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AUSGABE 02 FEBRUAR 2016



Anfang der Woche fanden wir 17 uns neugierig in einem Raum zusammen. Alle hatten wir ein bestimmtes Ziel: Ich will als Schreiber, Fotograf oder Layouter am Magazin Heißes Pflaster Naturell mitwirken! Die anfängliche Schüchternheit wurde schnell durch Spiele mit dem Sozialpädagogen Sascha und der Kunstpädagogin Yvonne überwunden. Nun war es an der Zeit, Themen und dazugehörige Teams zu bilden. – Schnell getan, denn viele unter uns Jugendlichen brachten Themen und Problemstellungen mit, die uns interessierten. Doch wie viel Arbeit hinter der Erstellung eines Magazins steckt hätte wohl keiner von uns gedacht. Während unserer Arbeit als Schreiber, Fotograf oder Layouter flossen Schweiß, Blut und Tränen…. Na ja, nicht ganz. Der Schweiß floss definitiv, doch nur vor

Anstrengung: Interviewpartner finden, schreiben, Piktogramme erarbeiten, Fotomotive finden, bearbeiten, ständig in Bewegung sein – und auch noch etwas über sich selbst und seine eigenen Leistungspotenziale herausfinden. Kurz gesagt: Neues Lernen. Trotzdem hatten wir alle Spaß, nicht nur an der Arbeit. Auch die Abende auf dem Herbergsboot D. Pöppelmann mit Yvonne waren voller Vergnügen und Schabernack, Yoga und Entspannungsübungen. Nun sind wir stolz das fertige Magazin in den Händen zu halten und mit allen Lesern und Leserinnen teilen zu können. Wir, das gesamte Team von Heißes Pflaster Naturell, wünschen viel Spaß beim Lesen! Amélie Fromm


GruĂ&#x;wort

ObdachlosigkeitWenn die Parkbank zu Schlafplatz wird Wir haben uns sicherlich alle schon einmal gefragt, wie man eigentlich obdachlos wird. Diese Frage und wie Obdachlosen in Dresden geholfen wird, versuchen wir

hier zu beantworten.

Exorzismus Die meisten kennen das Phänomen nur aus Horrorfilmen. Wird Exorzismus heute noch praktiziert und was ist eigentlich ein Besessener? Wir wagen eine Spurensuche und fragen einen evangelischen Pfarrer und Gymnasiallehrer.


Dynamo starke Fans!? Inwieweit hängt das Verhalten der Fans von der Spielleistung des S. G. Dynamo Dresden ab und welche Rolle spielen die Fans für die Spieler?

Birne weich und Schluss? Crystal ist eine der am häufigsten konsumierten Drogen. Warum? Gibt es Wege aus der Sucht und was passiert mit dem Körper eines Süchtigen? Wir treffen eine Krankenschwester der Psychiatrie am Dresdner Uniklinikum.

Klamotten hoch drei Dass sich unser Kaufverhalten verändert hat, haben wir wohl alle gemerkt. Aber warum wir so viel und billig einkaufen, können sich wenige erklären. Unser Beitrag sucht Antworten.

Redaktionsteam Impressum


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Text: Charlotte Lanz Gestaltung: Tyra Eisermann Fotos: Maja Burkhardt

Man stelle sich eine Straße vor. Eine Straße, auf der täglich Hunderte von Menschen entlanggehen. Mittendrin sitzt ein Mann auf einer Decke mit einem Hund im Schoß. Alle gehen schnell und zielstrebig und doch machen sie einen Bogen um diese bestimmte Stelle an der Hauswand, wo er sitzt. Man hätte ihn für einen Studenten halten können, wären da nicht die schmutzigen Sachen und der große Beutel, gefüllt mit leeren Plastikflaschen. Und läge da nicht der Hut, in dem einige Münzen sind.

Möglich, dass der Mann obdachlos ist, ein Mensch, der seine Wohnung verloren hat. Ist der Himmel sein Dach über dem Kopf? In Dresden leben derzeit geschätzt 260 Menschen ohne festen Wohnsitz. Sie schlafen in Bahnhöfen, Unterführungen, Hauseingängen oder Fußgängerzonen. Die Gründe dafür sind sehr verschieden. Eine Ursache sind familiäre Probleme wie Trennung oder Scheidung. Bei manchen Menschen sind akute oder chronische Erkrankungen, psychische Probleme und Süchte Schicksalsschläge, die sie obdachlos werden lassen. Schuld können auch finanzielle Probleme wie zum Beispiel Schulden oder der Verlust


der Arbeit sein. Betteln scheint ein Ausweg. Doch tatsächlich bettelt nur die Minderheit der Obdachlosen. Die meisten versuchen sich anders über Wasser zu halten. Natürlich gibt es unter den obdachlosen Menschen auch eine Minderheit, die es auf illegalem Wege versuchen, zum Beispiel mit Diebstahl. In Dresden ist es längst nicht so, dass Obdachlose keinerlei Hilfe bekommen. Vor allem die Diakonie stellt verschiedene Angebote zur Verfügung. Zum Beispiel gibt es eine Fachstellenberatung, wo besprochen wird, wie man der Not ausweichen oder entkommen kann. Überdies werden auch Beschäftigungen für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten und Hilfen zur Rechtsdurchsetzung angeboten. Ein herausstechendes Angebot sind die Tagesaufenthaltsstätten wie die Wohnungslosenhilfe. Hier haben Obdachlose die Möglichkeit, Wäsche zu waschen, zu essen und sich neue Sachen zu beschaffen, unter anderem Kleidung und Schlafsäcke.

