energieintensive Industrien nach Asien abwandern, wo wir wissen, dass zur Deckung des Energiebedarfs viel auf Kohleverstromung gesetzt wird. Was einmal weg ist, ist weg. Unsere Transformationsförderung hilft, die hier vorhandenen Industrien und den Standort zu stärken.

Madsen: Nach der Pandemie und als Reaktion auf den russischen Einfall in die Ukraine scheint in der Gesellschaft der Ruf nach dem Staat immer lauter zu werden. Vor einer solchen Staatsgläubigkeit möchte ich warnen. Unternehmer brauchen Anreize und verlässliche Rahmenbedingungen, aber keine Einhegung und Überregulierung. Joe Biden macht das mit seinem „IRA“ (Inflation Reduction Act, d. Red) gerade vor, was mir aber nun schwierige Gespräche mit Northvolt um deren endgültige Ansiedlung an der Westküste beschert. Wir brauchen also eine Balance: Initiativen, um neue Unternehmen im Norden zu gewinnen und vorhandene zu halten. Ganz wichtig ist mir da ein vernünftiger Industriestrompreis: Wir müssen die Netzentgelte wettbewerbsfähig gestalten, die viele erneuerbare Energie kann nicht bei uns den höchsten Strompreis in ganz Europa generieren.

Leonhard: Der Bundeswirtschaftsminister ist gefordert, rasch ein Energiestrompreismodell auf den Weg zu bringen, das auch auf EU-Ebene trägt. Dafür gibt es im europäischen Vergleich bereits gute Ansätze, wenn auch bei einem anderen Strommarktdesign. Klar ist: Zwei Jahre, bis wir zu einer Lösung kommen, sind inakzeptabel lang. Nicht zuletzt aufgrund des IRA in den USA werden wir kurzfristig ausbleibende Investitionen erleben, wenn wir hier nicht kurzfristiger Angebote machen können.

Madsen: Habeck muss da auch die Süddeutschen mitnehmen, was etwas dauern dürfte. Wir Schleswig-Holsteiner haben jedenfalls einen Vorteil: 165 Prozent erneuerbare Energien, weswegen BASF heute wohl lieber bei uns als in Ludwigshafen säße.

Standpunkte: Hamburg kämpft um die Bedeutung des schrumpfenden Hafens, der Umschlag geht zurück und die Schlickverbringung ist mit den Nachbarländern nur vorläufig geklärt. Was sind Ihre Pläne für die Zukunft des Hafens, Frau Leonhard?

Dr. Melanie Leonhard wurde 1977 im Hamburger Süden geboren und absolvierte bis 2004 ein Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Politikwissenschaft und Geografie an der Universität Hamburg. 2009 promovierte sie mit einer Arbeit über die Reeder- und Schiffbauerfamilie Rickmers und arbeitete danach in wissenschaftlichen Positionen. Nach sieben Jahren als Harburger Bezirksabgeordnete zog sie 2011 in die Bürgerschaft ein und folgte 2015 Detlev Scheele als Arbeits- und Sozialsenatorin nach. Seit Ende 2022 ist die Hamburger SPD-Landesvorsitzende und verheiratete Mutter eines Sohnes Senatorin für Wirtschaft und Innovation.

Foto: Oliver Tjaden/FHH

Leonhard: Der erste Schritt ist schon mal gemacht, der Bund hat die Notwendigkeit erkannt, die Häfen in einer nationalen Strategie zu unterstützen. Das ist neu. Der Hafen bietet für die gesamte Bundesrepublik ein großes Potenzial für klimaschonende Logistik mit dem Seetransport von Waren. Die Fahrt nach Hamburg lohnt sich weiterhin, insbesondere, da in Hamburg nicht nur Umschlag stattfindet, sondern die Waren hier in hohem Umfang verarbeitet werden.

Standpunkte: Diese Pro-Hafen-Haltung, die Sie da auf Bundesebene einfordern, scheint im Hamburger Senat bei Ihrem grünen Koalitionspartner ja nicht zwingend vorhanden zu sein. Man gewinnt immer wieder den Eindruck, dass dort der Hafen eher als Kulisse für Wohn-, Wissenschafts- und Event-Infrastruktur gesehen wird.

Leonhard: Nun ja, das große Privileg von Bürgerschaftsfraktionen ist, dass sie gegenüber der Regierung auch als Koalitionspartner manchmal etwas zuspitzen dürfen. Die grünen Senatsmitglieder haben sich zur großen wirtschaftlichen Bedeutung des Hafens bekannt. Der Hafen darf nicht nur eine folkloristische Kulisse sein, sondern muss und soll auch weiterhin Industriestandort sein.

Madsen: Der Hamburger Hafen ist auch einer der größten Arbeitgeber in Schleswig-Holstein, schon deshalb ist er uns wichtig. Ich unterstütze Frau Leonhard bei der nationalen Hafenstrategie. Ein Teil der Verantwortung für die Zukunft des Hafens liegt auch bei uns, so wie in anderen Landeshauptstädten. Und dennoch haben wir bei unserem Umweltminister auch die direkte Verantwortung für das Wattenmeer, dem Schlickverklappungen nicht guttun würden.

Standpunkte: Zur Hafenzukunft gehört auch eine gute Verkehrsanbindung, Ihre grünen Senatspartner rücken aber von der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen A26 Ost, auch Hafenquerspange genannt, ab. Das wird auch hier nichts mit dem „Deutschland-Tempo“, oder?

