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Selten e Erkrankungen
DIE WAISEN DER MEDIZIN

“Mein Lebenszug fährt, und das ist für mich das Wichtigste!“
Harald Schmidt hat CML, eine seltene chronische Form von Blutkrebs, und spricht im Interview über seinen Weg mit der Erkrankung.
Seite 06 – 07
Primäre Biliäre Cholangitis (PBC)
Prof. Dr. med. Frank Tacke im Interview zu den diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.
Seite 08 – 09
Genetische und genomische Untersuchungsmethoden
Prof. Dr. med. Christian Schaaf über das Potenzial, das in der molekulargenetischen Diagnostik steckt.
Seite 10
VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT IN DIESER AUSGABE SEPTEMBER 2024
Miriam Hähnel
Hinter allen Seltenen Erkrankungen stecken Menschen mit echten Geschichten. Schenken Sie ihnen Gehör!
IN DIESER AUSGABE


Wegbereiterin für ein besseres Leben
Die ACHSE ist als starke Stimme der Betroffenen Wegbereiterin für Verbesserungen im Gesundheitswesen. Mit ihrer Expertise ist sie aus wegweisenden Projekten in Wissenschaft und Forschung nicht wegzudenken. Als Verband mit 140 Mitgliedsorganisationen stärkt sie die Selbsthilfe und ist Anlaufstelle für Betroffene mit und ohne Diagnose. In diesem Herbst wird die Allianz für Menschen mit chronischen seltenen Erkrankungen und deren Angehörige 20 Jahre.
Tag der Seltenen Erkrankungen in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Ohne die Einbindung der Patientenseite wird zudem kaum noch ein Projekt bewilligt.
Ronny Specht hat Morbus Fabry:
“Ich bin ein Patient wie aus dem Lehrbuch!“

Kristina Podszun hat AHP: “Ich dachte, das überlebe ich nicht.“
Director Business Development Health: Miriam Hähnel, Geschäftsführung: Johan Janing (CEO), Henriette Schröder (Managing Director), Philipp Colaço (Director Business Development), Lea Hartmann (Head of Design), Cover: Harald Schmidt © privat
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Unvorstellbar, dass vor 20 Jahren kaum jemand in Deutschland wusste, was eine Seltene Erkrankung ist. Es gab keine übergreifenden Anlaufstellen oder ein Bewusstsein für die Probleme, die damit einhergehen. Das hat sich geändert. Treibende Kraft waren die Selbsthilfeorganisationen, die sich in der ACHSE zusammengeschlossen haben, um noch stärker auftreten und ihre Anliegen gemeinsam adressieren zu können. Türen öffnete auch die damalige First Lady, Eva Luise Köhler, die die Rolle der Schirmherrin des frisch gegründeten Vereins übernahm und sich bis heute beherzt sehr wirksam für die Belange der betroffenen Menschen und deren Familien einsetzt.
Und so blicken wir heute auf ein bundesweites Netzwerk von 36 an den Universitätskliniken angeschlossenen Zentren für Seltene Erkrankungen. Es gibt die Europäischen Referenznetzwerke. In Deutschland haben Patientinnen und Patienten zumindest Zugang zu allen hier erhältlichen Orphan Drugs.
Motor für diese Entwicklung war die Gründung des Nationalen Aktionsbündnisses für Menschen mit Seltenen Erkrankungen, NAMSE, das bis heute alle Akteure im Bereich der Seltenen Erkrankungen an einen Tisch bringt. Die Seltenen Erkrankungen sind ein Thema in Politik und Gesundheitswesen, betroffene Menschen und ihre Anliegen werden nicht nur am
Auf dem Weg zum Erfolg waren viele Hürden zu überwinden, dicke Bretter zu bohren und starke Netzwerke zu knüpfen – Baustellen gibt es auch immer noch. Wie gut, dass die Netzwerke aktiv sind, engagierte Menschen aus Wissenschaft, Forschung und Medizin weiterhin Wegbegleiter der ACHSE sind. Nur gemeinsam sind wir stärker.

Als Verband mit 140 Mitgliedsorganisationen stärkt die ACHSE die Selbsthilfe und ist Anlaufstelle für Betroffene mit und ohne Diagnose.
Bianca Paslak-Leptien ist seit Mai 2015 bei der ACHSE und leitet dort aus voller Überzeugung die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.
Zum 20. Geburtstag wünscht sich die ACHSE öffentliche Geburtstagsgrüße und Spenden, um ihre Arbeit fortsetzen zu können.
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Weitere Informationen unter: www.achse-online.de

“Unser Familienmotto: Jeder gestaltet sein Leben so gut wie möglich!“
Die x-chromosomale Hypophosphatämie (kurz XLH) ist eine seltene Störung des Knochenstoffwechsels, die durch eine Mutation vererbt wird. Diese Mutation führt zu einem Phosphatmangel, weshalb die Erkrankung auch die Bezeichnung Phosphatdiabetes trägt. Auch wenn die Erkrankung entdeckt und behandelt wird, leiden Betroffene häufig an ihren Folgen: Dazu können u. A. starke Schmerzen, enorme Bewegungseinschränkungen und häufige Knochenbrücke zählen. Wir sprachen mit Sara Franke über ihr Leben mit der Erkrankung.
Text Alexandra Lassas
Frau Franke, Sie haben die Erkrankung XLH. Wann und wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen geäußert?
Bereits im Kleinkindalter. Mit dem Beginn des Laufens zeigten sich deutliche Verformungen meiner Beine. Die Krankheit, die auch meine Mutter und meine beiden Geschwister betrifft, wurde damals fälschlicherweise als Knochenfehlbildung diagnostiziert. Damals versuchte man durch verschiedene Brüche, die Beine zu korrigieren, was zu starken Verformungen und irreversiblen Schäden bei meiner Mutter führte. Glücklicherweise wurde bei meinen Schwestern und mir die korrekte Diagnose gestellt, als ich drei Jahre alt war.
Was waren und sind für Sie die größten Herausforderungen aufgrund Ihrer Erkrankung?
In meiner Kindheit kämpfte ich mit Zahnabszessen und den Einschränkungen durch O-Beine, besonders beim Laufen und Springen. Aber unsere Familie lebte nach dem Motto: Jeder gestaltet sein Leben so gut wie möglich. In meiner Jugend führten Operationen zur Korrektur der Beine und Knieeingriffe zu vielen Fehlzeiten in der Schule. Die abschätzenden Blicke und das Stigma, als "behindert" von Mitschülern angesehen zu werden: Das war sehr schwer. Doch dank der Unterstützung meiner Familie und Freunde konnte ich meine Selbstachtung stärken. Mein

gesamtes Skelett ist deformiert, was zu zahlreichen Begleiterkrankungen führte. Ärzte behandeln diese meist nur symptomatisch: ein zeitaufwendiger und kraftraubender Prozess. Die wirksame Behandlung begann erst, als ich gute Beziehungen zu den Ärzten aufbaute. Bis dahin versuchte ich, meine Schmerzen mit Schmerzmitteln zu lindern. Als lebensfroher Mensch stieß ich oft auf Schwierigkeiten, die Intensität meiner Schmerzen den Ärzten zu vermitteln und die Dringlichkeit meiner Situation zu betonen. Aber nicht nur erkrankte Kinder, sondern auch erwachsene Patienten benötigen weiterhin eine adäquate Betreuung, um Beschwerden zu lindern!
XLH ist zwar noch nicht heilbar, aber behandelbar: Wie geht es Ihnen unter Therapie?
Mir geht es ziemlich gut. Natürlich begleiten mich ständig Schmerzen. Trotzdem empfinde ich mein Leben als wunderbar. Seit letztem Jahr gibt es ein Medikament, das auch für Erwachsene zugelassen ist und mir Tage mit erträglichen Schmerzen schenkt. Jeder, der betroffen ist, sollte die Kraft und Geduld aufbringen, Ärzte aufzusuchen, bei denen er sich wohl fühlt. Zudem sollte man sich bemühen, sich von der Erkrankung nicht übermäßig einschränken zu lassen. Wir sind alle mehr als nur unsere Erkrankung und verdienen es, wertgeschätzt zu werden.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der Kyowa Kirin GmbH entstanden.
Einsatz für Menschen mit seltenen Erkrankungen
„Meine Hautprobleme begannen 2004“, berichtet eine Patientin. Sie litt zu dieser Zeit unter wiederkehrenden Hautausschlägen und Schmerzen. Erst Jahre später wurde bei ihr eine Mycosis fungoides diagnostiziert, eine Krebserkrankung, die in Europa weniger als einen von 110.000 Menschen betrifft.1
„Ich befand mich fast zehn Jahre lang in einer Grauzone“, erinnert sie sich. Ihre anfänglichen Symptome wurden zunächst als Ekzem erkannt. Erst ein Zufallsbefund führte zur richtigen Diagnose. Diese Geschichte ist kein Einzelfall: Der Weg bis zum Befund dauert bei
diesem Krankheitsbild durchschnittlich zwei bis sieben Jahre.2 Kyowa Kirin ist ein global tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, das die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen verbessern möchte. Es wurde 1949 in Japan gegründet und entwickelt seit dieser Zeit innovative Therapien in den Bereichen Nephrologie, Neurologie, Onkologie und Immunologie. Die Forschung, Entwicklung und Wirkstoffproduktion stützen sich auf Verfahren der Spitzenbiotechnologie aus eigenem Hause. So gilt das Unternehmen als Pionier in der Behandlung des nur selten auftretenden Phosphatdiabetes.
Symptome der XLH im Überblick
Mögliche Symptome bei Kindern:
• Fehlstellungen der Beine (O- /X-Beine)/ Dysproportionen, weiche Knochen (Rachitis), verzögertes/vermindertes Wachstum, Knochen-/Gelenk-/Muskelschmerzen und -schwäche, Schädeldeformationen u.a.
Zusätzliche mögliche Symptome bei Erwachsenen:
• Veränderungen des Gehörs (Schwerhörigkeit bis hin zum Hörverlust, Tinnitus, Schwindel), Osteomalazie (Knochenerweichung), Spinalkanalstenosen (Verengungen des Wirbelkanals), früh einsetzende Arthrose oder Knochenund Gelenkentzündungen, Bewegungseinschränkungen und Steifigkeit, Mineralisierung (Verkalkung) von Sehnen und Bändern, dauerhafte Verkürzung von Sehnen, Muskeln und Bändern, reduzierte Belastbarkeit, Erschöpfung u.a.
Phosphatdiabetes e. V.
Die Patientenorganisation ist eine Gemeinschaft von Betroffenen und Angehörigen, die Informationen bereitstellt, Hilfestellung anbietet und durch persönlichen Erfahrungsaustausch im Umgang mit der Erkrankung unterstützt. Die Belange aller Altersstufen – von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – finden Beachtung.
Weitere Informationen unter: www.phosphatdiabetes.de

