Lesen Sie mehr auf www.seltenekrankheiten.de

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"AUCH WENN ICH SELBST HAE HABE, WAR UND IST DIE ERKRANKUNG MEINER KINDER FÜR MICH DIE GRÖSSTE SORGE."
Im Interview spricht Ekaterina darüber, wie sie und ihre Kinder den Alltag mit einer seltenen Erbkrankheit meistern. Seite 04 – 05
Leben mit Dravet-Syndrom
Nadine ist Mutter einer betroffenen Tochter und teilt mit uns die Krankheitsgeschichte.
Seite 03 03
Genomsequenzierung
Eine Chance für Patienten mit Seltenen Erkrankungen?
Seite 10 10
VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT
DIESER AUSGABE FEBRUAR 2025
Miriam Hähnel Menschen mit Seltenen Erkrankungen brauchen unsere Solidarität: Am heutigen Rare Disease Day und an jedem anderen Tag.
LIN DIESER AUSGABE
Diagnose Myelofibrose
Patient Peter erklärt, wie die Erkrankung sein Leben beeinflusst.
Miriam Hähnel (Director Business Development Health) Jakob Söderbaum (Geschäftsführung, CEO), Henriette Schröder (Managing Director), Philipp Colaço (Director Business Development), Lea Hartmann (Head of Design), Cover: Ekaterina mit ihren beiden Kindern © Privat Mediaplanet-Kontakt: de.redaktion@mediaplanet.com
Alle Artikel, die mit “In Zusammenarbeit mit“ gekennzeichnet sind, sind keine neutrale Redaktion der Mediaplanet Verlag Deutschland GmbH. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m /w/d) verzichtet. Alle Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.
iebe Leserinnen und Leser, in Deutschland leben rund vier Millionen Menschen mit Seltenen Erkrankungen. Weltweit sind es Millionen weitere – eine Zahl, vergleichbar mit der Bevölkerung des drittgrößten Landes der Erde. Hinter jeder Zahl steht ein Mensch, ein Leben, eine Geschichte. Es geht nicht um seltene Diagnosen, sondern um viele Menschen, die oft unsichtbar bleiben, weil unser Gesundheitssystem ihre Bedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt.
Seit Beginn meines Engagements bei der ACHSE treibt mich die Frage an: Wie schaffen wir es, dass alle Stimmen gehört werden? Unser Ziel ist klar: mehr Wissen, eine bessere Versorgung und mehr Therapien. Doch die Betroffenen, die Partner, die Eltern, Geschwister – sie leiden auch im Alltag, der durch die Erkrankung stark geprägt ist.
Mit unseren Positionen „4 Millionen Gründe für eine bessere Gesundheitspolitik“, die wir für die kommende Legislatur ausgearbeitet haben, setzen wir ein klares Zeichen und fordern konkrete Maßnahmen zur Verbesserung, auch der Lebensqualität der Betroffenen.
Grundsätzlich darf Versorgung nicht länger von bürokratischen Barrieren oder Finanzierungsfragen abhängen. Alle Menschen haben das Recht auf bestmögliche Therapie, unabhängig von der Seltenheit ihrer Erkrankung. Um die langwierigen Odysseen durch das Gesundheitssystem zu vermeiden, sollen konkrete Versorgungspfade im ambulanten und stationären Bereich erstellt und veröffentlicht werden.
Die vorhandenen Versorgungsstrukturen wie die Zentren für Seltene Erkrankungen müssen besser miteinander und mit den European Reference Networks (ERN) sowie auch mit der nicht-spezialisierten Versorgung, insbesondere in der Niederlassung, vernetzt werden. Nur durch enge Zusammenarbeit zwischen Fachkräften kann sichergestellt werden, dass Wissen fließt und Betroffene nicht an Systemgrenzen verloren gehen. Nachhaltige Versorgung setzt aber auch eine finanzielle Sicherung voraus!
Und selbstverständlich muss die Förderung der Grundlagenund Versorgungsforschung zu Seltenen Erkrankungen weiter ausgebaut werden, um innovative Therapien und eine verbesserte Versorgung zu ermöglichen. Um nur einige unserer aktuellen Anliegen zu nennen.
Ein besonderer Moment, um die Anliegen Betroffener in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, ist der Rare Disease Day am 28. Februar 2025. An diesem Tag schaffen Betroffene, Angehörige und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer seit 18 Jahren Aufmerksamkeit für Seltene Erkrankungen weltweit. Zugleich setzt unsere Gemeinschaft der Menschen mit Seltenen Erkrankungen ein Zeichen für Vielfalt und ein solidarisches Miteinander. Dafür sollte sich nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft verstärkt einsetzen. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben. Veränderungen sind möglich, wenn wir gemeinsam handeln. Es gibt noch viel zu tun, um ein Gesundheitssystem zu schaffen, das alle einschließt: verlässlich, vernetzt und vorausschauend. Denken Sie immer daran: Selten sind Viele. Ich wünsche eine anregende Lektüre der aktuellen Sonderbeilage.
Ein besonderer Moment, um die Anliegen Betroffener in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, ist der Rare Disease Day am 28. Februar 2025. An diesem Tag schaffen Betroffene, Angehörige und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer seit 18 Jahren Aufmerksamkeit für Seltene Erkrankungen weltweit.
Geske Wehr Vorsitzende der ACHSE e. V.
Informationen finden Sie unter:
Weltweit leben etwa 400 Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung. Es gibt schätzungsweise 7.000 verschiedene Seltene Erkrankungen, die sich durch ganz unterschiedliche Anzeichen bemerkbar machen können. Da die Erkrankungen oft die gleichen Symptome haben wie häufiger auftretende Erkrankungen, warten die Betroffenen im Schnitt fast fünf Jahre auf die richtige Diagnose – viel zu lange.
Bei Hufgetrappel auch an Zebras denken Denn ein vor 70 Jahre geprägter, immer noch häufig zitierter Lehrsatz aus der Medizin besagt: „Wenn du Hufgetrappel hörst, denk‘ an Pferde, nicht an Zebras.“ Dieser Lehrsatz soll veranschaulichen, dass häufiger auftretende Erkrankungen wahrscheinlicher sind als seltene.
Für Menschen mit Seltenen Erkrankungen ist aber genau das ein großes Problem, denn ihre Erkrankungen sind die Zebras. Aus diesem Grund ist das Zebra mittlerweile zum internationalen Symbol für Seltene Erkrankungen geworden.
Seltene Erkrankungen sichtbar machen
Um Menschen mit Seltenen Erkrankungen sichtbar zu machen und über Seltene Erkrankungen aufzuklären, organisiert die Initiative „ColourUp4Rare“ jedes Jahr rund um den Tag der Seltenen Erkrankungen eine Mitmach-Aktion.
Spielerisch mehr über seltene Erkrankungen erfahren Die diesjährige Zebra-Challenge besteht aus einem Spiel. Wer sein Zebra am weitesten durch die Savanne bringt, gewinnt das Spiel - und lernt dabei noch allerlei über Seltene Erkrankungen!
Mach mit und setze ein Zeichen für Menschen mit Seltenen Erkrankungen! Die Zebra-Challenge läuft vom 25. Februar bis zum 9. März 2025
Wenn Kinder das Familienglück perfekt machen, freuen sich Eltern auf jeden Entwicklungsschritt und Meilenstein. Doch wenn Kinder Auffälligkeiten zeigen, wachsen die Sorgen. So war es auch bei Familie Benzler, deren ältere Tochter am Dravet-Syndrom erkrankt ist, einer seltenen Form der Epilepsie. Wir sprachen mit Nadine Benzler über diese tückische Erkrankung und wie man als Familie mit einer solchen Diagnose umzugehen lernt.
Text Hanna Sinnecker
Frau Benzler, Ihre ältere Tochter kam mit einem seltenen Gendefekt auf die Welt, sie hat das DravetSyndrom. Wann wurde die Diagnose gestellt und was hat das bei Ihnen als Eltern ausgelöst?
Unsere Tochter hat sich zunächst völlig normal entwickelt. Mit sieben Monaten ist sie mir im Planschbecken entglitten, weil sich ihr Körper krampfartig versteifte. Panisch bin ich mit ihr ins Klinikum gefahren: Ich dachte, mein Kind stirbt. Das war ihr erster epileptischer Anfall. Nach weiteren Untersuchungen und einem MRT wurde uns gesagt, dass nichts zu finden sei. Am nächsten Tag hatte sie schon den nächsten Krampfanfall. Wir sind dann an eine großartige Ärztin geraten, die mit uns auf Ursachensuche ging. Sie vermutete eine Form der Epilepsie und startete mit einer Medikation. Nach anderthalb Jahren „trial and error“ verhärtete sich der Verdacht auf das Dravet-Syndrom. Unsere Ärztin veranlasste einen Gentest, der die Diagnose bestätigte, als unsere Tochter zwei Jahre alt war. Die Diagnose hat uns den Boden unter den Füßen weggerissen. Wie äußert sich die Erkrankung und was sind für Ihr Kind, aber auch für Sie als Familie die größten Herausforderungen im Umgang mit der Erkrankung? Die Anfälle können sehr unterschiedlich aussehen. Manche Anfälle sind sehr kurz, die Kinder halten dann kurz inne und sind geistig abwesend (sog. Absencen).
Manche Anfälle äußern sich durch kurze unwillkürliche Muskelzuckungen z. B. der Arme (sog. Myoklonien). Und dann gibt es die sog. generalisierten Anfälle: Die Kinder verlieren komplett das Bewusstsein und versteifen sich komplett oder sacken in sich zusammen, was aufgrund der Unfallgefahr sehr gefährlich werden kann. Diese Anfälle gehen dann meist auch in Zuckungen über. Bei unserer Tochter pulsieren dabei auch häufig nur die Pupillen. Manche Kinder haben auch Serienanfälle, also mehrere kurz aufeinanderfolgende Anfälle, die über Stunden oder Tage anhalten können. Hinzu kommen dann noch Begleiterscheinungen wie Gleichgewichtsstörungen und Gangunsicherheiten. Unsere Tochter ist nun 14 Jahre alt und hat ein bis zwei Anfälle pro Monat, die meist ganz unvermittelt auftreten. Sie selbst bekommt die Krampfanfälle gar nicht mit. Sie fragt danach meist:
„Mama, war mein Gewitter wieder da?“ Sie merkt nun aber immer mehr, dass sie ders ist als andere. Durch die Erkrankung ist sie kognitiv eingeschränkt und nicht auf dem Stand einer gesunden 14-Jährigen. Mittlerweile geht sie deshalb auf eine Förderschule für geistige Entwicklung. Die größte Herausforderung für uns als Familie ist es, den Mut nie zu verlieren und immer weiterzumachen. Unsere Tages- und Wochenplanung richtet sich nach unserer Tochter, wir sind immer abrufbereit. Da muss natürlich auch häufig ihre kleine Schwester (8 Jahre) zurückstecken.
Der Austausch mit anderen Familien ist ein Geschenk. Man bekommt eine zweite, große Familie, die einem stets Rückhalt gibt.
Nadine Benzler Mutter eines betroffenen Kindes, Mitarbeiterin auf Minijob-Basis und ehrenamtliche Mitarbeiterin beim Dravet-Syndrom e. V.
Das Dravet-Syndrom ist bisher nicht heilbar, aber es gibt verschiedene Behandlungsansätze. Wie und wo wird Ihr Kind versorgt und welche Rolle spielt die Therapie in Ihrem Alltag? Sie wird in einem sozialpädiatrischen Zentrum behandelt, das leider über 100 km entfernt ist. Dort sind wir zweimal pro Jahr zur Überprüfung ihres Zustandes. Wenn sich ihr Zustand verschlechtert, sind wir natürlich häufiger dort. Die alltägliche Versorgung findet über den Kinderarzt statt. Morgens und abends muss sie Tabletten einnehmen, um epileptischen Anfällen möglichst vorzubeugen. Zudem haben wir immer Akutmedikamente zur Hand, wenn ein Anfall auftritt. Früher waren wir noch in logopädischer und heilpädagogischer Behandlung, später gingen wir zum therapeutischen Reiten. Letzteres mussten wir selbst finanzieren, weshalb wir uns irgendwann für ein eigenes Pferd entschieden haben. So hat die ganze Familie was davon (lacht).
Welchen Stellenwert hat für Sie die Vernetzung mit anderen betroffenen Familien? Wir haben uns direkt zu Beginn eine Selbsthilfegruppe gesucht, in der sich Eltern von Kindern mit Epilepsie vernetzt haben. Dieser Kontakt und dieses Netzwerk haben uns sehr geholfen, weil man merkt: Wir sind nicht allein! Diese Gruppe hat mir dann auch den Kontakt zum Dravet-Syndrom e. V. vermittelt. Der Austausch mit anderen Familien ist ein Geschenk. Man bekommt eine zweite, große Familie, die einem stets Rückhalt gibt. Zudem kann man gemeinsam viel voranbringen und die Forschung mit dem geballten Wissen der Elternschaft unterstützen. Das ist besonders für uns vom Dravet-Syndrom e. V. auch ein ganz wichtiges Anliegen.
Wie blicken Sie in die Zukunft und was wünschen Sie sich für Ihr Kind, aber auch für andere betroffene Familien?
Ich versuche, nicht allzu weit in die Zukunft zu blicken, weil sie zu ungewiss ist. Die Angst, dass unser Kind bei einem schweren Anfall aufhört zu atmen, oder dass ihr Körper aufgrund der Erkrankung ohne erkennbare Ursache plötzlich aufgibt, ist ein ständiger Begleiter. Denn die SUDEP*-Gefahr ist bei Dravet-Kindern erhöht. Was ich mir deswegen sehr wünsche, ist, dass eine Behandlungsmöglichkeit gefunden wird, mit der zumindest die schweren Anfälle verhindert werden können.
Betroffenen Eltern möchte ich unbedingt mitgeben, dass auch sie sich therapeutische Unterstützung suchen sollten, um mit der Situation zurecht zu kommen.
* SUDEP = sudden unexpected death in epilepsy, der plötzlich auftretende Tod eines Epilepsie-Betroffenen, für den sich keine andere Ursache finden lässt
Der Verein Dravet-Syndrom e. V.
Der gemeinnützige Verein setzt sich leidenschaftlich für die Unterstützung von DravetBetroffenen und ihren Familien ein und macht sich stark für mehr Aufklärung und Forschung. Die alle zwei Jahre stattfindenden Familienkonferenzen und die regelmäßigen regionalen Familientreffen bringen betroffene Familien zusammen und bieten Möglichkeiten zum Austausch.
Unter dravet.de/blog berichtet jeden Monat eine Famile aus ihrem Leben mit Dravet-Syndrom.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.dravet.de
Jazz Pharmaceuticals ist ein globales biopharmazeutisches Unternehmen, das sich der Entwicklung von Arzneimitteln für Menschen mit schweren neurologischen Erkrankungen widmet, darunter Behandlungen für seltene, schwere Epilepsien beginnend im Kindesalter.
„Man muss offen über die Erkrankung sprechen und immer am Ball bleiben!“
Das hereditäre Angioödem (kurz HAE) ist eine seltene vererbbare Erkrankung, die sich durch wiederkehrende Schwellungen bemerkbar macht. Die Schwellungen verursachen starke Schmerzen und können lebensbedrohlich werden. Ekaterina ist HAE-Patientin und hat zudem zwei Kinder, die ebenfalls von der Erkrankung betroffen sind. Mit ihr sprachen wir über den Umgang mit ihrer eigenen Erkrankung und der ihrer Kinder.
Text Levi Müller
Liebe Ekaterina, wie sah dein persönlicher Weg mit HAE aus: Wann hast du erste Symptome bemerkt, wie sahen die aus und wie lange hat es bis zur Diagnose gedauert?
Ich hatte schon im Kindesalter immer wieder unerklärliche Schwellungen an den Händen und im Gesicht sowie Bauchschmerzen, für die keine Ursache gefunden werden konnte. Rückblickend weiß ich, dass das die typischen HAE-Beschwerden waren. Hinzu kommt, dass mein Vater an einer Asphyxie verstorben ist, er war also sehr wahrscheinlich auch von HAE betroffen und ist an den Folgen einer Schwellungsattacke gestorben.
Die Diagnose habe ich aber erst erhalten, als ich schon erwachsen war. Ich muss 19 oder 20 Jahre alt gewesen sein. Tatsächlich hat mein damaliger Gynäkologe sich erinnert, dass er schon einmal eine Patientin mit ähnlichen Symptomen hatte, bei der dann HAE diagnostiziert wurde. Ich hatte also Glück, dass dieser Arzt schon mal etwas von HAE gehört hatte. Er hat einen Bluttest veranlasst, und so wurde die Diagnose gestellt. Im Klinikum Frankfurt wurde dann meine Behandlung in die Wege geleitet.
