“Heißes Pflaster” | Herbst 2013 | Ausgabe 5

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Ausgabe 05 // Oktober 2013


Medienschmiede 2013 Herbstredaktion I


Edi tor i al Liebe Leserinnen, liebe Leser, wenn Jugendliche das Wort „Medien“ hören, sehen die meisten Zeitungsmeldungen und Fernsehsensationen oder denken an Radionachrichten. Sie sehen sich nicht selbst in einem Raum voller Computer oder gegenüber einer wichtigen Persönlichkeit, um ihr Fragen zu stellen. Sie sehen sich nicht selbst berührende Fotos schießen oder das Layout eines gesamten Artikels gestalten. Dieser Ferienworkshop hat das geändert: 13 ambitionierte Jugendliche „opferten“ die erste Woche ihrer Herbstferien, um von einer echten Fotografin, Layouterin und Journalistin zu lernen und schlussendlich gemeinsam eine Zeitschrift anzufertigen. Und wir haben es geschafft: Die neue Ausgabe des Jugendmagazins „Heißes Pflaster“ ist fertig und natürlich ist sie die beste, die es je gab! Sechs harte und heitere Tage haben wir uns in der Medienschmiede Dresden ins Zeug gelegt, damit Sie sich nun am Portrait einer Frau mit vielen Talenten und unseren Reportagen über Hochwasser, Tarotkarten und den typischen „Dräsdner“ erfreuen können. Gemeinsam vermittelten uns die Dozentinnen Grundlagen des Urheberrechts und Medienkompetenz. In der Jugendreaktion brachte Viola Zetzsche der Schreiber-Gruppe bei Interviews zu führen, Artikel zu verfassen und sich an den Pressekodex zu halten. Die jungen Fotografen lernten von Fara Phoebe Zetzsche die Kniffe beim Aufnehmen und Bearbeiten von Fotos, während die Layouterin Lisa Dres die dritte Gruppe in Gestaltung und Design der Beiträge unterwies. Wir durchquerten halb Dresden, trafen uns mit einem ehemaligen Angestellten der Talsperrenverwaltung Pirna und einer Upcycling-Modedesignerin, befragten einen Dresdner Poeten und eine Kartenlegerin. Wir haben gezeichnet, geschrieben, fotografiert und alles am Computer zusammengefügt. Jedes Mal, wenn wir uns zur Redaktionssitzung getroffen haben, fühlten wir uns richtig professionell. Und nun präsentieren wir Ihnen mit vor Stolz geschwellter Brust unsere eigene Zeitschrift! Viel Spaß beim Lesen, Bestaunen und Bewundern unserer Arbeit! Ella Scholz


In hal t Editorial...................................

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Katinka motzt auf.....................

Katinka Macuta ist Ergotherapeutin und Inhaberin des Labels und Upycling-Mode-Ateliers TINKAMore. Wir portr채tieren die frischgebackene Ladenbesitzerin und bestaunen ihre kreativen Stoffkunstwerke.

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142 Tage danach................................

2013 traf das Hochwasser Dresden erneut. Knapp vier Monate nach der Katastrophe befragen wir Experten, Helfer und Betroffene.


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Zwischen Kristallkugel und Tarotkarten..................................

Weissagungen und Kartenlegen werden oft als Hokuspokus abgetan. Wir gew채hren Einblicke in die uralte Geschichte der Weissagung und treffen Yvonne Burmann, die seit 15 Jahren die Karten befragt.

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Typisch Dr채sdn.....................................

Was macht Dresdner tats채chlich aus? Gemeinsam mit einheimischen Originalen und zugezogenen Deutschen machen wir uns auf die Suche nach Eigenschaften und Besonderheiten des typischen Dresdners.

Redaktion......................................

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Impressum......................................

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Katinka motzt auf Eine Frau mit zwei Beruf(ung)en Text: Zaza Leah Goerges Foto: Felicitas Wenzel Layout: Lisa Marie Keller Katinka Macuta ist Ergotherapeutin, Designerin des Modelabels TINKAMore und seit Oktober 2013 Inhaberin des gleichnamigen Upycling-Mode-Ateliers auf der Kamenzer Straße in der Neustadt. Aufgewachsen ist die sympathische Wahldresdnerin auf einem Bauernhof in der Oberlausitz. Sie näht seit sie eine Nadel halten kann. Nach dem Abitur und einem freiwilligen sozialen Jahr lernt sie Ergotherapeutin. Eigentlich will sie Schneiderin werden, doch ihre Vernunft sagt ihr, dass sie von dem Verdienst vielleicht nicht leben kann. Nach der Ausbildung arbeitet sie im mobilen sozialen Einsatz für die Arbeiterwohlfahrt. In dieser Zeit lernt Katinka Macuta Autofahren und ihren Mann kennen. 2004 wird ihr Sohn Elihu geboren, 2007 kommt ihre Tochter Noemi zur Welt. Während der Elternzeit beginnt sie, nach ihrem eigenen Weg zu suchen. Sie wird Gründungsmitglied des Louisen Kombi Naht Dresden. Da dreht sich zwischen Nähtee und Workshops alles um Upycling-Mode, Produktion und Verkauf. Sie arbeitet mit anderen, auch gelernten Schneiderinnen, zusammen, die ihr den letzten Schliff geben. Im Atelier Auerbach & Tinka Macuta im Hechtviertel Dresden arbeitet sie ein Jahr mit der Kunstpädagogin und Illustratorin Sandy Auerbauch zusammen. Jetzt hat sie ihren eigenen Laden eröffnet. Hauptberuflich arbeitet die gelernte Ergotherapeutin als Schulintegrationshelferin. Beides macht sie mit Leib und Seele. In ihren Workshops im TINKAMore verbindet sie ihre Passionen miteinander. Ich besuche sie in ihrem gerade eröffneten Werkstattatelier.