Ferner gibt es im Winter ein Kältehilfeprogramm, wobei Busse Obdachlose bei Minusgraden in eine geeignete Notunterkunft bringen. Zusätzlich werden in den kalten Monaten Nachtcafés von christlichen Kirchgemeinden organisiert. Davon befinden sich sieben in Dresden – eins für jeden Wochentag. Sie sind allnächtlich vom 1. November bis zum 31. März geöffnet. Adriana Teuber arbeitet für den Verein Diakonisches Werk - Stadtmission Dresden. Sie ist Kirchen- und Sozi-


alarbeiterin und betreut auch das zugehörige Nachtcafé. Das Café ist eine Ruhemöglichkeit für Obdachlose. Hier gibt es Nachtlager und Getränke. „Die Obdachlosen erhalten bei uns ein warmes Abendessen und ein gemeinsames Frühstück.“ Obendrein haben sie die Möglichkeit, ihre Kleider zu reinigen und zu trocknen. „Witterungsabhängig haben wir 15 bis 25 Gäste. Damit ist unsere Kapazität aber auch schon erschöpft. Wir leben ausschließlich von Spenden.“ Im Rahmen des Projektes der Straßenzeitung drobs arbeitet Anne Fekete als Sozialarbeiterin. Wir haben sie und die drobs-Verkäuferin Sylvia Gumpert um ein Interview gebeten, das wir neben dem Kaufhaus „Karstadt“ führen. Auf die Frage, was drobs für sie bedeutet, antwortet Anne Fekete: „Drobs ist in erster Linie eine Straßenzeitung für

Menschen, die langzeitarbeitslos oder wohnungslos sind. Wir haben Hartz-IV-Empfänger/innen, auch EU-Rentner/innen und einfach Leute, die sich ein bisschen dazuverdienen wollen, mal Tagesstruktur brauchen und andere Leute treffen wollen. Es geht ja nicht nur um den Verbrauch. Wir haben auch einen offenen Treff, eine Schreibwerkstatt, eine Fotowerkstatt. Also alles, wo man sich trifft und sich austauschen kann. Zum Beispiel bei gemeinsamen Ausflügen.“ Von Sylvia Gumpert wollen wir wissen, wieso sie sich für die Unterstützung von Obdachlosen engagiert. Sie erzählt uns, dass sie beim Arbeitsamt ein Prospekt der Straßenzeitung gesehen und sich dort beworben hat. „Ich habe klein angefangen, an der Dreikönigskirche – mit Begleitschutz. Ich hatte auch Schwierigkeiten. Manche haben mich beschimpft. Ich habe gelernt, einfach auf Durchzug zu stellen. Die Menschen können schon sehr bösartig sein. Da machst du eine Arbeit und dann wirst du beschimpft. Inzwischen bin ich beliebt - in der drobs und auch bei meiner Kundschaft. Ich habe meine Stammkunden. Und viele sagen: „Na das ist ja schön, was Sie da machen.“ „Warum, denken Sie, gibt es Menschen, die ihre jetzige Situation nicht verbessern möchten?“, frage ich die beiden Frauen. „Manche fühlen sich alleingelassen“, antwortet Sylvia Gumpert. „Da ist der Weg zum Alkohol nicht


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weit. Andere haben Angst davor, Hilfe anzunehmen oder schämen sich.“ Anne Fekete bestätigt: „Das ist die Schwierigkeit. Wenn man wieder in einer Wohnung ist, muss man in der Lage sein, seinen Alltag in die Hand zu nehmen. Man muss fähig sein, in dieser Wohnung zu leben, ohne sie ‚zuzumüllen‘ und die Miete rechtzeitig bezahlen. Für manche ist das eine so große Schwierigkeit, dass sie tatsächlich besser in solchen Übergangsmöglichkeiten aufgehoben sind.“ „Gibt es Orte, an denen Obdachlose bleiben können?“ Sylvia Gumpert sieht auf die drobs-Zeitschriften in ihrer Hand. „Ja“, sagt sie. „Nachtcafés und Suppenküchen zum Beispiel. Dort können sie ein bisschen schlafen und essen. Klar kostet das etwas. Zwar wenig, aber auch das muss man erst einmal zusammenkriegen.“ „Wie hoch schätzen Sie die Analphabetenrate unter den Obdachlosen?“ Anne Fekete antwortet: „Also ich glaube nicht, dass die Rate höher ist als in der durchschnittlichen Bevölkerung. Wir haben unter den Verkäu-

fern Menschen, die studiert oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Also das hat mit dem Bildungsgrad manchmal überhaupt nichts zu tun.“ Wege aus der Obdachlosigkeit Im Wesentlichen ist es die Aufgabe des Ordnungsamtes, Obdachlose – so gut es geht – aus dem Stadtbild zu holen. Laut obdachlosigkeit.de stehen Notunterkünfte zur Verfügung. Dort kommen Obdachlose für zwei bis drei Nächte unter. Später wird ihnen eine Übergangsunterkunft zugewiesen, für die sie nur eine sehr geringe Miete zahlen. Falls die Obdachlosen gute Führung beweisen und regelmäßig Miete zahlen, können sie einen Antrag auf eine Wohnung stellen und mit Glück und Geduld bekommen sie nach einiger Zeit ihre eigene Bleibe und sind nicht mehr obdachlos. Spenden für Diakonisches Werk Stadtmission Dresden e.V.: www.diakonie-dresden.de/spenden-helfen.html


Text: Anna Porstendorfer Gestaltung: Jonas Weigl Fotos: Tabea Baubkus, Anne-Sophie Bürger Ein Mädchen liegt schmerzverzerrt und schreiend auf einem Bett, ein Priester hält ihr ein Kreuz entgegen. Alle Dabeistehenden sehen „das Böse“ in ihr. Sie halten sie für eine „Besessene“ und wollen es ihr austreiben. Mit Exorzismus. Eine absurde Vorstellung, dass sogenannten „Bessenenen“ durch befremdliche Rituale Dämonen ausgetrieben werden sollen. Im Internet finde ich einen Film, in dem jemand während einer Beschwörung schwebend dargestellt ist. Allein das Wort „schweben“ führt bei mir zu Kopfschütteln und Fragen. Angeblich können Dämonen oder der Teufel durch leichtfertige Beschwörungen eingeladen werden –

wenn man an solche Wesen überhaupt glaubt. Als Symptome einer Besessenheit werden in dem Film unter anderem Übelkeit und Erbrechen gezeigt, krampfhafte Bewegungen und das zwanghafte Aussprechen von Schimpfworten. Eigentlich unmöglich, das so etwas echt sein kann, oder? Klar ist: Es gibt Leute, die daran glauben und nach wie vor Exorzismen durchführen. Der Begriff „Exorzismus“ bedeutet schlicht und ergreifend „Austreibung“. Zum Beispiel die Austreibung von bösen Geistern, Dämonen oder dem Teufel aber auch von Hitler und anderen negativen Personen. Um mehr zu erfahren, habe ich den Pfarrer und Gymnasiallehrer Dr. Markus Sasse befragt. Er beantwortete meine Fragen per E-Mail:


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In der Reformierten Kirche war Exorzismus nie ein Thema. Welche Gründe hat das? (…) Das hat etwas damit zu tun, dass man die eigenen Amtsträger nicht als geweihte Machtrepräsentanten versteht, sondern eher als professionell gut ausgebildete Seelsorger und Prediger. Im evangelikalen und charismatischen Bereich gibt es nach wie vor Exorzismen auch im evangelischen Bereich – mit steigender Tendenz. Es werden sogar Kurse für Jugendliche angeboten. Wie wird Exorzismus in der katholischen Kirche gehandhabt? Da gibt es ein exakt ausgearbeitetes Formular mit festgelegten Sprüchen, nach dem vorgegangen wird. Nicht jeder Priester kann sowas, dazu bedarf es einer speziellen Ausbildung. In Medien werden Besessene oft verrenkt, schmerzunempfindlich und oder schwebend dargestellt. Wie kommt das? Das hat etwas mit den Erwartungen der Zuschauer zu tun. Man möchte sich gruseln und erwartet übersinnliche Phä-

nomene. In den biblischen Geschichten geht es mehr um das Leid, das dem Besessenen von seinem Dämon zugefügt wird und darum, dass die Besessenen von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Gibt es in der Bibel Verweise auf die Austreibung von „Besessenheit“? Von Jesus werden einige Exorzismen berichtet. Die bekannteste Geschichte ist wahrscheinlich die Heilung des Besessenen aus Gerasa in Markus 5. Da treibt Jesus den bösen Geist aus dem Besessenen, der sich Legion nennt, aus und lässt ihn in eine Schweineherde fahren, die daraufhin in den See stürzt. (…) Insgesamt geht es darum, dass Jesus die Besessenen aus der Gefangenschaft der bösen Mächte befreit,


damit sie sich wieder am Gottesdienst (Kult) beteiligen können und wieder in die Gemeinschaft ihrer Mitmenschen integriert werden. Es geht um den Gegensatz guter Geist und böser Geist. (…) Denken Sie, dass es vom Teufel oder von Dämonen Besessene gibt oder sind es nur nervlich bedingte Störungen wie z.B. epileptische Anfälle? Ich glaube nicht, dass es so etwas gibt. Ich kann aber gut verstehen, warum sich die Leute damals das merkwürdige Verhalten ihrer Mitmenschen so erklärt haben. Wir würden das wohl heute eher als psychische Erkrankungen erklären. Es geht ja dabei um den vollständigen mentalen Kontrollverlust und nicht um nervlich bedingtes Zucken oder epileptische Anfälle. Was waren die Gründe für Exorzismus in der Entstehungszeit? Der antike Mensch verstand sich nicht als autonom. Er verstand Macht grundsätzlich personal. Wenn sich jemand ungewohnt verhielt, nahm man an, dass jemand anderes Macht über ihn ausübt. Und dieser andere steckt in ihm drin. In unserer Sprache hat sich dieses Menschenbild noch erhalten. Wir reden von Selbstbeherrschung oder sagen, dass wir je-

manden nicht wiedererkennen. Auch die Rede vom Einfluss auf jemanden stammt aus der Besessenheitsvorstellung. Anneliese Michel Im Internet unter wikipedia.org finde ich die Geschichte einer Frau, die von 1952 bis 1976 lebte. Anneliese Michel ist streng katholisch aufgewachsen und starb an Unterernährung, nachdem bei ihr 67mal Exorzismen durchgeführt wurden. Seit 1968 litt sie an Krampfanfällen, später auch an Depressionen. Ihr sollen teuflische Fratzen erschienen sein und sie soll Stimmen gehört haben. 1973 soll Michel erstmals über ein beständiges Klopfen im Schrank, unter dem Fußboden und über der Zimmerdecke geklagt haben; zudem hätten Stimmen zu ihr aus der Hölle gesprochen. Die Betreuerin einer Wallfahrt an der Michel teilnahm kontaktierte den Pfarrer Pater Adolf Rodewyk. Nach einem Gespräch mit Anneliese vermutete er Besessenheit. 1975 sprach der Pfarrer Ernst Alt einen ersten Exorzismus (einen sogenannten Exorzismus probativus) über sie. Sie fastete, aß Insekten und trank Urin. Während Exorzismen


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im Allgemeinen als Schutz vor dem Bösen dienen sollen, ist der große Exorzismus als Ritus für die Teufelsaustreibung an Besessenen vorgesehen. Bis zu ihrem Tod wurden an ihr exorzistische Sitzungen nach dem großen Ritus durchgeführt. Anneliese Michel soll während der Austreibungen mit stark veränderter Stimme gesprochen und unerwartet Worte gesprochen haben wie etwa am Tourette-Syndrom erkrankte Menschen. Tatsächlich hat sie laut Gutachten der Nervenklinik der Universität Würzburg an einem epileptischen Anfallsleiden gelitten. Ihre extreme Magersucht hat zum Tode geführt. Frau stirbt an Teufelsaustreibung Laut Frankfurter Rundschau und Pressemitteilung der Frankfurter Staatsanwaltschaft wurde eine 41-jährige Frau aus Korea im Dezember 2015 von ihrer eigenen Familie im Frankfurter Interconti-Hotel zu Tode gefoltert. Danach gingen die Täter davon aus, dass sie vom Teufel besessen sei und wollten einen Exorzismus an ihr durchführen. Um ihre Schreie zu