Deine Kinder sind ebenfalls von HAE betroffen. In welchem Alter wurden sie getestet und wie haben Du und dein Mann die Diagnose erlebt? Da meine Diagnose bereits stand, wurden unsere Kinder schon mit drei Monaten im Klinikum Frankfurt getestet. Die Diagnose unseres ersten Kindes hat uns sehr hart getroffen, das war schwer zu verarbeiten. Man weiß nicht, was auf einen zukommt. Auch bei unserem zweiten Kind war die Diagnose ein Schock. Das zieht einem als Eltern den Boden unter den Füßen weg.
Natürlich hofft man, dass die Krankheit mild verläuft und man das schon irgendwie schafft. Wir haben uns ärztlich in Frankfurt auch gut aufgehoben gefühlt, aber der Weg ins Klinikum war weit und zu Hause waren wir zunächst auf uns allein gestellt.
Welche Maßnahmen hast du ergriffen, um deine Symptome und die deiner Kinder zu managen und wie hast du dich und deine Kinder auf Notfälle vorbereitet?
Sowohl ich als auch unsere Kinder wurden mit Akutmedikamenten ausgestattet, damit wir im Notfall sofort reagieren können. Aber dazu muss man wissen, dass das Medikament, das wir damals bekamen, in die Vene gespritzt werden musste. Ich habe mir das unter Anleitung der Ärzte im Klinikum selbst beigebracht und mir das Medikament dann selbst verabreicht, sobald ich eine beginnende Attacke bemerkte. In meinen Schwangerschaften wurde das aber schwierig, denn ich hatte alle zwei Tage eine Schwellungsattacke. Zwar wusste ich, wie ich mich selbst spritzen kann, aber wenn beide Hände angeschwollen sind, ist das einfach unmöglich. Das war keine einfache Zeit, da ich auf fremde Hilfe angewiesen war.
Für die Kinder mussten wir schauen, dass wir vor Ort jemanden finden, der das Medikament verabreichen kann. Denn bei Babys ist es besonders schwer, eine Vene zu finden, das konnten wir als Eltern nicht leisten. Die ersten äußerlich erkennbaren Attacken hatten unsere Kinder etwa im Alter von 12 Monaten, ab da wurden sie dann auch medikamentös behandelt. Wir mussten dann immer ins 30 km entfernte Kinderkrankenhaus fahren, sobald eine Attacke auftrat. Aber im Kinderkrankenhaus mussten wir jedes Mal die Situation erklären, damit wir auch direkt als Notfall behandelt wurden, der wir nun mal waren. Ich war dann immer schon gewappnet für den Kampf mit dem Empfang, damit gleich klar wird, dass es jetzt schnell gehen muss und wir mit unseren Kindern direkt zum Arzt können.
Ein Beispiel verdeutlicht die Dramatik sehr gut: Meine Tochter kam im Alter von vier Jahren mit Halsschmerzen zu mir. Ich habe sie zweimal weggeschickt, weil ich dachte, dass es ein Infekt wäre. Als sie zum dritten Mal zu mir kam, habe ich mit der Taschenlampe in ihren Hals geschaut.
Ich bin total erschrocken, da sie eine Schwellung im Hals hatte und keine Luft mehr bekam. Sie schwebte also in akuter Lebensgefahr. Ich bin direkt mit ihr und dem Notfallmedikament zur Kinderärztin losgefahren, weil der Weg in die 30 km entfernte Kinderklinik zu lang gewesen wäre. Die zehn Minuten Fahrt kamen mir vor wie eine Ewigkeit, ich hatte unsagbare Angst um mein Kind. Die Ärztin hat sofort reagiert und das Medikament gespritzt. Aber nach dieser Situation haben wir noch wochenlang in Angst gelebt. Ich konnte nicht schlafen, weil ich immer ein Ohr bei den Kindern hatte, habe mir alle zwei Stunden den Wecker gestellt, um den Hals zu kontrollieren. In meiner Verzweiflung habe ich mich an die Kinderärztin gewandt, und sie hat mir dann beigebracht, wie ich die Kinder in die Vene spritze. Ich durfte mich jeden Tag nach Feierabend an ihren Händen austoben, bis ich mich so sicher gefühlt habe, um auch die Kinder spritzen zu können. Ich bin ihr unglaublich dankbar dafür!
Was waren die größten Herausforderungen, die du und deine Kinder aufgrund von HAE bewältigen musstet?
Ich selbst bin nach der Diagnose dann schnell in einen Selbstversorger-Modus gekommen, da ich mir das Medikament meist selbst verabreichen konnte. Auch wenn ich selbst HAE habe, war und ist die Erkrankung meiner Kinder für mich die größte Sorge. Denn ihr und unser Alltag war besonders vor der Prophylaxetherapie immer von drohenden Attacken bestimmt. Sie konnten nicht einfach mal auf einen Kindergeburtstag gehen oder Ausflüge machen, an eine unbeschwerte Kindheit war also nicht zu denken. Hinzu kam die Angst vor dem ständigen Piks.
Wir waren alle zwei Tage im Krankenhaus, unser kompletter Familienalltag war der Erkrankung unterworfen. Ich war ständig auf Abruf, hatte immer ein Auge aufs Telefon, konnte nichts wirklich in Ruhe erledigen. Das ist eine Dauerbelastung, die uns als Familie alles abverlangt hat.
Deinen Kindern und dir wurde irgendwann eine prophylaktische Behandlung angeboten. Hast du das Gefühl, dass die Prophylaxe deine und die Lebensqualität deiner Kinder verbessert? Das erste Medikament zur Prophylaxe war ein Präparat, das auch in die Vene gespritzt werden musste. Das war natürlich noch mal ein Ansporn mehr für mich, um das Spritzen selbst zu lernen. Denn die Situation war folgende: Wir hatten nun zusätzlich zum Akutmedikament eine Möglichkeit, um Attacken vorzubeugen, aber kein Arzt hat einem augenscheinlich gesunden Kind etwas in die Vene spritzen wollen. Wir hatten zwar einen Notfall-Ausweis, damit im Fall einer Attacke jeder Arzt reagieren kann. Mit der prophylaktischen Gabe des Medikamentes sah es aber anders aus und wir hatten große Probleme, ernst genommen zu werden. Denn wenn gerade keine Attacke da ist, sieht man uns natürlich nicht an, dass wir eine schwere Erkrankung haben. Unsere Kinderärztin ist hier wieder eingesprungen und hat uns zu Beginn ausgeholfen. Als dann aber die Betriebsferien bei unserer Kinderärztin anstanden, wusste ich: Jetzt wird es ernst. Ich habe also weiter geübt und geübt, um auf diese Zeit vorbereitet zu sein, weil ich wusste, dass ich die Kinder zweimal wöchentlich selbst spritzen musste. Aber wir haben es hinbekommen, auch wenn wir nach der ersten Spritze wirklich schweißgebadet waren.
Die Prophylaxe war wirklich ein Game Changer für uns. Vorher hatten die Kinder etwa alle zwei Tage eine Attacke. Zudem haben sie aus Angst vor dem Spritzen die Attacken manchmal versteckt. Mein Sohn hatte einmal eine Knie-Schwellung in der Kita, aber hat sich dann einfach hingesetzt und ist nicht mehr aufgestanden, bis ich ihn abgeholt habe. Die Kita-Mitarbeiter wussten zwar über seine Erkrankung Bescheid und haben uns ganz toll unterstützt, aber in solchen Situationen können sie natürlich nicht reagieren, wenn er die Schwellung bewusst versteckt. Nun waren plötzlich viele Dinge möglich, die vorher nicht denkbar waren: Die Kinder konnten ohne unsere Begleitung auf Kinder-
Ich dachte, bei mir sei es eine Allergie …
geburtstage gehen, wir konnten Ausflüge unternehmen, sie hatten nun einen weitestgehend normalen Schulund Kita-Alltag. Kurz: Sie konnten ein normales Kinderleben leben. Und wir Eltern mussten uns nicht permanent sorgen, ich konnte mal wieder zum Friseur, konnte in Ruhe einkaufen, ohne ständig in Rufbereitschaft zu sein: Dinge, die für die Eltern gesunder Kinder ganz normal sind, aber sich für mich angefühlt haben wie ein neues Leben!
Der wichtigste Punkt ist, viel und offen über die Erkrankung zu sprechen, egal ob in der Familie, im Freundeskreis oder mit dem Fachpersonal.
Auch, damit sie nie die Erfahrung machen müssen, die wir als Eltern gemacht haben, falls sie später selbst Eltern werden.
Hast du in der Vergangenheit Unterstützung außerhalb der Familie gesucht?
Ich bin in unserem Ort stets mit einer Frau in Kontakt, die selbst von HAE betroffen ist und eine erkrankte Tochter hat. Das ist für mich mein Auffangnetz. Wir können uns immer gegenseitig anrufen, tauschen uns aus und unterstützen uns gegenseitig. Denn ich weiß: Nur sie kann mich wirklich zu 100 % verstehen, da sie ähnliche Erfahrungen gemacht hat.
Welche Ratschläge würdest du anderen Betroffenen, aber auch anderen Eltern geben, deren Kinder von HAE betroffen sind?
Wie hast du vor, deine Kinder auf den Übergang ins Erwachsenenalter vorzubereiten, insbesondere in Bezug auf das Selbstmanagement ihrer Erkrankung? Das ist kein ganz einfaches Thema. Denn egal, wie gut man die Kinder vorzubereiten versucht: Man weiß trotzdem nie, ob sie das Ganze ernst genug nehmen werden. Vieles aus der Kindheit vergisst man: Die Schmerzen, den Stress, die Einschränkungen, die Gefahren. Meine Tochter ist jetzt zehn, mein Sohn sieben: noch verstehen sie den Ernst der Lage nicht. Ich hoffe, dass sie mit vielleicht 15, 16 bereit sein werden, sich damit auseinanderzusetzen, dass die Erkrankung sie ihr Leben lang begleiten wird und es extrem wichtig ist, dass sie Verantwortung für ihre Behandlung übernehmen. Ich werde sie immer begleiten, werde immer für sie da sein und kann ihnen mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen weiterhelfen.
Der wichtigste Punkt ist, viel und offen über die Erkrankung zu sprechen, egal ob in der Familie, im Freundeskreis oder mit dem Fachpersonal. Sonst kocht man nur in seiner eigenen Suppe und kommt aus diesem Kreislauf nicht heraus. Denn eine solche Erkrankung mit all ihren Herausforderungen verlangt einem körperlich und psychisch sehr viel ab.
Außerdem muss man immer am Ball bleiben. Fühlt man sich z. B. bei einem Arzt nicht wohl oder ernst genommen, dann sollte man sich einen anderen suchen, der die Sache mit der Ernsthaftigkeit behandelt, die sie braucht. Das betrifft sowohl den Weg bis zur Diagnose als auch die therapeutische Betreuung. Das wäre auch noch ein dringender Wunsch von mir als selbst Betroffene und Mutter von zwei betroffenen Kindern: Dass Ärzte und Ärztinnen, aber besonders auch Krankenpfleger und -pflegerinnen besser über HAE informiert sind, damit Betroffene im Notfall schnell Hilfe bekommen. Denn manchmal geht es buchstäblich um Leben und Tod, das muss man so deutlich sagen.
… und bei meinem Bruder ein Blähbauch aufgrund einer Nahrungsmittelunverträglichkeit.
• HAE ist eine seltene Erkrankung, die wiederkehrende Schwellungen der Haut und der Schleimhäute verursacht.1
• Fehldiagnosen sind häufig. Ein einfacher Bluttest kann schnell Klarheit schaffen.
www.leben-mit-hae.de/rd
Weitere Infos: www.leben-mit-hae.de | www.was-ist-selten.de
„TGCT können fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben.“
Hört man das Wort Tumor, denkt man sofort an Krebserkrankungen. Es gibt aber auch eine ganze Reihe gutartiger Tumore, die nicht lebensbedrohlich sind. Zu diesen zählen auch die sogenannten Tenosynovialen Riesenzelltumoren (kurz TGCT). Doch auch, wenn es sich hier um gutartige Tumore handelt, können sie die Lebensqualität Betroffener erheblich beeinträchtigen. Wir sprachen mit Prof. Sebastian Bauer vom Sarkomzentrum Essen über die Symptome, die Wichtigkeit der frühen Diagnose und die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten, um die Lebensqualität Betroffener positiv beeinflussen zu können.
Herr Prof. Bauer, Sie behandeln u. a. Patienten mit TGCT. Können Sie uns mehr darüber erzählen, was bei TGCT-Betroffenen im Körper passiert, wo diese Tumoren auftreten und welche Symptome sie auslösen können?
Früher waren diese Erkrankungen unter der Bezeichnung Pigmentierte Villonoduläre Synovitis (PVNS) bekannt. Dahinter steckt eine durch einen Tumor ausgelöste Entzündung der Gelenkhaut (lat.: Synovia), die medizinisch als Synovialitis bezeichnet wird. Schaut man sich die Gelenkhaut an, kann man die entzündlichen Veränderungen deutlich in Form von farblichen Veränderungen sehen. Sie sind also pigmentiert, daher der historische Name der Erkrankung. Lange dachte man, dass es sich um eine Erkrankung handelt, die eher mit Rheuma vergleichbar ist, also einer Entzündung, die durch das Immunsystem getriggert wird. Stattdessen ist es eine klonale Erkrankung, für die es eine definierte genetische Ursache gibt. In diesem Fall ist das eine nicht erblich bedingte Gen-Umlagerung, die dazu führt, dass ein Lokal-Hormon („Zytokin“) vermehrt ausgeschüttet wird, das wiederum zu einer Wucherung Gewebe-ständiger Zellen im Bereich der Gelenkhaut führt. Interessanterweise besteht diese Wucherung überwiegend gerade nicht aus Tumorzellen. Das macht PVNS aber nicht weniger belastend für die Patienten.
Die Erkrankung betrifft beim Großteil der Betroffenen die großen Gelenke der unteren Extremitäten, also die Knie-, Hüft- oder manchmal die Fußgelenke. Seltener betrifft sie die Schulter- oder Fingergelenke. Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei TGCT nicht um bösartige Tumoren handelt. Somit sind TGCT nicht lebensgefährdend. Sie können aber fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben, denn durch die übermäßigen Wucherungen in der Gelenkhaut können Gelenke komplett zerstört werden. Stellt man sich vor, dass jemand z. B. im Servicebereich arbeitet und den ganzen Tag auf den Beinen ist, kann ein TGCT am Knie oder an der Schulter eine Arbeitsunfähigkeit bedeuten. Tanzt jemand in seiner Freizeit
leidenschaftlich gern, ist auch das bei einer Zerstörung des Gelenkes nicht mehr möglich.
Wir unterscheiden bei TGCT zwei Formen: Die erste Form ist klein und knotig und wird auch als lokalisierte Form bezeichnet. Es ist also eine deutliche Abgrenzung zum umliegenden, gesunden Gewebe möglich. Diese Form ist in den meisten Fällen durch eine OP behandelbar. Schwieriger wird es bei der zweiten Form, den sogenannten diffusen TGCT. Diese verteilen sich im Gelenk, meist nicht gut abgegrenzt und daher auch operativ schwer behandelbar. Zudem besteht hier ein hohes Risiko, dass die Erkrankung erneut auftritt (sog. Rezidiv).
Wo liegen die Herausforderungen, wenn es um die Diagnose geht und wie kann ein TGCT zweifelsfrei festgestellt werden?
Die meisten Ärzte und Orthopäden kennen den Begriff TGCT nicht, mit dem Begriff PVNS sind sie schon eher vertraut. Zudem verursacht die Erkrankung Symptome, die sehr häufig auch bei anderen Erkrankungen auftreten.
Auch ein klassischer Gelenkverschleiß kann zu reaktiven Veränderungen in der Gelenkhaut führen, sodass es für Orthopäden sehr schwierig ist, die Ausprägung der Erkrankung von anderen Krankheitsbildern abzugrenzen. Das ist die klassische Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Erfahrene Radiologen können die Erkrankung durchaus erkennen, indem sie die typische Ausprägung auf den medizinischen Aufnahmen erkennen. Der ultimative Beweis kann durch eine Gewebeprobe erbracht werden, je nach betroffenem Gelenk mittels Gelenkspiegelung oder direkter Biopsie erreichbar. Wir gehen daher von einer hohen Dunkelziffer aus.
Wichtig ist festzuhalten, dass die Erkrankung häufig jüngere Menschen betrifft, die in vielen Fällen keine medizinische Vorgeschichte haben. Die Veränderungen sind also in der Regel nicht auf Leistungssport zurückzuführen, die Patienten hatten keine Gelenktraumata oder vorherige Verletzungen am betroffenen Gelenk.
Wichtig ist festzuhalten, dass es sich bei TGCT nicht um bösartige Tumoren handelt. Somit sind TGCT nicht lebensgefährdend. Sie können aber fundamentale Konsequenzen für die Lebensqualität Betroffener haben.
