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Anforderungen an den Museumsbau der Zukunft

Das ursprüngliche Gebäude bestand aus einem Mitteltrakt mit zentraler Eingangshalle und grosszügigem Treppenhaus sowie zwei winkelförmig gegen Norden resp. Süden vorspringenden Flügelbauten. 1918–22 wurde südseitig an das Treppenhaus durch Architekt René von Wurstemberger ein Erweiterungsbau für die Orientalische Sammlung geschaffen. Der sogenannte «Moser-Anbau» dient zur Präsentation der «Orientalischen Sammlung Henri Moser». Die aufwändige Innenausstattung entstand in Zusammenarbeit mit dem Pariser Architekten Henri Saladin.

1991 erhielt das Bernische Historische Museum hofseitig einen Glas-Stahl-Lift (Architekt Frank Geiser), der sämtliche Hauptgeschosses des Hauses erschliesst. 2009 folgte der südöstliche Annexbau «Kubus» von :mlzd Architekten. Darin sind eine grosse Ausstellungshalle, Büroräume, das Stadtarchiv, die museumseigene Bibliothek sowie Depoträume untergebracht.

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Heute zeigt sich der Altbau von aussen im Wesentlichen im Originalzustand, während jedoch im Innern immer wieder – und erstmals bereits kurz nach Bauvollendung – zahlreiche Veränderungen vorgenommen wurden, um den Bau jeweils an vorherrschende museologische Vorstellungen anzupassen. Die Innenräume wurden teilweise stark purifiziert, Zwischendecken wurden eingeführt oder Deckenöffnungen geschlossen. Die meisten Fensteröffnungen sind aktuell hinter Einbauten versteckt, sodass der Aussenraumbezug und der ursprüngliche Raumeindruck verloren gehen. Technische Infrastrukturen sind nachgerüstet worden und verunklären die Proportionen der ursprünglich grosszügigen Ausstellungshallen. An einigen Stellen ist die ursprüngliche Raumfassung noch erfahrbar und lässt die ehemalige Atmosphäre im Innern des Museums erahnen.

Die anstehende Gesamtsanierung ist die erste in der Geschichte des Baus – eine einmalige Gelegenheit, die räumliche Gesamtsituation zu reflektieren und den Altbau des BHM neu erlebbar und museal fit zu machen für die nächsten Jahrzehnte.

Anforderungen an den Museumsbau der Zukunft

Das BHM der Zukunft stellt an sein Gebäude die im folgenden aufgelisteten Anforderungen. Sie sind auf Basis der Publikumsbedürfnisse (Kap. 3), der Arbeit an Themen (Kap. 4) und Vermittlungsformaten (Kap. 5) entstanden. Eingeflossen sind auch die verdichteten Rückmeldungen aus einer durchgeführten Bedürfniserhebung im Team des BHM. Die formulierten Anforderungen sollen in den weiteren Planungsschritten zwingend Beachtung finden und ihnen eine produktive Grundlage bieten.

• Zeitgemässe Haustechnik, Fluchtwege, hindernisfreie Zugänge und optimierten Nutzer:in-

nenfluss realisieren

o Haustechnik ertüchtigen Zur Instandsetzung des Altbaus gehört seine zeitgemässe, möglichst umweltfreundliche, haustechnische Ertüchtigung. Dabei sind energetische, klimatische und akustische Aspekte besonders zu berücksichtigen. o Fluchtwege sicherstellen Die Gesamtsanierung ist dafür zu nutzen, Brandschutz-Vorgaben vollumfänglich umzusetzen. o Hindernisfreien Zugang gewährleisten Nach der Wiedereröffnung soll der unkomplizierte, niederschwellige, komplett hindernisfreie Zugang zu allen Teilen des Museums Realität sein. Im Innern sollen mobilitätseingeschränkte Personen dieselben Wege durch die Vermittlungsformate wählen können wie Personen ohne Einschränkungen. o Nutzer:innenfluss optimieren Die Gebäudeorganisation soll allen Gästen zu unterschiedlichen Tageszeiten einen angenehmen Aufenthalt gewähren.