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Behandlung seltener Krebserkrankungen wie der Mycosis fungoides und des Sézary-Syndroms – beides Unterformen des kutanen T-Zell-Lymphoms (CTCL). Kyowa Kirin möchte sämtlichen Menschen, mit denen es sich im Austausch befindet, ein Lächeln schenken – nicht nur durch die Bereitstellung neuer Wirkstoffe, sondern auch durch gelebte Partnerschaften. Das Unternehmen sucht weltweit den Austausch mit Betroffenen und Beteiligten, um gemeinsam bessere Antworten auf Patientenbedürfnisse zu finden, getrieben von dem Ansporn „Making people smile“. Weitere Informationen: www.kyowakirin.com
„Ich bin der klassische Fabry-Patient, wie er im Lehrbuch steht“
Morbus Fabry ist eine erblich bedingte Stoffwechselstörung, die das Leben Betroffener stark beeinträchtigen kann. Ronny Specht ist selbst betroffen von der Erkrankung und im Vorstand der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) e. V. tätig. Im Interview erzählt er uns von seinem Leben mit Morbus Fabry, und warum er sich ehrenamtlich in der Selbsthilfe engagiert.

Herr Specht, Sie sind selbst betroffen von Morbus Fabry.
Wie hat sich die Erkrankung bei Ihnen gezeigt?
Erste Beschwerden hatte ich schon im Kindesalter. Wenn ich einen Infekt hatte oder körperlich überlastet war, hatte ich starke Nervenschmerzen, die sich als extremes Brennen in den Händen und Füßen gezeigt haben. Diese Schmerzen waren so stark, dass ich als Kind gedacht habe: „Ich hacke mir gleich die Hände ab, ich halte das nicht aus!“ Meine Eltern haben natürlich vermutet, dass das keinesfalls normal ist. Da ich auch kleine punktförmige Einblutungen (sog. Angiokeratome) am rechten Schienbein hatte, gingen wir zum Arzt. Im Zuge der Wende ist das aber leider untergegangen und wurde nicht weiter verfolgt.
Wie wurde schließlich die richtige Diagnose gestellt?
Das war eine Odyssee. Als Jugendlicher habe ich im Sommer bemerkt, dass ich nicht schwitze, was ein ganz typisches Symptom von Morbus Fabry ist. Ich konnte mich nie lang in der Sonne aufhalten, weil ich schlichtweg überhitzte. Da dachte ich: Da kann doch irgendwas nicht stimmen! Es sollte aber noch lange dauern, bis man dem Morbus Fabry auf die Spur kam. Vor vier Jahren ist mir schlagartig die linke Hand eingeschlafen. Ich dachte, ich hätte mir einen Nerv eingeklemmt und ging zum Hausarzt, der vermutete, dass mehr dahintersteckt. Ich wurde zum Gefäßspezialisten überwiesen, der ein MRT machte, und sollte mich zudem beim Neurologen vorstellen. Beim MRT gab es Auffälligkeiten, und es stand die Diagnose Multiple Sklerose im Raum: eine Verwechslung, die beim Fabry häufig vorkommt. Ich wurde an die Uniklinik in Augsburg verwiesen, wo eine sehr versierte Neurologin MS ausschloss und
direkt sagte: „Da gibt es einen Trittbrettfahrer, der die Symptome auslöst, und den müssen wir finden!“ Nach weiteren Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein kleiner Schlaganfall der Auslöser meiner tauben Hand war: Mit 42 war ich dafür aber eigentlich zu jung. Zudem war mein Herz schon immer leicht auffällig, und nach weiteren kardiologischen Untersuchungen wurde festgestellt, dass ich eine linksseitige Herzwandverdickung habe. Diese Symptomkonstellation ließ die Ärzte schließlich aufhorchen und ich wurde molekulargenetisch getestet. Nach fast 40 Jahren Fehlersuche stand die Diagnose fest: Ich habe Morbus Fabry. In meiner Familie bin ich der erste mit dieser Diagnose.
Morbus Fabry kann sich auf den gesamten Körper auswirken. Wie sieht das bei Ihnen konkret aus?
Ich bin der klassische Fabry-Patient, wie er im Lehrbuch steht: Brennende Hände und Füße, Herzwandverdickung, zwei Schlaganfälle in jungen Jahren, Petechien, eine Nierenbeteiligung (wenn zum Glück auch gering), die Unfähigkeit zu Schwitzen, Hörprobleme, der klassische Fabry-Katarakt, Fatigue, Darmprobleme. Hier kann ich überall ein Kreuzchen setzen.
Zwar ist Morbus Fabry nicht heilbar, aber gut behandelbar. Wie werden Sie behandelt und wie geht es Ihnen unter Therapie?
Ich bekomme alle zwei Wochen eine Enzymersatztherapie, die etwa vier Stunden dauert. Ich bin sehr froh, dass mein Zustand unter Therapie stabil ist. Da meine Diagnose erst so spät gestellt wurde, sind Schäden entstanden, die sich nur sehr langsam oder gar nicht mehr beheben lassen. Aber solange sich nichts verschlechtert, bin ich sehr glücklich darüber!
Da meine Diagnose erst so spät gestellt wurde, sind Schäden entstanden, die sich nur sehr langsam oder gar nicht mehr beheben lassen. Aber solange sich nichts verschlechtert, bin ich sehr glücklich darüber!
Ronny Specht
Vorstandsmitglied der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) e. V. und selbst Morbus Fabry-Patient
Sie sind seit Kurzem Mitglied des Vorstandes der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe e.V. Was ist Ihr Antrieb dafür, sich in der Selbsthilfe zu engagieren?
Seit zwei Jahren bin ich bereits Mitglied der MFSH e. V., da der Kontakt zu anderen Betroffenen eine ganz wichtige Hilfe für mich ist. Man fühlt sich zu 100% verstanden und kann sich gegenseitig unterstützen. Letztes Jahr im November bin ich eingesprungen, um bei einer Veranstaltung ein Vorstandsmitglied zu vertreten. Danach wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, dauerhaft im Vorstand mitzuarbeiten, was ich gern angenommen habe. Denn so kann ich ganz aktiv die Vernetzung Betroffener fördern und auch Forschungsaktivitäten mit vorantreiben. Das ist mein Antrieb!
Weitere Informationen über die Morbus Fabry Selbsthilfegruppe (MFSH) e.V. finden Sie unter: www.fabry-shg.org