Prof. Dr. med. Sebastian Bauer Leiter des Sarkomzentrums am Westdeutschen Tumorzentrum der Universitätsklinik Essen und Vorstandsmitglied der Deutschen Sarkom-Stiftung
Für jüngere Menschen, die ohne medizinische Vorgeschichte solche Beschwerden haben und bereits eine Synovialitis diagnostiziert bekommen haben, ist eine Nachfrage beim Arzt, ob es sich auch um TGCT handeln könnte, also durchaus sinnvoll.
Warum ist eine möglichst frühe Diagnose so wichtig?
Es gibt ganz unterschiedliche Verläufe von TGCT. Manche wachsen schnell, andere über einen langen Zeitraum sehr langsam, oder auch spontan nicht mehr. Auch hier ist wieder die Unterscheidung zwischen der lokalisierten und der diffusen Form wichtig. Denn die lokale Form greift nicht auf umliegendes Gewebe wie z. B. Knorpel über.
Bei der diffusen Form kann es potenziell dazu kommen, dass der Tumor das Gelenk zerstört. Wenn das der Fall ist und der Tumor z. B. auch den Knorpel infiltriert, ist eine schnelle Diagnose absolut entscheidend. Denn Knorpel, der einmal zerstört ist, kann auch nicht wieder repariert werden. Ganz platt gesagt: Was kaputt ist, ist kaputt und kann auch unter einer späteren Therapie nicht wieder hergestellt werden. Im schlimmsten Fall muss ein Gelenk ersetzt werden, z. B. durch eine metallische Gelenkprothese.
Wie sehen die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten aus, um Betroffenen wieder zu mehr Lebensqualität zu verhelfen?
Als man noch glaubte, dass es sich um eine entzündliche Erkrankung handelt, wurde auch entsprechend behandelt: z. B. spritzte man eine Art Strahlentherapie in das Gelenk ein, wenn große Gelenke betroffen waren. Für TGCT ist die Wirkung dieser Art der Therapie nicht sicher belegt. Auch eine Strahlentherapie, wie sie z. B. bei bösartigen Tumoren angewandt wird, sollte nach Meinung von Experten nicht eingesetzt werden. Über beide Verfahren wurde erst kürzlich in der ersten, internationalen Konsensuskonferenz viel diskutiert – und es bestand Einigkeit, dass die Evidenzlage zu schwach ist, diese Therapien zu empfehlen.
Jetzt, wo wir wissen, was bei der Erkrankung passiert und welche Mechanismen ihr zugrunde liegen, können wir auch entsprechend therapieren. Die lokale Form kann operativ behandelt werden: Die klar abgrenzbare Wucherung wird dabei entfernt, der Patient ist im Regelfall danach beschwerdefrei. Da bei der diffusen Form die Veränderungen an der Gelenkinnenhaut an mehreren Stellen auftreten können, sind auch die Übergänge zwischen betroffenen und nicht betroffenen Arealen schwer abgrenzbar. Bei dieser Form ist es also sehr schwer vorhersagbar, ob man bei einer OP auch alle betroffenen Stellen entfernen kann oder ob sogar schon andere Gewebearten wie der Knorpel betroffen sind. Das heißt nicht, dass bei der diffusen Form nicht operiert wird – eine Heilung kann auch hier durch eine
alleinige Operation möglich sein. In den letzten Jahren sind auch Medikamente zum Einsatz gekommen, die bei Patienten geprüft wurden, bei denen eine (radikale) OP zu starken OP-Langzeitfolgen führen würde.
Bei Rückfällen muss man zunächst schauen, wann und wo die Erkrankung wieder auftritt. Ist die Stelle klein und wächst langsam, kann auch eine erneute OP sinnvoll sein. Aber gerade bei einer Rezidiv-Operation ist es wichtig, dass die Operateure dem Patienten klarmachen, was die Risiken einer erneuten OP sein können. Denn eine OP zieht immer Narben nach sich, die die Beweglichkeit ebenfalls einschränken können oder zu chronischen Beschwerden führen. Das ist eine enorme Herausforderung für die Behandlungsteams. Man muss also genau abwägen, was sinnvoll ist.
Es gibt mittlerweile tablettenbasierte Medikamente, die wir einsetzen können. Diese spielen besonders bei der diffusen Form und bei Widerauftreten der Erkrankung eine entscheidende Rolle. Die vielversprechendsten davon sind in Deutschland noch nicht zugelassen und befinden sich noch in der klinischen ErprobungsPhase. Diese adressieren zielgerichtet den Krankheitsmechanismus des Tumors, haben eine hohe Ansprechwahrscheinlichkeit und bewirken eine deutliche Symptomverbesserung. Denn die Gewebsrezeptoren, die durch die Überproduktion des Hormons überaktiviert werden und zur übermäßigen Zellbildung führen, können durch diese Medikamente blockiert werden. Unter dieser Therapie gibt es eine hohe Chance, dass die Tumoren sich zurückbilden. Diese Medikamente müssen dann allerdings so wie bei anderen chronischen Erkrankungen dauerhaft eingesetzt werden. Es kann zwar Phasen der Remission geben, in denen man die Medikamente absetzen kann. Tritt ein erneutes Tumorwachstum auf, setzt man die medikamentöse Therapie fort. Es ist meine große Hoffnung für die Patientencommunity, dass wir diese Behandlungsalternativen bald auch in Deutschland einsetzen können. Dann wäre auch denkbar, die Medikamente im ersten Schritt zur Verkleinerung des Tumorgewebes zu nutzen und
Patienten mit TGCT werden häufig aufgrund unspezifischer Symptome verspätet diagnostiziert
1,2
Median 18-20
Monate vom ersten Arztbesuch bis zur Diagnose
Subtypen*: N-TGCT – noduläre/lokalisierte Form D-TGCT – diffuse Form
* Größe der farbigen Waben zeigt Häufigkeit der betroffenen Gelenke an
1. Xie GP, et al., PLoS One. 2015;10(3):e0121451.
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5. Wang C, et al., Oncol Lett. 2017;13(6):4459–62.
6. Stacchiotti S, et al., Cancer Treat Rev. 2023;112:102491.
im zweiten Schritt dann erst operativ tätig zu werden. Diese Konzepte sollten allerdings im Kontext von weiteren Studien erfolgen.
Das therapeutische Gebot lautet aktuell: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Das betrifft sowohl die Operationen als auch die Medikamentengabe.
Wo finden Betroffene Spezialisten, die auf die Behandlung von TGCT spezialisiert sind?
Man sollte sich auf jeden Fall überlegen, ob die Behandlung in einem spezialisierten Zentrum sinnvoll ist, um sowohl eine Über- als auch eine Untertherapie zu vermeiden. Sicher kann insbesondere die lokale Form auch von versierten Orthopäden behandelt werden. Bei Patienten, die an der diffusen Form leiden, sollten meiner Meinung nach Experten die Behandlung übernehmen, da sie auch über etwaige medikamentöse Therapieoptionen entscheiden können und besonders auch beim Wiederauftreten der Erkrankung die nötige Erfahrung mitbringen, um die individuell richtige Behandlung für jeden Patienten in die Wege zu leiten.
Eine der wichtigsten Plattformen, auf der sich Patienten unabhängig informieren können, ist die Homepage der Deutschen Sarkom-Stiftung. Dort findet man eine Liste von Spezialisten, die sich mit der Erkrankung gut auskennen. So können Patienten eine Anlaufstelle finden, die möglichst wohnortnah liegt. Zudem können sie sich informieren, an welchen Zentren es klinische Studien zur Erkrankung gab oder gibt. Zudem gibt es auch eine Zertifizierung für Sarkomzentren in Deutschland: Ein weiterer Anhaltspunkt, an dem man sich orientieren kann
Weitere Informationen zur Arbeit der Deutschen Sarkom-Stiftung finden Sie unter: www.sarkome.de
Schneller zur Diagnose
Im MRT mit Kontrastmittel lassen sich wichtige Merkmale erkennen:3-6
Gelenkergüsse
Synoviale Ausdehnung
Zystische Erosionen
Hämosiderinablagerungen
Die WHO hat 2013 die Pigmentierte villonoduläre Synovialitis (PVNS) und den Riesenzelltumor der Sehnenscheide (GCT-TS) unter dem Übergriff Tenosynovialer Riesenzelltumor (TGCT) zusammengefasst.
Im Jahr 2023 wurde bei Peter S. eine Myelofibrose diagnostiziert, eine seltene, maligne Erkrankung des Knochenmarks, die zur Gruppe der myeloproliferativen Neoplasien (MPN) gehört. Wie beeinträchtigt sie sein Leben?
Text Miriam Rauh
Wie wurde die Erkrankung bei Ihnen entdeckt?
Unserem Firmenarzt fiel beim Check-up auf, das mit meinem Blutbild etwas nicht stimmt; meine Thrombozyten waren am oberen Limit. Er überwies mich an einen Onkologen, der weitere Untersuchungen durchführte und eine essentielle Thrombozythämie diagnostizierte.
Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt schon Symptome? Im Nachhinein betrachtet – ja. Ich hatte eine aus-
geprägte Müdigkeit, die ich nicht erklären konnte. Heute weiß ich, dass dies ein Symptom der Erkrankung ist.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie eine Diagnose hatten?
Die erste Diagnose, also den Befund „essentielle Thrombozythämie“, erhielt ich 2013. Es dauerte zehn Jahre, bis sie revidiert wurde. Zunächst wurden die Thrombozytenwerte beobachtet, die langsam, aber stetig anstiegen.
Ich bekam Medikamente und war 2022 auch in einer spezialisierten Reha-Klinik für MPN-Patienten in Bad Berka. Dort wurde mir eine Knochenmarkpunktion empfohlen, bei der eine sekundäre Myelofibrose festgestellt wurde.
Diese Diagnose war für mich ein Schock, denn im Vergleich zur essentiellen Thrombozythämie ist die Myelofibrose eine viel schwerwiegendere Erkrankung. Auch mussten die Medikamente, die ich bislang bekommen hatte, angepasst werden.
Wie hat sich die Krankheit im Verlauf verändert? Heute bin ich nach wie vor von der Müdigkeit betroffen, spüre deutlich die Auswirkungen des Abfalls meiner Hämoglobinwerte. Das zeigt sich besonders bei körperlicher Aktivität. Ich war immer sportlich aktiv, habe oft Tennis gespielt und bin gerne gewandert. Heute fehlt mir dafür oft nach wenigen Minuten die Luft. Es fällt mir schwer, mitzuhalten, was sehr unangenehm ist – und auch frustrierend, weil ich immer gerne aktiv war. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, dass meine Konzentration und mein Gedächtnis nachlassen. Ich vergesse Dinge leichter und bin nicht so aufmerksam wie früher. Ob das direkt mit der Erkrankung zusammenhängt, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, aber es fühlt sich für mich so an.
Der Austausch mit anderen Betroffenen ist enorm wertvoll. Und: Sport nicht aufgeben. Auch wenn es schwerfällt, ich fühle mich nach sportlicher Betätigung oft besser, zumindest für ein paar Tage.
Peter S.
Wie reagiert Ihr Umfeld darauf?
Meine Familie, Freunde und auch mein berufliches Umfeld zeigen viel Verständnis, aber die Krankheit ist
schwer greifbar. Es ist keine äußerliche Verletzung, die man direkt sieht. Abgesehen von meiner Blässe, die durch den Mangel an roten Blutkörperchen entsteht, merkt man mir die Krankheit oft nicht an. Das macht es für andere schwierig, nachzuvollziehen, wie stark ich tatsächlich eingeschränkt bin.
Fühlen Sie sich von medizinischer Seite gut betreut?
Mittlerweile ja. Ich habe zwei Onkologen, die mich unterstützen, und ich bin auf das MPN-Netzwerk gestoßen. Das MPN-Netzwerk bietet wertvolle Informationen, zum Beispiel über neue Entwicklungen und Behandlungsmöglichkeiten, die von Onkologen auf Fachtreffen diskutiert werden, und schafft so eine solide Informationsbasis für Betroffene, einschließlich einer Übersicht mit Adressen von spezialisierten Zentren in Deutschland.
Dadurch konnte ich Kontakt zu einem Experten aufnehmen und erhalte jetzt fundierte Behanglungsempfehlungen. Das ist enorm wichtig, weil Myelofibrose eine seltene Erkrankung ist und viel Spezialwissen erfordert.
Was hat Ihnen am meisten geholfen, mit der Diagnose umzugehen?
Der Austausch mit anderen Betroffenen ist sehr wichtig für mich. Nach der Reha habe ich eine Freundschaft zu einem Betroffenen aufgebaut, der ebenfalls an Myelofibrose leidet.
Wir stehen regelmäßig in Kontakt und sprechen darüber, wie es uns geht und was es an neuen Informationen gibt.
Wenn Sie auf Ihre Krankheitsgeschichte zurückblicken – gibt es etwas, das Sie Ihrem jüngeren Ich oder anderen Betroffenen raten würden?
Mir selbst würde ich raten, mich früher sorgfältig zu informieren und eine Knochenmarkpunktion nicht so lange hinauszuzögern. Bei mir wurde zehn Jahre
Das forschende Pharmaunternehmen Novartis denkt Medizin neu, um besonders auch Menschen mit seltenen Erkrankungen mit innovativen Therapien und Informationsangeboten zu mehr Lebensqualität zu verhelfen.
Speziell für Menschen, die an einer Myeloproliferativen Neoplasie (MPN) wie der Myelofibrose, der Polycythaemia Vera oder der Chronischen Myeloischen Leukämie leiden, hat Novartis umfangreiche Informationsinitiativen ins Leben gerufen, die wissenschaftlich fundiertes Wissen zur Erkrankung und zum Umgang damit zur Verfügung stellen.
Symptome erkennen – und richtig in Zusammenhang bringen
Da die verschiedenen Symptome der MPN sehr vielschichtig sind und mit Fortschreiten der Erkrankung stärker werden können, sind fundierte Informationen zu den möglichen Beschwerden für Patient*innen und deren Angehörige sehr wichtig. Werden die Beschwerden nicht in Kombination betrachtet, lassen sie oft nicht direkt auf schwere Erkrankung schließen. Die Folge: der Arztbesuch bleibt aus, die Erkrankung bleibt unentdeckt und somit auch unbehandelt, schwere Komplikationen können auftreten.
Zunehmende Beschwerden ernst nehmen
Aber auch wenn die Diagnose bereits gestellt wurde, sollten Betroffene die Symptome im Blick behalten und regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchführen lassen. Wenn die Symptomlast zunimmt oder Nebenwirkungen auftreten, sollten Betroffene umgehend das Gespräch mit dem Behandlungsteam suchen, um krankheitsbedingte Beschwerden von therapiebedingten zu unterscheiden, denn manche Begleiterkrankungen oder Komplikationen können für Betroffene im schlimmsten Fall lebensbedrohlich werden.
Bei Menschen mit hellem Hauttyp, die sich gerne in der Sonne aufhalten, besteht ein erhöhtes Risiko, eine Aktinische Keratose zu entwickeln, die sich in einem von zehn Fällen zu hellem Hautkrebs entwickeln kann. Dies gilt umso mehr für MPN-Patient*innen, da eine der medikamentösen Therapien dieses Risiko zusätzlich steigern kann. Deshalb sollten Betroffene Hautveränderungen in lichtexponierten Arealen ernst nehmen und sie einem Dermatologen zeigen. Diese Obacht gilt auch für Veränderungen an den Beinen. Streifige oder netzartige Rötungen und offene Stellen sollten möglichst frühzeitig einem Hautarzt oder den betreuenden Hämatoonkologen gezeigt werden, da das ein klares Indiz dafür sein könnte, die Therapie zu überdenken und entsprechend anzupassen.
lang eine essentielle Thrombozythämie behandelt, bevor die Myelofibrose erkannt wurde. Eine frühere Diagnose hätte sicher einiges ver-ändert. Außerdem würde ich anderen raten, aktiv informiert zu bleiben –über Netzwerke wie das MPN-Netzwerk oder Fachtreffen. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist ebenfalls enorm wertvoll. Und: Sport nicht aufgeben. Auch wenn es schwerfällt, ich fühle mich nach sportlicher Betätigung oft besser, zumindest für ein paar Tage. Man muss aber akzeptieren, dass die Leistung nicht mehr so ist wie früher.
Vernetzen auch Sie sich mit Betroffenen oder Angehörigen.
Das MPN-Netzwerk e. V. ist eine Selbsthilfeinitiative für Menschen mit Myeloproliferativen Neoplasien und ihre Angehörigen.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.mpn-netzwerk.de
Über die Website www.leben-mit-blutkrankheiten.de können sich Betroffene und ihre Angehörigen über die Facetten der verschiedenen Erkrankungen informieren. Hier finden sich auch Patient*innen-Erfahrungsberichte und Expert*innenbeiträge zu verschiedenen krankheitsrelevanten Schwerpunkten. Zudem finden Patient*innen ausführliche Checklisten, die ihnen die Gespräche mit dem Behandlungsteam erleichtern können.