• Flexibilität gewährleisten und Freiräume reservieren

Wer weiss, was die Zukunft bringt? Das Gebäude soll dem Museumsteam einen möglichst flexiblen Umgang mit dem Altbau ermöglichen. Mannigfaltige Vermittlungsformate und ganz unterschiedliche Arten, das Museum zu bespielen, sollen möglich sein, ohne in nächster Zeit erneut Ein- oder Umbauten vornehmen zu müssen. Wichtig ist vor allem, die Nutzung möglichst offen zu denken, in allen Räumen eine gute Akustik und klimatische Bedingungen zu realisieren, möglichst flexibel einsetzbare Ein-, Aus- und Durchgänge zu ermöglichen, auch wenn sie nicht immer alle geöffnet sein müssen. Freiräume sollen reserviert bleiben, statt am

Tag der Wiedereröffnung ein komplett gefülltes Haus zu präsentieren.

• Architektonische Qualitäten und Aussensichtbezüge freisetzen

Der Altbau soll seine eigenen Qualitäten zeigen, um – quasi als grösstes Exponat des BHM –

Teil der Vermittlung zu werden. Ziel der Sanierungsarbeiten kann aber nicht sein, einen idealisierten «Originalzustand» wiederherzustellen, denn erste relevante Veränderungen wurden bereits wenige Jahre nach der Eröffnung ausgeführt. Vielmehr kann die Geschichte des Hauses selbst zum Thema werden. Beispielsweise bietet das Architekturdekor im Orientalischen

Saal einen produktiven Ansatzpunkt für eine kritische Reflexion des europäischen und bernischen Umgangs mit dem «Orient». Zudem soll die Aufenthaltsqualität in den Räumen verbessert werden. Dazu gehören Sichtbezüge ins Freie: Dank zeitgemässer Verdunklungs- und

Beleuchtungstechnik können museale Standards der Objektpräsentation eingehalten werden, ohne die Fenster dafür komplett abdecken zu müssen.

• Gegenwartsbezug zum Ausdruck bringen

Der Ausdruck des Altbaus widerspiegelt den bildungsbürgerlichen Anspruch des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der Altbau verlangt somit nach einem architektonischen Signal, einer

Intervention, die von weit herum sichtbar zum Ausdruck bringt, dass im BHM Themen mit

Bezügen zur Gegenwart verhandelt werden.

• Ausreichend und zentrale Flächen für Ankunft und Komfort vorsehen

Wenig zufriedenstellend ist die heutige Eingangssituation. An rund 50 Tagen im Jahr betreten 400 bis 800 Gäste das Museum, an Spitzentagen werden bis 1200 Eintritte gezählt. Darauf ist die Eingangssituation nicht ausgelegt. Die Ankommenden haben im BHM aktuell keine Gelegenheit, sich auf ihren Museumsbesuch in geeigneter Weise einzulassen, sondern werden beim Durchschreiten der Drehtüren in das überfüllte und mit Funktionen überfrachtete Foyer gespült. Das BHM soll seinen Museumsgästen einen angenehmen Start und Abschluss ihres Besuchs ermöglichen und dafür ausreichend und zentrale Flächen mit Komfort vorsehen. Das Foyer wird zum Treff- und Orientierungspunkt. Kasse, Shop, Garderoben Schliessfächer, Toiletten sind zentral und ausreichend gross, aber nicht im Foyer untergebracht.

• Schnell und umfassend Orientierung bieten

Der Museumsbau soll nach dem Ankommen möglichst schnell und umfassend Orientierung bieten. Seine Struktur und was darin wo zu finden ist, soll nachvollziehbar und leicht verständlich sein. Dem grossen zentralen Treppenhaus kommt dabei die Hauptrolle zu. Von hier aus sind die Stockwerke und Flügel erreichbar. Alle anderen Flächen sollten, wenn immer möglich, daran angebunden sein, damit die Nutzer:innen nach der Wahrnehmung eines Vermittlungsformats immer wieder zum zentralen Ausgangspunkt Treppenhaus zurückkommen und sich erneut im Haus zurechtfinden können. Das Zwischengeschoss UG des Ostflügels, in dem die historischen Zimmer liegen, soll direkt an das Foyer Nord angeschlossen und der Kubus bestmöglich mit dem Altbau verbunden werden.