Morbus Fabry und Morbus Pompe:
Den Erkrankungen
auf die Spur kommen
Morbus Fabry und Morbus Pompe sind seltene genetische Erkrankungen, die sich durch eine Vielzahl an Symptomen bemerkbar machen können.Es handelt sich um Multisystemerkrankungen: Es können also Schäden an verschiedenen Organen auftreten. Da die Erkrankungen unbehandelt weiter fortschreiten, sich die Beschwerden weiter verschlechtern und die Lebensqualität Betroffener zunehmend einschränken, ist eine frühe Diagnose von entscheidender Bedeutung.
Mögliche Symptome bei
HAUT
• Vermindertes Schwitzen
• Kleine dunkelrote Punkte, die als Angiokeratome bezeichnet werden, vor allem zwischen Bauchnabel und Knien
NERVENSYSTEM
• Starke Schmerzen, die Minuten bis Stunden andauern
• Hörverlust, Tinnitus
• Hitze- oder Kälteunverträglichkeit oder Belastungsintoleranz
• Transitorische ischämische Attacke (TIA) und Schlaganfall
• Brennen der Hände/Füße (als Akroparästhesie bezeichnet)
• Schwindel
HERZ
• Unregelmäßiger Herzschlag (schnell/langsam)
• Herzanfall oder -versagen
• Vergrößertes Herz
NIEREN
• Eiweiß im Urin
• Verminderte Nierenfunktion
• Nierenversagen
MAGEN-DARM
• Übelkeit und Erbrechen
• Durchfall und/oder Verstopfung
• Bauchschmerzen
• Blähungen
AUGEN
• Wirbelförmiges Muster auf der Hornhaut
• Fabry-Katarakt (eine best. Form der Linsentrübung)
PSYCHOSOZIALE ASPEKTE
• Depression
• Angstzustände
• Panikattacken
• Isolation
Mögliche Symptome bei
Morbus Fabry
Morbus Fabry wird auch als das Chamäleon unter den seltenen Erkrankungen bezeichnet, da er diverse Symptome verursachen kann, die zunächst auf die falsche Fährte locken können. Betroffene haben oft eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, in der häufig Fehldiagnosen gestellt werden, verbunden mit einer Fehlbehandlung, die für die Patienten oft wirkungslos bleibt. Zu den körperlichen Symptomen kommen daher nicht selten psychische Beschwerden hinzu.
Wenn also verschiedene unspezifische Symptome auftreten (s. Grafik links), sollten diese in Kombination betrachtet werden, um der Erkrankung möglichst früh auf die Spur zu kommen.
Sind zudem bereits ähnliche Fälle in der Familie aufgetreten, sollte man umso hellhöriger werden. Bei männlichen Patienten kann bereits ein einfacher Bluttest zur Bestimmung der Enzymaktivität zur Diagnose führen, die durch eine genetische Testung abgesichert werden kann. Bei weiblichen Patienten kann die genetische Testung die Diagnose sichern. Je früher die Erkrankung erkannt wird, umso schneller kann die passende Therapie in die Wege geleitet werden. Nur so können Beschwerden eingedämmt, mögliche Folgeschäden verhindert und die Lebensqualität Betroffener verbessert werden.
Morbus Pompe
Wie der Morbus Fabry ist auch der Morbus Pompe eine Erkrankung mit vielen Gesichtern, die sich durch eine Vielzahl an Symptomen bemerkbar machen kann (s. Grafik rechts). Da die Beschwerden auch auf andere neuromuskuläre Erkrankungen hindeuten können, dauert es oft, bis die richtige Diagnose gestellt ist. Die Erkrankung schreitet weiter voran und kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Oft kommen seelische Beschwerden durch den anhaltenden Leidensdruck und die langen Diagnosewege hinzu. Die einzelnen Symptome sollten also unbedingt in Gänze betrachtet werden.
Morbus Pompe ist eine genetisch bedingte Erkrankung. Besteht der Verdacht auf Morbus Pompe, ist der erste Schritt ein einfacher Bluttest. Verhärtet sich der Verdacht, entscheidet der Arzt, ob eine genetische Testung anzuraten ist, die den Morbus Pompe final bestätigen kann.
Der Zeitpunkt der Diagnose ist entscheidend für den Behandlungserfolg, da bereits entstandene Schäden oft irreversibel sind. Um weitere Organschäden zu verhindern sowie die Lebensqualität Betroffener langfristig zu verbessern, sollte bei einer entsprechenden Symptomkombination ein Arzt aufgesucht werden.
SKELETT UND MUSKELN
• Muskelschwäche, vor allem der rumpfnahen Muskulatur
• Rückenschmerzen
• Körperliche Aktivität ist nicht mehr oder eingeschränkt möglich
• Schwierigkeiten beim Treppensteigen
• Gangstörungen (Watschelgang)
• Gelenksteifheit
• Flügelartiges Abstehen der Schulterblätter
• Eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule
• Abnorme Krümmung der Wirbelsäule
• Motorische Einschränkungen
LUNGE
• Atemschwäche
• Atembeschwerden
• Häufige Atemwegsinfekte
• Schlafapnoe
• Tagesschläfrigkeit
• Morgendliche Kopfschmerzen
VERDAUUNGSTRAKT
• Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken
• Unzureichende Gewichtszunahme
• Chronische Verstopfung
• Harn- und Stuhlinkontinenz
Weitere Informationen www.fabryfamilytree.de und www.amicusrx.de

„Mein Lebenszug fährt, und das ist für mich das Wichtigste!“
Unter Myeloproliferativen Neoplasien (MPN) versteht man eine Gruppe von seltenen Erkrankungen des Knochenmarkes. Charakteristisch für diese Krankheitsbilder ist eine gesteigerte Produktion von Blutzellen, was sich in einer Vielzahl von Symptomen äußern kann, die das Leben Betroffener stark beeinträchtigen können. Eine möglichst frühe Diagnose ist entscheidend, um in den Krankheitsverlauf eingreifen zu können. Zu den MPN zählt auch die Chronische Myeloische Leukämie (CML), bei der es durch eine genetische Veränderung zu einer gehäuften Bildung weißer Blutkörperchen im blutbildenden Knochenmark kommt. In Deutschland erkranken pro Jahr etwa 1.000 bis 1.200 Menschen an CML.1 Harald Schmidt ist von CML betroffen und erzählt uns von seinem Weg zur Diagnose und seinem Leben mit dieser seltenen Form von Blutkrebs.
Text Miriam Hähnel
Herr Schmidt, Sie sind von der seltenen Krankheit CML betroffen. Wann haben Sie gemerkt, dass gesundheitlich etwas nicht stimmt, welche Beschwerden traten auf?
Das war etwa 1993, da war ich noch keine 40 Jahre alt. Meine körperliche Leistungsfähigkeit hatte stark nachgelassen. Und wenn ich mich nur leicht verletzt hatte, zum Beispiel beim Rasieren, dauerte es sehr lange, bis diese kleine Schnittwunde verheilt war, und ich bekam schnell blaue Flecken. Nachts schwitzte ich oft so stark, dass ich mitten in der Nacht mein Oberteil wechseln musste. Ich hatte oft ein Druckgefühl im Oberbauch. Aber ich habe nicht genug darauf geachtet und es nicht ernst genommen. Damals gab es ja auch noch kein Internet. Heute würde ich Informationen über das Internet suchen und wäre dann viel früher zum Arzt gegangen.
Wann wurde die Diagnose gestellt und was ging in Ihnen vor, nachdem die Erkrankung festgestellt wurde?
Am 5. Februar 1996 hatte ich tagsüber so starke Oberbauchschmerzen, dass ich direkt nach der Arbeit zu meinem Hausarzt ging. Es wurde ein Blutbild gemacht und mein Arzt war sehr erschrocken, weil meine Leukozytenzahl, also die Zahl der weißen Blutkörperchen, stark erhöht war. Er hat mich noch am selben Abend direkt ins Krankenhaus überwiesen, wo ein Leukozytenwert von 285.000 festgestellt wurde. Normal ist ein Wert zwischen 4.000 und
10.000. Am nächsten Morgen wurde eine Knochenmarkspunktion durchgeführt und der behandelnde Arzt teilte mir die Diagnose mit: Ich hatte CML. Die Oberbauchschmerzen kamen von meiner stark vergrößerten Milz, weil dort viel zu viele weiße Blutkörperchen gespeichert waren.
Auf meine Frage hin sagte mir der Arzt, wenn es schlecht läuft, habe ich noch zwei bis drei Jahre zu leben, wenn es gut läuft, noch fünf Jahre. Mein erster Gedanke war: Ich werde meine Kinder nicht mehr aufwachsen sehen. Sie waren damals 9 und 5 Jahre alt. Wir hatten gerade gebaut und ich dachte nur: Meine Frau wird mit allem allein sein, ich werde nicht mehr da sein. Dieser Gedanke war schrecklich und bedeutete einen brutalen und schmerzhaften Eingriff in meine Lebensplanung und natürlich auch in die Zukunft meiner Familie.
Sie leben nun aber schon seit über 28 Jahren mit CML. Was ist in dieser langen Zeit passiert und welche Rolle spielt Ihre Erkrankung jetzt in Ihrem Alltag? Zu Beginn meiner Behandlung war das primäre Ziel, meine Leukozytenwerte deutlich zu senken. Leider waren die damaligen Medikamente für meine Tumorlast nicht stark genug, so dass nur eine Knochenmarktransplantation in Frage kam. Ende 1996 wurde dann eine autologe Stammzelltransplantation (mit meinen eigenen Stammzellen) durchgeführt, die leider fehlschlug.

