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Im Vorbeigehen
from kontur45
Freie Kunst für alle
Dass Kunst im öffentlichen Raum im wahrsten Sinne des Wortes besonders zum Leuchten gebracht werden konnte, das liegt vor allem auch an der Fähigkeit von Künstlerinnen. Sie holen in Vorarlberg auf.
Zukunftsfähig. Raum für Geburt und Sinne in Hittisau.
Kunst für Passanten.
Galerie Vor-Ort in Altach. D igitale Kunst im öffentlichen Raum? Wer in Vorarlberg danach sucht, wird zwar nicht schnell fündig, aber grundsätzlich ist sie wohl mit einem Namen verbunden, nämlich mit Ruth Schnell. Die Vorarlberger Künstlerin und Professorin in Wien thematisiert in ihren Arbeiten die Wahrnehmung. Wenn sie dabei politische Statements abgibt und – wie zuletzt in einer Ausstellung in der Galerie Lisi Hämmerle in Bregenz – die mutige Haltung der Chemikerin Clara Immerwahr zur Verantwortung von Wissenschaftlern als Interaktion zwischen virtuellen und realen Personen zeigt, wird es eine große Inszenierung. Das Mitwirken des Betrachters, der sich entweder mit einer Hololens-Brille vertraut machen muss oder dem eigentlichen Sinn einer ihrer LEDInstallationen nur mit entsprechender Beweglichkeit erfahren kann, ist erforderlich. Begriffe zu Heimat und Fremde sind jedenfalls für Passanten am Bregenzer Hafen erkennbar, sobald die Installation aktiviert ist. Die „Floating Signs“ zählen zu jenen seltenen Arbeiten im öffentlichen Raum in Vorarlberg, die Künstlerinnen schaffen konnten. In diesem Fall ging der Umsetzung ein Wettbewerb voraus, bei dem Schnell die Jury überzeugte. Ein ähnliches Auswahlverfahren führte auch dazu, dass die Künstlerin beim Hallenbad in Dornbirn ein Lichtschriftband realisierte, das mit den Besuchern interagiert. Dass sie schon Jahrzehnte davor einmal Österreich bei einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungen, nämlich der Biennale in Venedig, vertrat, sei erwähnt, weil sich das Land bisher bei der Wahl von Künstlerinnen für diesen Auftritt nicht hervorgetan hat.

Gerade was die Medien- oder die Lichtkunst betrifft, halten Künstlerinnen aus Vorarlberg das Terrain gut besetzt. Siegrun Appelt hatte es schon vor Jahren mit der Glashaut des Kunsthaus Bregenz aufgenommen. Das mag etwas heißen, wenn man bedenkt, dass man zur Eröffnung des Gebäudes vor mehr als 20 Jahren auf James Turrell setzte, vor dessen Farbigkeit Appelt nicht kapitulierte, obwohl sie nichts von Buntheit hält. Auch die Schattenburg Feldkirch erfuhr durch ihr Lichtkonzept eine derartige architektonische Aufwertung, dass die Arbeit dort an sich permanent installiert bzw. immer wieder gezeigt werden sollte.
Ins Innere der Erde blicken. Die Außenfassade des KUB schien für Miriam Prantl eher eine leichte Übung zu sein. Die Künstlerin hatte zuvor schon an mehreren Museen Kunst-am-Bau-Projekte mit Licht realisiert. Dass sie bereits in jenen Ausstellungen vertreten war, mit denen die Biennale Venedig offiziell umrahmt wird, sollte ebenfalls Erwähnung finden. Man muss eine kleine Fahrt auf sich nehmen bzw. am besten einen Ausflug zum Silvretta-Stausee planen, um dort eine besondere Arbeit zu sehen. Angesichts jener Fernrohre, die oft an Aussichtspunkten platziert sind und mit denen sich jeder eine Landschaft heranzoomen
Miriam Prantl hat nicht nur in der Silvretta ein Lichtkunstwerk geschaffen, wer das Vorarlberg Museum in Bregenz besucht, wird von ihr auf besondere Art zu den Ausstellungsebenen geleitet. Sie hat dort ihre Kunst-am-Bau-Erfahrung eingebracht.
kann, stellte sich Prantl die Frage, was passiert, wenn jemand ins Innere der Erde blicken möchte. Dass das nicht möglich ist, schloss die Künstlerin aus und entwarf mit „ErdenLicht“ eine audio-visuelle Lichtinstallation, die auf der Bielerhöhe direkt am Silvretta-Stausee realisiert wurde. Der Schützenschacht, ein Bauwerk mit einer Tiefe von 45 Metern, an dessen Boden sich die sogenannten Schützen, also das Absperrorgan vom See zum Druckschacht, befinden, in dem das Wasser zum Kraftwerk fließt, lieferte die Inspiration. Er sollte künstlerisch in Szene gesetzt werden. „Wir sind hier auf über 2000 Metern Meereshöhe, ich hatte ein Gesamtkunstwerk vor Augen und nahm mir vor, das Außen und das Innen sowie die Elemente zusammenzubringen“, erzählt Prantl.
Der Ring, der eine Plattform umschließt, spiegelt nun die Landschaft wider, zieht die Bilder aber auch wie durch einen Trichter hinein ins Innere. In der Mitte steht eine Art Fernrohr, mit dem in den Schacht geblickt werden kann. Dort vermittelt die Licht-undTon-Installation in wechselnden Sequenzen die vier Elemente Wasser, Luft, Feuer und Erde. Prantl war es wichtig, die Kräfte, die in der Natur wirken, künstlerisch umzuset-

Außen und innen. Miriam Prantl verbindet in der Silvretta die fantastische Landschaft mit einem Blick ins Innere der Erde.