Dazu kann auch eine Anpassung der Therapie gehören, wenn die bestehende Behandlung nicht den gewünschten Erfolg erzielt oder Nebenwirkungen auftreten, welche die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
Dabei kann auch der MPN-Tracker unter de.mpn.your-symptom-questionnaire.com helfen, der Patient*innen in Form eines Therapietagebuches bei der Dokumentation zur Entwicklung ihrer Erkrankung unterstützt.
Zusammen stärker
Auch der Austausch mit anderen Betroffenen, Selbsthilfeorganisationen und Fachärzt*innen stärkt Patient*innen und ihre Angehörigen im Umgang mit der Erkrankung. Seit 2016 können MPN-Betroffene einen bundesweit etablierten Treffpunkt nutzen: die MPN-Patient*innentage
Die Teilnahme an den MPN Veranstaltungen ist kostenlos.
Auf www.leben-mit-blutkrankheiten.de/mpn-patiententage findet man die Anmeldung für die nächsten Patient*innentage sowie weitere Informationen und einen kleinen Rückblick auf vergangene Veranstaltungen.
Scannen Sie den QR-Code und lesen Sie mehr zu uns auf unserer Website unter www.leben-mit-blutkrankheiten.de
Prof. Dr. Markus Braun-Falco
Facharzt für Dermatologie und Venerologie
In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn von ihr maximal eine von 2.000 Personen betroffen ist. Aktuell unterscheidet man mehr als 7.000 unterschiedliche Seltene Erkrankungen (SE), wobei ihre Zahl ständig weiterwächst. Die meisten SE verlaufen chronisch, gehen mit gesundheitlichen Einschränkungen und/oder eingeschränkter Lebenserwartung einher und manifestieren sich oft schon im Kindesalter. Aufgrund der großen Zahl sind trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankung allein in Deutschland in der Summe schätzungsweise 4 Millionen Menschen von einer Seltenen Erkrankung betroffen. Da alle Organsysteme betroffen sein können, sind die Symptome von SE sehr vielfältig. Oft können Symptome nicht einer bestimmten SE zugeordnet werden, was die klinische Diagnosestellung außerordentlich erschwert. Menschen mit SE haben daher oft einen langen Leidensweg, bis endlich eine Diagnose gestellt werden kann.
wie z. B. schweren Entwicklungsstörungen, in bis zu 60 % der Fälle eine genetische Ursache gefunden werden. Dies hat neben der Beendigung der diagnostischen Odyssee in vielen Fällen direkte therapeutische Konsequenzen bzw. ermöglicht eine gezielte Prävention sowie die Einschätzung von Prognose und Wiederholungsrisiken. Umso bedauerlicher ist es, dass die Exom- oder gar Genom-weite Diagnostik bisher nicht in der Regelversorgung in Deutschland abgebildet ist.
Die wichtige Rolle der genetischen Diagnostik bei Seltenen Erkrankungen Da die meisten SE eine genetische Ursache haben, kommt der genetischen Diagnostik eine besondere Rolle bei der Findung oder Bestätigung einer Diagnose zu. Dies gilt umso mehr, seitdem mit den neuen Technologien wie dem „Next Generation Sequencing“ (NGS) die ca. 2 % des gesamten Erbguts ausmachenden Protein-kodierenden Abschnitte des Erbguts (das „Exom“), oder gar das gesamte Erbgut („Genom“) eines Menschen kostengünstig und innerhalb kurzer Zeit ausgelesen (“sequenziert“) werden. Mit der ExomDiagnostik kann bei bestimmten Krankheitsbildern,
In diesem Jahr findet in Innsbruck erstmals als DACH-SE eine gemeinsame Fachtagung deutschsprachiger Länder zu Seltenen Krankheiten statt. Ziel ist es, die verschiedenen Aktivitäten zum Thema in den drei Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz (DACH-Region) zu vernetzen und zu stärken. Das Programm umfasst Vorträge sowohl zu wissenschaftlich-diagnostischen Aspekten wie auch zu existierenden Netzwerkstrukturen und zukünftigen Entwicklungen.
Aufgrund der großen Zahl sind trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankung allein in Deutschland in der Summe schätzungsweise vier Millionen Menschen von einer Seltenen Erkrankung betroffen.
Prof. Dr. med. Christian Hübner
Leiter des Instituts für Humangenetik am Universitätsklinikum Jena, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH)
Die Grundlagen des Modellvorhabens
Dies kann sich jetzt mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) vom 11.07.2021 (BGBl. I, 2754) ändern, das in § 64e SGB V ein Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung sowohl bei seltenen als auch bei onkologischen Erkrankungen ins Leben gerufen hat. Grundlage des Modellvorhabens ist die Genom-Diagnostik im Rahmen eines strukturierten klinischen Behandlungsablaufs. Zentraler Bestandteil des Vorhabens ist zudem die Zusammenführung der klinischen und genomischen Daten in einer zentralen Dateninfrastruktur in pseudonymisierter Form,
Veranstalter ist das Forum Seltene Krankheiten in enger Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik (GfH) und gemeinsam mit den österreichischen und Schweizer Gesellschaften für Humangenetik bzw. medizinische Genetik (ÖGH, SGMG), den Zentren für Seltene Erkrankungen in Deutschland sowie den Betroffenenverbänden in Deutschland, Österreich und der Schweiz (ACHSE, Pro Rare, ProRaris). Als Ausdruck der inhaltlichen Nähe zur Medizinischen Genetik findet die Tagung
die eine Analyse der gewonnenen Daten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung erleichtern wird.
Eingeschlossen werden können ambulante und stationäre Patienten mit einer SE, wenn diese nicht durch die in der Regelversorgung oder ambulanten spezialärztlichen Versorgung verfügbaren diagnostischen Tests aufgeklärt werden können. Der Einschluss erfolgt über die regelmäßig an den beteiligten Universitätsklinika stattfindenden interdisziplinären Fallkonferenzen, an denen zwingend ein Facharzt/eine Fachärztin für Humangenetik teilnehmen muss. Neben einer umfassenden Aufklärung der Patienten vor Einschluss in das Modellvorhaben ist selbstverständlich auch die interdisziplinäre Therapieplanung sowie die humangenetische Beratung bei Diagnosestellung ein zentraler Bestandteil des Modellvorhabens. Für diese Leistungen steht dem jeweiligen beteiligtem Universitätsklinikum ein zugewiesenes jährliches Budget für die nächsten fünf Jahre zur Verfügung.
Das Potenzial der Gennommedizin für Patienten und Forschende Es ist davon auszugehen, dass sich mit der GenomDiagnostik die Aufklärungsrate seltener genetischer Erkrankungen weiter steigern lässt und sie daher mittelfristig in die Regelversorgung aufgenommen wird. Neben dem unmittelbaren Nutzen im Hinblick auf die Diagnosestellung und etwaige medizinische Maßnahmen werden Patienten mit SE von den durch eine zentrale Datenerfassung verbesserten Möglichkeiten der Erforschung der Ursachen und Therapiemöglichkeiten profitieren.
Weitere Informationen finden Sie unter:
VERANSTALTUNG
überlappend mit der GfH-Jahrestagung in Innsbruck statt. Die Mitglieder der beim DACH-SEKongress involvierten Verbände und Gesellschaften erhalten vergünstigte Tagungsgebühren.
1. DACH Kongress für Seltene Erkrankungen 4. – 5. April in Innsbruck
Weitere Informationen zum Kongress-Programm und zur Registrierung unter: www.dach-se.org
„Zentren für Seltene Erkrankungen spielen eine
Menschen mit Seltenen Erkrankungen stehen vor vielen Herausforderungen. Die BetroffenenOdyssee beginnt meist mit der Suche nach der richtigen Diagnose und geht weiter mit den oft eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten und spezialärztlichen Versorgungsoptionen.
Prof. Martin Mücke ist Vorstandssprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen Aachen: Mit ihm sprachen wir über die wichtige Rolle der Zentren für Seltene Erkrankungen bei der Bewältigung dieser Problemstellungen.
Text Hanna Sinnecker
Herr Prof. Mücke, Sie beschäftigen sich seit geraumer Zeit mit Seltenen Erkrankungen. Was sind die größten Herausforderungen bei der Diagnosefindung? Die größte Herausforderung besteht darin, dass es über 6.000 bekannte Seltene Erkrankungen gibt und diese sich häufig durch unspezifische Symptome zeigen. Zudem kommen die wenigsten Ärzte in ihrer täglichen Praxis mit solchen Erkrankungen in Berührung. Darüber hinaus können Symptome auch zwischen verschiedenen Seltenen Erkrankungen überschneiden, was die Suche nach der genauen Ursache weiter verkompliziert. Für Betroffene bedeutet das oft einen langen Leidensweg mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Arztbesuchen. Viele Betroffene, besonders Erwachsene, suchen sieben oder mehr Ärzte auf, bis die Diagnose steht. Zwar haben wir bei Kindern heute schnellere und bessere Diagnosewege, z. B. durch das Neugeborenenscreening und die U-Untersuchungen, bei denen Auffälligkeiten festgestellt werden können. Aber auch unter Kindern fällt noch eine beträchtliche Anzahl an Betroffenen durchs Raster.
Wie lange warten Betroffene durchschnittlich auf eine Diagnose, und welche Rolle spielen die Zentren für Seltene Erkrankungen dabei, um diese Zeitspanne möglichst zu verkürzen? Bei Erwachsenen sind das im Schnitt 7 ½ Jahre, ich hatte aber auch schon Patienten, die mehr als 30 Jahre auf die richtige Diagnose warten mussten.
An den Zentren für Seltene Erkrankungen gibt es spezielle interdisziplinäre Fallkonferenzen, sodass Patienten, sowohl Kinder als auch Erwachsene, viel besser besprochen werden können. In diesen Konferenzen kommen sechs bis zehn Fachärzte zusammen, die mit ihrem Spektrum an Expertise einen ganzheitlichen Blick auf den Patienten werfen. Es wird eine Familienanamnese erstellt, um festzustellen, ob es bereits ähnliche Fälle in der Verwandtschaft gab oder gibt, um z. B. Hinweise auf genetisch bedingte Erkrankungen zu bekommen. Über die Fallkonferenzen erhalten wir zudem einen schnelleren Zugriff auf die neuartigen Diagnostikverfahren der Exom- und Genomsequenzierung.
Diese Kombination führt auch heute schon zu einer relativ hohen Aufklärungsrate. Der Knackpunkt ist, dass die Patienten den Weg in diese Zentren erst einmal finden müssen.
An den Zentren für Seltene Erkrankungen gibt es spezielle interdisziplinäre Fallkonferenzen, sodass Patienten, sowohl Kinder als auch Erwachsene, viel besser besprochen werden können.
Univ.-Prof. Dr. med. Martin Mücke
Direktor des Instituts für Digitale Allgemeinmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen und Vorstandssprecher des Zentrums für Seltene Erkrankungen Aachen (ZSEA)
Deshalb müssen niedergelassene Kollegen wissen, dass sie Patienten mit unklarer Diagnose an ein solches Zentrum anbinden können. Hier ist nach wie vor noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.
Lassen Sie uns einen Blick auf ein bestimmtes Krankheitsbild werfen: die X-chromosomale Hypophosphatämie (XLH), auch Phosphatdiabetes genannt. Diese Erkrankung ist zum Großteil erblich bedingt und manifestiert sich bereits im Kindesalter. Wie würde aus Ihrer Sicht der ideale Weg der Diagnosestellung und Versorgung aussehen? Eine rasche Diagnose ist z. B. bei der XLH sehr wichtig, damit die damit verbundenen Wachstumsstörungen, Knochendeformationen und Beschwerden nicht weiter fortschreiten. Der ideale Diagnoseweg beginnt beim Kinderarzt, der die Anzeichen wie z. B. Skelettveränderungen oder auffällige Laborwerte (in diesem Fall insbesondere Phosphat und Vitamin D) beachtet und ggf. eine humangenetische Abklärung in Betracht zieht.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit der
entstanden.
„Meine Hautprobleme begannen 2004“, berichtet eine Patientin. Sie litt zu dieser Zeit unter wiederkehrenden Hautausschlägen und Schmerzen. Erst Jahre später wurde bei ihr eine Mycosis fungoides diagnostiziert, eine Krebserkrankung, die in Europa weniger als einen von 110.000 Menschen betrifft.1
„Ich befand mich fast zehn Jahre lang in einer Grauzone“, erinnert sie sich. Ihre anfänglichen Symptome wurden zunächst als Ekzem erkannt. Erst ein Zufallsbefund führte zur richtigen Diagnose. Diese Geschichte ist kein Einzelfall: Der Weg bis zum Befund dauert bei diesem Krankheitsbild durchschnittlich zwei bis sieben Jahre.2
Kyowa Kirin ist ein global tätiges biopharmazeutisches Unternehmen, das die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen verbessern möchte. Es wurde 1949 in Japan gegründet und entwickelt seit dieser Zeit innovative Therapien in den Bereichen Nephrologie,
Neurologie, Onkologie und Immunologie. Die Forschung, Entwicklung und Wirkstoffproduktion stützen sich auf Verfahren der Spitzenbiotechnologie aus eigenem Hause.
Kyowa Kirin ist ein global tätiges Unternehmen, das die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen verbessern möchte.
So gilt das Unternehmen als Pionier in der Behandlung des nur selten auftretenden Phosphatdiabetes.
Der nächste Schritt wäre, den Patienten an ein spezialisiertes Zentrum zu überweisen, wo die Differenzialdiagnostik inkl. Familienanamnese stattfindet und die individuelle Behandlung definiert wird. Im Idealfall wird der Patient weiterhin von seinem örtlichen Arzt betreut, aber kommt regelmäßig zur Kontrolle ins spezialisierte Zentrum. Bei bereits erwachsenen Patienten ist das schwieriger, besonders, wenn sie schon lange Zeit mit den Symptomen leben. Das gilt natürlich nicht nur für die XLH, sondern auch für alle weiteren Seltenen Erkrankungen. Sind sie erblich bedingt, geben nicht diagnostizierte Patienten die Erkrankung womöglich unbemerkt an ihre Kinder weiter. In solchen Fällen erstellen wir, sobald die Patienten in einem spezialisierten Zentrum ankommen, eine sogenannte Kasuistik, arbeiten alle medizinischen Unterlagen auf und untersuchen den Patienten. Hat man den Verdacht, dass eine erblich bedingte Erkrankung vorliegt, kann genetisch getestet werden. Steht bereits ein bestimmter Verdacht im Raum, wird der Patient direkt an das auf diese Erkrankung spezialisierte Zentrum weitergeleitet.
Ich bleibe beim Beispiel XLH: Wenn Betroffene älter werden, stehen sie vor dem Übergang von der Kinder- und Jugendmedizin in die Erwachsenenversorgung (sog. Transition). Welche Lösungsansätze sehen Sie, damit auch erwachsene Betroffene weiterhin gut versorgt bleiben?
Solche Transitionsmodelle sind ungemein wichtig. Hier in Aachen machen wir dazu einen Round Table mit dem behandelnden Kinderarzt, einem Humangenetiker und dem Allgemeinarzt, um den Übergang in die Erwachsenenmedizin zu koordinieren. Damit bewirken wir, dass Patienten in dieser wichtigen Phase nicht durchs Raster fallen. Die Anbindung ans spezialisierte Zentrum bleibt dabei ein wichtiger Faktor. So bleiben Patienten gut versorgt und ihre Ärzte auch über die verfügbaren, ggf. neuen Therapieoptionen engmaschig informiert.
Was macht die spezialärztliche Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen an spezialisierten Zentren so besonders?
In den spezialisierten Zentren laufen alle Fäden zusammen, um die interdisziplinäre Betreuung zu gewährleisten. Diese Experten aus verschiedenen Disziplinen sind auch untereinander sowohl national als auch international sehr gut vernetzt. Bei der XLH braucht es z. B. eine enge Zusammenarbeit zwischen Endokrinologen, Nephrologen, Orthopäden, Humangenetikern, Physiotherapeuten, Zahnärzten. Das ist in einer niedergelassenen Praxis schwer leistbar. Aufgrund der vielen Fälle, die in spezialisierten Zentren behandelt werden, haben diese natürlich auch eine größere Bandbreite an Behandlungsoptionen. Die Therapien für seltene Erkrankungen sind oft sehr teuer und können häufig gar nicht von niedergelassenen Ärzten verschrieben werden. Auch hier haben die Zentren bei der Verschreibung, Applikation und Therapieanpassung eine Schlüsselrolle.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Behandlung seltener Krebserkrankungen wie der Mycosis fungoides und des Sézary-Syndroms – beides Unterformen des kutanen T-Zell-Lymphoms (CTCL).