Danach wurde ich zunächst mit den damals verfügbaren Medikamenten weiterbehandelt. Im Jahr 1999 verschlechterte sich die Situation, so dass eine allogene Stammzelltransplantation, also eine Behandlung mit Stammzellen eines Spenders, notwendig wurde. Eine weitere allogene Stammzelltransplantation folgte im Frühjahr 2000. Auch diese Transplantationen waren nicht erfolgreich.
Von Anfang an wurde ich von allen vorbehaltlos unterstützt: Dafür bin ich meiner Familie und meinen Kolleginnen und Kollegen von Herzen dankbar!
In dieser Zeit hatte sich ein Bild in meinem Kopf festgesetzt: Ich fühlte mich wie in einem Zug. Jede der drei Transplantationen war wie eine Weiche, die meinen Lebenszug wieder in die richtige Richtung lenken sollte. Doch alle Behandlungen schlugen fehl. Das war der absolute Tiefpunkt für mich und meine Familie. So wie es damals aussah, war ich austherapiert. Mein Lebenszug näherte sich der Endstation. Ende 2000 bekam ich ein neues Medikament, einen sogenannten Tyrosinkinase-Hemmer. Damals wusste ich noch nicht, wohin mich diese neue Weiche führen würde. Aber viel wichtiger war: Mein Zug fuhr weiter. In den folgenden Jahren wurde ich immer wieder mit verschiedenen Tyrosinkinase-Hemmern behandelt, da die vorherigen Medikamente nicht dauerhaft wirkten.
Also immer wieder neue Weichen, die meinen Lebenszug am Fahren hielten. Seit der Umstellung auf einen weiteren Tyrosinkinase-Hemmer im Frühjahr 2023 steht meine CML-Erkrankung nicht mehr im Vordergrund. Die damit erreichten Blutwerte sind für meine Verhältnisse sehr gut und ich werde wahrscheinlich eine normale Lebenserwartung haben. Nach einer ursprünglichen Überlebensprognose von maximal fünf Jahren und einer unglaublich schweren Zeit zu Beginn meiner Erkrankung ist das einfach eine wunderbare Perspektive für mich und meine Familie. Ich habe meine Kinder aufwachsen sehen und bin nach 28 Jahren immer noch da! Dafür bin ich unglaublich dankbar.
Welche Rolle spielt für Sie der Austausch mit anderen Betroffenen, z.B. über Patientengruppen oder -veranstaltungen? Für mich ist das eine der wichtigsten Säulen, wenn es um mein Leben mit CML geht. Die erste und immer noch wichtigste Plattform ist „Leukämie Online“.
Dort gibt es sehr viele Informationen, vor allem aber Foren zu den verschiedenen Leukämieformen.
Dort können sich Betroffene austauschen und ihre Sorgen und Nöte teilen. Ich besuche aber auch andere Patiententreffen, zum Beispiel die „MPN-Patiententage“, um meine Erfahrungen mit anderen Betroffenen zu teilen. Denn wenn man heute neu erkrankt, sind die Diagnosewege zum Glück kürzer und man kann schneller mit der inzwischen wirksamen Therapie mit Tyrosinkinase-Hemmer beginnen. Aus eigener Erfahrung mit der Erkrankung weiß ich, dass gerade die Anfangsphase sehr schwierig und belastend ist. Die Möglichkeit der Patiententreffen sollte daher unbedingt genutzt werden.
Aus Ihrer Sicht als Patient: Was ist seitens der Medizin, aber auch seitens des persönlichen Umfeldes wichtig, damit Betroffene ihren Alltag bestmöglich bewältigen können?
Ich wünsche mir ein offenes Ohr für die Betroffenen und viel Einfühlungsvermögen bei den behandelnden Ärzten. Schließlich geht es nicht um ein gebrochenes Bein, sondern um Krebs und damit um eine lebensbedrohliche Erkrankung.
Da braucht man als Patient einfach ein stabiles Vertrauensverhältnis zu seinen
Leben mit MPN –
Umfassende Hilfe für
Betroffene
Das forschende Pharmaunternehmen Novartis denkt Medizin neu, um besonders auch Menschen mit seltenen Erkrankungen mit innovativen Wirkansätzen und Informationsangeboten mehr Lebensqualität zu ermöglichen.
Speziell für Menschen, die an einer Myeloproliferativen Neoplasie (MPN) wie der Myelofibrose, der Polycythaemia Vera oder der Chronischen Myeloischen Leukämie leiden, hat Novartis eine umfangreiche Informationsinitiative ins Leben gerufen, die wissenschaftlich fundiertes Wissen zur Erkrankung und zum Umgang damit zur Verfügung stellt.
Über die Website www.leben-mit-blutkrankheiten.de können sich Betroffene über alle Facetten der verschiedenen Erkrankungen informieren. Hier finden sich auch Patienten-Erfahrungsberichte und Expertenbeiträge zu verschiedenen krankheitsrelevanten Schwerpunkten. Zudem finden Patient:innen ausführliche Checklisten, die ihnen die Gespräche mit dem Behandlungsteam erleichtern können. Dazu kann auch eine Anpassung der bestehenden Therapie gehören, wenn die bisherige Behandlung nicht den gewünschten Erfolg erzielt oder Nebenwirkungen auftreten, welche die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Dabei kann auch der MPN-Tracker unter www.mpntracker.com/de-DE helfen, der Patient:innen in Form eines Therapietagebuches bei der Dokumentation zur Entwicklung ihrer Erkrankung unterstützt.
Ärzten und dem gesamten Behandlungsteam im Hintergrund. Ich möchte allen Betroffenen Mut machen, offen mit ihrer Erkrankung umzugehen und sich nicht zu verstecken. Denn das Umfeld kann uns Patienten nur unterstützen, wenn wir über unsere Erkrankung sprechen. Natürlich leidet vor allem das familiäre Umfeld mit.
Was möchten Sie Betroffenen noch mit auf den Weg geben?
Auch hier hilft nur Offenheit, um mit der Situation gut umgehen zu können. Das gilt auch für das berufliche Umfeld. Von Anfang an wurde ich von allen vorbehaltlos unterstützt: Dafür bin ich meiner Familie und meinen Kolleginnen und Kollegen von Herzen dankbar! Lassen Sie sich bei Krebserkrankungen, und dazu gehört auch die CML, von der wissenschaftlichen Medizin behandeln. Schließlich geht es um Ihr Leben. Denn Sie sitzen in dem Zug, der hoffentlich den Zielbahnhof erreicht, den Sie sich wünschen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gute Fahrt.
1 Rohrbacher et al 2009
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Zusammen stärker
Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, Selbsthilfeorganisationen und Fachärzt:innen stärkt Patient:innen und ihre Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung. Seit 2016 können MPN-Betroffene einen bundesweit etablierten Treffpunkt nutzen: die MPN-Patient:innentage. Die Teilnahme an den MPN Veranstaltungen ist kostenlos. Auf www.leben-mit-blutkrankheiten.de/mpn-patiententage findet man die Anmeldung für den nächsten Patient:innentag sowie weitere Informationen und einen kleinen Rückblick auf vergangene Veranstaltungen. Zudem können Betroffene und ihre Angehörigen sich für die Initiative „Erfahrungsschatz“ anmelden, um andere Patient:innen, Angehörige und Interessierte an wichtigen Themen rund um ihre Erkrankung teilhaben zu lassen. Erzählen Sie Ihre Geschichte!
Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie mehr zu uns auf unserer Webseite unter www.leben-mit-blutkrankheiten.de