ersticken hatten ihr die Täter ein kleines Handtuch und einen Kleiderbügel in den Mund gesteckt. Unter ihnen sollen der Sohn der Betroffenen gewesen sein. In einer Sendung des Bayrischen Rundfunk erzählt Heike H. von einem Wesen, das nachts auf ihr sitzt und ihr die Luft abdrückt. Ich frage Christin Pfeiffer danach. Sie ist Krankenschwester in der Psychiatrie der Universitätsklinik Carl Gustav Carus in Dresden: „Welches Krankheitsbild haben solche Patienten?“ „Zum Beispiel Platzangst und Halluzinationen. Auch Menschen mit Schizophrenie können so etwas erleben.“ Exorzismus wird in heute anders gehandhabt als in der Zeit der Entstehung. Während damals Menschen mit psychischen Störungen als Besessene vom Teufel abgestempelt wurden, werden ihre Krankheiten heute meist anerkannt. Natürlich gibt es immer noch Fehleinschätzungen religiös motivierter Menschen. Ob man an Teufel, Dämonen oder Einhörner glaubt, ist jedem selbst überlassen. Doch das sollte nicht dazu führen, dass man Menschen so schadet oder sie sogar tötet, wie bei Anneliese Michel und den anderen Fällen beschrieben.


Text: Kevin Richter Gestaltung: Marvin Richter Fotos: Oliver Börner

Das Dresdner Fußballstadion leuchtet in den schwarz-gelben Farben. Das größte Banner Europas wird von rund 58.000 Händen nach oben gehalten. Darauf prangen der Schriftzug „Die Legende aus Elbfl orenz - mit den besten Fans“ und das DynamoZeichen. Alles bis auf ein kleiner Teil des Gästeblocks ist von diesem Banner bedeckt. In diese Choreografie hat die aktive Fanszene der SG Dynamo Dresden mehr als 20.000 Euro und fast zweieinhalb Jahre Arbeit gesteckt. Alle Fans des Dynamo Dresden wurden aufgerufen, zu spenden.

Wer hätte gedacht, dass die Dynamo-Fans, in diesem Fall die Ultras, die überschüssigen Einnahmen an Bedürftige weiterreichen. Tatsächlich haben sie mit ihrem „Projekt X“, also der Stadion-Choreografie der Dynamo-Fans zum Heimspiel gegen Magdeburg, Geldmittel eingeworben. Danach ist alles, was nicht für die Choreografie draufgegangen ist, für besonders Hilfsbedürftige in der Landeshauptstadt gespendet worden. Zum Beispiel, um Kindern in der Uni-Klinik Geschenke zu Weihnachten zu kaufen und um Menschen in Pflegeheimen eine Freude zu bereiten.


Fakt ist, dass die meisten Dresdner Fans nicht so ticken, wie Medien bzw. Nachrichten uns oft vor Augen halten. Anfang 2003 wurde ein Fanprojekt „Dresdner Fans“ gegründet, welches Jugendlichen und Erwachsenen zwischen zwölf und 27 Jahren die Möglichkeit gibt, an Graffiti-Workshops, Ferienprogrammen oder sogenannten „U-18-Fahrten“ teilzunehmen. Faninitiativen gegen Rassismus für Toleranz und ein Projekt gegen Pyrotechnik bildeten sich zum Beispiel. Außerdem geht es den Ultras, anders als den Hooligans, um gemeinsame Auswärtsfahrten, Choreografien und die Stimmung. Doch inwieweit können Fans die Spielweise ihrer Mannschaft beeinflussen? In der Saison 2009/10 spielte Dynamo Dresden weit in der unteren Tabellenhälfte der 3. Liga. Randalen und Zwischenfälle häuften sich. Durchschnittlich kam es in jedem fünften Spiel zu Krawallen. In der darauffolgenden Saison lief es bis zur Winterpause auch nicht sehr viel besser. Unter dem neuem Trainer Ralf Loose schaffte Dynamo 2011 die Sensation: den Aufstieg in die 2. Bundesliga. Trotzdem kam es noch in jedem sechsten Spiel zu einem Zwischenfall durch Fans. Aber warum? Wer kann diese Frage besser beantworten als ein Fan oder ein Spieler des SG Dynamo Dresden? Wir hatten ein Interview mit einem Dynamofan und dem Profifußballer Justin Eilers.

Wir fragen den Unterstützer: „Was ist für Sie das Beste an Dynamo Dresden?“ „Das Beste an Dynamo Dresden ist für mich die Leidenschaft der Fans. Wie sie hinter der Mannschaft stehen in guten wie in schlechten Zeiten. Das macht es für mich aus.“ „Inwieweit können Fans die Spielweise ihrer Mannschaft beeinflussen?“, will ich von ihm wissen. „Ich denke schon, dass sie die Spielweise beeinflussen können“, antwortet er. „In gewissem Maß. Also wenn die Fans unsicher sind, kann es sich auf die Spieler auswirken und umgedreht. Fans können aber auch der Mannschaft helfen, mehr Selbstbewusstsein zu erlangen, um ein besseres Spiel abzuliefern.“ „Über Randalen von Dynamo-Fans wurde in den