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einander gestapelt, ergeben eine geniale Kommode mit sechs Schubfächern. Ich zähle drei gute alte Veritas, eine Singer und eine neue Overlock-Nähmaschine. „Wann haben Sie angefangen zu nähen?“, frage ich. „Ich kann mich nicht genau erinnern. Schon mit fünf Jahren hatte ich Interesse an Handarbeit. Ich nähte Kleider für meine Püppchen.“ „Wie kamen Sie auf die Idee, Schneiderin zu werden?“ „Ich bin Hobbyschneiderin.“ „Wie kam es dazu, dass Sie den Laden TINKAMore eröffnet haben?“ „Diese Arbeit erfüllt mich“, sagt sie fröhlich, „sie ist so etwas wie Meditation. Es ist mein Talent.

Als ich die Tür öffne, die mich von Katinka Macutas Welt der bunten Fäden, Stoffe und Ideen trennt, schlägt mir der Farbduft von frisch gestrichenen Wänden entgegen. Im TINKAMore fühle ich mich wie verzaubert. Ich möchte mich am liebsten an die Nähmaschine setzen und loslegen. Sie bietet mir einen Platz an. An einer Kleiderstange im Schaufenster hängt eine Jacke mit rosa Blumenmuster, die einmal ein DDR-Schlafsack war. Der Nachhaltigkeitsgedanke findet sich hier in jedem Möbelstück. Zwei Nachtschränke ohne Beine über-

Angefangen hat es damit, dass ich vor fünf Jahren ein Praktikum bei Madeleine Olagarhay machte. Dann arbeitete ich im Louisen Kombi Naht Dresden mit anderen Schneiderinnen. Dort lernte ich viel dazu. Irgendwann hatte ich das Gefühl, mich selbstständig machen zu können. Mit viel Unterstützung vom Bioladen Grüntal nebenan wurde mein Traum war.“


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Der Besitzer des Bioladens hat für ihre Idee eines Werkstattateliers sein Lager mit einer Gipskartonwand abgetrennt. Seit der Eröffnung sind die verschlossenen Rollläden geöffnet und die Schaufenster geben nach ihrem Dornröschenschlaf jetzt den Blick auf Nähmaschinen, Stoffe, bunte Garnrollen und originelle Upycling-Mode frei. Die frischgebackene Inhaberin verteilt Wasserbecher und ich nehme einen großen Schluck. „Woher kommt der Name TINKAMore?“ „Er hat viele Bedeutungen: Tinka = Katinka, Amore = Liebe, More erinnert an Meer oder mehr.“ „Woher nehmen Sie die Stoffe?“ Sie kichert und antwortet: „Meine Stoffe kriege ich von alten Omas oder Bekannte bringen mir Stoffreste mit. Manchmal gucke ich in Kisten, die am Straßenrand stehen. Ich bin gegen Verschwendung.“ Sachen, getragen… Wo wurden sie schon hingetragen? Ein jedes getragene Kleidungsstück bringt seine Geschichte mit und sie endet nicht in diesem Atelier, sondern eine neue beginnt. Damit liegt die Modedesignerin voll im Trend, kann Investitionskosten senken und ihre Preise bezahlbar halten. An einer Stange hängen reanimierte Kleidungsstücke, in denen sich Katinka Macutas Phantasie und Fingerfertigkeit vereinen. Ein Schlundwärmer kostet 20 bis 35 Euro, die bunten Röcke 50 bis 80 Euro, ein

Schlürtel, ein zum Gürtel umgenähter Schlips, 24 Euro. Stoff- und Bekleidungsreanimation. – Hinter dieser Idee und dem Label TINKAMore steht die künstlerische Verarbeitung von getragener Kleidung zu extravaganten Modeschöpfungen mit einem umweltfreundlichen Aspekt. Kunstvolle Ohrringe von Anja Jurkenas vervollständigen das bunte Angebot. „Was inspiriert Sie?“, frage ich. „Die Wege des Kleidungsstückes, die Löcher und die Farben, Sachen, die andere Leute tragen, weil Menschen mich den ganzen Tag umgeben.“ Ich schaue auf ihr pinkfarbenes T-Shirt. „Was ist Ihre Lieblingsfarbe?“ Katinka Macuta muss nicht lange überlegen. „Alle Farben sind meine Lieblingsfarben – außer Knallorange!“ Ihre bunte Upycling-Mode hat Fans, die ihr treu sind. Schließlich ist jedes Stück ein tragbares Kunstobjekt und ein echtes Unikat – fernab industriell gefertigter Kleidung. „Nähen Sie sich die Klamotten selber oder kaufen Sie in anderen Läden ein?“ Sie trinkt einen Schluck Wasser und mustert den Spiegel: „Ich mache Kleidertauschfeten mit Freun-