Frühe Diagnose, richtige Behandlung: Normale Lebenserwartung trotz PBC?
Spricht man über Lebererkrankungen, dann denkt man zunächst an häufig auftretende Krankheitsbilder wie Hepatitis oder Gelbsucht. Seltene Lebererkrankungen wie zum Beispiel die Primär Biliäre Cholangitis (PBC) sind weitestgehend unbekannt, was für Betroffene oft eine lange Odyssee bis zur richtigen Diagnose bedeutet. Wir sprachen mit Prof. Dr. med. Frank Tacke über die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten bei seltenen Lebererkrankungen und über die so wichtige Aufklärungsarbeit zu diesen Krankheitsbildern, um Betroffene möglichst schnell diagnostizieren und versorgen zu können.
Welche seltenen Lebererkrankungen sind derzeit bekannt und welche Ursachen vermutet man?
Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan unseres Körpers und es gibt eine Vielzahl möglicher Lebererkrankungen. Beispielsweise erblich bedingte Defekte in bestimmten Enzymen, die einzelne Stoffwechselfunktionen oder Aufgaben der Leber beeinträchtigen. Sie treten sehr selten auf. Es gibt auch Erkrankungen, bei denen sich das Immunsystem gegen die Leber richtet, sogenannte autoimmune Lebererkrankungen. Zudem gibt es Speichererkrankungen, bei denen die Leber bestimmte Stoffe wie Kupfer oder Eisen nicht mehr richtig ausscheiden kann. Bei cholestatischen Lebererkrankungen wiederum ist die Galleausscheidung verändert, was meist zu Entzündungen und Immunreaktionen führt.
Zu letzteren zählt auch die seltene, Primär Biliäre Cholangitis (PBC). Was passiert im Körper von PBCBetroffenen?
Die primär biliäre Cholangitis betrifft vor allem die kleinen und mittleren Gallenwege, die eine starke Entzündungsreaktion zeigen. Die genauen Ursachen der PBC sind nicht vollständig geklärt, doch man weiß, dass die Funktion der in der Leber gebildeten Galle gestört ist. Man vermutet eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem den eigenen Körper angreift, was durch die häufigen Funde von Autoantikörpern bei PBCPatienten untermauert wird.
Gibt es Häufungen, wen diese Erkrankung betrifft?
Ja, eine PBC betrifft hauptsächlich Frauen mittleren Alters, mit einem Diagnosegipfel zwischen 50 und 60 Jahren. Die Erkrankung kann aber grundsätzlich in jedem Lebensalter auftreten, wobei die Verteilung der Geschlechter ungleich ist. 90 bis 95 % der Betroffenen sind Frauen. Warum Frauen häufiger betroffen sind, ist unklar. Es wurden zahlreiche genetische Assoziationsstudien durchgeführt, um Risikogene zu identifizieren. Möglicherweise spielen auch hormonelle Veränderungen eine Rolle. Frauen sind insgesamt häufiger von Autoimmunerkrankungen betroffen, was aber nicht für alle Autoimmunerkrankungen gilt. So tritt beispielsweise Psoriasis häufiger bei Männern auf, während andere Erkrankungen wie Schilddrüsenimmunerkrankungen verstärkt bei Frauen auftreten.
Die Betroffenen stehen mit 50 oder 60 Jahren mitten im Leben. Das bringt sicher Herausforderungen mit sich? Ja, das typische Erkrankungsalter stellt sogar eine große Herausforderung dar, denn die Betroffenen sind einer doppelten Belastung durch Beruf und Familie ausgesetzt. Zu den häufigsten Symptomen der PBC gehört die sogenannte Fatigue, eine übermäßige Müdigkeit und Kraftlosigkeit, die möglicherweise mit der Autoimmunität zusammenhängt. Ebenso häufig treten Juckreiz (Pruritus) und trockene Schleimhäute (SiccaSymptomatik) auf, besonders in den Abendstunden oder nachts.
Wie viele Menschen sind in Deutschland von PBC betroffen?
Man rechnet mit 10 bis 40 Betroffenen pro 100.000 Einwohnern, was in Deutschland etwa 20.000 bis 30.000 Menschen entspricht. Davon ist aber nur ein kleiner Teil diagnostiziert, denn die Diagnostik erfordert spezielle Bluttests; auch werden die Symptome teils nicht korrekt zugeordnet.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Für die Diagnose der Primären Biliären Cholangitis gibt es im Wesentlichen drei Bausteine, von denen zwei vorhanden sein müssen.

In Deutschland sind etwa 20.000 bis 30.000 Menschen betroffen.
Prof. Dr. med. Frank Tacke Klinikdirektor Charité - Universitätsmedizin Berlin, Medizinische Klinik m. S. Hepatologie und Gastroenterologie
Zum einen sind dies erhöhte Leberwerte, insbesondere der alkalischen Phosphatase und der Gamma-GT, die einen gestörten Gallefluss anzeigen. Der zweite Baustein sind positive Autoantikörper, die AMA oder anti-mitochondriale Antikörper.
Der dritte Baustein, falls die anderen beiden Bausteine nicht eindeutig sind, wird durch eine Leberbiopsie ermittelt. Das Lebergewebe von PBC-Betroffenen zeigt in der Regel ein typisches Muster einer Gallengangsentzündung.
Wichtig ist, dass die Betroffenen von Spezialisten mitbetreut werden, die sich mit der Erkrankung auskennen, um die optimale Behandlung sicherzustellen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Patientinnen und Patienten mit Primärer Biliärer Cholangitis werden zunächst mit einem Gallensäurepräparat behandelt, das
eine natürlich vorkommende Gallensäure enthält und die Galle flüssiger macht. Etwa 30 % der Betroffenen benötigen jedoch weitere Maßnahmen, da das Präparat allein nicht ausreicht. Hier kommen weitere Medikamente zum Einsatz. Die Prognose ist gut, wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt und konsequent behandelt wird. Ist dies der Fall, ist die Lebenserwartung nicht beeinträchtigt.
Erwarten Sie in näherer Zukunft spannende Entwicklungen für die PBC-Behandlung?
Ja, das Therapiespektrum für PBC wird sich in Zukunft erweitern. Besonders für die Patientinnen und Patienten, die nicht auf die Erstlinientherapie ansprechen, werden bald neue Präparate zur Verfügung stehen. Wichtig ist, dass die Betroffenen von Spezialisten mitbetreut werden, die sich mit der Erkrankung auskennen, um die optimale Behandlung sicherzustellen.
Primäre Biliäre Cholangitis (PBC): Das sind die möglichen Symptome
• Chronische Müdigkeit und Erschöpfung (sog. Fatigue)
• Starker Juckreiz ohne Veränderungen der Haut (sog. Pruritus)
• Trockene Schleimhäute (sog. Sicca-Syndrom)
• Gelbfärbung der Haut oder Schleimhäute bis hin zur Gelbsucht (sog. Ikterus)
• Konzentrationsschwierigkeiten
• Gelenkprobleme (sog. Arthralgien)
• Fettablagerungen unter der Haut (sog. Xanthome)
• Osteoporose
• Schilddrüsenerkrankungen
• Restless-Legs-Syndrom
Quelle: www.pbcnews.info

Ich lasse meine AP-Werte regelmäßig kontrollieren. Denn wenn ich weiß, was los ist, kann ich über eine mögliche Therapieanpassung aktiv mitentscheiden.
Wenn Sie auch betroffen sind, sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt über Ihre Leberwerte.

Die molekulargenetische
Diagnose
als Schlüssel zu einem besseren
Krankheitsverständnis
und für eine bessere medizinische
Versorgung

Die Verfügbarkeit genetischer und genomischer Untersuchungsmethoden bei Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen hat die Medizin nachhaltig verändert. Mittlerweile lässt sich bei mehr als 50% aller Betroffenen eine genetische Ursache der seltenen Erkrankung identifizieren. Dazu beigetragen hat zum einen der erhebliche Erkenntnisgewinn in der humangenetischen Forschung, so ist mittlerweile die genetische Ursache von mehr als 7.500 verschiedenen Erkrankungen bekannt. Hinzu kommt aber auch die breite Anwendung molekulargenetischer Untersuchungsmethoden in der klinischen Praxis. Insbesondere die Implementierung genomweiter Untersuchungen, wie z. B. der Chromosomen Microarray Analyse, der Exom- und Genomsequenzierung, hat zu einer erheblichen Steigerung der Aufklärungsrate genetisch (mit-)bedingter Erkrankungen geführt.
Die molekulare Diagnosestellung stellt für viele Betroffene und deren Ärzteteam einen Meilenstein für das Verständnis und die weitere Versorgung der Erkrankung dar. Sie schafft Zugang zur aktuellsten Fachliteratur, ermöglicht die Kontaktaufnahme mit führenden Expertinnen und Experten, beruhigt mitunter das eigene Gewissen und verhindert im weiteren Verlauf auch unnötige, manchmal invasive und kostenintensive Untersuchungen. Zugleich ermöglicht die genetische Diagnose häufig eine bessere medizinische Versorgung mit gezielten Vorsorgeuntersuchungen oder auch therapeutischen Möglichkeiten. Für seltene Erkrankungen wurde in Deutschland mit den Zentren für Seltene Erkrankungen eine besondere Versorgungsform geschaffen, die eine multidisziplinäre Versorgung der Betroffenen in hochspezialisierten Zentren
ermöglicht. Neue Initiativen wie etwa das Modellvorhaben Genomsequenzierung (SGB V, §64e) werden den Zugang zu umfassenden genetischen Untersuchungsmethoden und Testverfahren weiter verbessern.
Die molekulare Diagnosestellung stellt für viele Betroffene und deren Ärzteteam einen Meilenstein für das Verständnis und die weitere Versorgung der Erkrankung dar.