Kyowa Kirin möchte sämtlichen Menschen, mit denen es sich im Austausch befindet, ein Lächeln schenken –nicht nur durch die Bereitstellung neuer Wirkstoffe, sondern auch durch gelebte Partnerschaften. Das Unternehmen sucht weltweit den Austausch mit Betroffenen und Beteiligten, um gemeinsam bessere Antworten auf Patientenbedürfnisse zu finden, getrieben von dem Ansporn „Making people smile“.
Orphanet https://tinyurl.com/4vr9ar9v 2
Weitere Informationen finden Sie unter: www.kyowakirininternational.com
„Nicht-dystrophe Myotonien sind schwerwiegende Erkrankungen, für die mehr Awareness geschaffen werden muss“
Nicht-dystrophe Myotonien (NDM) sind eine Gruppe seltener Erberkrankungen. Das Hauptsymptom: Betroffene sind aufgrund der Krankheit nicht fähig, die der körperlichen Bewegung dienenden Muskeln (Skelettmuskulatur) nach der Kontraktion sofort wieder zu entspannen. Ein Gespräch mit der Expertin Prof. Dr. Christiane Schneider-Gold, Oberärztin der Neuromuskulären Ambulanz am Katholischen Klinikum Bochum , zu den diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten.
Text Levi Müller
Nicht-dystrophe Myotonien sind selbst für erfahrene Mediziner nicht leicht zu erkennen. Was sind die Herausforderungen bei der Diagnosestellung?
Die nicht-dystrophen Myotonien sind zum einen sehr seltene Erkrankungen, die zu den (muskulären) Ionenkanalerkrankungen zählen. Nur etwa 20 Menschen von einer Million sind von einer solchen Ionenkanalerkrankung betroffen. Bei der Unterform der NDM sind es noch einmal weniger, hier liegt die Inzidenz bei 16 zu einer Million. Innerhalb der Gruppe der NDM muss man dann noch unterscheiden, welche Mutation zugrunde liegt. Anhand der klinischen Anzeichen wie z. B. Muskelsteifigkeit lässt sich eine NDM nicht sofort erkennen, da man erst einmal schauen muss, ob es sich z. B. um normale neurogene Muskelkrämpfe handelt. Solche Krämpfe können auch bei Elektrolytstörungen oder Vitamin D-Mangel auftreten und sind in dem Kontext wesentlich häufiger. Zudem haben bei manchen Betroffenen auch andere Familienmitglieder die gleichen Beschwerden, sodass man denken könnte, dass es sich um eine familiäre Besonderheit handelt. Das wird oft einfach hingenommen, ohne dass weitere Untersuchungen stattfinden. Es handelt sich also um ein klinisch anspruchsvolles Krankheitsbild. Sind die Symptome stärker ausgeprägt, oder treten sogar schon bei Kindern auf, dann wird meist genauer geschaut. Aber sowohl Kinderärzte als auch Allgemeinmediziner behandeln ein so breites Krankheitsspektrum, dass es nicht leicht ist, auch im Bereich der neuromuskulären Erkrankungen direkt an NDM zu denken. Hat man die Vermutung, dass eine Myotonie vorliegen könnte, dann kann über eine genetische Untersuchung eine gesicherte Diagnose gestellt werden. Wie äußern sich NDM, wie wirken sie sich auf den Alltag Betroffener aus und was sind die daraus resultierenden Herausforderungen und Folgen für Betroffene? Die Patienten haben eine Reaktionsstörung der Muskulatur, d. h. sie können Muskeln nach einer Anspannung nicht sofort entspannen. Erwachsene Patienten leben oft jahrelang mit den Beschwerden, die sie als ständige Muskelkrämpfe teilweise begleitet von Schmerzen beschreiben. Es handelt sich aber nicht um Krämpfe, sondern um eine Muskelsteifigkeit: Nach dem Zugreifen kann der Griff beispielsweise nicht sofort wieder geöffnet werden, was für Betroffene bei manuellen Tätigkeiten und im sozialen Kontext sehr unangenehm sein kann. Nach Ruhephasen kann es beim Aufstehen vom Stuhl oder beim Aussteigen aus
dem Auto zu einer Blockade der Beinmuskeln kommen: Betroffene können nicht sofort loslaufen und es besteht die Gefahr von Stürzen. Die Zungenmuskulatur kann ebenfalls betroffen sein, sodass das Sprechen hörbar beeinträchtigt sein kann. Auch Augenbewegungen können verlangsamt sein, so dass die Augäpfel nach einem Aufwärtsblick zunächst in der nach oben geführten Position verbleiben und erst verzögert wieder in die Ausgangsposition zurück geführt werden können. Beim Niesen kann es zu einem verlängerten Augenschluss kommen, der nicht sofort gelöst werden kann. Dies kann beim Autofahren problematisch werden. Kinder können infolge der Muskelsteifigkeit häufiger hinfallen und gelten dann als „tollpatschig“.
Bei starker Myotonie der Beinmuskulatur kann es sein, dass Kinder im 1. Lebensjahr verfrüht stehen können. Dies wird meist nicht als Defizit wahrgenommen, ganz im Gegenteil: Die Eltern freuen sich eher, dass das Kind schon so früh stehen kann. Durch die ständige unwillkürliche Aktivität der Muskeln bildet sich in vielen Fällen ein muskulöser Habitus aus, auch schon bei Kindern. Häufig sind die Wadenmuskeln dabei besonders gut ausgeprägt. Betroffene haben trotz der guten Ausprägung der Muskulatur häufig mit der Muskelsteifigkeit zu kämpfen, einige sind aber tatsächlich auch sehr sportlich. Es kommt dabei auf den Ausprägungsgrad der Myotonie an. Die Bandbreite ist enorm: Bei einer leichten Myotonie können durchaus sportliche Tätigkeiten auch im Leistungssportbereich ausgeführt werden, bei einer stark ausgeprägten Myotonie kommt es hingegen schon fast zu einem „Einfrieren“ der Muskulatur. Bei der Sonderform der Paramyotonie ist neben körperlicher Belastung vor allem Kälte ein starker Trigger, sodass die Muskelsteifigeit besonders im Winter oder beim Schwimmen im kalten Wasser oder beim Versuch, einen Bus oder eine Bahn gerade noch zu erreichen, auftritt. Das kann für Betroffene sehr unangenehm, und im Wasser infolge der plötzlichen Unfähigkeit sogar traumatisch bis lebensgefährlich werden. Die Erkrankung hat also neben der körperlichen auch eine große psychologische Komponente, unter der Patienten sehr leiden können. Abgesehen von den muskulären Beschwerden leiden Betroffene oft auch unter Schmerzen und sind durch die vermehrte Anstrengung, die das Überwinden der Myotonie erfordert, ständig müde. Zudem können durch die Myotonie Fehlbelastungen des Skelettsystems auftreten, was sekundär z. B. zu Rückenschmerzen führen kann.
Wie sehen die derzeitigen Therapieoptionen aus und wie helfen diese den Betroffenen, ein weitestgehend normales Leben führen?
Bisher gibt es ausschließlich symptomatische Therapien, sogenannte Antimyotonika. Zu diesen zählen so genannte Klasse I-Anti-Arrhythmika, die primär zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen eingesetzt werden, und Medikamente, die zur Behandlung der Epilepsie eingesetzt werden. Vertreter beider Substanzgruppen führen über ihre Effekte auf muskuläre Natriumkanäle (Natriumkanalblocker) zu einer Stabilisierung des Muskelaktionspotentials und damit zu einer Abnahme der Myotonie, sodass das vorherrschende Krankheitssymptom, die Myotonie/ Muskelsteifigkeit, abnimmt. Darüber hinaus gibt es Substanzen, die über andere Mechanismen direkt oder indirekt zu einer Normalisierung der intra- und extrazellulären Ionenkonzentration führen und damit das Muskelaktionspotential stabilisieren. Folglich ist unter der jeweiligen Therapie wieder eine Entspannung der Muskulatur und damit ein normalisierter Bewegungsablauf möglich. Abgesehen von der medikamentösen Therapie sollten Betroffeneregelmäßig Physiotherapie erhalten.
Was wünschen Sie sich bezüglich der Versorgung von Menschen mit NDM?
Mein Wunsch ist vor allem, dass eine höhere Awareness in Bezug auf diese Krankheitsbilder entsteht, damit Patienten, die über bewegungs- oder temperaturabhängige Beschwerden klagen, schneller auf NDM untersucht werden. Es muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass es eben nicht nur eine Muskelsteifigkeit oder Muskelverkrampfung ist, die ab und an auftritt, sondern dass es sich um unterschiedliche genetisch bedingte organische Erkrankungen handelt, deren Symptomatik durch geeignete Medikamente zumindest bei einem großen Teil der Betroffenen deutlich zu lindern ist. Daher sollte auch schneller über die Genetik zumindest eine Ausschlussdiagnostik betrieben und zudem auf Chlorid- und Natriumkanalmutationen untersucht werden. Auch eine Familienanamnese ist wichtig, um zu schauen, ob bereits ähnliche Fälle aufgetreten sind.
“Alltägliche Dinge – Treppensteigen, Händeschütteln, Einkäufe tragen und halten – stellen enorme Herausforderungen für uns dar und bedeuten emotionalen Stress für uns.“
Wenn sich die Muskeln nach einer Anspannung nicht so schnell wieder entspannen können.
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„PBC-Betroffene müssen mit ihren
ernst genommen werden“
Die Primäre Biliäre Cholangitis (kurz PBC) ist eine seltene Lebererkrankung, die quälende Beschwerden verursacht, welche die Lebensqualität Betroffener stark beeinträchtigen können. Etwa 90 % der Betroffenen sind Frauen. Renate Wisse ist eine von Ihnen. Sie erzählt uns von ihrem Weg zur richtigen Diagnose und wie sie heute ihren Alltag mit PBC bestreitet.
Text Hanna Sinnecker
Frau Wisse, Sie leben mit der seltenen Autoimmunerkrankung PBC. Wann haben Sie bemerkt, dass etwas nicht stimmt, und welche Beschwerden hatten Sie?
Die Beschwerden begannen 2014 mit einem starken Juckreiz, der ganz typisch für die PBC ist. Zudem bekam ich eine schwere Grippe und im Anschluss eine Gürtelrose. Davon erholte ich mich schwer und langsam. Ich war permanent erschöpft und müde, aber es wurde mir gesagt, dass das an der Gürtelrose läge. Da bräuchte man eben Zeit, um wieder richtig fit zu werden. Außerdem solle ich auch an die Wechseljahre denken. Heute weiß ich, dass beides klassische PBCSymptome waren: sowohl der Juckreiz als auch diese bleierne Müdigkeit, das sogenannte Fatigue-Syndrom. Sie haben dann sicher ärztlichen Rat gesucht: Wie sah Ihr Weg bis zur richtigen Diagnose aus? Nach der Gürtelrose war ich weiter bei meinem Hausarzt in Behandlung, der ein Blutbild machte und erhöhte Leberwerte feststellte. Er brachte die Werte mit meiner Erschöpfung und dem Juckreiz in Verbindung und überwies mich mit Verdacht auf PBC in eine Uniklinik. Auf den Termin musste ich sechs lange Monate warten. Ich fing an zu recherchieren und war am Boden zerstört, denn die wenigen, veralteten Infos, die ich fand, gaben mir noch zehn Jahre Lebenszeit. Das hat Todesangst in mir ausgelöst. In der Uniklinik wurde dann die Diagnose PBC gestellt. Ich bekam die Info, dass die Erkrankung nicht heilbar, aber aufzuhalten sei, bekam Medikamente und wurde wieder nach Hause geschickt. Weitere Infos bekam ich nicht. Beim nächsten Termin bekam ich aber einen Flyer, auf dem die Website www.pbcnews.info vorgestellt wurde. Diese Website war für mich das, was ich gesucht hatte: Eine verlässliche Quelle mit genau den Infos, die ich brauchte, um meine Erkrankung zu verstehen und mit ihr umzugehen.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen im Alltag und war es für Sie wichtig, sich selbst mit der Erkrankung auseinanderzusetzen? Zwar haben meine Medikamente den Juckreiz vermindert und meine Leberwerte verbessert. Die Fatigue mit ihrer bleiernen Müdigkeit begleitete mich weiterhin.
Ich machte aber weiter wie bisher, ging arbeiten, machte den Haushalt, ging mit dem Hund spazieren. Dafür strich ich private Verabredungen, für die die Kraft nicht ausreichte. Mein Umfeld nahm das nicht gut auf, ich stieß auf viel Unverständnis. Man sah mir meine Erkrankung ja nicht an. Zudem habe ich lange mit der Angst gelebt, viel zu früh sterben zu müssen. Gut über die eigene Erkrankung informiert zu sein war und ist für mich daher der Schlüssel: um selbst mit der Erkrankung umgehen zu können, aber auch, um andere darüber aufklären zu können. Mittlerweile engagiere ich mich auch selbst bei PBC News.
Was wünschen Sie sich im Hinblick auf die Versorgung von PBC-Betroffenen und wo sehen Sie persönlich Verbesserungspotenzial?
Ich wünsche mir sehr, dass unsere Beschwerden ernst genommen werden, ganz besonders in Hinblick auf betroffene Frauen mittleren Alters. Denn bei ihnen werden die Beschwerden gern auf die Menopause geschoben, das passierte auch mir. Ich denke, dass eine viel intensivere Vernetzung von Fachärzten hier helfen kann, um Betroffene ganzheitlich zu betrachten.
Selbstmanagement ist bei PBC sehr wichtig. Ich führe z. B. ein Krankheitstagebuch, damit ich meinem Behandlungsteam auch immer sagen kann, wie meine Erkrankung in letzter Zeit verlaufen ist.
Renate Wisse, PBC-Betroffene
Wie sieht Ihr Leben nun nach der richtigen Diagnosestellung und unter Therapie aus: Können Sie wieder einen geregelteren Alltag führen? Grundsätzlich versuche ich, mich gesund zu ernähren, auf Alkohol verzichte ich komplett. Ich versuche, mich wohldosiert zu bewegen. Ich meditiere, mache sanftes Yoga. Auch die Spaziergänge mit unserem Hund helfen mir, in Bewegung zu bleiben. Durch die Medikamente sind meine Leberwerte im Lot, auch der Juckreiz ist weg. Alle drei Monate werden meine Werte beim Hausarzt überprüft. Über verschiedene Patientenseminare habe ich viel gelernt und weiß z. B. inzwischen genau, wie meine wichtigsten Leberwerte aussehen sollten.
Die Fatigue macht mir das Leben aber weiterhin schwer, und ich hatte 2018 einen Zusammenbruch, der mit einer Depression einherging. Ich konnte nicht mehr. Ich habe mich dann erst langsam wieder erholt, aber musste damit umgehen lernen, dass mein Alltag nun anders aussehen würde. Manche Patientinnen können aufgrund der Fatigue gar nicht mehr in den Arbeitsalltag zurück. Ich habe dann eine Therapie gemacht, die mir sehr geholfen hat, mit meiner Krankheit umzugehen und Grenzen zu setzen. Und auch hier kommt wieder die Website PBC News ins Spiel, da ich darüber einen Arzt fand, der Patientenseminare zum Thema Krankheitsbewältigung anbot. Seit letztem Jahr bin ich über PBC News auch mit anderen Betroffenen im Kontakt, da ich an der Veranstaltung „PBC on Tour“ teilgenommen habe.
Zudem wünsche ich mir mehr Unterstützung für Menschen mit chronischen Erkrankungen, z. B. bei der Bewältigung bürokratischer Hürden. Und natürlich wünsche ich mir, dass weiter Forschung betrieben wird!
Was würden Sie anderen Betroffenen raten?
Man muss hartnäckig sein, dranbleiben, ganz aktiv an der Behandlung mitarbeiten und immer informiert bleiben. Selbstmanagement ist bei PBC sehr wichtig. Ich führe z. B. ein Krankheitstagebuch, damit ich meinem Behandlungsteam auch immer sagen kann, wie meine Erkrankung in letzter Zeit verlaufen ist. Und auch meine Leberwerte kenne ich inzwischen ganz genau: Phosphatase (AP), Gamma-GT, Bilirubin, GOT und GPT sind hier besonders wichtige Werte. Aber ich muss auch sagen, dass ich es toll finde, wie eng Ärzte inzwischen bereit sind, mit den Patienten zusammenzuarbeiten!
Zudem ist die Vernetzung mit anderen Betroffenen eine große Hilfe, da man sich gegenseitig unterstützen kann. Ich selbst bin mittlerweile sehr aktiv bei PBC News und gebe Workshops für andere Betroffene zum Umgang mit der Erkrankung. Aufklärung ist der Schlüssel, um mit der Erkrankung leben zu können, Ängste zu bewältigen und ein Stück Selbstwirksamkeit zurückzuerlangen.