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dinnen und gucke mir gerne die Klamotten von Freunden an, die im Internet angeboten werden. Z. B. die Marken Pfefferkorn, Minten Berry und Goodone. Für meine Kinder nähe ich.“ Ich nehme einen Flyer. „Sie machen auch Workshops?“ „Ja, mit Anmeldung. Ich biete Kurse im riesa efau an. Für Kinder und Teenager dienstags, für Erwachsene freitags.“ Dabei verbindet sie Nähen, Kreativität und Pädagogik mit ihren Erfahrungen aus der Ergotherapie. „Wenn ein Kind unkonzentriert ist, frage ich: Was möchtest du machen? Oder lasse es erstmal ein Stück rennen. Wenn jemand wenig kreativ ist, fördere ich das, wenn jemand keine Struktur hat, baue ich sie auf.“ In ihrem Hauptberuf begleitet Katinka Macuta als Schulintegrationshelferin für den Lebenshilfe e. V. zwei Rollstuhlfahrerinnen im Unterricht. „Ich bin ihr verlängerter Arm.“ Ich kann mir kaum vorstellen, wie das alles zu meistern ist. Aber es passt. „Wie kann ich mir einen „normalen Tag“ in Ihrem doppelten Berufsalltag vorstellen?“ „Ich stehe um 6:30 Uhr auf und kümmere mich um meine Kinder. Danach fahre ich in eine Integrationsschule und betreue dort die zwei Mädchen in der 7. Klasse. Spätestens 15 Uhr bin ich im Atelier.“ In ihrer Freizeit tankt Katinka Macuta beim Yoga auf. „Ich brauche das für mein Allgemeinbefinden“, sagt sie ausgeglichen. „Ich bin sehr zufrieden damit, wie es ist.“ Ein Meer von Ideen, ein Mehr an Möglichkeiten… Inspiriert von den Formen und Mustern, auch von Unebenheiten und Fehlern, die keine mehr sind, wenn sie transformiert werden in etwas Neues. Die Leidenschaft des Nähens begleitete Katinka Macuta schon den größten Teil ihres Lebens. So,

dass sie nicht davon lassen konnte, es zu ihrer zweiten Aufgabe zu machen, für Mitmenschen nicht nur Hüllen, sondern eine zweite Haut zu schaffen und ihr Wissen bevorzugt an Kinder weiterzureichen. Sie regt zum Aufheben und Widerverwerten an. Oder dazu, mal ein paar Stunden zwischendurch an einer funktionierenden Nähmaschine zu sitzen und nicht allein zu sein, wenn sich herausstellt, dass du statt einer Hose ein Nachthemd genäht hast. „Haben Sie ein Motto?“, frage ich. Sie nimmt sich Zeit. Dann sagt sie: „Das Leben ist zu vielfältig für nur ein Motto.“


142 Tage danach Stimmen zur letzten Jahrhundertflut 2013. Wie geht es den Menschen in Dresden heute, was denken Betroffene und Helfer? Text: Finn Eric Klohn // Fotos: Viktoria Hofmann // Layout: Joschka Kilian Pfütze Manche Wiesen sind noch schlammig, einige Zäune immer noch verdreckt. Und wir sind mitten drin: Wir machen uns auf die Suche nach den Folgen der zweiten „Jahrhundertflut“ innerhalb von nur elf Jahren. Auch wenn die Flutkatastrophe jetzt schon knapp vier Monate zurückliegt, die Spuren sind immer noch sichtbar: verdreckte Bäume, Flutmarken, die das Wasser an Außenwänden hinterlassen hat, manchmal sogar ein Schuh, der immer noch im Schlamm steckt.

Ab einer Wassertiefe höher als zwei Meter über Terrain sind Menschen und Tiere auch innerhalb von Häusern gefährdet. Schäden an Gebäuden und plötzliche Zerstörungen sind möglich. Am 6. Juni 2013 erreichte der Pegel der Elbe einen Höchststand von 8,75 Meter. Nicht auszudenken, was da alles passiert ist! Etwa 2 000 Menschen, die in der Nähe der Elbe wohnen, mussten evakuiert werden. Sie waren in Schulen oder Turnhallen untergebracht. Keller von Häusern waren überflutet,


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Gärten wurden überschwemmt und verwüstet. Viele Menschen haben einen Teil ihrer Habe verloren. Laut Pressemeldung der Stadt Dresden vom 24. Oktober 2013, wurde im Wiederaufbauplan zur Beseitigung der Hochwasserschäden eine Summe von insgesamt 82,7 Millionen Euro an kommunalen Einrichtungen erfasst. Wir treffen einen ehemaligen Mitarbeiter der Landestalsperrenverwaltung Pirna, um mehr über Hochwasser und Fluten zu erfahren. Mit einem herzlichen Handschlag begrüßt uns Klaus Pfütze an der Synagoge Dresden. Konzentriert und nachdenklich geht er neben uns zu einer Bank auf der Brühlschen Terrasse. Der grauhaarige Mann ist heute Rentner. Er setzt sich und nimmt eigene Notizen aus seiner Aktentasche. „Welchen Beruf haben sie eigentlich?“, möchte ich wissen. „Ich war als Wasserbauingenieur tätig.“ Mich interessiert, was sein Arbeitsgebiet war. Klaus Pfütze stellt die Aktentasche zur Seite. „Ich habe in der Schadenbeseitigung nach dem Hochwasser 2002 mitgewirkt, Ausschreibungen gemacht, Zuschläge erteilt und Rechnungen geprüft.“ Wie damals, hat der Bundestag auch 2013 einen Hilfsfonds bereitgestellt. Die Summe: acht Milliarden Euro. Daraus wurde und wird noch immer die Schadenbeseitigung nach dem Frühjahrshochwasser beglichen. Finanziert wurde der Fonds durch eine Erhöhung der Neuverschuldung des Bundes. Der ging in Vorleistung. Die Länder müssen