Prof. Dr. med. Christian Schaaf Geschäftsführender Ärztlicher Direktor des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg und Sprecher der Akademie Humangenetik der GfH e. V.
Doch nicht nur die Identifizierung des krankheitsverursachenden Gens, sondern auch die Bestimmung der spezifischen Variante ist von enormer Bedeutung. Man spricht von „Genotyp-Phäntotyp Korrelationen“, d. h. einem Zusammenhang zwischen genetischer Veränderung und klinischer Ausprägung. Bei manchen Erkrankungen bestimmt die Art und Lokalisation des genetischen „Tippfehlers“ den Schweregrad der Erkrankung (z.B. bei dem sehr seltenen Bosch-Boonstra-Schaaf Optikusatrophie Syndrom), bei anderen Erkrankungen kann die entsprechende Veränderung der Schlüssel zur Therapie sein. Beispielsweise ist ein bestimmtes Medikament bei Mukoviszidose nur für solche Patientinnen und Patienten zugelassen, deren Erkrankung durch das Vorliegen zweier deltaF508 Mutationen verursacht wird.
Was bleibt, ist noch die Herausforderung der begrenzten therapeutischen Möglichkeiten für ultra-seltene Erkrankungen. Doch auch auf diesem Gebiet besteht Hoffnung. Der Bereich der molekularen Therapien, wie z. B. RNA-basierten Therapien oder Gentherapien, erlebt aktuell einen regelrechten Boom und wird in den kommenden Jahren die Perspektive für betroffene Patientinnen und Patienten deutlich verbessern. So hat sich die in den USA basierte N-Lorem Foundation zum Ziel gesetzt, individuelle Therapeutika für extrem seltene, monogene Erkrankungen zu entwickeln, bei denen weltweit weniger als 30 Personen von der gleichen genetischen Veränderung betroffen sind. Und auch in Europa gibt es entsprechende Initiativen, z. B. das „1 Mutation, 1 Medicine“ Projekt, an dem in Deutschland die Universität Heidelberg, die LMU München und die Universität Tübingen beteiligt sind.
Die Voraussetzungen für eine bessere Versorgung von Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen sind somit gegeben und lassen durchaus Hoffnung auf neue therapeutische Ansätze und eine verbesserte Lebensqualität für die betroffenen Personen aufkommen.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e. V. unter: www.gfhev.de


Clusterkopfschmerz: „Seit der Diagnose habe ich wieder selbst die Macht über meinen Körper“
Mindestens 120.000 Menschen in Deutschland leiden an Clusterkopfschmerz: Eine Erkrankung, die unerträgliche Schmerzen verursacht. Man spricht auch von „Suicide Headache“: Das macht deutlich, wie stark Betroffene leiden. Wir sprachen mit Andrea Sommer-Fackler, Clusterkopfschmerz-Patientin und Vorstandsmitglied im Bundesverband der Clusterkopfschmerz-Selbsthilfe-Gruppen (CSG) e.V.
Text Miriam Hähnel
Wann sind bei Ihnen die ersten Symptome aufgetreten und wie sahen diese aus? Es begann, als ich 15, 16 Jahre alt war. Die Symptome waren ganz klassisch: Ich hatte schubweise einseitige Kopfschmerzen, die so stark waren, dass ich hyperventiliert habe. Die Attacken traten nachts auf. Es folgten diverse Arztbesuche, aber die Beschwerden wurden der Pubertät zugeschrieben. Zwischen den Attacken lagen immer mehrere Jahre ohne Beschwerden, was die Diagnose weiter erschwerte.
Wann und von welchem Arzt wurde die richtige Diagnose gestellt?
2001 hatte ich wieder jede Nacht extreme Schmerzattacken und lief von Arzt zu Arzt. Keiner fand die Ursache. Ein Arzt meinte, die Beschwerden kämen vom Oberkiefer, mir wurden alle Zähne gezogen. Ich war damals 32 Jahre alt, hatte keine eigenen Zähne mehr, und 6 Monate später begannen die Schmerzattacken erneut. Ich habe dann oft gehört, dass ich mir die Schmerzen einbilden würde, wurde als Simulantin abgestempelt und in die psychosomatische Schublade gesteckt. Das war 2010 paradoxerweise der Schlüssel zur Diagnose: Denn mein Psychologe hörte mir aufmerksam zu und sagte, dass er in der Ärztezeitung etwas über Clusterkopfschmerz gelesen hätte, ich solle mich in einer Kopfschmerzambulanz vorstellen. In der LMU
München wurde ich dann vom Scheitel bis zur Sohle untersucht, und innerhalb eines Tages stand die Diagnose: episodischer Clusterkopfschmerz auf der rechten Seite. Ganz ehrlich? Ich war happy und erleichtert, dass ich nun endlich wusste: Das Kind hat einen Namen und ich bilde mir meine Beschwerden nicht ein!
Wie sieht Ihr Leben mit Clusterkopfschmerz aus und inwieweit schränkt Sie die Erkrankung ein?
Da ich immer nachts mit Attacken zu kämpfen hatte, war ich tags darauf wie gerädert. Vor der Diagnose ging ich abends mit einem mulmigen Gefühl ins Bett, aus Angst, dass die Schmerzen wiederkommen. Ich habe kaum noch das Haus verlassen, habe mich komplett isoliert. Zudem machte es mich fertig, nicht ernst genommen zu werden. Das sieht jetzt zum Glück anders aus!
Wie wird Ihre Erkrankung behandelt und können Sie unter Therapie ein normales Leben führen?
Seit ich in Behandlung bin, bestimmt der Clusterkopfschmerz nicht mehr mein Leben, ich bin wieder selbst am Steuer. Und wenn er sich bemerkbar macht, weiß ich, wie ich ihn im Zaum halten kann. Ich habe wieder selbst die Macht über meinen Körper, kann ohne Angst das Haus verlassen, mich mit Freunden

Clusterkopfschmerz


treffen, mit meinem Mann essen gehen. Das ist ein wahnsinniges Plus an Lebensqualität!
Was wünschen Sie sich, wenn es um die Versorgung Betroffener geht?
Ein offenes Ohr seitens der Ärzte und einen feinfühligen Umgang mit Betroffenen. Außerdem braucht es mehr Aufklärung zum Clusterkopfschmerz, sowohl bei Ärzten als auch in der Öffentlichkeit. Das war mein Antrieb, mich im Vorstand des CSG e. V. zu engagieren, denn Betroffene gehen bis zur Diagnose buchstäblich durch die Hölle. Zudem wünsche ich mir, dass man bezüglich der Versorgung weniger Kämpfe ausfechten muss, z. B. mit den Krankenkassen. Und da Betroffene immer jünger werden, wünsche ich mir, dass es auch für Kinder und Jugendliche möglichst bald eine zugelassene Therapie gibt!
Bundesverband der ClusterkopfschmerzSelbsthilfe-Gruppen (CSG) e. V.
Auf der Website www.clusterkopf.de finden Sie umfangreiche Informationen, Erkenntnisse und Studien über dieses seltene Krankheitsbild. Zudem bietet der Verband Hilfe bei der Kontaktaufnahme mit anderen Betroffenen oder vermittelt an Spezialisten in der Nähe. Das erklärte Ziel ist es, die Erkrankung bekannter zu machen und für mehr Verständnis für die Schicksale der betroffenen Menschen zu sorgen.







„Schmerzen wie glühende Nägel im Auge“
Leiden Sie oder Bekannte unter folgenden Symptomen?

Heftigste einseitige Kopfschmerzen Unruhe und Bewegungsdrang während der Attacke Attacken-Dauer von 15 Minuten bis 3 Stunden mindestens ein Begleitsymptom (einseitig) tränendes Auge laufende Nase hängendes Augenlid








Brauchen Sie Hilfe und Unterstützung? Unter www.kopfschmerz-kompass.de finden Sie Informationen rund um Kopfschmerzerkrankungen und Experten in Ihrer Nähe.












