Ich lasse meine AP-Werte regelmäßig kontrollieren. Denn wenn ich weiß, was los ist, kann ich über eine mögliche Therapieanpassung aktiv mitentscheiden.
Wenn Sie auch betroffen sind, sprechen Sie mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt über Ihre Leberwerte.
HIER GEHT’S ZU KRISTINAS INTERVIEW
Morbus
„Die Auffälligkeiten in der Kombination der Symptome sind entscheidend für die richtige Diagnose“
Morbus Fabry ist eine seltene monogenetische Stoffwechselstörung, die zu den lysosomalen Speichererkrankungen gehört. Was viele Betroffene eint, ist der oftmals lange Leidensweg bis zur Diagnose. Wir sprachen mit der Expertin Prof. Dr. med. Janina Müller-Deile über das Chamäleon unter den seltenen Erkrankungen.
Text Levi Müller
Morbus Fabry ist eine seltene Erkrankung, die sich durch unspezifische und diffuse Symptome bemerkbar macht. Was passiert bei der Erkrankung im Körper Betroffener und wie zeigt sie sich konkret? Bei Betroffenen liegt eine Mutation auf dem sogenannten GLA-Gen vor, das zu einer verminderten oder ausbleibenden Produktion eines bestimmten Enzyms führt, das eigentlich zum Abbau bestimmter Fettstoffe (Glykosphingolipide) benötigt wird. In der Folge lagern sich bestimmte Stoffwechselprodukte in verschiedenen Zellen des Körpers ab und Entzündungsprozesse im Körper werden in Gang gebracht. Diese Kombination führt dazu, dass Betroffene ein sehr heterogenes Krankheitsbild zeigen können.
Bereits im frühen Kindesalter zeigen sich erste Symptome, klassischerweise Schmerzen und Missempfindungen besonders in den Händen und Füßen, die sich wie ein starkes Brennen anfühlen. Zudem zeigen sich oft Veränderungen an der Haut: kleine rote Flecken, die aber keine Schmerzen verursachen. Tatsächlich berichten bereits Kinder, dass sie nicht schwitzen können oder mit Beschwerden auf Kälte oder Hitze reagieren. Etwa 60 % der Jungen und 40 % der Mädchen mit Morbus Fabry haben bereits im Kindesalter solche Beschwerden.
halten, weil der Kardiologe sich nur das Herz, der Nephrologe die Niere, der Dermatologe die Haut anschaut. Man muss also unbedingt die Augen offen halten für Auffälligkeiten in der Kombination der einzelnen Symptome, um der Erkrankung auf die Spur zu kommen.
Warum ist eine frühe Diagnose so wichtig und was sind die Gefahren bei einer erst späten Diagnose? Je früher die Diagnose gestellt wird, umso schneller kann die Erkrankung behandelt und aufgehalten werden. Wird die Diagnose erst spät gestellt, können bereits Schäden an z. B. Herz, Niere oder Gehirn entstanden sein, die nicht wieder rückgängig zu machen sind. Auch ist die Lebensqualität durch die ständigen Schmerzen und Beschwerden stark eingeschränkt. Außerdem geht der Morbus Fabry mit einer verkürzten Lebensdauer einher, wenn er nicht behandelt wird, da Betroffene an den Schäden, die an den Organsystemen entstehen, verfrüht versterben können.
Schreitet die Erkrankung fort, kommen zu den genannten Symptomen im jungen Erwachsenenalter erste Organbeteiligungen hinzu. Dazu gehören z. B. Nierenprobleme, die sich durch eine erhöhte Eiweißausscheidung und später eine verminderte Entgiftung zeigen. Im Alter von 30 bis 40 Jahren kommen häufig Herzbeteiligungen hinzu, die sich durch eine verdickte Herzwand, Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen zeigen können. Auch können in diesem vergleichsweise jungen Alter Schlaganfälle auftreten, für die sich keine plausible Ursache finden lässt. Oft laufen Betroffene von Facharzt zu Facharzt, ohne eine Diagnose zu er-
Die Morbus FabryTherapie ist immer eine individuelle und interdisziplinäre Betreuung.
Prof. Dr. med. Janina Müller-Deile
Fachärztin für Nephrologie und Innere Medizin, Oberärztin am Uniklinikum Erlangen
Welche Rolle spielt die Familienanamnese bei erblich bedingten Erkrankungen wie Morbus Fabry? Eine Familienanamnese ist bei Verdacht auf genetisch bedingte Erkrankungen immer angeraten. Wir erstellen dabei einen Stammbaum und erfragen Familienmitglieder mit Auffälligkeiten oder diagnostizierten Erkrankungen. Das kann bereits erste Hinweise geben, welchem Erbgang die Erkrankung folgt.
Bei Morbus Fabry liegt das kranke Gen auf dem XChromosom, so lässt sich auch die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe an Kinder bestimmen. Das bedeutet, dass wir durch die Familienanamnese einerseits bestimmte Familienmitglieder entlasten und andererseits die verbleibenden testen und ggf. therapieren können.
Vor zwanzig Jahren wurde die erste kausale Therapie für Fabry-Patienten zugelassen. Was hat sich seitdem getan und können Betroffene unter Therapie einen normalen Alltag bestreiten?
Wir haben zwei zugelassene Therapieansätze. Das ist zum einen die Enzymersatztherapie, die das fehlende Enzym ersetzt. Diese Behandlung erfolgt intravenös alle zwei Wochen. Natürlich muss bei der Enzymersatztherapie ein gewisser organisatorischer Aufwand betrieben werden, weil man die Termine einhalten muss, sodass der Alltag in gewisser Weise verändert ist. Zum anderen gibt es die sogenannte ChaperonTherapie: eine Tablette, die Betroffene alle zwei Tage zur gleichen Uhrzeit einnehmen.
Die Symptome bessern sich in aller Regel unter Therapie. Allerdings gibt es Beschwerden, die schwer zu behandeln sind, wie z. B. die Schmerzen oder das Risiko für Schlaganfall. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Patienten, die eine Organbeteiligung haben, nicht nur mit der spezifischen Fabry-Therapie behandelt werden, sondern auch eine Behandlung der Folgeerkrankungen erhalten. Ist das Herz betroffen, müssen der Blutdruck und die Cholesterinwerte überprüft und ggf. medikamentös ins Lot gebracht werden. Nach Schlaganfall muss auch bei Ihnen eine Antikoagulation durchgeführt werden. Sind die Nieren betroffen, müssen diese Nierenschäden behandelt werden. Auch mögliche psychosomatische Begleiterscheinungen wie depressive Verstimmungen, Depressionen oder Angstzustände müssen berücksichtigt werden, da die Erkrankung natürlich auch eine enorme seelische Last bedeuten kann. Die Morbus Fabry-Therapie ist also immer eine individuelle und interdisziplinäre Betreuung.
Morbus Fabry ist eine seltene genetische Erkrankung, die sich durch eine Vielzahl an Symptomen bemerkbar machen kann. Da Schäden an vers chiedenen Organen auftreten können, spricht man von einer Multisystemerkrankung. Eine frühe Diagnose ist entscheidend, da die Erkrankung unbehandelt weiter fortschreiten kann, sich die Beschwerden weiter verschlechtern können, was sich negativ auf die Lebensqualität Betroffener auswirken kann. Mögliche Symptome bei Morbus Fabry
NIEREN
• Eiweiß im Urin
• Verminderte Nierenfunktion
• Nierenversagen
MAGEN-DARM
• Übelkeit und Erbrechen
• Durchfall und/oder Verstopfung
• Bauchschmerzen
• Blähungen
AUGEN
• Wirbelförmiges Muster auf der Hornhaut
• Fabry-Katarakt (eine best. Form der Linsentrübung)
PSYCHOSOZIALE ASPEKTE
• Depression
• Angstzustände
• Panikattacken
• Isolation
HAUT
• Vermindertes Schwitzen
• Kleine dunkelrote Punkte, die als Angiokeratome bezeichnet werden, vor allem zwischen Bauchnabel und Knien
NERVENSYSTEM
• Starke Schmerzen, die Minuten bis Stunden andauern
• Hörverlust, Tinnitus
• Hitze- oder Kälteunverträglichkeit oder Belastungsintoleranz
• Transitorische ischämische Attacke (TIA) und Schlaganfall
• Brennen der Hände/Füße (als Akroparästhesie bezeichnet)
• Schwindel
HERZ
• Unregelmäßiger Herzschlag (schnell/langsam)
• Herzanfall oder -versagen
• Vergrößertes Herz
Morbus Fabry wird auch als das Chamäleon unter den seltenen Erkrankungen bezeichnet, da er diverse Symptome verursachen kann, die zunächst auf die falsche Fährte locken können. Betroffene haben oft eine jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt hinter sich, in der häufig Fehldiagnosen gestellt werden, verbunden mit einer Fehlbehandlung, die für die Patienten oft wirkungslos bleibt. Zu den körperlichen Symptomen kommen daher nicht selten psychische Beschwerden hinzu. Wenn also verschiedene unspezifische Symptome auftreten (s. Grafik links), sollten diese in Kombination betrachtet werden, um der Erkrankung möglichst früh auf die Spur zu kommen. Sind zudem bereits ähnliche Fälle in der Familie aufgetreten, sollte man umso hellhöriger werden. Bei männlichen Patienten kann bereits ein einfacher Bluttest zur Bestimmung der Enzymaktivität zur Diagnose führen, die durch eine genetische Testung abgesichert werden kann. Bei weiblichen Patienten kann die genetische Testung die Diagnose sichern. Je früher die Erkrankung erkannt wird, umso schneller kann die passende Therapie in die Wege geleitet werden. Nur so können Beschwerden eingedämmt, mögliche Folgeschäden verhindert und die Lebensqualität Betroffener verbessert werden.
Weitere Informationen: www.fabryfamilytree.de
Morbus Pompe ist eine seltene Erbkrankheit, die in vielen Fällen mit einer ausgeprägten Muskelschwäche einhergeht. Über die Ursachen der Erkrankung, die Herausforderungen bei der Diagnosestellung und die derzeitigen Behandlungsoptionen sprachen wir mit Dr. Athanasia Ziagaki, Leiterin des Kompetenzzentrums für Seltene Stoffwechselkrankheiten an der Charité Berlin.
Text Hanna Sinnecker
Morbus Pompe ist eine sehr seltene Erkrankung, in Deutschland leben schätzungsweise nur etwa 800 Betroffene. Wo liegt die Ursache für die Erkrankung und wie unterscheidet sie sich von anderen lysosomalen Speichererkrankungen?
Morbus Pompe ist eine angeborene Erkrankung, die autosomal-rezessiv vererbt wird. Die Ursache ist ein Mangel eines bestimmten Enzyms, der sogenannten sauren alpha-1,4-Glukosidase. Dieses Enzym wird benötigt, um in den Lysosomen (vereinfacht sind das die „Mägen“ der Zellen) Glykogen in Glukose umzuwandeln. Glukose benötigt der Körper, insbesondere das Gehirn und die Muskeln, um den Energiehaushalt zu regeln. Ist das Enzym defekt, kommt es zu einer Ansammlung von Glykogen in den Lysosomen, insbesondere in den Muskelzellen. Das führt zu einer Schädigung der Skelett- und Atemmuskulatur. Beim Morbus Pompe handelt es sich primär um eine neuromuskuläre Erkrankung. Der Entstehungsmechanismus und die Symptome sind also anders als bei anderen lysosomalen Speichererkrankungen, auch die Therapiemöglichkeiten sehen entsprechend anders aus.
Wie äußert sich der Morbus Pompe und was bedeutet die Erkrankung für den Alltag Betroffener? Man unterscheidet zwei Formen: zum einen die infantile Form, die bereits bei Kindern auftritt. Diese zeigt sich durch eine Herzbeteiligung und eine Muskelschwäche. Ohne Therapie versterben betroffene Kinder meist im ersten Lebensjahr. Zum anderen gibt es die adulte Form, die sich erst im Erwachsenenalter zeigt. Hier ist vor allem die Skelett- und Atemmuskulatur betroffen, die Herzbeteiligung fehlt. Je später die Symptome auftreten, umso geringer ist die Glykogenspeicherung in den Muskelzellen, was wiederum einen umso milderen Verlauf bedeutet. Der adulte Morbus Pompe äußert sich durch eine Muskelschwäche im Bereich des Gliedergürtels. Betroffene merken das, indem sie z. B. beim Aufstehen von einem Stuhl, beim Treppensteigen oder beim Aufrichten aus der Hocke Probleme haben. Meist nutzen sie bei diesen Tätigkeiten die Arme zur Unterstützung. Schreitet die Erkrankung weiter fort, wird auch das Laufen beeinträchtigt:
Der Gang wird unsicher, sie stolpern häufig oder können nur noch kürzere Strecken laufen.
Die verfügbaren Therapien haben das Ziel, die Erkrankung aufzuhalten und damit die Mobilität und Lebensqualität Betroffener zu erhalten.
Dr. med. Athanasia Ziagaki
Fachärztin für Innere Medizin, Leitung des Kompetenzzentrums Seltene Stoffwechselkrankheiten der Charité - Universitätsmedizin Berlin
Es kann auch zu Atemproblemen kommen, wenn das Zwerchfell oder die Zwischenrippenmuskulatur betroffen sind. Das kann sich in nächtlichen Atemaussetzern und unruhigem Schlaf zeigen, was wiederum Kopfschmerzen am Morgen oder eine ausgeprägte Tagesmüdigkeit bewirken kann. In seltenen Fällen kann die Muskulatur des Verdauungstraktes betroffen sein, was zu Verdauungsstörungen und in einigen Fällen zu Durchfall führen kann. Außerdem klagt mehr als die Hälfte der Betroffenen über Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule. Wichtig ist aber anzumerken, dass jeder Patient eine unterschiedliche Symptomausprägung hat und individuell behandelt werden muss. Was sind die Herausforderungen bei der Diagnosestellung und was sind die Gefahren, wenn die Erkrankung erst spät erkannt wird? Zum einen ist das die Seltenheit der Erkrankung: Es wird oft nicht als erstes an Morbus Pompe gedacht, besonders, wenn die Symptome mild ausfallen. Zudem können die Symptome auch auf andere Krankheiten deuten. Eine Muskelschwäche tritt z. B. auch bei anderen neurologischen Krankheiten wie Myopathien oder Muskeldystrophien auf. Die Atembeschwerden werden häufig zunächst mit einer COPD in Verbindung gebracht. Die Folge ist, dass Patienten Fehldiagnosen erhalten, erst spät zu einem Spezialisten überwiesen werden und die Diagnose verzögert erfolgt. Da die Erkrankung ohne Behandlung weiter fortschreitet,
kann das schwerwiegende Folgen haben. Die einmal entstandenen Schäden sind nicht wieder rückgängig zu machen, auch wenn dann eine Therapie begonnen wird. Im fortgeschrittenen Stadium kann es sein, dass Betroffene im Rollstuhl sitzen und beatmet werden müssen. Das bedeutet eine starke Einschränkung der Lebensqualität. Eine frühe Diagnose ist also entscheidend für den Krankheitsverlauf. Die Diagnose kann durch eine Bestimmung der Enzymaktivität im Blut und eine anschließende molekulargenetische Untersuchung zweifelsfrei gestellt werden
Wie sehen die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten aus und wie wirken sie sich auf die Lebensqualität Betroffener aus?
Die verfügbaren Therapien haben das Ziel, die Erkrankung aufzuhalten und damit die Mobilität und Lebensqualität Betroffener zu erhalten. Seit 2006 gibt es eine Enzymersatztherapie: Alle 14 Tage wird dem Patienten das fehlende Enzym per Infusion zugeführt. Das dauert immer etwa viereinhalb Stunden. Mittlerweile gibt es weitere Therapieansätze, wie neuartige Formen der Enzymersatztherapie. Seit 2022 steht eine modifizierte Enzymersatztherapie zur Verfügung mit dem Ziel, eine verbesserte Aufnahme durch die Muskelzellen zu erreichen. Zudem besteht seit 2023 die Möglichkeit, die Enzymersatztherapie mit einer sog. Chaperon-Therapie zu kombinieren. Die Chaperon-Therapie ist eine orale Kapsel, die das Ziel hat, die Enzymfunktion zu stabilisieren. Diese neuen Therapien zeichnen sich durch eine noch bessere Wirksamkeit und eine verbesserte Gewebeaufnahme aus, sodass das Enzym besser in die Muskelzellen eindringen kann. Zudem sind unterstützende Maßnahmen wie z. B. wöchentliche Physiotherapie wichtig zur Unterstützung der Muskelfunktion.
Welche Rolle spielt die interdisziplinäre Versorgung bei Morbus Pompe und die regelmäßige Kontrolle in spezialisierten Zentren?
