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Hinter der Magie des Films
Experte. Viele Studien versuchen bereits zu modellieren, wie sehr sich der Verkehr mit dem Autonomen Fahren verändern wird. „Es hängt ganz davon ab, wie Menschen bereit sind, sich zu verhalten, sich anzupassen oder Einschränkungen in ihrer Flexibilität in Kauf zu nehmen und welche Angebote und Geschäftsmodelle sie akzeptieren“, verdeutlicht der Wissenschaftler. „Sollten die Menschen weiterhin Autos privat besitzen und individuell nutzen wollen, dann wird der Verkehr in Zukunft zunehmen. Wenn aber Konzepte der gemeinsamen Nutzung von Fahrzeugen, wie Carsharing oder Ridesharing weiter an Attraktivität gewinnen, kann das System effizienter werden“, so Markus Mailer.
Textile Nachhaltigkeit. Am Forschungsinstitut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn ergründen die Forscherinnen und Forscher alle Facetten von Stoffen und untersuchen neue Möglichkeiten, Textilien zu recyceln und Fasern neu nutzbar zu machen. Ein Kleidungsstück besteht selten aus reinsortigem Material. Selbst bei einem Kauf eines Produkts aus Baumwolle sind Knöpfe oder Nähte aus anderen Materialien und damit nicht einheitlich recycelbar. Im Textile Competence Center Vorarlberg (tccv) steht die Untersuchung von textilen Hochleistungsmaterialien im Fokus. „Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie man die unterschiedlichen Komponenten trennen und wiederverwenden kann. Um Müll zu vermeiden könnte man bereits beim Design darauf achten, dass später die einzelnen Komponenten trennbar sind“, so Tung Pham, der mit seinem Team daran arbeitet, aus Textilmüll den Rohstoff für neue Fasern wiederzugewinnen.
Markus Mailer, Arbeitsbereich Intelligente Verkehrssysteme Pham und sein Team haben ein neues Konzept entwickelt, um Wolle und Polyamid voneinander zu trennen und anschließend aus beiden Komponenten wieder neue Fasern zu spinnen. „Mit einem von uns entwickelten umweltfreundlichen Lösungsmittel ist es möglich, das Polyamid von Wolle zu trennen, um dann in einem weiteren Schritt daraus wieder eine Faser zu spinnen. Ähnliche Schritte wurden bisher mit zum Teil toxischen Chemikalien unternommen. In unserer Forschung setzen wir beispielsweise auf wasserbasierende Chemikalien“, so Pham, der erläutert, dass ein zentraler Schwerpunkt am Forschungsinstitut auf der Untersuchung der Chemie an den Grenzflächen zwischen unterschiedlichen Materialien liegt.
Plastikwelle. Ein internationales Team um Martin Stuchtey von der Universität Innsbruck hat im Vorjahr gezeigt, dass global koordinierte Maßnahmen die Verschmutzung der Weltmeere durch Kunststoffe bis 2040 um fast 80 Prozent reduzieren könnten. Diese Maßnahmen könnten mit Hilfe der heute schon verfügbaren Technologien und Lösungen umgesetzt werden. Am Arbeitsbereich Umwelttechnik beschäftigt sich Anke Bockreis mit der nachhaltigen Verwertung und Vermeidung von Abfällen. „Wir arbeiten an Projekten, die ein Bewusstsein dafür schaffen, was für ein massives Problem mit unserem unbekümmerten Plastikverbrauch einhergeht. Das fängt bei den Einwegbechern an, die wir alleine in Innsbruck jeden Tag in der Höhe des Patscherkofels ansammeln“, schildert Bockreis. „Obwohl wir in Österreich ein funktionierendes Entsorgungssystem haben, landet trotzdem vieles noch in der Umwelt.“ Die Expertin für Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement spricht sich klar für ein Einwegpfand aus, um dem Problem großflächig entgegenzutreten. „Man darf nicht außer Acht lassen, dass Plastik aber auch immense Vorteile hat. Gerade, wenn man an Hygienevorschriften oder den Gesundheitssektor denkt. Da wird es auch in Zukunft nicht ohne Plastik gehen. Wenn alles eingesammelt und entsprechend aufbereitet und recycelt werden könnte, dann würde man auch die Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren“, ist Bockreis überzeugt.
Wenn alles eingesammelt, aufbereitet und recycelt werden könnte, würden sich auch die Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren.