vergangenen Jahren sehr viel in Medien berichtet. Warum jetzt nicht mehr?“ „Ich denke, dass der Verein da sehr viel mit daran gearbeitet hat, zum Beispiel durch die Öffentlichkeitsarbeit und durch die Fanarbeit in verschiedenen Fanclubs. Der zweite Punkt wird aber auch sein, dass durch die Medien die Randalen oft anders dargestellt wurden.“ Er überlegt. „Also ich gehe jetzt schon seit 20 Jahren ins Stadion, also damals noch das alte, und da gab es selten Ärger. Meistens waren die Randalen auswärts und ich denke, dass es auch von Auswärtigen, die keine Dynamo-Fans sind, genutzt wurde.“ Das wäre eine mögliche aber nicht die einzige Erklärung, warum Randalen oftmals bei Auswärtsspielen stattfanden. Ein Fan kann nur ahnen, wie er die Mannschaft beeinflusst. Wir haben bei einem Training des SG Dynamo Dresden im großen Garten zugesehen und sprachen mit dem Dynamo-Spieler Justin Eilers: „Wie, glauben Sie, beeinflussen Fans die Spielweise des Dynamo Dresden?“ „Ich denke schon, dass die Fans einen großen Einfluss auf die Spielweise haben. Jeder Fußballer

wünscht sich ein lautstarkes Publikum, ein Publikum, dass immer hinter der Mannschaft steht, natürlich auch ein volles Stadion. – Das spornt natürlich schon ein Stück weit mehr an.“ „Warum, denken Sie, spielt Dynamo gerade so gut in der Liga mit? Liegt das am Trainer oder an der Mannschaft?“ „Ich denke, der Trainer hat den gleichen Anteil am Erfolg wie wir. Außerdem haben wir eine große Qualität in der Truppe und der Trainer hat eine Menge Erfahrung, die er uns Tag für Tag beibringt“, erklärt er stolz. „Ich denke, das passt gut zusammen.“ Schlussendlich wollen wir wissen, was bisher die Höhepunkte in seiner Karriere waren. „Letztes Jahr die Pokalspiele gegen Schalke oder auch gegen Dortmund oder auch die Riesenchoreografie letztes Jahr gegen Magdeburg mit der großen Blockfahne. – Ja, so etwas wird man nicht vergessen.“ Dass Fans pfeifen oder die Unterstützung ihres Teams verweigern, sobald diese nicht so spielen wie gewünscht, ist selbst in der 1. Bundesliga Alltag. Dabei geht es nicht darum, dass die Mannschaft gewinnt, sondern das Bestmögliche aus sich herausholt und kämpft. Ein Fan, der beim SG Dynamo Dresden e.V. arbeitet hat sich auf unsere Anfrage per E-Mail zu seinen Wünschen für Dynamo geäußert. Dabei ging es allerdings nicht um den Aufstieg in die 1. Bundesliga. Nein, für ihn sind eine solide Saison, eine gleichbleibende Fankultur und fi nanzielle Unabhängigkeit realistische Träume. Allerdings gibt es beim SG Dynamo Dresden auch einige Hooligans, die für öffentliche Aufmerksamkeit besonders in den Medien sorgen. Sie rücken den Verein damit in ein schlechtes Licht. Laut der Zeitung Die Welt sind einer Schätzung der Polizei


zufolge bloß circa fünf Prozent aller Dynamo-Fans tatsächlich Hooligans. Durch sie kommt es zu Auseinandersetzungen und Krawallen. Doch die Randalen blieben nicht ungeahndet. Dynamo stieg in der Saison 2013/14 in die 3. Liga ab. Von 2009 bis 2014 musste der SG Dynamo Dresden e.V. ca. 92.000 Euro Strafgeld zahlen. Grund: Diskriminierungen, Bengalo- und Rauchbombeneinsätze und Feuerzeuge, Bierbecher oder Glasflaschen, die auf Schiedsrichterassistenten bzw. den Rasen geworfen wurden. Darüber hinaus entstanden Sachschäden von 70.000 Euro. Es gab Platzsperren, Spielunterbrechungen, Geisterspiele ohne Zuschauer und sogar einen Ausschluss von Dynamo vom DFB Pokal.

Wenn man den Verlauf solcher Randalen oder Auseinandersetzungen betrachtet, stellt man fest, dass sie inzwischen stark zurückgegangen sind. In der Saison 2015/2016 gab es noch keine größeren Auseinandersetzungen. Haben die Hooligans aus ihren Fehlern gelernt? Haben sie gemerkt, dass ein Verein auf ihre Fans setzt? Oder ist es ihnen egal, jetzt wo SG Dynamo Dresden allen große Aufstiegshoffnungen macht? Die Spieler können sich glücklich schätzen, dass ihr Fußballverein eine so starke Nordtribüne (K-Block) im Rücken hat. Denn „Wenn‘s bei Schwarz-Gelb auch einmal nicht so rollt, [die] Fans sind [ihnen] treu wie Gold“. (Zitat: Dynamo Hymne „Der 12. Mann“ 2. Strophe.)


Text: Lucas Hopp Gestaltung: Sergej Grezinger Fotos: Otto Benthaus Sie hat müde Augen, einen ernsten Blick. Ihre Haut ist voller Schürfwunden, Falten und Leberflecken. Am Hals hat sie eine größere Verletzung. Die Frau sah vor zweieinhalb Jahren noch ganz anders aus. Auf drug freeworld.org finde ich jeweils ein VorherNachher-Bild einer etwa Dreißigjährigen, die von Crystal abhängig ist. Man könnte es für harmloses Salz halten. Aber es macht besonders schnell abhängig. Experten halten es inzwischen für die gefährlichste Droge der Welt. Crystal Speed ist ein Rauschmittel, das heute als weißes, kristallines Pulver verkauft wird.