Die Patienten benötigen diese interdisziplinäre Behandlung, da der Morbus Pompe eine Multisystemerkrankung ist, die mehrere Organe betrifft. Involviert sind hier Neurologen, Stoffwechselspezialisten, Pulmologen, Kardiologen, Physiotherapeuten und Ernährungsberater, die bei der Therapie eng zusammenarbeiten. An einem spezialisierten Zentrum können wir diese Betreuung anbieten, weswegen die Anbindung Betroffener an solche Zentren sehr wichtig ist. Durch die regelmäßige Vorstellung in spezialisierten Zentren kann zudem schnell ein mögliches Fortschreiten der Erkrankung erkannt und die Therapie rechtzeitig angepasst werden, auch wenn die reguläre Versorgung durchaus auch wohnortnah oder zu Hause stattfinden kann. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass an den Zentren die neuesten Behandlungsmöglichkeiten angeboten werden und zudem auch häufig Studien laufen, an denen sich Betroffene beteiligen können. So können Patienten einen wichtigen Beitrag zur weiteren Erforschung Ihrer eigenen Krankheit beitragen.
Auch der Morbus Pom pe ist eine seltene Erbkrankheit, die vor allem die Skelett- und Atemmuskulatur betrifft. Die Symptome können zu einer massiven Einschränkung des Gesundheitszustandes, der Beweglichkeit und der Lebensqualität führen. Auch bei Morbus Pompe ist eine frühe Diagnose entscheidend, um mögliche Folgeschäden zu vermeiden oder aufzuhalten.
Mögliche Symptome bei adultem Morbus Pompe
Wie der Morbus Fabry ist auch der Morbus Pompe eine Erkrankung mit vielen Gesichtern, die sich durch eine Vielzahl an Symptomen bemerkbar machen kann (s. Grafik rechts).
Da die Beschwerden auch auf andere neuromuskuläre Erkrankungen hindeuten können, dauert es oft, bis die richtige Diagnose gestellt ist. Die Erkrankung schreitet weiter voran und kann die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Oft kommen seelische Beschwerden durch den anhaltenden Leidensdruck und die langen Diagnosewege hinzu. Die einzelnen Symptome sollten also unbedingt in Gänze betrachtet werden. Morbus Pompe ist eine genetisch bedingte Erkrankung. Besteht der Verdacht auf Morbus Pompe, ist der erste Schritt ein einfacher Bluttest. Verhärtet sich der Verdacht, entscheidet der Arzt, ob eine genetische Testung anzuraten ist, die den Morbus Pompe final bestätigen kann.
Der Zeitpunkt der Diagnose ist entscheidend für den Behandlungserfolg, da bereits entstandene Schäden oft irreversibel sind. Um weitere Organschäden zu verhindern sowie die Lebensqualität Betroffener langfristig zu verbessern, sollte bei einer entsprechenden Symptomkombination ein Arzt aufgesucht werden.
SKELETT UND MUSKELN
• Muskelschwäche, vor allem der rumpfnahen Muskulatur
• Rückenschmerzen
• Körperliche Aktivität ist nicht mehr oder eingeschränkt möglich
• Schwierigkeiten beim Treppensteigen
• Gangstörungen (Watschelgang)
• Gelenksteifheit
• Flügelartiges Abstehen der Schulterblätter
• Eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule
• Abnorme Krümmung der Wirbelsäule
• Motorische Einschränkungen
LUNGE
• Atemschwäche
• Atembeschwerden
• Häufige Atemwegsinfekte
• Schlafapnoe
• Tagesschläfrigkeit
• Morgendliche Kopfschmerzen
VERDAUUNGSTRAKT
• Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken
• Unzureichende Gewichtszunahme
• Chronische Verstopfung
• Harn- und Stuhlinkontinenz
Schätzungsweise 120.000 Menschen in Deutschland leiden an Clusterkopfschmerz: eine Erkrankung, die unerträgliche Schmerzen verursacht. Im englischsprachigen Raum spricht man auch von „Suicide Headache“: Das macht deutlich, wie stark Betroffene leiden und welche Auswirkungen es haben kann, wenn die Erkrankung nicht richtig diagnostiziert und behandelt wird. Mittlerweile gibt es wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die deutlich zur Verbesserung der Lebensqualität Betroffener beitragen können. Trotzdem bleibt die aktuelle Versorgungslage Betroffener unbefriedigend. Ein Gespräch mit Dr. Ursula Marschall, Leiterin des Forschungsbereichs Medizin und Versorgungsforschung am Institut für Gesundheitssystemforschung der BARMER.
Frau Dr. Marschall, was sind die Herausforderungen bei der Diagnose des Clusterkopfschmerzes?
Ich bezeichne den Clusterkopfschmerz gern als den vergessenen Kopfschmerz. In 2023 wurden in Deutschland 75.000 gesetzlich Versicherte dahingehend behandelt, am häufigsten tritt er auf im Alter ab 50 bis etwa 60. In seiner Reinform verläuft er komplett anders als z. B. eine Migräne. Das Besondere ist, dass ganz plötzlich ein einseitiger, rasender Kopfschmerz auftritt, der sich zusammen mit einem roten Auge und einer laufenden Nase zeigt. Da Betroffene aber zusätzlich oft auch an anderen Kopfschmerzarten wie Migräne oder Spannungskopfschmerz leiden, ist die Diagnose oft nicht leicht zu stellen. Zudem bringen sie die laufende Nase und das rote Auge nicht sofort mit den Kopfschmerzattacken in Verbindung, weil sie den Clusterkopfschmerz in seiner typischen Ausprägung nicht kennen. Die Herausforderung ist also, den Clusterkopfschmerz mit seinen typischen Symptomen bekannter zu machen: Das ist der einzige Weg, um Diagnosen zu beschleunigen und ihn von anderen Kopfschmerzarten abzugrenzen.
Depressionen oder Angststörungen hinzukommen: d. h., wenn die konventionelle Behandlung des Clusterkopfschmerzes allein nicht ausreicht.
Glücklicherweise gibt es mittlerweile bewährte Therapieansätze, die die Lebensqualität Betroffener verbessern können. Was sieht die aktuelle Behandlungsleitlinie vor?
Hier muss man unterscheiden zwischen Akuttherapie und Prophylaxe. In der Akuttherapie ist der erste Schritt die Gabe von Sauerstoff. Bei den meisten Betroffenen wirkt er innerhalb von Minuten und die Schmerzen klingen ab.
Die Herausforderung ist, den Clusterkopfschmerz mit seinen typischen Symptomen bekannter zu machen: Das ist der einzige Weg, um Diagnosen zu beschleunigen und ihn von anderen Kopfschmerzarten abzugrenzen.
Wir haben also wirksame Medikamente, die den Clusterkopfschmerz theoretisch gut behandelbar machen. Leider sieht die Versorgungsrealität aber oft noch anders aus und es könnte durchaus stärker gemäß Leitlinie behandelt werden.
Aktuelle Daten zeigen auch, dass leider immer noch viele Clusterkopfschmerz-Betroffene unterversorgt sind, obwohl es gute Behandlungsmöglichkeiten gibt. Das betrifft vor allem Frauen mit Clusterkopfschmerz. Woran liegt das?
Leider hält sich nach wie vor das Bild vom Clusterkopfschmerz als einer Erkrankung, die überwiegend Männer betrifft. Das stimmt aber so nicht mehr, denn die Frauen holen auf. Leider wird bei betroffenen Frauen häufig zunächst eine Migräne diagnostiziert und behandelt, natürlich ohne Besserung der Symptome, da die falschen Medikamente für die falsche Erkrankung verabreicht werden. Und hier sind wir wieder bei der so dringend nötigen Aufklärung rund um das Krankheitsbild, sowohl unter Patienten und Patientinnen als auch bei Ärzten. Nur wenn man die Symptome des Clusterkopfschmerzes kennt und sie z. B. von denen der Migräne abgrenzen kann, werden Betroffene auch richtig diagnostiziert und versorgt werden können.
Welche konkreten Lösungsansätze sehen Sie, um dieser Herausforderung Herr zu werden, damit sich die Versorgungssituation Betroffener in Zukunft zum Positiven verändert?
Ist die Diagnose Clusterkopfschmerz gestellt, sind Betroffene auf eine entsprechende Versorgung angewiesen. Wie sieht die Versorgungslandschaft in Deutschland momentan aus und welche Rolle spielen hier spezialisierte Zentren?
Der reine Clusterkopfschmerz ohne Begleiterkrankungen oder weitere Kopfschmerzerkrankungen kann hausärztlich und ambulant betreut werden. Die Betreuung in spezialisierten Zentren wird erst dann notwendig, wenn Migräne- oder Spannungskopfschmerzattacken oder psychische Beschwerden wie
Dr. med. Ursula Marschall Dipl. oec. Fachärztin für Anästhesie/Intensiv-Rettungs-Schmerztherapie, Forschungsbereichsleitung Medizin/ Versorgungsforschung am Institut für Gesundheitssystemforschung der BARMER
Auch Cortison kann verabreicht werden, sollte aber nicht länger als vier Wochen eingesetzt werden. Zudem haben wir die Wirkstoffe Sumatriptan und Zolmitriptan, die im Akutfall unter die Haut gespritzt oder per Nasenspray verabreicht werden, was der Patient beides selbst machen kann. Ganz wichtig zu sagen ist, dass Triptantabletten bei den wenigsten Patienten sinnvoll sind. Zudem kann vorbeugend eine Prophylaxetherapie mit Verapamil oder Lithium angewandt werden.
Wir erhoffen uns, dass mit der diesjährigen Veröffentlichung der aktualisierten Behandlungsleitlinie noch einmal Schwung in die Thematik kommt und immer mehr Betroffene auch entsprechend behandelt werden. Hier spielen sowohl die medizinischen Fachgesellschaften als auch die Selbsthilfevereine eine wichtige Rolle, um öffentlichkeitswirksam zu diesem Thema zu informieren. Zudem ist das Thema Vernetzung sehr wichtig, z. B. zwischen Hausärzten, Neurologen und Schmerztherapeuten. Wie erwähnt kann der Großteil der Betroffenen ambulant versorgt werden. Erst wenn die Medikation nach Leitlinie durchgeführt wurde und trotzdem noch massive Attacken auftreten, braucht es entsprechende Versorgungsstrukturen und die Vernetzung mit spezialisierten Zentren. Die Quintessenz ist: Der richtige Patient braucht die richtige Behandlung in der richtigen Versorgungsstruktur.
Bundesverband der ClusterkopfschmerzSelbsthilfe-Gruppen (CSG) e. V.
Auf der Website www.clusterkopf.de finden Sie umfangreiche Informationen zu diesem Krankheitsbild. Dort finden Sie z. B. auch eine Übersicht über alle medizinischen Kompetenz-Zentren.
„Patienten mit eosinophiler Ösophagitis müssen engmaschig kontrolliert werden“
Die eosinophile Ösophagitis (kurz EoE) ist eine immunvermittelte chronische Erkrankung der Speiseröhre. Die Anzahl Betroffener, vor allem in Industrieländern, steigt nachweislich, trotzdem ist die Erkrankung den wenigsten bekannt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Symptome dieser belastenden Erkrankung in Schach zu halten, sofern sie diagnostiziert wird. Wir sprachen mit PD Dr. med. Ulrike von Arnim, die sich unter anderem auf die Behandlung der EoE spezialisiert hat.
Text Hanna Sinnecker
Frau Dr. von Arnim, was passiert bei der EoE im Körper Betroffener und was kann die Diagnose erschweren bzw. verzögern?
Die EoE ist eine chronische Erkrankung der Speiseröhre, die mit Schluckbeschwerden insbesondere für feste Speisen einhergeht. Zudem klagen Betroffene häufig über Schmerzen insbesondere hinter dem Brustbein. Im schlimmsten Fall kann ein Nahrungsbrocken im Hals stecken bleiben (sog. Bolusobstruktion): Das ist dann ein medizinischer Notfall.
Der EoE liegt eine sogenannte Typ-2-Inflammation zugrunde, also eine allergieähnliche Entzündung der Speiseröhrenschleimhaut, bei der die Anzahl der eosinophilen Granulozyten (Entzündungszellen) stark erhöht ist. Diese dauerhafte Entzündung verursacht die Beschwerden und kann im Laufe der Zeit zu einer Vernarbung der Speiseröhrenschleimhaut führen.
Die EoE ist zwar bisher nicht heilbar, aber sehr gut behandelbar.
die Erkrankung nach Ausschluss anderer Ursachen diagnostiziert werden. Leider passieren aber immer noch Verwechslungen, z. B. mit der Refluxkrankheit, da die Symptome nicht richtig gedeutet und in Zusammenhang gebracht werden. Daher warten Patienten oft jahrelang auf die richtige Diagnose, obwohl die Erkrankung an sich nicht mehr selten ist. Durch das lange diagnostische Fenster haben die Patienten unbewusst Vermeidungsstrategien in ihrem Essverhalten entwickelt (exzessives Kauen, Nachtrinken nach jedem Bissen, Pürieren von bestimmten Speisen, Meiden von bestimmten insbesondere faserigen oder harten Speisen, ungern spontanes auswärts essen).
Gibt es den „typischen EoE-Patienten“? Ja. Es handelt sich um eine männerdominierte Erkrankung, sie sind dreimal häufiger betroffen als Frauen. Typischerweise tritt die EoE im Alter von 30 bis 50 Jahren auf. Zudem haben etwa 75% der Patienten sogenannte allergische Komorbiditäten, also weitere allergische Erkrankungen wie z. B. Pollenoder Nahrungsmittelallergien, allergisches Asthma oder eine atopische Dermatitis. Diese stehen häufig mit der EoE in Verbindung.
Welche Therapieoptionen gibt es für Betroffene und wie bewerten Sie diese?
Zudem gibt es seit 2023 einen monoklonalen Antikörper, der zum Einsatz kommt, wenn eine der beiden vorab genannten Therapieoptionen nicht wirksam war oder Unverträglichkeiten aufgetreten sind.
Bei den Eliminationsdiäten verfolgen wir den Ansatz, über gezieltes Weglassen und Wiedereinführen bestimmter Nahrungsmittel die Allergene herauszufiltern, welche die Entzündungsreaktion auslösen. Bei der 6-Food Eliminationsdiät werden Weizen, Milch, Eier, Fisch und Krustentiere, Nüsse und Soja vermieden und nach einer gewissen Zeit jeweils wieder in die Diät aufgenommen. Das ist natürlich ein langes Prozedere, das bei jedem Schritt mit einer Speiseröhrenspiegelung verbunden ist und auch eine hohe Verbindlichkeit seitens der Betroffenen verlangt.
Die endoskopische Dilatation kommt zum Einsatz, wenn es Verengungen in der Speiseröhre durch Vernarbungen gibt. Die Verengung wird dann endoskopisch aufgeweitet. Damit behandelt man nicht die Erkrankung an sich, sondern eine ihrer Komplikationen, die entsteht, wenn die EoE zu lange unentdeckt geblieben ist und nicht behandelt wurde. Durch eine frühe Diagnosestellung wollen wir das aber möglichst vermeiden.
PD Dr. med. Ulrike von Arnim Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie, leitende Oberärztin der Universitätsklinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie am Universitätsklinikum Magdeburg
Studien haben mittlerweile bestätigt, dass es sich um eine Allergen-vermittelte Erkrankung handelt, bei der auch eine entsprechende genetische Veranlagung sowie Umweltfaktoren eine Rolle spielen. Das bedeutet aber nicht, dass die Erkrankung monogenetisch vererbt wird. Durch Gewebeentnahmen aus der Speiseröhre kann
Die EoE ist zwar bisher nicht heilbar, aber sehr gut behandelbar. Die Therapieoptionen bestehen aus den „3D“: Drugs (Medikamente), Diet (Eliminationsdiät) und Dilatation (endoskopische Erweiterung der Speiseröhre). Zu den medikamentösen Optionen zählen topische Kortikosteroide, die oral eingenommen werden. Der Wirkstoff legt sich wie ein Film über die Speiseröhre und bekämpft dort die Entzündungsreaktion. Diese Therapie hat in der Behandlungsleitlinie eine Sollte-Empfehlung erhalten. Weiterhin können Säureblocker zum Einsatz kommen, die aber nicht so effektiv wirken wie die Kortikosteroide und daher nur eine Kann-Empfehlung haben.
„Wahrscheinlich hast du das von der Omi geerbt!“ Das sagten Sonjas Eltern, als ihr im Altern von elf Jahren erstmals das passierte, was sie fortan ihr Leben begleiten sollte: Es war beim Essen etwas in der Speiseröhre stecken geblieben. Heute, mit inzwischen 56 Jahren, weiß sie, dass das Leiden auf eine chronische Entzündung zurückzuführen ist, ausgelöst durch bestimmte Lebensmittel. „Ich wünschte, ich hätte mich früher zu einer Untersuchung entschlossen“, meint sie heute, nachdem die Behandlung ihr Leben verändert hat.