ihren Anteil nun bis 2033 abstottern. Um die finanzielle Belastung der Flutopfer zu mildern, wurde eine Soforthilfe zur Verfügung gestellt. 1 163 Anträge wurden von der Stadt bewilligt. Was für die Betroffenen vielleicht nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein wirkte, macht für den städtischen Haushalt mit insgesamt 938 500 Euro Soforthilfe allerdings doch eine stattliche Zusatzbelastung aus. Klaus Pfütze sieht einem Elbdampfer nach. „Was bedeutet Hochwasserschutz?“ „Hochwasserschutz ist die Vorsorge vor einer möglichen Flut zur Abwehr von Schäden und Gefahren.“ „Was kann dafür getan werden?“ „Da gibt es viele Möglichkeiten, z. B. den Bau von Deichen, Hochwasserschutzmauern, Rückhaltebecken und Dämmen.“ „Welche Vor- und Nachteile hat eine Hochwasserschutzmauer?“ „Die Vorteile sind, dass man eine stabile Mauer hat. Man baut sie bis zu einer geplanten Höhe. Steigt der Wasserpegel höher, lässt sie sich nicht aufstocken, weil das zu instabil wäre.“ Ich wüsste gern, ob Dresden genügend Überschwemmungsflächen zum zeitweiligen Wasserrückhalt besitzt. Eine Antwort hat der ehemalige Wasserbauingenieur nicht, oder er möchte sich nicht darauf einlassen. „Waren Bekannte oder Sie persönlich betroffen?“ „Ja, mein Sohn. Sein Keller war voll Wasser gelaufen.“ Während des Jahrhunderthochwassers 2013 musste die Feuerwehr zu 87 Einsätzen ausrücken. Unsere Fo-


tografin Viktoria trifft einen freiwilligen Helfer. Tom Hofmann führt sie in die Einsatzzentrale der Feuerwehr Radebeul. Als die Flut kam, war er 16 Jahre alt, noch in der Schule und mitten im Prüfungsstress. „Wann wurdest du informiert, dass ein Hochwasser naht?“ Er ruft die Bilder von damals aus der Erinnerung ab. „Ich habe mich selbstständig informiert und die Elbe beobachtet. Als die Lage immer schlimmer wurde, habe ich mich freiwillig für den Fluthilfeeinsatz gemeldet.“ „Wurdest du auf das Hochwasser vorbereitet?“ Er nickt. „Wir wurden mit den Geräten vertraut gemacht und haben den Ernstfall geprobt.“ „Wie organisiert waren die Schutzmaßnahmen?“ „Die Organisation und der Bau von Sandsackdämmen sind gut

gelungen. Es gab viele Helfer, auch durch den Einsatz der Bundeswehr. Leider konnten nicht alle Dämme überwacht werden. Sie wurden teilweise überflutet und sind eingestürzt.“ Um die Ausdehnung der Wasserfluten in Dresden einzudämmen, wurden rund 13 500 Tonnen Sand verbaut. Es gab unzählige freiwillige Helfer, die Sandsäcke füllten, Schutzmaßnahmen durchgeführten und Dämme aufschichteten. Gerade junge Leute standen damals Betroffenen und den Einsatzkräften zur Seite. Allerdings standen viele Schaulustige auch im Weg. „Einige Kollegen mussten die Menschenmassen von unseren Arbeiten fernhalten“, erzählt Tom Hofmann. „Leute, die aufgefordert waren ihre Häuser zu verlassen, blieben und mussten dann von uns gerettet werden. Schaulustige sind auf die Dämme gestiegen. Dort bestand dann Einsturzgefahr.“ Während der Flut herrschte in Dresden ein sonderbarer Trubel. Einheimische und Touristen säumten die Brücken der Stadt. Viktoria sieht Tom Hofmann an. „Wie stark war deine emotionale Belastung?“ „Sie war sehr hoch, weil ich die Überschwemmungs-


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gebiete kannte. Alte Menschen mussten evakuiert werden und zusehen, wie ihre Häuser überflutet wurden. Manche habe ich persönlich gekannt.“ Tom Hofmann sieht zu Boden. Diese Erinnerungen gehen dem 17-Jährigen sichtlich unter die Haut. Als das Wasser weg war, wurden 160 Tonnen Schlamm abtransportiert und 460 Tonnen Sperrmüll aus den Flutgebieten eingesammelt, die in Zäunen und Sträuchern hingen oder auf Straßen und Plätzen lagen. Von den Elbwiesen wurden 110 Tonnen Treibgut gelesen. Die Künstlerin Nanette Ganthus aus Berlin traf das Hochwasser, als sie gerade mit der Sanierung der Villa Martha in der Leipziger Straße fertig war. „Wann und wie haben Sie von dem Hochwasser erfahren?“ „Aufgrund der Wetterlage habe ich erkannt, dass es zu einer Flut kommen wird. Ich wollte mich schon vorher mit Sandsäcken versorgen. Allerdings bin ich bei meiner Nachfrage nur auf planlose Büroangestellte und Verwunderung gestoßen und habe keine bekommen.“ „Mit welchen Schutzmaßnahmen haben sie sich vorbereitet?“ „Ich habe alle Möbel in die oberen Etagen geräumt und zusammen mit Freunden die Kellerfenster mit Brettern gesichert.“ „Wie stark hat es Sie getroffen?“ „Ein Teil der Garage ist durch die Kraft der Fluten eingestürzt und der Keller wurde überflutet. Mein