• Direkte Wege und Rundgänge in den Vermittlungsräumen ermöglichen

Vermittlungsformate im BHM funktionieren zukünftig vorwiegend als inszenierte und interaktive Erzählungen im Raum. Als solche sind sie darauf angewiesen, ihren Anfang und ihr

Ende selbst bestimmen zu können. Es ist somit in jedem Fall zu verhindern, dass Nutzer:innen, um ein bestimmtes Angebot zu erreichen, durch andere Angebote hindurchgehen müssen. Alle Vermittlungsformate sollen direkt erreichbar sein und die Nutzer:innen auch wieder entlassen, ohne sie in anderes Angebot zu schleusen. In den Flügeln des Altbaus, die als Vermittlungsflächen prädestiniert sind, müssen deshalb insbesondere die Sackgassen aufgelöst und Rundgänge ermöglicht werden. Andernfalls muss das Publikum am Ende eines Vermittlungsformats stets umdrehen und durch das bereits erlebte zurückgehen, um den Weg zum nächsten Angebot bzw. zum Ausgang zu finden. Als Erzählungen im Raum brauchen die Vermittlungsformate des BHM die Freiheit, das Publikum gemäss dramaturgischen Konzepten zu führen.

• Vermittlungs- und betriebliche Funktionen entflechten

Heute sind nebst Vermittlungs- und Publikumsflächen auch rein betriebliche Nutzungen im

Museumsbau untergebracht. Dies wird weiterhin der Fall sein. Ziel ist jedoch, die Funktionen besser zu entflechten als heute: die Bedürfnisse des Betriebs (Büros, Werkstätten mit Anlieferung und Entsorgung, Restaurierungsateliers, Depots und Lager) sollen die Vermittlung möglichst wenig tangieren, eine klare Trennung von vor und hinter den Kulissen wird angestrebt. Ausnahmen von diesem Prinzip bilden kleinere Lager- oder Abstellräume, die in unmittelbarer Umgebung der Vermittlungsflächen einen reibungslosen Ablauf von Reinigung,

Reparaturen, Veranstaltungen, Catering etc. ermöglichen sollen.

• Zeitgemässen Umgang mit historischen Zimmern finden

Im Museumsbau sind einige historische Zimmer untergebracht, an denen im Laufe der Zeitverschiedene Veränderungen vorgenommen wurden. Um die nötige Flexibilität für künftige

Vermittlungsformate zu erreichen, ist nicht davon auszugehen, dass sie alle in der aktuellen

Fassung erhalten bleiben können. Im Ostflügel, Zwischengeschoss UG, liegen fünf historische

Zimmer, deren gesamthafte Entfernung eine empfindliche Verletzung relevanter Empfehlungen des Bundesamts für Kultur und von Fachexpert:innen bedeuten würde. Anzustreben ist ein transparenter Umgang mit diesen historischen Zimmern, der ihre kulturgeschichtliche und museumspädagogische Bedeutung erläutert, ihre «Gemachtheit» nicht überspielt und sie in überzeugende Vermittlungsformate einbindet.

• Bistro an passender Stelle im Museum unterbringen

Mit dem «Restaurant Steinhalle» befindet sich eine attraktive gastronomische Einrichtung im

Museumspark des BHM. In unmittelbarer Nachbarschaft bieten verschiedene Museen weitere Verpflegungsmöglichkeiten. Im Museumsquartier, das in den nächsten Jahren entstehen soll, richten die beteiligten Museen allenfalls ein weiteres gemeinsames Restaurant ein. Dennoch ist aus Sicht des BHM klar, dass es auch innerhalb des Gebäudes die Möglichkeit geben muss, nach der Wahrnehmung eines Vermittlungsformats ein Getränk einzunehmen oder etwas Kleines zu essen. Als Auftakt oder Abschluss des Museumsbesuchs gehört Verpflegung zum (Ausflugs-)Erlebnis dazu und bietet dem BHM die Möglichkeit, im hauseigenen Bistro inhaltliche Bezüge zu den Vermittlungsangeboten herzustellen.