Unter dem Namen Pervetin wurde es bis in die Vorkriegszeit als Psychopharmaka vertrieben (druginfopool.de). Danach wurde es während des Zweiten Weltkrieges von Soldaten der deutschen Wehrmacht als Muntermacher zur Leistungssteigerung eingesetzt. Heute wird Crystal durch die Nase geschnupft, geraucht oder inhaliert. Außerdem wird es mit Spritzen injiziert, was die Gefahr von Infektionen mit sich bringt. Wie kommt Crystal nach Sachsen? Medien zufolge stoßen Ermittler immer häufiger auf die Modedroge Crystal Meth. Bisher ging man davon aus, dass der Stoff aus Tschechien kommt. Anfangs wurden von dort aus Bayern, Thüringen


und Sachsen überschwemmt. Inzwischen ist es in ganz Deutschland verbreitet und es gibt längst Hinweise auf Labore in der Lausitz. Das Bundeskriminalamt berichtete von Ermittlungserfolgen: Anfang November 2014 beschlagnahmten Beamte des Bundeskriminalamt 2,9 Tonnen Chlorephedrin, geeignet zur Herstellung von rund 2,3 Tonnen Crystal mit einem geschätzten Straßenverkaufswert von 184 Millionen Euro. Aktuelleres dazu finde ich nicht. Welche Folgen hat der Konsum? Die Stadt Berlin warnt auf ihrer Homepage berlin.de: Schon der einmalige Konsum von Crystal Meth kann süchtig machen. Demnach macht die synthetische Droge, die zu den Meth-Amphetaminen gehört, euphorisch, steigert das Selbstwertgefühl, nimmt Grundängste und unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Schmerzen. Der Konsum führt zur schnellen psychischen Abhängigkeit. Crystal Meth Konsumenten berichten oft, dass sie schon nach kurzer Zeit die Kontrolle verlieren. Ihre Entzugserscheinungen empfinden sie als unerträglich. Wieso nehmen es so viele Jugendliche? Während laut Kriminalstatistik der Drogenkonsum in Deutschland 2011 allgemein rückläufig war, hatte sich der Erstkonsum von Meth fast verzehn-

facht. 2014 war die Zahl der polizeilich erfassten Fälle von Rauschgiftkriminalität im Vergleich zum Vorjahr um fast 10 Prozent gestiegen und hat mit 276.734 Fällen wieder das Niveau des Jahres 2005 erreicht. Während die Anzahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Konsum von Heroin, Kokain und Crack seit Jahren zurückgeht, steigt die Anzahl der Todesfälle nach dem Konsum von Amphetaminen und Metamphetaminen. Aktuelle Zahlen fehlen leider. Ich habe mit Christin Portstendorfer gesprochen. Sie ist Krankenschwester in der Psychiatrie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus. „In welchem Zustand befinden sich die Leute, die Crystal Meth nehmen, wenn sie zu Ihnen kommen?“ „Meistens sieht man den Leuten nicht an, dass sie Drogen nehmen. Manche kommen freiwillig, weil sie in ihrem Alltag nicht mehr klarkommen und einen Entzug machen wollen. Andere werden von der Polizei gebracht weil sie halluzinieren oder nackt durch die Stadt rennen. Das ist sehr unterschiedlich.“ „Es gibt also auch Leute, die freiwillig einen Entzug machen?“ „Erwachsene schon. Viele sind aber auch in der Kinder-und Jugendpsychiatrie. Die werden dann von ihren Eltern gebracht.“ „Häufen sich die Fälle, die mit Crystal Meth zu tun haben?“, will ich wissen.


„Es wird häufiger, weil wir nah an der Grenze zu Tschechien sind.“ „Haben sie irgendwie gemerkt, dass sich die Leute verändert haben?“ „Die meisten sagen, dass sie am Anfang besser zurechtgekommen sind als ohne. Das Einstiegsalter liegt bei 12. – Es trifft also Kinder.“ Die Krankenschwester erzählt mir von Leuten, die am Existenzminimum leben. Crystal Meth ist eine billige Droge und viele nehmen es, weil es wenig kostet. „Aber da gibt es auch die gestresste Mutter und Hausfrau, die es zur Entspannung nimmt, oder den Geschäftsmann, der mehr Leistung bringen muss und denkt, er schafft es durch Wachbleiben.“ „Krass“, denke ich. „Wie kommt man davon weg?“ „Man darf es einfach nicht mehr nehmen. Das Problem bei Crystal ist, dass es ein so hohes Suchtpotenzial hat. Die es nehmen, sind sofort süchtig.“

Von Christin Porstendorfer erfahre ich, dass es Kliniken gibt, die sich nur auf Entzüge und Drogen spezialisiert haben. „Bei uns bleiben die Patienten nicht lange. Sie gehen in eine Reha-Einrichtung, wo sie an ein Leben ohne Drogen gewöhnt werden.“ Ich will wissen, ob das alle schaffen. Die junge Frau überlegt kurz. „Die meisten kommen motiviert, stellen aber fest, dass ein Alltag ohne Drogen gar nicht mehr so einfach ist. Wenn man sonst immer konsumiert hat und das gut getan hat, ist es ganz schön schwierig, ohne Drogen zu funktionieren. Diese Glücksgefühle, die die Droge erstmal macht, sind auf einmal weg. Man muss wieder auf einem normalen Level funktionieren. Deswegen ist die Motivation nach der ersten Euphorie erstmal weg und für viele ist es schwierig, länger durchzuhalten.“


„Hat sie versucht, aufzuhören?“ „Sie ist zu einer Beratung gegangen, aber sie will nicht zum Entzug gehen.“ Weg von Crystal – so kann man es schaffen Auf drogen-forum.info lese ich die Geschichte eines Aussteigers – nennen wir ihn Peter. Als Peter wegen hohen Crystal-Konsums nach zwei Tagen erst schlafen konnte, wusste er, dass er es extrem übertreibt. Er schreibt: „Man kann nicht für jemand anderen aufhören – man muss es für sich selbst wollen. Also das ist ganz allein meine Meinung – soll jeder denken was er will :-).“ Peter hat aufgehört. Nicht weil seine Freundin das wollte, sondern weil er gemerkt hat, dass er das Wichtigste in seinem Leben verlieren könnte, wenn er weitermacht. Sein Appell an alle: „Egal wie grausam die Vergangenheit war, es gibt etwas Gutes für jeden von uns, wofür es sich lohnt zu kämpfen und eben auch, wie bei den meisten hier, von den Drogen wegzukommen.“ Das Suchtpotenzial bei Crystal Meth hält Christin Porstendorfer für viel extremer als das von Alkohol. Ich treffe Salome. Sie hat eine 18-jährige Freundin, die Crystal nimmt. Dazu stelle ich ihr ein paar Fragen. „Weißt du, wie sie lebt?“ „Sie lebt mit ihrem Freund bei ihren Eltern.“ „Wie ist ihr Alltag?“ „Sie studiert seit circa zwei Jahren. Früher hat sie mal Klavier gespielt. Jetzt geht sie nicht mehr da hin, weil sie immer richtig müde ist und kein Bock zu irgendetwas hat. Ihre Mutter nimmt sie ab und zu im Auto mit und fährt sie zur Uni. Wenn die Mutter nicht da ist, bleibt sie bis mittags liegen.“ „Weißt du ob sie sich körperlich verändert hat?“ „Sie war vorher etwas stark gebaut und hat jetzt sehr abgenommen. Außerdem hat sie jetzt viele Pickel. Wenn sie gerade mal kein Crystal nimmt, dann hat sie Zuckungen und schneidet Grimassen. Das ist ein Zeichen dafür, dass ihr Gehirn schon geschädigt ist. Sie hat mit 16 angefangen.“