Das erste Mal in der Notaufnahme
Ein Jahr ist es her, als beim Trinken eines Smoothies eine Blaubeere stecken blieb. Diesmal hilft kein Trinken von Wasser, kein Stück Brot, kein Würgen. Zum ersten Mal in ihrem Leben sucht Sonja die Notaufnahme auf. Ein auf MagenDarm-Krankheiten spezialisierter Internist kann per Speiseröhrenspiegelung mit einem Endoskop die Blaubeere zerkleinern und in den Magen spülen. Danach sagt der Arzt zu ihr: „Das war aber ganz schön verengt bei Ihnen.“
Speiseröhre bereits stark vernarbt
„Der Arzt schlug vor, die Engstelle mit einem Ballon zu weiten“, erzählt Sonja. „Als ich den Termin hatte, klappte das aber nicht, weil das Gewebe bereits stark vernarbt war.“ Außerdem wurden Gewebeproben entnommen (Biopsien).
Deren Untersuchung unterm Mikroskop ergab die Diagnose einer eosinophilen Ösophagitis (EoE), also einer Speiseröhrenentzündung, die durch besondere Immunzellen (eosinophile Granulozyten) gekennzeichnet ist.
Sonja erhielt zunächst eine Behandlung mit einer antientzündlich wirkenden medikamentösen Therapie. Außerdem begann sie, alle Nahrungsmittel, die potenziell die Entzündung triggern können, wegzulassen. Mittlerweile weiß sie, dass sie vor allem Weizenprodukte meiden muss.
Spürbare Verbesserung unter Therapie
Die Therapie zeigte nach zwei Wochen erste Wirkungen. Danach wurde es Woche für Woche besser mit dem Schlucken. „Nach der Behandlung haben mein Mann und ich uns ein Essen in einem Sternerestaurant gegönnt. Das hat mich so glücklich gemacht, weil ich einfach wusste: Ich kann wieder so gut wie alles essen, ohne Angst zu haben, dass etwas im Hals stecken bleibt.“
Und: „Das ist eine wirklich große Verbesserung meiner Lebensqualität.“
Die Suche nach Informationen zu ihrer Krankheit EoE führte Sonja auch zur Internetseite „Schluckbeschwerden.de“. „Da wusste ich: Ich bin nicht allein mit meinem Problem!“
Die Symptome können die Lebensqualität Betroffener stark einschränken. Können Patienten unter Therapie ein beschwerdefreies Leben führen? Ja, das ist so. Viele Betroffene berichten nach erfolgreicher Therapieeinleitung, dass sie schon gar nicht mehr wussten, wie sich normales Schlucken anfühlt. Das gibt den Patienten ein neues Lebensgefühl. Denn meist haben Betroffene ja die bereits erwähnten umfangreichen Vermeidungsstrategien entwickelt, die das Leben stark einschränken können. All das motiviert durch die Angst, dass ein Bissen im Hals stecken bleiben könnte. Die erfolgreiche Behandlung ist also fast gleichzusetzen mit einer Wiederherstellung der Lebensqualität. Ganz wichtig ist aber zu betonen, dass die Patienten regelmäßig kontrolliert und ihre Entzündungsaktivität in der Speiseröhre überprüft werden müssen, denn die EoE als chronische Erkrankung wird sie ihr Leben lang begleiten. Ein Abbruch der Therapie führt in einem sehr hohen Prozentsatz zum Wiederauftreten der Beschwerden.
Wie schätzen Sie die derzeitige Versorgungssituation EoE-Betroffener in Deutschland ein?
Mittlerweile gibt es eine gewisse Awareness, was die EoE angeht, sodass Diagnosen mittlerweile etwas schneller gestellt werden. Der Punkt, an dem noch der größte Nachholbedarf besteht, ist die langfristige und regelmäßige Überprüfung Betroffener und das Bewusstsein dafür, dass eine Behandlung dauerhaft durchgeführt werden soll, um die Beschwerden in Schach zu halten. Unser Fokus muss es deshalb sein, die lückenlose Versorgung Betroffener sicherzustellen.
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Keine Angst vor Endoskopie
Um die Erkrankung und die Veränderungen in der Speiseröhre im Blick zu behalten, sind regelmäßige Speiseröhrenspiegelungen (Endoskopien) erforderlich – bei Sonja aktuell einmal im Jahr. Tatsächlich konnte der Gastroenterologe bei der ersten Kontrolluntersuchung eine deutliche Verbesserung feststellen. Die Biopsien haben aber unter alleiniger Diät eine fortschreitende Entzündungsaktivität ergeben. Und verengt ist die Speiseröhre noch immer etwas – nicht immer lassen sich die Vernarbungen vollständig therapieren. Daher hat Sonja mit ihrem Gastroenterologen eine medikamentöse Dauertherapie vereinbart.
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Herzkrankheiten sind weltweit eine der häufigsten Todesursachen. Während bekannte Erkrankungen wie die koronare Herzkrankheit oder Bluthochdruck weit verbreitet sind, gibt es auch eine Vielzahl seltener Herzerkrankungen, die oft schwer zu diagnostizieren und zu behandeln sind. Dazu gehören bestimmte Formen von Herzmuskelerkrankungen, Herzrhythmusstörungen, Gefäßanomalien und die meisten angeborenen Herzfehler.
Die Diagnose einer Herzerkrankung bei einem Kind ist für die Eltern ein schwerer Schicksalsschlag. Plötzlich steht das Leben Kopf und die Sorge um die Gesundheit des Kindes bestimmt den Alltag. Doch trotz aller Herausforderungen gibt es Wege, mit der Situation umzugehen und Hoffnung auf ein erfülltes Leben für das Kind und die Familie.
Herzerkrankungen bei Kindern sind oft angeboren, manchmal werden sie aber auch erst nach der Geburt oder im Kleinkindalter erkannt. Die Diagnose ist für die Eltern zunächst ein Schock. Viele Fragen tauchen auf: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Wie wird sich die Krankheit auf das Leben des Kindes auswirken? Wie kann man als Familie damit umgehen?
Die moderne Medizin bietet heute viele Möglichkeiten, herzkranken Kindern ein möglichst normales Leben zu ermöglichen. Je nach Schweregrad der Erkrankung kann eine medikamentöse Behandlung ausreichen, in anderen Fällen sind operative Eingriffe oder sogar eine Herztransplantation notwendig.
Die enge Zusammenarbeit mit Kinderkardiologen, Herzchirurgen und anderen Spezialisten ist entscheidend, um die bestmögliche Behandlung zu gewährleisten. Der Alltag mit einem herzkranken Kind kann eine Herausforderung sein. Regelmäßige Arztbesuche, spezielle Medikamente und mögliche Einschränkungen in der körperlichen Aktivität prägen das Familienleben. Viele Eltern entwickeln mit der Zeit eine Routine, die ihnen Sicherheit gibt. Es ist wichtig, dem Kind trotz der Erkrankung so viel Normalität wie möglich zu bieten.
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit mit dem Herzzentrum Leipzig entstanden.
Baby Leonard gedeiht nach komplexer Herzoperation
Am heutigen 28. Februar ist der Tag der Seltenen Erkrankungen (Rare Disease Day). Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der kleine Leonard: Er kam mit spiegelverkehrten Organen und einem zusätzlichen schweren Herzfehler zur Welt. Nur fünf Tage nach seiner Geburt wurde er in einer hochkomplexen Operation am Herzzentrum Leipzig erfolgreich behandelt. Dank modernster Medizin und interdisziplinärer Zusammenarbeit kann Leonard heute eine normale Zukunft erwarten.
Text Sina Fischer
Am 13. November 2024 kam Leonard mit einer außergewöhnlichen Kombination aus Anomalien zur Welt: Er litt am sogenannten „Situs inversus totalis“, einer spiegelverkehrten Anordnung der inneren Organe. Diese Erkrankung allein verläuft oft asymptomatisch, weil alle Organe gespiegelt sind und wie gewohnt ihre Funktionen erfüllen. In Kombination mit einer Transposition der großen Arterien (TGA), bei der Haupt- und Lungenschlagader zusätzlich vertauscht sind, ist die Anomalie lebensgefährlich. Ohne eine chirurgische Korrektur direkt nach der Geburt wäre eine normale Entwicklung des Jungen nicht möglich gewesen. „Die Kombination dieser beiden seltenen Erkrankungen macht die anatomische Situation einzigartig und erschwert die medizinische Beurteilung und Behandlung erheblich. Insbesondere bei chirurgischen Eingriffen müssen Ärztinnen und Ärzte sich auf die spiegelverkehrte Anatomie einstellen. Ohne eine rechtzeitige chirurgische Korrektur ist die Lebenserwartung auf wenige Monate bis maximal einige Jahre begrenzt“, erklärt Dr. med. Marcel Vollroth, Leitender Oberarzt der Kinderherzchirurgie am Herzzentrum Leipzig.
Bereits während der Schwangerschaft wurde bei einer spezialisierten Ultraschalluntersuchung der schwere Herzfehler diagnostiziert. „Es war ein Schock für uns, als der Arzt feststellte: Leonard wird ohne einen sofortigen Eingriff nach der Geburt nicht überlebensfähig sein“, berichtet Franziska R., Leonards Mutter. Dank
der engen Zusammenarbeit zwischen Pränataldiagnostikern und den Spezialisten des Kinderherzzentrums Leipzig wurde bereits am ersten Lebenstag durch einen Kathetereingriff der Blutfluss stabilisiert. Am fünften Lebenstag fand dann die komplexe und lebensrettende Operation am offenen Herzen des Neugeborenen statt.
Leonards
Geschichte zeigt, wie wichtig spezialisierte medizinische Einrichtungen wie das Herzzentrum Leipzig bei der Behandlung von seltenen Erkrankungen sind.
Die vertauschten Hauptgefäße wurden durchtrennt und in ihre physiologisch korrekte Position gebracht. Die Koronararterien mussten präzise umgeleitet und neu angenäht werden. Die Durchblutung konnte erfolgreich wiederhergestellt werden, sodass das Herz nun wie bei einem gesunden Kind arbeitet.
Nicht nur das Kind selbst, sondern auch die Eltern und Geschwister sind emotional stark belastet. Ängste, Unsicherheit und manchmal auch Überforderung gehören zum Alltag. Hier kann es hilfreich sein, professionelle psychologische Unterstützung in Anspruch zu nehmen oder sich Selbsthilfegruppen anzuschließen. Der Austausch mit anderen Eltern, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann eine große Unterstützung sein. Sie schaffen gleichzeitig Raum für seelischen Beistand, Trost und neuen Mut.
„Nur wenige Stunden nach der Entbindung wurde Leonard ins Herzzentrum verlegt. Als wir erfuhren, dass die Operation erfolgreich verlaufen war, fiel eine unglaubliche Last von uns ab“, erinnert sich Mama Franziska. Nach insgesamt 19 Tagen im Herzzentrum konnte der Junge Anfang Dezember nach Hause entlassen werden.
„Langfristig hat Leonard nahezu die gleiche Lebenserwartung wie ein herzgesundes Kind“, betont Dr. Vollroth zufrieden. Bei etwa fünf Prozent der Kinder mit angeborenen Herzfehlern tritt eine Transposition der großen Arterien auf. Besonders außergewöhnlich wird der Fall jedoch durch die Kombination mit einem Situs inversus, der bei etwa 1 zu 20.000 Geburten vorkommt. Leonards Geschichte zeigt, wie wichtig spezialisierte medizinische Einrichtungen wie das Herzzentrum Leipzig bei der Behandlung von seltenen Erkrankungen sind.
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Was passiert, wenn man unter einer nicht alltäglichen Erkrankung leidet? An einer Erkrankung, deren Ursache nicht sofort vom behandelnden Arzt diagnostiziert wird? Bei dessen anfänglichen Symptomen der Arzt in Erwägung zieht, es könne auch psychosomatisch sein, weil die medizinische Ursache einfach nicht klar ist?
An diesem Punkt beginnt für alle betroffenen Familien von seltenen Erkrankungen eine kräftezehrende Ärzteodyssee und damit eine äußerst belastende Zeit. Bis zu dem Tag, an dem die Diagnose gestellt wird und diese den betroffenen Patienten den Boden unter den Füßen wegzieht und die Hoffnung schwindet. Denn nur die wenigsten seltenen Erkrankungen sind heilbar und für die meisten gibt es keine Therapie. Dies betrifft auch die Kinderdemenz NCL.
Die Kinderdemenz NCL –wenn Kinder vergessen
Die Kinderdemenz juvenile NCL (Neuronale Ceroid Lipofuszinose) ist eine seltene und bisher immer tödlich verlaufende Stoffwechselkrankheit, die zur Folge hat, dass Protein- und Lipidablagerungen in den Zellen nicht mehr richtig abgebaut werden. Durch einen genetischen Defekt sterben nach und nach die Nervenzellen der betroffenen Kinder ab. Es beginnt im Grundschulalter mit Sehschwierigkeiten – innerhalb von zwei Jahren erblinden die Kinder vollständig. Im Laufe der Jahre folgen epileptische Anfälle, Demenz, der Verlust der Sprache und der motorischen Fähigkeiten, bis sie noch vor ihrem 30. Lebensjahr versterben. In Deutschland gibt es ca. 700 Betroffene, die an einer der 13 bekannten NCL-Formen leiden, weltweit ca. 70.000. Damit zählt NCL zu den seltenen Erkrankungen. Dies bringt mit sich, dass sich die Entwicklung eines Medikaments ökonomisch betrachtet nicht lohnt und das Interesse seitens der Industrie daher recht gering ist. Der dramatische Verlauf der Kinderdemenz juvenile NCL kann bisher weder verzögert noch gestoppt werden.
zeitig alle erforderlichen Maßnahmen in die Wege leiten können. Im Schnitt dauert es nach den ersten Symptomen zwei bis vier Jahre, bis die Eltern endlich Gewissheit haben, an welcher Krankheit ihr Kind leidet. Nach einer NCL-Diagnose ist für betroffene Familien nichts mehr, wie es vorher war. Das komplette Leben muss neu geordnet und organisiert werden, um die bestmögliche Versorgung für das erkrankte Kind zu gewährleisten, das im Laufe der Erkrankung einer 24-Stunden-Pflege bedarf. Eine extrem belastende Zeit, sowohl für die betroffenen Kinder als auch deren Familien.
Es ist äußerst wichtig, die Krankheit früh festzustellen, damit die betroffenen Familien rechtzeitig alle erforderlichen Maßnahmen in die Wege leiten können. (...) Das komplette Leben muss neu geordnet und organisiert werden, um die bestmögliche Versorgung für das erkrankte Kind zu gewährleisten, das im Laufe der Erkrankung einer 24-Stunden-Pflege bedarf.
Forschung noch viel mehr Menschen profitieren.“, erläutert Dr. Frank Stehr, Vorstand der NCL-Stiftung. Zudem leistet die Stiftung Aufklärungsarbeit bei Ärztinnen und Ärzten, bietet Projekte für Schulklassen an und sensibilisiert die Öffentlichkeit für die Erkrankung. Unterstützt wird die so wichtige Arbeit der Stiftung von Schirmherr Jan Josef Liefers, der sich bereits seit vielen Jahren für NCL und die betroffenen Familien stark macht.
Aktiv werden statt zuschauen
Um möglichst viele Menschen zu erreichen, setzt die NCL-Stiftung auf die sozialen Netzwerke und initiiert ab dem Tag der Seltenen Erkrankungen eine aufmerksamkeitsstarke Aufklärungskampagne bei Instagram. Das Motto „Das Leben steht Kopf“ soll das Bewusstsein für Kinderdemenz schaffen und schärfen, außerdem den Betroffenen signalisieren: Ihr seid nicht allein!
ENTLANG
Des Weiteren fehlt ein öffentliches Bewusstsein, was dazu führt, dass meist mehrere Jahre und zahlreiche Arztbesuche vergehen, bevor die Diagnose gestellt wird. Dabei ist es äußerst wichtig, die Krankheit früh festzustellen, damit die betroffenen Familien recht-
Für eine Zukunft ohne Kinderdemenz „Für eine Zukunft ohne Kinderdemenz“ ist die Mission der gemeinnützigen NCL-Stiftung. Sie setzt sich seit der Stiftungs-Gründung im Jahr 2002 für die nationale und internationale Forschungsförderung ein, um von NCL betroffenen Kindern eine Aussicht auf bisher fehlende Therapie- und Heilungsansätze zu geben. „Aufgrund der Schnittmengen zu wesentlich häufiger vorkommenden Altersdemenzen könnten von dieser
Millionen Familien aus der Ukraine bangen um ihr Leben und ihre Zukunft. Aktion Deutschland Hilft, das Bündnis deutscher Hilfsorganisationen, leistet den Menschen Nothilfe. Danke für Ihre Solidarität. Danke für Ihre Spende. Jetzt Förderer werden: Aktion-Deutschland-Hilft.de
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