Es ist längst an der Zeit, die öffentlich zugängliche zeitgenössische Kunst in Vorarlberg umfassend zu dokumentieren.
zen, zum Ausdruck zu bringen und in der Installation zu bündeln.
Marie wie Marie Curie. Das Malen mit Licht setzt technische Kenntnisse voraus. In diesem Zusammenhang ist ein Kunstwerk im öffentlichen Raum interessant, das Alexandra Berlinger im Stadtpark von Dornbirn realisierte. Wiederum war es ein Wettbewerb, der zur Ausführung des Werks „Marie“ führte, mit dem die Künstlerin beabsichtigte, Frauen im technischen Berufsfeld potent in Szene zu setzen. Lehrlinge wurden beauftragt, sich mit Biografien der mit ihren Leistungen bekannt gewordenen Frauen auseinanderzusetzen. Die Vornamen wurden aufgelistet, dann digitalisiert und aus Stahlblech ausgeschnitten. Beschichtet, verzinkt, zusammengeschraubt und auf Stelen angebracht, ergibt sich eine Skulptur, deren Name – nicht schwer zu erraten – auf die Physikerin und Chemikerin Marie Curie zurückzuführen ist, die zwei Mal mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Architektur trägt zum Wohlbefinden der Menschen bei, kann die Gesundheit fördern und unter Berücksichtigung besonderer Faktoren sogar heilend wirken. Angesichts dieser wesentlichen Erkenntnisse ist auch ein Projekt im Zusammenhang mit Kunst im öffentlichen Raum aufzuzählen, das neben dem Frauenmuseum in Hittisau errichtet wurde. Ein weiteres Jahr wird es auf jeden Fall noch dort bleiben, denn die Diskussion, die damit einhergeht, wurde erst in Gang gesetzt. Mit dem „Raum für Geburt und Sinne“ wird auf höchst ästhetische Weise dargestellt, was die Architektinnen Anna Heringer und Anka Dür sowie die Designerin Sabrina Summer meinen, wenn sie sich für ein Umdenken stark machen, das auch der Lehmbaupionier Martin Rauch unterstützt hat.
Ins Blickfeld gerückt. Wer den öffentlichen Raum als Ort begreift, der den Menschen offensteht, zählt etwa auch Veranstaltungsräume dazu, die Künstlerinnen gestaltet
Alt und neu. Wandfries von Carmen Pfanner im Schloss Hofen.
Innovativer Ausstellungsort.
Das milk_ressort in Göfis.


Starke Frauen. Kunstwerk von Alexandra Berlinger in Dornbirn.



haben. Mit ihrem textilen Wandfries im Kellergewölbe des Schloss Hofen thematisiert Carmen Pfanner die Geschichte und das architektonische Charakteristikum des Gebäudes, die damit in abstrahierter Form besonders ins Blickfeld gerückt werden.
Ein Künstler soll in dieser Aufzählung von Arbeiten von Künstlerinnen im öffentlichen Raum Erwähnung finden, denn die Art, wie es Gemälde von Rudolf Wacker ins Freie geschafft haben, ist beispielgebend. Wacker hat in den 1920er- und 1930er-Jahren in Bregenz und Lindau eine Reihe von Motiven und Landschaften gemalt. Diese Gemälde an ihren Entstehungsorten als leuchtende, durchsichtige Reproduktionen auf Glas zu zeigen, war das Konzept der Kunsthistoriker Kathleen und Rudolf Sagmeister, das in Bregenz und Lindau umgesetzt wurde. An sieben öffentlich zugänglichen Orten wurden in der Landeshauptstadt (etwa vor der Wacker-Villa in der Römerstraße, vor der Galluskirche, an der Pfänderbahn-Talstation, an der Lauteracher Brücke, im Illwerke-Park und am Schnabelhafen) Sichtfenster mit Motiven des Malers installiert. So kann unter anderem der heutige Blick mit der Sicht des Künstlers vor bald hundert Jahren verglichen werden.
Der Kreativität von Kulturschaffenden ist es zu verdanken, dass aktuell geschaffener Kunst auch dann zu begegnen ist, wenn die Museen und Kunsthäuser geschlossen sind. In der Corona-Zeit erhielt das Thema besondere Relevanz. Und so entstanden neben dem so genannten milk_ressort in Göfis, dessen Ausstellungen auch von außen einsehbar sind, etwa die Galerie Vor-Ort in Altach, die nicht betreten werden muss, um Kunst zu erleben. Christa Dietrich
Interaktiv. Lichtkunst von Ruth Schnell in Bregenz.
Aufschlussreich.
Sichtfenster mit Wacker-Gemälden.
Voraussetzung für eine sinnvolle Bespielung von neuen Kunstorten, die frei zugänglich sind, ist eine qualifizierte Kuratorenschaft. Die ist etwa bei Initiativen wie der Galerie Vor-Ort in Altach oder dem ehemaligen Zollhäuschen in Koblach gegeben.