Leonhard: Wenn man nach langjähriger Diskussion eine Entscheidung für den Bau trifft, muss man auch dazu stehen. Ich tue das. Der Trassenverlauf wurde übrigens vor über zehn Jahren noch unter schwarz-grün festgelegt. Es sind alle in der Verantwortung, dass die Strecke jetzt so kommt. Es gibt gerade im Süden der Stadt, aber auch im Bereich der Logistik zahlreiche Menschen und Unternehmen, die händeringend auf genau dieses Autobahnteilstück warten! Es handelt sich hier um eine fertig geplante Autobahn, die Teil des Bundesverkehrswegeplans ist, bei der umfangreiche Beteiligungen durchgeführt wurden, teure Lärmschutzmaßnahmen für Anwohner umgesetzt werden und für die dieses Jahr die Planfeststellung erfolgen wird. Dann muss auch klar sein, dass wir zum Bauen kommen.

Unternehmer brauchen Anreize und verlässliche Rahmenbedingungen, aber keine Einhegung und Überregulierung.

Claus Ruhe Madsen kam 1972 in Kopenhagen zur Welt. Nach dem Abitur im dänischen Struer arbeitete er in den Neunzigerjahren in Deutschland, im Ruhrgebiet zuletzt als geschäftsführender Gesellschafter eines Möbelhauses. In Rostock gründete er weitere Unternehmen und wurde dort 2013 Präsident der IHK. Mit Unterstützung von CDU, FDP und Unabhängigen wählten ihn die Rostocker 2019 zum Oberbürgermeister. Seit dem Juni 2022 wirkt der verheiratete Vater einer Tochter als Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein.

Foto: Thomas Eisenkrätzer /Wirtschaftsministerium SH

Madsen: Wir kapitulieren bei diesen Themen auch nicht. Die Fehmarnbeltquerung ist eines der größten und wichtigsten Infrastrukturprojekte in Europa. Auf dänischer Seite gab es rund 40 Einwände, auf deutscher Seite 12.000. Nur dass in Deutschland nicht ausreichend sichergestellt ist, dass ab einem frühen Planungszeitpunkt entschieden wird und nicht im Nachhinein immer neue Einwände die Projekte blocken. Deshalb müssen die Leute mangels A20-Weiterbau seit 15 Jahren durch Bad Segeberg fahren. Das muss aufhören, wir müssen davon wegkommen, dass Straße oder Autobahn eine böse Infrastruktur sind. Wir wollen Mobilität, in Zukunft mit immer mehr Wasserstoff- oder E-Antrieben, auch auf neuen Straßen.

Standpunkte: Thema Schule/Wirtschaft: Auch wenn Sie beide nicht für die Schulen zuständig sind, muss es Sie doch besorgen, dass im Zuge von Corona der Ausfall von Berufsorientierung immens war. Wie können wir die Defizite in diesem Bereich reduzieren, um wieder mehr qualifizierte Auszubildende in die Betriebe zu bekommen?

Leonhard: In Hamburg haben wir eine Reihe von Betrieben, die unmittelbar nach Corona ihre Schulpartnerschaften mit Oberstufen oder Abschlussjahrgängen in der Stadtteilschule wieder aufgegriffen haben. Wir haben nicht aufgehört mit unserer MINT-Förderung, auch jede Sorte von Praktikumsbeziehung findet wieder statt, das AV-dual für alle Schülerinnen und Schüler, die nach der Schule noch keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, läuft weiterhin sehr erfolgreich.

Madsen: Manche Branchen müssen stärker in die Schulen gehen, um Kontakt mit den Jugendlichen herzustellen, wie es gerade M+E-Firmen längst tun. Wir müssen mehr für Karriere ohne Studium begeistern, auch in den familiären Umfeldern. Und die Schulabbrecherquote muss runter, deren Höhe bedrückt mich sehr.

Standpunkte: Im Sinne der Fachkräftesicherung plant Bremen jetzt eine Ausbildungsabgabe, weil angeblich nur dadurch mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden können, obwohl es in Bremen mehr als 16.000 gibt. Was halten Sie davon?

Madsen: Nichts. Wir brauchen weder mehr Strafabgaben noch mehr Bürokratie.

Leonhard: Nach allem, was ich über dieses Modell weiß, ist das nichts, was uns in Hamburg weiterhilft. Wir haben in Hamburg eine hohe Zahl von unbesetzten Ausbildungsplätzen und mein Eindruck ist: Alle Mühe, die man in die Konfiguration einer solchen Abgabe steckt, sollte man lieber in die bessere Passung Auszubildende/Unternehmen stecken.

Standpunkte: Apropos Bürokratie: In Mecklenburg-Vorpommern will man das Tariftreuegesetz verschärfen, um die staatliche Auftragsvergabe an noch restriktivere Kriterien zu binden. Was haben Hamburg und Kiel hier vor?

Leonhard: In Hamburg haben wir uns auch auf den Weg gemacht, dass das Thema Tarifbindung in der staatlichen Vergabe eine Rolle spielen soll. Dazu hat uns die Bürgerschaft gerade einen Auftrag erteilt und Ergebnis muss schon sein, dass es einen Unterschied macht, ob sie Anbieter sind mit Tarifvertrag oder ein Anbieter ohne.

Madsen: Wir sprechen tagtäglich von weniger Bürokratie, mit der sollten wir die Tariffreiheit nicht weiter einschränken. Unser Vergabegesetz in Schleswig-Holstein hatte früher etwa 20 Seiten, jetzt sind es zwei, das soll so bleiben.

Standpunkte: Wir danken für das Gespräch.

Aufgezeichnet von Alexander Luckow

In einer schwierigen Phase: Hamburgs Wirtschaftssenatorin Dr. Melanie Leonhard will mit Transformationsförderung auch energieintensive Industrien in Norddeutschland halten.

Foto: Oliver Tjaden/FHH

Für wettbewerbsfähige Netzentgelte: Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen will sich für einen angemessenen Industriestrompreis einsetzen.

Foto: Thomas Eisenkrätzer /Wirtschaftsministerium SH

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