ganzes Lebenswerk ist mit dieser Flut untergegangen!“ „Welche Schäden müssen noch beseitigt werden?“ „Der Sandstein im Keller ist noch feucht und manche Böden müssen eventuell erneuert werden. Das Haus muss wieder neu eingerichtet werden. Mir fehlt es dabei vor allem an Helfern.“ „Was könnte bei einem nächsten Hochwasser ihrer Meinung nach verbessert oder anders gemacht werden?“ „Die gesamte Organisation muss beim nächsten Mal besser und früher ablaufen!“ Einen Meilenstein in der Geschichte der Katastrophen hat der Dresdner IT-Administrator Sven Mildner mit seiner Hochwasserkarte gesetzt. Dafür ist er im bundesweiten Wettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ geehrt worden. Straßensperrungen, gefährdete Dammabschnitte und andere wichtige Informationen sind mit seiner Hochwasserkarte von jedem Smartphone oder Tablet-PC aus frei zugänglich. Damit können sich Behörden und Bürger bei Katastrophen schnell informieren und koordinieren. Gut  so! „Das nächste Jahrhunderthochwasser kommt bestimmt“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen Bärbel Höhn, „und es kommt nicht erst in 100 Jahren.“


Zwischen Kristallkugel und Tarotkarten Ein Blick in die Zukunft Text: Thuy Duong Nguyen // Foto: Jenny Gruhl // Layout: Klara Klappauf Auf dem Weg in eine unerreichbare Welt: Ein geheimnisvoller Ort, an dem die Hand zum Buch und die Kugel zum Auge wird; ein Ort, an dem Mystik und Realität zusammentreffen. Die Kunst der Zukunftsdeutung – Magie und Zauberei oder Aberglaube und Humbug? Die Form und Anordnung der Linien unserer Handfläche seien ein Unikat, welches unser Leben erzähle. Das sagt zumindest die Wahrsagung. Aber verrät der Blick in eine gläserne Kugel tatsächlich, was auf uns zukommen wird? Spiegelt der Stand der Sterne am Nachthimmel wirklich unsere Persönlichkeit wider?

Schon die alten Römer befragten das Orakel bei Kriegsentscheidungen und auch heute glauben viele Menschen an eine höhere Kraft. Auf der ganzen Welt sind unzählige Glaubensvorstellungen entstanden: vom Schamanismus in Afrika über den Spiritismus in Amerika, dem Feng Shui in China bis hin zu den einfachen Horoskopen, die auch in Deutschland sehr beliebt sind. Einer Umfrage des Reader’s Digest Magazins aus dem letzten Jahr zufolge, vertraut ein Viertel der Deutschen auf die Macht der Sterne. Die Wahrsagerei ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Nachweise gibt es seit dem Be-


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ginn der Schriftzeichen. Bereits 3 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung wurden verborgene Weisheiten mithilfe von Symbolen an Höhlenwände gemalt. Wahrsagung umfasst zahlreiche Praktiken um Ereignisse in der Zukunft vorherzusagen, sowie Unklarheiten in der Vergangenheit oder Gegenwart aufzuklären.

Mit dem Fortschritt in Wissenschaft und Technik suchte man weiterhin nach Antworten und bis heute ist die Weissagung ein unbewiesenes und unerklärliches Phänomen.

In der Antike spielte das Orakel eine wichtige Rolle um Kontakt mit spirituellen Geistern aufzunehmen und diese um Rat zu fragen. Ebenso glaubte man an Propheten, die von Gott geschickt wurden, um dem Menschen Botschaften zu überbringen.

Der Weg entlang der grünen, weiten Wiesen am Ufer der Elbe, vorbei an Bäumen voller strahlend gelbbrauner Blätter, führt mich auf die Neubertstraße zu einer professionellen Tarotkartenlegerin. Tarot ist ein Kartenorakel aus 78 Karten, die in 22 Große Arkana und 56 Kleine Arkana eingeteilt ist. Der Begriff Arkana stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie Geheimnis. Die Große Arkana besteht aus Bilderkarten von Narr über Herrscher und Magier bis hin zum Teufel und dem Tod. Die Kleine Arkana setzt sich aus vier Serien zu je 14 Karten zusammen: die Kelche, die Stäbe, die Schwerter und die Münzen. Aus dem vermischten Tarotdeck werden Karten gezogen und in ein Legesystem, wie zum Beispiel „Pfeil der Zeit“ oder „Stern der Liebe“ angeordnet und interpretiert, um eine Antwort auf gestellte Frage zu finden.

Ab dem 15. Jahrhundert versuchte man diese nicht begehbare Welt zu verstehen. Man stützte sich auf das unendliche Universum, Planeten und Sternenkonstellationen. Astrologie rückte in den Mittelpunkt. Doch sie lieferte nicht die erhofften Erklärungen.

Ich stehe vor der Eingangstür und gehe abgegriffenen Klingelschilder durch. Mein Blick bleibt bei „Burmann“ hängen. Eine Melodie aus hohlem

Im Laufe der Zeit entstanden viele Methoden und Techniken zur Zukunftsdeutung. In der frühen Geschichte traf man Weissagungen, indem man Ölspuren in einer Schale geweihten Wassers deutete. Aber auch Traumdeutung und vor allem das Haruspizium wurden praktiziert. Dabei wurden Opfertiere geschlachtet, um aus ihren Innereien Vorhersagen abzuleiten.