Anke Bockreis, Arbeitsbereich Umwelttechnik Universität Innsbruck Christoph-Probst-Platz Innrain 52 A-6020 Innsbruck +43 (0)512 507-0 www.uibk.ac.at
Tung Pham, Institut für Textilchemie und Textilphysik
And the Oscar goes to ...
Er kennt jede Pore in den Gesichtern der Hollywoodstars so genau, dass er sie lebensecht nachmachen kann. Dafür bekam der Vorarlberger Bernd Bickel einen Oscar.
Die lebensechte Nachbildung von Gesichtern berühmter Filmstars mit Bits und Pixeln für Blockbuster wie Maleficent, Avengers, Fluch der Karibik, Star Wars macht Bernd Bickel (39) und seine drei Kollegen, die zehn Jahre lang das „Medusa Performance Capture System“ entwickelt haben, im Februar 2019 zu Oscar-Preisträgern. Der digitale Magier aus dem Ländle forscht und lehrt am Institute of Science and Technology (IST) Austria in Klosterneuburg.

Jugendjahre in Vorarlberg. Der Geburtsort von Bernd Bickel ist die Montfortstadt Feldkirch. In Hohenems, Residenzstädtle der Emser Grafen, wächst er auf. Ab 1992 geht er in Dornbirn-Schoren ins Gymnasium. Da haben die Textilbarone das Zepter schon abgegeben. Bernds Leidenschaft gilt dem Computer. „Mein Vater ist Maschinenbauer und hatte einen Computer. Mit dem konnte ich spielen und alles Mögliche probieren.“ Schon vor der Matura beschließt er an der ETH Zürich Informatik zu studieren.
Dissertation summa cum laude. Warum Zürich? „Im Gymnasium bin ich an den Offenen Tagen der ETH nach Zürich gefahren. Das ist vom Ländle aus die nächste Stadt.“ Während eines USA-Praktikums macht der Informatikstudent erste Erfahrungen auf dem Gebiet der Gesichtschirurgie mit der Entwicklung einer Software zur Optimierung der OPs von Gaumenspalten. Infolge bleibt Bernd Bickel auf die naturgetreue Modellie-
„Medusa“ digitalisiert ein Gesicht Millimeter für Millimeter in Geometrie, Form, Mimik. Jedes Detail im Gesicht eines Menschen macht es zum Unikat.
Hinter der Disney Magie. Der Computer war sein liebstes Spielzeug. Das Experiment reizt ihn bis heute. Die digitale Welt ist grenzenlos, oder? Bernd Bickel: „Fast“.
rung von Gesichtern für die Simulation von Operationen im Bereich Kiefer- und Gesichtschirurgie fokussiert. 2010 wird seine Doktorarbeit „Measurement – Based Modeling and Fabrication of Deformable Materials for Human Faces“ mit der ETH-Medaille für herausragende Dissertationen gewürdigt. Im Jahr darauf wechselt er in Zürich von der Medizin zum Film. Der nächste Weg. Luftlinie 700 Meter.
Technik kreativ nutzen. Wissenschaft hinter der Magie bei Walt Disney. Das ist die Aufgabe der Abteilung Research in der Schweizer Niederlassung des Unterhaltungsgiganten. Arbeitsplatz von Bernd Bickel bis 2014. Er ist fasziniert, wie Filmleute mit ihren Ideen die Technik herausfordern und Künstler die Technik kreativ für völlig Neues nutzen. Das Zusammenspiel von Wissenschaft, Technik und Kunst begeistert ihn nachhaltig. Gemeinsam mit drei Kollegen beginnt er das „Medusa Performance Capture System“ zu entwickeln. „Medusa“ ersetzt nicht die Schauspieler, sondern macht sie zur ersten Quelle der Animation. Unverzichtbar, unersetzbar, unverwechselbar.
Meisterhaftes Mimiksystem. Das mit dem Oscar ausgezeichnete System ist mit einem Gesichtsscanner vergleichbar. „Medusa“ digitalisiert ein Gesicht realitätsnah, detailreich, porengenau, Millimeter für Millimeter in Form, Geometrie, Bewegung, Mimik. Jedes kleinste Detail im Gesicht eines Menschen macht es zum Unikat. Das exakte Abbild aller Puzzles wird in die digitale Welt übertragen und ist die Grundlage für Animationen. Die Gesichter von Schauspielern altern, lachen, schreien so echt, dass man die digitalen Werkzeuge nicht merkt. Die kleinste Veränderung würde als „unecht“ wahrgenommen und Irritationen auslösen.