„Nicht-dystrophe Myotonien sind schwerwiegende Erkrankungen, für die mehr Awareness geschaffen werden muss“
Nicht-dystrophe Myotonien (NDM) sind eine Gruppe seltener Erberkrankungen. Das Hauptsymptom: Betroffene sind aufgrund der Krankheit nicht fähig, die der körperlichen Bewegung dienenden Muskeln (Skelettmuskulatur) nach der Kontraktion sofort wieder zu entspannen. Ein Gespräch mit der Expertin Prof. Dr. Christiane Schneider-Gold zu den diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.
Nicht-dystrophe Myotonien sind selbst für erfahrene Mediziner nicht leicht zu erkennen. Was sind die Herausforderungen bei der Diagnosestellung?
Die nicht-dystrophen Myotonien sind zum einen sehr seltene Erkrankungen, die zu den (muskulären) Ionenkanalerkrankungen zählen. Nur etwa 20 Menschen von einer Million sind von einer solchen Ionenkanalerkrankung betroffen. Bei der Unterform der NDM sind es noch einmal weniger, hier liegt die Inzidenz bei 16 zu einer Million. Innerhalb der Gruppe der NDM muss man dann noch unterscheiden, welche Mutation zugrunde liegt.
Anhand der klinischen Anzeichen wie z. B. Muskelsteifigkeit lässt sich eine NDM nicht sofort erkennen, da man erst einmal schauen muss, ob es sich z. B. um normale neurogene Muskelkrämpfe handelt. Solche Krämpfe können auch bei Elektrolytstörungen oder Vitamin D-Mangel auftreten und sind in dem Kontext wesentlich häufiger. Zudem haben bei manchen Betroffenen auch andere Familienmitglieder die gleichen Beschwerden, sodass man denken könnte, dass es sich um eine familiäre Besonderheit handelt. Das wird oft einfach hingenommen, ohne dass weitere Untersuchungen stattfinden. Es handelt sich also um ein klinisch anspruchsvolles Krankheitsbild.
Sind die Symptome stärker ausgeprägt, oder treten sogar schon bei Kindern auf, dann wird meist genauer geschaut. Aber sowohl Kinderärzte als auch Allgemeinmediziner behandeln ein so breites Krankheitsspektrum, dass es nicht leicht ist, auch im Bereich der neuromuskulären Erkrankungen direkt an NDM zu denken.
Hat man die Vermutung, dass eine Myotonie vorliegen könnte, dann kann über eine genetische Untersuchung eine gesicherte Diagnose gestellt werden.
Wie äußern sich NDM, wie wirken sie sich auf den Alltag Betroffener aus und was sind die daraus resultierenden Herausforderungen und Folgen für Betroffene?
Die Patienten haben eine Reaktionsstörung der Muskulatur, d. h. sie können Muskeln nach einer Anspannung nicht sofort entspannen. Erwachsene Patienten leben oft jahrelang mit den Beschwerden, die sie als ständige Muskelkrämpfe teilweise begleitet von Schmerzen beschreiben.
Nur etwa 16 Menschen von einer Million sind von einer nicht-dystrophen Myotonie betroffen.
Es handelt sich aber nicht um Krämpfe, sondern um eine Muskelsteifigkeit: Nach dem Zugreifen kann der Griff beispielsweise nicht sofort wieder geöffnet werden, was für Betroffene bei manuellen Tätigkeiten und im sozialen Kontext sehr unangenehm sein kann. Nach Ruhephasen kann es beim Aufstehen vom Stuhl oder beim Aussteigen aus dem Auto zu einer Blockade der Beinmuskeln kommen: Betroffene können nicht sofort loslaufen und es besteht die Gefahr von Stürzen. Die Zungenmuskulatur kann ebenfalls betroffen sein, sodass das Sprechen hörbar beeinträchtigt sein kann.
Auch Augenbewegungen können verlangsamt sein, so dass die Augäpfel nach einem Aufwärtsblick zunächst in der nach oben geführten Position verbleiben und erst verzögert wieder in die Ausgangsposition zurück geführt werden können. Beim Niesen kann es zu einem verlängerten Augenschluss kommen, der nicht sofort gelöst werden kann. Dies kann beim Autofahren problematisch werden.
Kinder können infolge der Muskelsteifigkeit häufiger hinfallen und gelten dann als „tollpatschig“. Bei starker Myotonie der Beinmuskulatur kann es sein, dass Kinder im 1. Lebensjahr verfrüht stehen können. Dies wird meist nicht als Defizit wahrgenommen, ganz im Gegenteil: Die Eltern freuen sich eher, dass das Kind schon so früh stehen kann.
Durch die ständige unwillkürliche Aktivität der Muskeln bildet sich in vielen Fällen ein muskulöser Habitus aus, auch schon bei Kindern. Häufig sind die Wadenmuskeln dabei besonders gut ausgeprägt. Betroffene haben trotz der guten Ausprägung der Muskulatur häufig mit der Muskelsteifigkeit zu kämpfen, einige sind aber tatsächlich auch sehr sportlich. Es kommt dabei auf den Ausprägungsgrad der Myotonie an.
Die Bandbreite ist enorm: Bei einer leichten Myotonie können durchaus sportliche Tätigkeiten auch im Leistungssportbereich ausgeführt werden, bei einer stark ausgeprägten Myotonie kommt es hingegen schon fast zu einem „Einfrieren“ der Muskulatur. Bei der Sonderform der Paramyotonie ist neben körperlicher Belastung vor allem Kälte ein starker Trigger, sodass die Muskelsteifigkeit besonders im Winter oder beim Schwimmen im kalten Wasser oder beim Versuch, einen Bus oder eine Bahn gerade noch zu erreichen, auftritt. Das kann für Betroffene sehr unangenehm, und im Wasser infolge der plötzlichen Unfähigkeit sogar traumatisch bis lebensgefährlich werden.
Die Erkranku ng hat also neben der körperlichen auch eine große psychologische Komponente, unter der Patienten sehr leiden können. Abgesehen von den muskulären Beschwerden leiden Betroffene oft auch unter Schmerzen und sind durch die vermehrte Anstrengung, die das Überwinden der Myotonie erfordert, ständig müde.
Zudem können durch die Myotonie Fehlbelastungen des Skelettsystems auftreten, was sekundär z. B. zu Rückenschmerzen führen kann.
Wie sehen die derzeitigen Therapieoptionen aus und wie helfen diese den Betroffenen, ein weitestgehend normales Leben führen?
Bisher gibt es ausschließlich symptomatische Therapien, sogenannte Antimyotonika. Zu diesen zählen so genannte Klasse I-Anti-Arrhythmika, die primär zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden, und Medikamente, die zur Behandlung der Epilepsie eingesetzt werden. Vertreter beider Substanzgruppen führen über ihre Effekte auf muskuläre Natriumkanäle (Natriumkanalblocker) zu einer Stabilisierung des Muskelaktionspotentials und damit zu einer Abnahme der Myotonie, sodass das vorherrschende Krankheitssymptom, die Myotonie/Muskelsteifigkeit, abnimmt. Darüber hinaus gibt es Substanzen, die über andere Mechanismen direkt oder indirekt zu einer Normalisierung der intra- und extrazellulären
Ionenkonzentration führen und damit das Muskelaktionspotential stabilisieren. Folglich ist unter der jeweiligen Therapie wieder eine Entspannung der Muskulatur und damit ein normalisierter Bewegungsablauf möglich. Abgesehen von der medikamentösen Therapie sollten Betroffene regelmäßig Physiotherapie erhalten.
Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass es eben nicht nur eine Muskelsteifigkeit oder Muskelverkrampfung ist, die ab und an auftritt.

Christiane Schneider-Gold Oberärztin der Neuromuskulären Ambulanz am Katholischen Klinikum Bochum
Was wünschen Sie sich bezüglich der Versorgung von Menschen mit NDM? Mein Wunsch ist vor allem, dass eine höhere Awareness in Bezug auf diese Krankheitsbilder entsteht, damit Patienten, die über
bewegungs- oder temperaturabhängige Beschwerden klagen, schneller auf NDM untersucht werden. Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass es eben nicht nur eine Muskelsteifigkeit oder Muskelverkrampfung ist, die ab und an auftritt, sondern dass es sich um unterschiedliche genetisch bedingte organische Erkrankungen handelt, deren Symptomatik durch geeignete Medikamente zumindest bei einem großen Teil der Betroffenen deutlich zu lindern ist. Daher sollte auch schneller über die Genetik zumindest eine Ausschlussdiagnostik betrieben und zudem auf Chlorid- und Natriumkanalmutationen untersucht werden. Auch eine Familienanamnese ist wichtig, um zu schauen, ob bereits ähnliche Fälle aufgetreten sind.
Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Patientenorganisation Mensch und Myotonie e. V. unter www.menschundmyotonie.de sowie auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e. V. unter www.dgm.org

„Ich dachte, das überlebe ich nicht“
Kristina Podszun hat einen schweren Leidensweg hinter sich. Sie hat akute hepatische Porphyrie, eine seltene erblich bedingte Erkrankung. Zunächst nicht von den Ärzten ernst genommen, verschlimmerte sich ihr Zustand so sehr, dass sie nicht mehr essen oder trinken konnte, starke Lähmungserscheinungen hatte und auf 38kg abmagerte. Einer aufmerksamen jungen Ärztin ist es zu verdanken, dass die richtige Diagnose gestellt werden konnte.
Text Miriam Hähnel
Frau Podszun, sie haben akute hepatische Porphyrie (kurz AHP). Wann hatten Sie das erste Mal Beschwerden und wie sahen diese aus?
Im November 2013. Ich bin von heute auf morgen mit heftigen Schmerzen im Oberbauch aufgewacht. Ich hatte Angst, es könne sich um einen Darmverschluss handeln und bin in die Notaufnahme gegangen. Dort wurde ich halbherzig untersucht und mit der Diagnose „Magen-Darm-Infekt“ nach Hause geschickt. Dort bin ich in der Nacht vor Schmerzen vollständig kollabiert und konnte mich kaum noch bewegen, zudem wurde ich zunehmend geistig benommen und konnte kaum noch sprechen. Ich war mir sicher, die Nacht nicht zu überleben. Mein Opa fuhr mich wieder ins Krankenhaus. Ich wurde dann stationär aufgenommen.
Wie sah Ihr Weg bis zur gesicherten Diagnose aus?
Das dauerte beinahe 7 Wochen. Stationär aufgenommen, folgten weitere Untersuchungen: Magenspiegelung, Darmspiegelung, erneute Blutuntersuchungen. Bis auf einen extrem niedrigen Natriumspiegel im Blut war jedoch nichts Auffälliges zu bemerken. Die Schmerzen hatten sich mittlerweile so verstärkt, dass ich stärkste Opiate intravenös verabreicht bekam. Essen und Trinken war nicht selbstständig möglich. Ich habe 20 kg Gewicht verloren und wog zum Schluss noch 38 kg. Als mögliche Diagnose stand nun eine Dünndarminvagination im
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Raum, ich wurde operiert. Das Resultat dieser OP war, dass die Ärzte so schlau wie vorher waren. Gefunden wurde rein gar nichts. Mein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Mir fiel in meinen wenigen wachen Momenten auf, dass ich meine Arme und Beine immer schwieriger bewegen und anheben konnte. Wie eine Lähmung, die sich immer weiter ausbreitet. Ernst genommen hat das niemand. Irgendwann musste ich phasenweise auf der Intensivstation beatmet werden. Zudem hatte ich unglaublich hohen Blutdruck, der auch mit Blutdrucksenkern nicht in den Griff zu bekommen war. Große Hoffnung, dass ich die nächsten Tage überlebe, hatte wohl keiner mehr.
Es folgten viele schwere Jahre von 2014 bis ca. 2018, in denen ich über 30 Mal stationär mit akuten Schüben im Krankenhaus behandelt wurde. Vor allem in Zeiten großer psychischer Belastungen oder unter Stress wurden die Schübe besonders häufig und schlimm. Mit dem Beginn einer neuen Beziehung sowie einer beruflichen Veränderung stabilisierte sich meine Situation ein bisschen und ich war „nur“ noch 3 Mal jährlich stationär im Krankenhaus.
Fühlen Sie sich nun medizinisch gut versorgt?