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Trommeln und zartem Zupfen der Saiten, verbunden mit einem klaren Flöten tönt durch die Tür. Das warme Kerzenlicht schimmert durch die violetten, gold verzierten Tücher, die von der Decke hängen. Der Geruch von indischen Gewürzen vermischt mit süßlich duftenden Kerzen liegt in der Luft. Ich kann meinen eigenen Herzschlag hören. Hinter der gläsernen Kugel... „Hallo?“, schallt es freundlich durch die Freisprechanlage und reißt mich aus meinem Tagtraum. Oben angekommen empfängt mich Yvonne Burmann und bittet mich herein. Ich suche die Wohnung nach orientalischem Gefunkel ab. Nichts. Keine Kristallkugel, keine Räucherstäbchen, kein Saitenzupfen. Plötzlich schleicht eine Katze durch den Raum zu einem rötlichen Sofa voller farbig gemusterter Kissen. Die Sonnenstrahlen scheinen durch die Fensterscheibe auf den siebenarmigen Kerzenleuchter auf dem Tisch. Ein magisches Gefühl umgibt mich. Trotz allem muss ich feststellen, dass das Bild von Ast rologie und

Mystik, das in Filmen vermittelt wird, nicht mit der Realität übereinstimmt. „Es gibt auch Wahrsager mit großem Fernseher und Laptop“, schmunzelt die Kartenlegerin. Wichtig sei die geborgene Atmosphäre, damit alle Sorgen und Ängste auf den Tisch kommen. Sie gibt mir einen Einblick in ihre Arbeit und erzählt, was ihr am Herzen liegt: „Meine Aufgabe ist es, dem Menschen zu helfen, Lösungen zu finden und Krisen zu durchleben.“ Die Gegenwart und die Zukunft liegen hierbei im Fokus. Wenn Menschen immer wieder an die gleichen Probleme im Leben stoßen, führt sie Rückführungen durch. Dabei versetzt sie die Leute in Trance und blickt in deren Vergangenheit, um ihnen zu helfen, sich vom Alten zu lösen und ein freieres und schöneres Leben zu führen. Die Wurzeln des Tarots liegen im Dunkeln. Es gibt zahlreiche Legenden um die Entstehung der Karten. Man ist sich einig, dass sie in ihren Ursprüngen nicht zu Wahrsagezwecken verwendet wurden. Ob die Tarotkarten aus dem Kaiserreich China oder aus dem Land der ägyptischen Pharaonen kommen, ist unklar. Der erste Nachweis über ihre Existenz stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts. Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Decks entwickelt. Die zwei weltweit bekanntesten sind das „Rider-Waite-Tarot“ und das „Thoth-Tarot“. Sie


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sind um 1900 entstanden. Der Begriff „Tarot“ ist so unerforscht wie sein Ursprung. Man spekuliert, dass es aus dem Ägyptischem kommt (Tar = Weg, Ro = König) und für „Königlicher Weg“ steht. Noch heute ist die Kunst der Zukunftsdeutung ein umstrittenes Thema. Wissenschaftler bleiben kritisch und Worte wie „Humbug“ und „Aberglaube“ fallen da nicht selten. Solange es keine handfesten Beweise oder wissenschaftlichen Erklärungen gibt, wird diese Meinungsverschiedenheit wohl bestehen bleiben. „Es sind nun mal andere Ansichten, damit muss man klar kommen. Die Quantenphysik hat schließlich auch gezeigt, dass es mehr gibt als wir sehen und wahrnehmen können.“ Yvonne Burmann ist mit 14 Jahren auf Tarotkarten gestoßen und hielt sie für Schwachsinn. Später wurde ihr klar, dass alles eingetroffen ist, was man ihr damit vorhergesagt hatte. Damit wuchs ihr Interesse an der spirituellen Welt. Heute ist sie davon überzeugt, dass der Blick in die Zukunft immer wichtiger wird und zum Teil noch im Entstehen ist. „Es gibt kaum noch etwas, was unendlich ist und worauf man sich verlassen kann. In einer Welt, in der sich alle fünf Minuten irgendetwas ändert, ist es wichtig, dass man den roten Faden behält.“

Und das hat sie sich zur Aufgabe gemacht. Seit über 15 Jahren beschäftigt sie sich mit Problemen anderer Menschen. Sie versichert eine 99-prozentige Treffsicherheit bei ihren Deutungen. Viele, sagt sie, sind dankbar für ihre Hilfe. Aber wie steht es mit Vorhersagen um das eigene Leben? „Mir selbst lege ich die Karten ganz, ganz selten. Ich bin zu subjektiv. Es ist wie bei einem Psychologen. Der kann sich auch nicht selbst behandeln.“ Am Anfang der Zukunftsdeutung sprach man von Zauberei und der Gabe Gottes. Nur Auserwählte hatten die magische Fähigkeit in die Ferne zu blicken. Heute findet man fast überall Astrologen und Wahrsager, ob im Fernsehen, in Zeitschriften, im Rundfunk oder im weltweiten Netz. „Im Grunde genommen, kann es jeder lernen. Das Kartenlegen ist simpel, schwierig ist die Analyse. Dazu braucht man Erfahrung.“ Entscheidend ist für sie die Konzentration. Sie muss ganz bei der Sache sein und sich auf die Karten einlassen. Hokuspokus ist nicht nötig. Dabei geht es um die Psyche, unser Bewusstsein und die womöglich stärkste Kraft: den Glauben. „Die Zukunft kann man am Besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet“, sagte der amerikanische Informatiker Alan Kay.