Blockbuster Maleficent. Einspielergebnis 500 Millionen US Dollar. Erfolgspremiere des „Medusa Systems“. Die amerikanische Version von Dornröschen der Gebrüder Grimm wird von Mächten der Finsternis bedroht. Angelina Jolie spielt die dunkle Fee. Die drei Blumenfeen sind computergeneriert. Ihre Bewegungen stammen jedoch von echten Schauspielern. Ihr Vorspiel beginnt auf einem Stuhl. Um sie herum sind acht Kameras und viele Lichter installiert, die ihre gesamte Mimik aufnehmen. Das digitale Modell der Schauspieler ist die Grundlage für ihre Verwandlung in die Filmfiguren. Im Film wird die menschliche „Essenz“ mittels Helmkamera animiert, während sich die Schauspieler frei durch die Szenen bewegen. Nach Maleficent hat sich das System in mehr als 20 Blockbuster bewährt. In der griechischen Mythologie galt Medusa als unbesiegbar.
IST Austria. „Der perfekte Ort, um zu forschen und zu lehren. Die Bedingungen sind exzellent. Das kollegiale Umfeld interdisziplinär und international.“ Seit 2014 ist Bernd Bickel Professor für Computerwissenschaft am Institut of Science und Technology (IST) Austria. Seit Juni 2021 auch Vizepräsident für Technologietransfer. Der Unterricht ist hybrid konzipiert. Die Studenten sind Informatiker. „Konkrete Studien- und Arbeitsplätze sind nicht mehr so wichtig. Das Kursmaterial ist international, wir sind weltweit vernetzt, mit der Technik vertraut. Dennoch ist die persönliche Interaktion entscheidend. Die Kurse sind klar strukturiert. Die Studenten werden individuell betreut. Die Coronazeit zeigt auf, dass unsere aktuellen Kommunikationsmittel ausbaufähig sind, damit virtuelle Schulen wie digitale Konferenzen lebensnaher funktionieren.“
Virtuelle Schulen und digitale Konferenzen. Ihre Zukunft hat holprig begonnen. Die Hauptrollen haben weiterhin menschliches Gegenüber und emotionales Miteinander. Die spannende Frage für Bernd Bickel ist, wie und ob man digitalen Avataren eine lebensechte Qualität geben kann. „Kann ein digitaler Lehrer so echt wirken, dass die Schüler eine ehrliche Empathie für ihn entwickeln?“ Die Schüler wüssten die Antwort, Herr Professor Bickel: spannender Unterricht und immer gute Noten. „Wir arbeiten an der Kreation digitaler Charaktere für den breiten Anwendungsbereich.“

Aktuelle Projekte 3D-Druck. Die Visual Computing Forschung von Bernd Bickel und seinen Studenten experimentiert u. a. mit Fertigungstechniken für spektakuläre Architekturen. Das Computerprogramm entwirft, optimiert, stabilisiert die gewünschte Biegung von geraden Balken. Ausgezeichnet und gefördert seitens des Horizon 2020 Forschungs- und Innovationsprogramms der EU. Anderes Beispiel: passgenaue 3D-Fertigung medizinischer Ersatzteile wie Zähne und Implantate mit dem Resultat extrem leicht, extrem stabil, extrem leistbar. Ein anderes Forschungsprojekt führt in die Weberei: leistungsstarke Algorithmen animieren Webmaschinen derart, dass Muster und Stoffe eine bestimmte Funktionalität garantieren. Was für uns Laien noch wie Utopie klingt, kann unser Leben schon in naher Zukunft entscheidend verbessern.
Unser Leben in zehn Jahren. „Es wird anders als heute sein. Kommunikation wie computergesteuerte Arbeitswelten werden das Leben grundlegend ändern. Künstliche Intelligenz bleibt ein Zukunftsthema.“ Für Bernd Bickel ist die Schnittstelle von Wissenschaft, Technik und Kreativität spannender. Hier sucht er Antworten auf die Frage: Lassen sich lebensechte Emotionen technisch-wissenschaftlich kreieren? Bis er eine Antwort hat, renoviert er analog ein altes Haus. Darin wohnt er mit Sohn und Gattin Martina, Pharmazeutin und passionierte Kopfrechnerin. Die Bindung zum Ländle, zu Familie und Freunden ist real, nachhaltig, emotional eng, echt. Elisabeth Längle
Die Schnittstelle von Wissenschaft, Technik und Kreativität findet Bernd Bickel sehr spannend: Wie können digitale Avatare noch menschlicher, lebensechter werden und ehrliche Empathien aufbauen?
Oscar Quartett. Ausgezeichnet mit dem Technical Achievement Award.