Die Fotos sind Symbolbilder für die keine illegalen Substanzen verwendet wurden (nicht echt)!


Text: Amélie Fromm Gestaltung: Julia Grezinger Fotos: Lucy-Lain Bucher Zwei Frauen stehen einander gegenüber. Nicht in Freundschaft – ihre Gesichter sind in Bewegung und verzerrt: aggressiv aber auch entschlossen. Das Objekt beider Begierden: ein T-Shirt im Sale. Ein T-Shirt aus einer der vielen Modeketten, die Kleidung für wenig Geld anbieten. Natürlich, ein Kampf um ein reduziertes Kleidungsstück ist nicht die Norm. Aber mal ehrlich: Hat ein Laden oder sogar der Lieblingsladen Ausverkauf, geht man selten achtlos dran vorüber. Angebote sowie reduzierte und preiswerte Konsumartikel ziehen uns als Konsumenten magisch an. Um das

zu belegen oder vielleicht zu widerlegen haben mein Team und ich Leute vor einem Geschäft befragt. Der Großteil der Angesprochenen begründete den Einkauf im Laden mit den preisgünstigen Angeboten. Einige sagten auch, ihnen gefallen die angebotenen Kollektionen. Manch einen verschlug es zufällig oder aus Neugier in den Laden. Bei keinem war das Argument die Qualität. Es lässt sich folglich sagen: Wir kaufen gern preiswert, weil es … billig ist. Doch die vorangegangenen Aussagen sind keine hinreichende


Begründung für den Kauf günstiger Mode. Um die fehlenden Gründe und Antworten zu finden, möchte ich mir die existierende Modewelt ansehen und unter die Lupe nehmen, besonders den Trend der Fast Fashion (Schnelle Mode). Eine hochwertige Form der Mode ist die Haute Couture (Hohe Schneiderkunst), die vor allem durch Modeschöpfer wie Coco Chanel, Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent bekannt ist. Die Designerkleidung wird in Handarbeit auf Maß geschneidert. Dabei werden edle Stoffe verwendet. So ist jedes Teil der Haute Couture ein für den Laufsteg geschaffenes Unikat, das nur für wohlhabende Kunden nachgeschneidert wird. Sie wird nur von Wenigen gekauft und wird nicht als Alltagsgegenstand, sondern viel mehr als Kunstwerk angesehen. Im Gegensatz dazu wurde die Prêt-a-porter-Mode (bereit-zum-Tragen) etabliert, die Kleidung in Stan-

dardgrößen industriell und massengefertigt herstellt. Trotzdem zeichnet diese Kleidungsstücke eine gewisse Exklusivität aus, da sie limitiert und nur über einen bestimmten Zeitraum produziert werden. Doch auch Prêt-a-porter ist nicht die gängige Art Mode für die breite Masse oder uns Jugendliche. Vorherrschend ist die so genannte Fast Fashion. Läden, die diesem Prinzip folgen, sind bekannt – H&M, Mango, Zara, Primark oder NewYorker. Mode wird von signifikanten Produktions- und Vertriebssystemen in Massen produziert. Dabei werden Trends übernommen, hochwertige Entwürfe nachempfunden und zu niedrigen Preisen verkauft. Möglich macht dies eine rasend schnelle Produktion. Immer schneller muss die Massenware designt, produziert und verkauft werden. In Extremfällen ist es so, dass zwischen dem Entwurf der Kleidung und der Auslieferung an Händlerketten knapp zwei Wochen liegen. Durch diese Geschwindigkeit werden bei manchen Modelables bis zu zwölf Modekollektionen im Jahr auf den Markt gebracht. Im Vergleich bieten Prêt-a-porter-Händler zwei Kollektionen pro Jahr an. Mit Fast Fashion verändern sich nicht nur die Kollektionen in den Läden schneller, es verändert sich auch unser Konsumverhalten. Das stetige und variierende Angebot befriedigt die Sehnsucht des Konsumenten nach neuen Gütern und verstärkt es sogar. Niedrige Preise animieren Konsumenten jedem neuen Trend


zu folgen und mehr Kleidung zu kaufen, als sie wirklich benötigen. Wir kaufen aber nicht nur, um Trends zu entsprechen. Modekonsum deckt scheinbar soziale Bedürfnisse: Er gibt Menschen das Gefühl der Selbstverwirklichung und unterstützt scheinbar beim Streben nach sozialer Anerkennung. – Wer neuste und angesagte Klamotten trägt, bekommt Aufmerksamkeit. Fast Fashion regt die Lust am Kaufen an und kann sogar in Kaufsucht enden. Unsere Instinkte führen uns in eine Falle. Die meisten Menschen neigen dazu, sich für das günstigste Angebot zu entscheiden. Wir haben das Gefühl, uns etwas gegönnt zu haben. Unser Beloh-

nungssystem reagiert mit Dopaminausschüttung und wir fühlen uns glücklich. Der durch Fast Fashion entstandene Überfluss an Kleidung lässt uns auch anders mit erworbenen Stücken umgehen. Durch neue Trends und schnelle Kollektionswechsel kommt es zu einem schnelleren Kleidungswechsel in den Kleiderschränken. Wir tragen die gekauften Teile nicht mehr so oft wie früher. In der Ausstellung fast fashion im Deutschen Hygienemuseum Dresden erfahre ich, dass Textilien vor dem Entsorgen durchschnittlich nur 1,7 Mal vom Käufer angezogen werden. Solch ein Umgang mit Kleidung liegt nicht nur am Konsumenten, sondern auch an der Qualität der