• Multifunktionsräume und Mitmachwerkstatt einrichten

Während Vermittlungsräume möglichst flexibel und nutzungsneutral ausgestaltet werden und nebst Ausstellungen auch andere Inszenierungen, Erfahrungen und Darbietungen gut in sich aufnehmen sollen, gibt es zwei Raumtypen, die spezifische Vermittlungsfunktionen einnehmen: Multifunktionsräume, in denen vom Kindergeburtstag bis zur Klausurtagung vielfältige Besprechungs-, Meeting-, Workshop-Formate stattfinden können, und eine Mitmach-

werkstatt, in der mit den Händen gewerkt wird. Ideal ist es, wenn diese Räume organisatorisch und administrativ von einem Punkt aus direkt und unkompliziert bewirtschaftet werden können. Die Mitmachwerkstatt würde durch Zugang zum Aussenraum gewinnen, da gewisse Materialien oder auch Feuer nur im Freien zum Einsatz kommen können.

• Aussenraum für Vermittlung öffnen

Der Aussenraum gewinnt für die museale Arbeit laufend an Bedeutung. Er soll Schwellen abbauen und das BHM als offenes, zugängliches, nahbares Haus präsentieren. Im Park wie im

Garten sollen Vermittlungsformate stattfinden können. Für Feste, Performances, Märkte,

Picknicks etc. braucht es Platz, Zugänglichkeit und die richtige Infrastruktur.

• Anschluss ans Museumsquartier sicherstellen

Dem BHM kommt künftig die zusätzliche Bedeutung zu, den Zugang vom Helvetiaplatz zum

Museumsquartier mitzuformen. In diesem Sinn muss das BHM anschlussfähig sein zum Museumsquartier. Neben der Ermöglichung des eigentlichen Zugangs ist aus Sicht des BHM vor allem eine räumliche Neuausrichtung zentral: War das Gebäude bisher in erster Linie nach

Norden zum Helvetiaplatz ausgerichtet, kann es seine Südfassade künftig nicht mehr als

Rückseite oder Hintereingang verstehen. Das BHM wird zwei Schauseiten und Haupteingänge haben und sich gleichermassen nach Norden zum Helvetiaplatz wie nach Süden ins Museumsquartier orientieren.

Vom Helvetiaplatz kommend liegt das Museumsquartier hinter dem BHM. Zur optimalen Erschliessung des MQB sollen die Helvetiastrasse und Bernastrasse gestalterisch aufgewertet werden. Nur so wird die bestehende städtebauliche Dominanz des BHM relativiert und die gleichwertige Erschliessung aller am Museumsquartier beteiligten Institutionen gefördert. Eine Überlegung des Museumsquartiers ist, das BHM axial zu untertunneln. Aus Sicht des BHM entstünde damit eine merkwürdig enge und geschlossene Raumsituation, die dem offenen Garten- und Quartiercharakter des Museumsquartiers widerspricht.

Neben der Aufwertung der Quartierstrassen schlägt das BHM vielfältige, attraktive Wege ins Museumsquartier vor. Vom Helvetiaplatz tritt man in den Park des BHM ein und kann entweder im Osten am Gebäude vorbei über die Piazza und die Freitreppe des Kubus in den Garten gelangen oder das BHM als öffentlichen Ort vom Foyer Nord (EG) zum neuen Foyer Süd (UG) durchschreiten und von dort aus den Museumsgarten des MQB betreten.

• Baracken auflösen und Nutzungen anderswo unterbringen

Zum Anschluss ans Museumsquartier gehört, das Areal im Süden des BHM, von den bestehenden Baracken zu befreien, um Platz zu schaffen für den kooperativ zu nutzenden Museumsgarten. Die aktuell in den Baracken befindlichen Nutzungen finden anderswo die passende Unterbringung: Büros des BHM-Teams sollen zwecks interdisziplinären Austauschs im Altbau und im Kubus zentralisiert und die Werkstätten auf das bestehende Werkstattgebäude reduziert werden. Die Restaurierungsateliers sollen mittelfristig im Zentraldepot Museumsquartier untergebracht werden und sind bis dahin auf eine Übergangslösung angewiesen. Die Zusammenarbeit mit anderen Museen im MQB zwecks Gewinnung betrieblicher Synergien ist in Planung.

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