Typisch Nur etwas andere Sachsen oder schon eine Spezies für sich? Unterwegs im „Elbflorenz“ auf der Suche nach dem wahren Wesen seiner Bewohner. Text: Ella Scholz // Foto: Nina Guder // Layout: Tim Georg Reise


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Münchner tragen Lederhosen, Berliner haben eine große Klappe – mit Geschichten über deutsche Städte-Klischees und Macken der Einheimischen könnte man Bücher füllen. Aber wie steht es mit uns Dresdnern? Wie sieht uns der Rest von Deutschland, wie sehen wir uns selbst und natürlich – gibt es einen typischen Dresdner? All diesen spannenden Fragen gehe ich auf den Grund. Dazu befrage ich Leute, die es wissen müssen – originale Dresdner und zugezogene Deutsche aus allen Himmelsrichtungen – um aus der trüben Suppe von Vorurteilen, Gerüchten und regionalen Absonderlichkeiten Verblüffendes zu fischen. Der gemeine Dresdner gehört der Familie der Sachsen an und hat somit schon wegen seines Dialektes eine Menge zu ertragen. Aber was macht einen „typischen Dresdner“ aus – die Fähigkeit, tagelang zum Schutz einer Fledermaus auf Bäumen zu campieren, eine besondere Vorliebe für Eierschecke und Christstollen oder doch das Verständnis bestimmter Ausdrücke wie „nu“ und „Gusche“? Gemeinsam mit einem Einheimischen und mehreren nicht-gebürtigen Dresdnern finde ich Antworten. Schon Umberto Eco sagte: „Die Dresdner fragen einen gar nicht, ob einem die Stadt gefällt. Sie sagen es einem.“ Es gibt wenig, das die Bewohner der Landeshauptstadt Sachsens so gut beschreibt wie diese zwei Sätze. Dennoch ist und bleibt Dresden – trotz allen übertriebenen Heimatstolzes – auch in fremden Augen eine wunderschöne Stadt. Am frühen Morgen liegt manchmal ein schwerer Nebel auf der Elbe, sodass man kaum die andere Seite zu erkennen vermag. Ansonsten zieht die Altstadtsilhouette zu jeder Tageszeit die Blicke Einheimischer und vieler Touristen auf sich. Doch während Besucher der Stadt ihre Freude über die historischen Sehenswürdigkeiten – meist von anhaltendem Kameraklicken untermalt - lautstark zum Ausdruck bringen, freut sich der wahre Dresdner

lieber still über seine wunderschöne Stadt. Ich frage drei Zugezogene aus verschiedenen Regionen Deutschlands, ob sie sich als Dresdner fühlen. Robert aus Hamburg antwortet: „Ja, weil es hier schön ist.“ Michael aus dem Ruhrgebiet hingegen fühlt sich aufgrund des ‚Sprachfaktors’ weniger wie ein Einheimischer, während David aus München sich als halber Dresdner empfindet, da er seit der Wende häufig Gast hier war und seit fünf Jahren in Dresden lebt. Wenn es darum geht, einen typischen Dresdner zu beschreiben, fallen schnell Worte wie „vorsichtig“ und „zurückhaltend“ (Neuem gegenüber), aber oft wird auch betont, dass ein Dresdner in jedem Falle seine Stadt liebt und stolz auf sie ist. Während Michael aus dem Westen Deutschlands die Dresdner als weltoffen bezeichnet, meint der Hamburger Robert, dass genau dies den Bewohnern der sächsischen Hauptstadt fehlt. Erfinderisch scheinen die Dresdner zu sein – laut www.region.dresden.de ist die Patentdichte der Stadt die höchste ganz Deutschlands! Sowohl die Kleinbild-Spiegelreflexkamera als auch Bierdeckel und sogar der BH wurde in der Hauptstadt Sachsens erfunden.

Sächsisch für Anfänger Schwer arbeiten Heimlich davonmachen Weinen Mund Kleinigkeiten Etw. verlieren Herrjemine Etw. ohne Ziel/ Ergebnis machen


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Wenn es um weniger schöne Attribute der Dresdner geht, wird angeführt, wir seien zänkisch, (einige) engstirnig und bei Kritik schnell beleidigt. Letzteres ist natürlich unmöglich, Dresdner können höchstens „diggsch’n“! Dass Elbe und Elbwiesen wichtig für alle Bewohner Dresdens sind, ist auch für unsere Befragten klar, wobei David aus Bayern die Verbundenheit mit dem Fluss auf die Uferbewohner einschränkt. Dass es für Münchner und Bewohner des Ruhrgebiets in Dresden etwas zu lernen gibt, zeigen die Antworten auf die Frage nach von Dresdnern gelernten sächsischen Worten. Das klassische „nu“, sowie „bebbeln“ und „geht gar nieeeeeee“ haben sich die Herren aus dem Westen und Süden Deutschlands angeeignet. Bei Robert aus Hamburg besteht da ganz klar noch Handlungsbedarf, denn außer „Blödmann“ schien er keine sächsischen Vokabeln zu kennen. Hoffen wir, dass die Unkenntnis des Dialekts mit unserem kleinen Vokabelkasten ein wenig gemindert wird. Bei einem Interview mit einem originalen, gebürtigen Dresdner und einem