Kleidungsstücke. Textilien der Fast Fashion sind oft nicht so haltbar wie hochwertige Artikel. Dies führt zu einer anderen Wertschätzung der Kleidung. Während man früher auf seine Klamotten geachtet hat, sie pflegte, reparierte oder umändern ließ, werden heutzutage beschädigte oder kaputte Textilien einfach weggeworfen. Die handwerkliche Reparatur rentiert sich einfach nicht mehr. Oft ist das Ausbessern teurer als ein Neukauf. Viele der Fast-Fashion-Unternehmen können günstige Klamotten anbieten, da sie wenig werben oder völlig auf Werbung verzichten. Vielmehr wird auf Mundpropaganda, Verbreitung in sozialen Netzwerken oder sogenannte Hauls (haul; aus dem Englischen - Ausbeute, Fang) gesetzt. Hauls sind besonders bei Bloggern beliebt. Sie fahren zu einem Fast-Fashion-Geschäft und kaufen dort ein. Später wird die Ausbeute auf ihrem Blog oder in einem Video präsentiert und beschrieben. Die perfekte Werbung für ein Unternehmen! Geringe Werbekosten sind natürlich nicht der Hauptgrund für billige Kleidung. Wir können uns preiswerte Klamotten zulasten von Arbeiterinnen und Arbeitern in Bangladesch, China, Tunesien, Vietnam oder der Türkei leisten. Die produzieren für einen Hungerlohn und oft herrschen schlechte Arbeitsbedingungen. – Jeder kennt die Bilder.

Ist Shopping die neue Art der Safari? Eine Reise mit dem Ziel, Großwild zu erlegen und die größtmögliche Ausbeute nach Hause zu bringen? Die Analogie ist gegeben – ehemals für betuchte Leute gedacht; heute für fast jeden erschwinglich. Allerdings werden wenige glücklich dabei und viele Menschen müssen darunter leiden. Das muss aber nicht sein, denn außer Fast Fashion gibt es auch anderes. Nein, gemeint sind nicht nur Do-It-Yourself-Kleidung,  Second-Hand-Läden oder Flohmärkte. Sie sind natürlich Alternativen zur Fast Fashion. Doch interessanter ist die sogenannte Slow Fashion (langsame Mode) in der Modewelt. Hierbei geht es um nachhaltige Mode. Die Designer, unter anderem auch Nachwuchsdesigner aus Dresden, achten auf die Herkunft der Stoffe und auf hohe Produktionsstandards. Sie sind auf der Suche nach neuen oder unüblichen Herstellungsmaterialien und -möglichkeiten. Diese können zum Beispiel Stoffe aus Jute, Hanf oder Brennnesseln sein. Auch das Färben mit Algen oder die Ozonbleiche gehören dazu. Außerdem setzt Slow Fashion auf die Wertschätzung und Persönlichkeit des Kleidungsstücks. Diese Klamotten werden dann hoffentlich nicht durchschnittlich nur 1,7 Mal getragen.

Fotos 1,3,4,5 aus der Ausstellung: »Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode« Deutsches Hygiene-Museum Dresden


Charlotte „Die Ruhige“ Lanz

Marvin „Der Kreative“ Richter

16 Jahre, Text

14 Jahre, Gestaltung

Maja „Die Fleißige“ Burkhardt 13 Jahre, Fotografie

Ida „Das Schluckaufmädchen“ Träupmann 13 Jahre, Gestaltung

Jonas „Der Tomatenpriester“ Weigl 14 Jahre, Gestaltung

Amélie „Die Professionelle“ Fromm, 17 Jahre, Text

Tabea „Miss Crazyclubmate“ Baubkus 14 Jahre, Fotografie

+

Anna „Mampfi“ Porstendorfer, 14 Jahre, Text

Oliver „Der Mandalo“ Börner 13 Jahre, Fotografie

Otto „Der Gelehrte“ Benthaus 13 Jahre, Fotografie

Tyra „Die Freundliche“ Eisermann 15 Jahre, Gestaltung


Lucas „Der Destroyer“ Hopp 12 Jahre, Text

Sergej „Speedy“ Grezinger

13 Jahre, Gestaltung

Kevin „Der Lachende“ Richter

Julia „Die kleine Leise“ Grezinger

15 Jahre, Text

15 Jahre, Gestaltung

Anne „Die geile Lache“ Bürger 16 Jahre, Fotografie

Lucy „Suchti“ Bucher

14 Jahre, Fotografie

HEISSES PFLASTER Naturell – EIN JUGENDMAGAZIN DES MEDIENSCHMIEDE DRESDEN E. V. Von Jugendlichen für Jugendliche, die etwas zu sagen haben. Der Medienschmiede Dresden e. V. ist ein freier Bildungsträger. Redaktion: Schreiben: Viola Zetzsche |Fotografie: Felix Schmitt|Gestaltung: Stefan Walter Sozialbetreuung: Sascha Möckel | Kunstpädagogik: Yvonne Dick | Nachtbetreuung: Sebastian Schliwa Das Projekt wird gefördert durch den Europäischen Sozialfonds, die Europäische Union und den Freistaat Sachsen. Kontakt: Florian-Geyer-Straße 36 / 01307 Dresden Tel.: 0351 5637740 mail@medienschmiede-dresden.de www.medienschmiede-dresden.de

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