Vor allem in Zeiten großer psychischer Belastungen oder unter Stress wurden die Schübe besonders häufig und schlimm.
Durch absoluten Zufall und Glück kamen an einem Tag plötzlich hektisch Ärzte in mein Zimmer geeilt. Eine junge Ärztin habe im Studium von den akuten Porphyrien gehört und meine Symptome passten exakt dazu. Ab diesem Zeitpunkt bekam ich 7 Tage hintereinander eine Behandlung mit humanem Hämin, das die starken Schmerzen und Blutdruckentgleisungen linderte, aber die Lähmungen blieben.
Der Wendepunkt in meinem Leben erfolgte Anfang des Jahres 2020, als ich von einem sehr bemühten Labormediziner die Nachricht erhielt, dass es ein neues Medikament gibt und ich selbst wahrscheinlich bald damit behandelt werden könne. So kam es im Rahmen dieser neuen Medikation zum Erstkontakt mit dem Porphyriezentrum Chemnitz, wo ich mich sofort so wohl und gut aufgehoben gefühlt habe. Endlich wurde ich mit all meinen Sorgen, Ängsten und Beschwerden voll und ganz ernst genommen. Das ganze Team dort arbeitet hervorragend zusammen und beantwortete alle meine Fragen souverän und kompetent. Zudem kann ich auch von zuhause aus jederzeit jemanden erreichen und ich werde häufig kontaktiert, um zu erzählen, wie es mir gerade geht. Die Behandlung mit dem neuen Medikament ist für mich ein voller Erfolg gewesen: Meine Beschwerden haben sich deutlich verbessert, einen starken Schub hatte ich seitdem gar nicht mehr (toi toi toi). Das Tolle ist, dass ich für die Injektionen nicht jedes Mal nach Chemnitz fahren muss, sondern diese auch zuhause in meinem Heimatort bekommen kann. Meine Lebensqualität hat sich unglaublich verbessert und ich danke dem ganzen Team des Porphyriezentrums Chemnitz von Herzen.


„Wenn
Kinder
Nierensteine haben, sollten Ärzte hellhörig werden“
Die primäre Hyperoxalurie Typ 1 ist eine extrem seltene Erkrankung, die im Endstadium zu einer lebensbedrohlichen Nierenschwäche führen kann. Über die Erkrankung und Meilensteine in der Therapie spricht Prof. Dr. med. Felix Knauf im Interview.
Text Hanna Sinnecker
Herr Prof. Knauf, Sie betreuen unter anderem Patienten, die an Kristall-assoziierten Nierenerkrankungen leiden. Was geschieht speziell bei der primären Hyperoxalurie Typ 1 (PH1) im Körper Betroffener?
Nierensteine sind eine extrem häufige Erkrankung und betreffen in der Mehrheit aller Fälle vor allem ältere Patienten. Zusätzlich zu diesem sehr häufigen Aufkommen von Nierensteinen bei den Älteren gibt es aber auch eine genetische Variante, bei der bereits junge Patienten betroffen sind. Dieser genetische Defekt führt zu einer vermehrten Bildung von Oxalat in der Leber. Oxalat ist ein Endprodukt des Stoffwechsels und wird, solange die Nierenfunktion ausreichend ist, fast komplett über den Urin ausgeschieden. Bei extrem hoher Oxalatausscheidung, wie bei der primären Hyperoxalurie üblich, ist der Urin immer für Calciumoxalat (CaOx) übersättigt, es bilden sich CaOx-Kristalle. Dies führt zu Ablagerungen dieser Kristalle im Nierengewebe (Nephrokalzinose) oder zu Steinbildung in den ableitenden Harnwegen. Beides löst eine chronische Entzündungs- und Vernarbungsreaktion und schließlich eine Nierenfunktionseinschränkung aus.
Wie äußert sich die Erkrankung und bei welchen Symptomkonstellationen sollten Ärzte hellhörig werden?
Dadurch, dass bei der PH1 bereits junge
Menschen, mitunter schon Babys und Kleinkinder, unter Nierensteinen leiden. Bei jedem jungen Patienten, der einen Nierenstein hat, sollten Ärzte hellhörig werden, insbesondere, wenn es oxalathaltige Steine sind. Die primären Hyperoxalurien sind autosomal-rezessiv vererbte Erkrankungen. Das bedeutet, dass der Patient sowohl auf dem von der Mutter als auch auf dem vom Vater geerbten Chromosomanteil die gleiche Veränderung in einem spezifischen Gen geerbt haben muss, um erkrankt zu sein. Die Eltern sind dabei meist nicht von der Erkrankung betroffen. Unbehandelt führt die Erkrankung zur Niereninsuffizienz.
Mit fortschreitender Nierenschwäche kommt es zur prognostisch sehr ungünstigen Auskristallisation von Calciumoxalat im gesamten Organismus (Oxalose). Symptome einer Nierenschädigung sind Schwäche, Antriebslosigkeit, Schmerzen und teilweise auch blutiger Urin.
Wie wurde die PH1 bisher therapiert? Erstes Ziel ist die frühe Diagnose, um durch eine konsequente konservative Therapie eine Nierenschädigung zu minimieren. Bei terminaler Niereninsuffizienz ist eine intensivierte Dialyse nötig, um das hohe Risiko der systemischen Oxalose in diesem Stadium zu reduzieren. Zur Korrektur des Enzymdefekts bei PH1 war bisher eine kombinierte Leber-Nieren-Transplantation nötig.

Symptome einer Nierenschädigung sind Schwäche, Antriebslosigkeit, Schmerzen und teilweise auch blutiger Urin.
Prof. Dr. med. Felix Knauf
Professor für Nephrologie an der Charité Berlin und der Mayo Clinic, USA
Das Problem bei der Transplantation ist die limitierte Verfügbarkeit der Organe, und bei der PH1 werden gleich zwei Organe benötigt. Hinzu kommen die Nebenwirkungen einer immunsuppressiven Therapie. Auch die Lebensdauer von transplantierten Organen ist limitiert.
Wie sieht momentan der Behandlungsstandard aus?
Es hat sich zum Glück sehr viel getan, eine spezifische Therapie ist auf den Markt gekommen, die konkret an dem genetischen Defekt ansetzt. Man kann Enzymreaktionen, die diesem Defekt vorgeschaltet sind, ausschalten und dadurch speziell in den Metabolismus von Oxalat eingreifen. Der Wirkstoff senkt also den Oxalatspiegel im Urin bei Kindern und Erwachsenen. Dadurch setzt man an der Ursache der Nierensteinbildung an, wodurch ein schwerer Verlauf hoffentlich ausgeschlossen ist. Das ist ein wahrer Meilenstein in der Therapie.






Jeder Tropfen zählt

Die Krankheiten, an denen täglich mehr als 1.000 Kinder sterben, sind nicht gerade selten: Cholera, Typhus und andere Durchfallerkrankungen.
Ein Brunnen ist die kostbarste Gesundheitsquelle in einem afrikanischen Dorf. Er liefert sauberes Trinkwasser für 1.000 Menschen und kostet 9.500 €.
Auch jede kleinere Spende hilft dabei, einem weiteren Dorf einen Brunnen zu ermöglichen.
GELDSPENDEN
GAiN, Volksbank Mittelhessen
IBAN DE88 5139 0000 0051 5551 55 „2405Brunnen“

WEITERE INFOS
Tel. 0641-97518-50 www.GAiN-Germany.org