Mann der Sprache, eröffnen sich vollkommen neue Sichten auf das Thema. An der Schauburg treffe ich Thomas Jurisch – Poetry Slammer und stadtbekannte Persönlichkeit der Dresdner Kleinkunstszene – um auch ihn zum Thema ‚Dresden und seine Bewohner’ zu befragen. „Sind Sie stolz, Dresdner zu sein?“, frage ich. Er blickt überrascht auf. „Auf jeden Fall! Sonst wäre ich schon längst weggezogen. Ich hab’s ein paar Mal probiert, aber mein Herz schlägt definitiv für Dresden.“ „Warum?“ „Na, weil man hier alles, was man will, auf engstem Raum hat: Kultur, Vergangenheit, Zukunft, Kunst, Musik.“ Er grinst und seine Augen blitzen belustigt. „Ich kenn’ hier jeden Stein persönlich, ich kenn’ hier jedes A****loch, dem ich aus dem Weg gehen kann.“ Damit ist mir Thomas Jurisch um einiges voraus. „Halten Sie sich für einen typischen Dresdner?“ „Absolut“, sagt er fest und jetzt ganz in seinem Element. „Or, das is ne escht miese Frache – nu gloar! In Dresden-Mitte geboren, die Sproache bis zum letzdn augegosted – rischtsch viehsch. Uorst, ey! Dass hier die Wertevermittlung noch stattfindet: Uorst, Knorke, Fetzsch!“


„Was schätzen Sie besonders an den Dresdnern?“ Er beugt sich vor und reibt nachdenklich sein Kinn. „Die Warmherzigkeit, die Offenheit, der liebevoll verschusselte, leicht dümmlich wirkende Duktus. Und trotzdem frech, verschmitzt und immer mit einem kleinen hinterhältig-frechen Gedanken. Die Art zu sprechen, die Art auf Menschen zuzugehen. Ich lieb’ sie weil ich selber so bin – ein kleiner, schusseliger Sachse, der mit warmem Herzen die Menschen in den Arm nimmt und sagt: Nu komm her, lass uns ma bissl guscheln, de siehst so draurisch aus, mei Gleener!“ Ein Mann der Sprache – logisch, dass der Gangleader des Poetengeflüsters monatlich in der Schauburg auftritt. Als ich ihn frage, was er für eine schlechte Angewohnheit der Dresdner hält, wird er ernst. „Dass seit einigen Jahren immer mehr aufkommende ignorante Verhalten untereinander. Das ist extrem deutsch geworden in den letzten Jahren, aber Dresden ist trotzdem immer noch eine der warmherzigsten Städte.“ „Wie stehen Sie zum sächsischen Dialekt?“ „Nu, astrein! Ich bin einer der wenigen Verfechter dieser herrlichen Aussprache. Seltsamerweise, egal wo ich in Deutschland auftrete, man hörts mior ja an und isch gäb mior ja och Mühe, dass mans eischendlisch ni hörd! Und dieser liebevolle sächsische Dialekt macht mich scheinbar irgendwie sehr freundlich. Hast du mal einen richtigen sächsischen Dialekt wütend gehört? ‚Du härrisches bleedes

Eumel! – Halte di bleede Gusche, du Honk!’ Das nimmt doch keiner für voll!“ Ich konfrontiere ihn mit genannten schlechten Eigenschaften der Dresdner: zänkisch, engstirnig und schnell eingeschnappt. Er wirkt richtiggehend entsetzt. „Woaaaaas?!“, Jurisch reißt die Augen auf. „Was sagen Sie dazu?“, frage ich schmunzelnd. „Stimmt!“ Er lacht. „Nee, Quatsch. So ein Unsinn. Wer sagt denn so etwas? Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Wir sind liebevoll, kuschelig und hilfsbereit. Und nicht zänkischer als andere in Deutschland.“ Ich mustere seinen Aufzug. „Was trägt der typische Dresdner?“ „Unterbekleidung, Oberbekleidung, Schuhe. Das ist ja wohl eine ganz verrückte Frage. Stilistisch gesehen – querbeet!“ Schlussendlich lässt sich über den typischen Dresdner nur eines sagen: Er existiert nicht. Es gibt wohl einige typische Dresdner Macken, aber die Mentalität hängt vor allem vom Stadtteil ab. Denn von Altstadt-Rentnern über Neustadt-Ökos bis hin zu den ganz Entspannten in Striesen findet man eine unglaubliche Vielfalt an verschiedenen Wesensarten. All diese individuellen Charaktere plus einige stadttypische Marotten ergeben einen waschechten Dresdner. Und alle sind sich einig, dass ein echter Dresdner vor allem eines ist: verliebt in seine Heimatstadt!


R edak ti o n

Text

Ella Scholz 15 Jahre

Finn Eric Klohn 12 Jahre

Thuy D. Nguyen 16 Jahre

Zaza L. Goerges 12 Jahre

Jenny Gruhl 13 Jahre

Nina Guder 14 Jahre

Viktoria Hofmann 18 Jahre

Joschka K. Pf端tze 15 Jahre

Klara M. Klappauf 14 Jahre

Lisa Marie Keller 15 Jahre

Foto

Felicitas Wenzel 14 Jahre

Layout

Tim Georg Reise 15 Jahre


Impressum | 21

Nele Bemmann Praktikantin

Viola Zetzsche Chefredakteurin

Lisa Dres Art-Director

Fara Ph. Zetzsche Photo-Director

I mp r essum

Heißes Pflaster - das Jugendmagazin der Medienschmiede Dresden Von Jugendlichen für Jugendliche, die etwas zu sagen haben.

Die Medienschmiede Dresden ist ein freier Bildungsträger für Jugendjournalismus zur Förderung der kommunikativen und medialen Bildung und Weiterbildung von Jugendlichen im Bereich Fotografie, Layout, journalistisches Schreiben und Medienkommunikation. Das Projekt wird gefördert durch die Europäische Union und den Freistaat Sachsen. Kontakt: Florian-Geyer-Straße 36 | 01307 Dresden Tel.: 0351 5637740 mail@medienschmiede-dresden.de www.medienschmiede-dresden.de

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Titelbild: von Nele Bemmann

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