marie 35/ Jänner 2019

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Thema

Die Familie P. aus Sulzberg. Der Vater stammt aus dem Iran, die Mutter aus Armenien. Beide haben ein abgeschlossenes Wirtschaftsstudium und sind bestens integriert. Der Abschiebeversuch am 28. Oktober scheiterte daran, dass die Mutter – zu diesem Zeitpunkt im sechsten Monat schwanger – nicht reisefähig war und ins Spital eingeliefert werden musste.

Und ohne mitbekommen zu haben, dass die Mutter im sechsten Monat schwanger ist.

Sonntag 28.10.2018 – Der Tag der versuchten Abschiebung

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5 Uhr in der Früh: In Anwesenheit von zwei Frauen des BFA Vorarlberg schreitet die Polizei zur Tat und nimmt die schwangere Mutter, den Vater und den dreijährigen Sohn fest. 5.25 Uhr: Andrea Grabic, Rechtsanwaltsanwärterin in der Kanzlei Weh und Harg, bekommt einen Anruf aus Sulzberg, dass Familie P. gerade festgenommen werde. Per SMS informiert sie ihren Kollegen Stefan Harg im Urlaub, der den Fall normalerweise betreut. Dieser ruft umgehend zürück: „Geh sofort in die Kanzlei, suche den Akt und rufe die Polizei vor Ort an. Die wissen nicht, dass die Frau im sechsten Monat schwanger und reiseunfähig ist.“ Ca. 6 Uhr: Grabic telefoniert von der Kanzlei aus mit der amtshandelnden Polizei vor Ort in Sulzberg. Diese übergibt das Handy an die Mitarbeiterin des BFA Vorarlberg. Diese wiederum verspricht einen Rückruf von höherer Stelle. 6.05 Uhr: Ein leitender Mitarbeiter des BFA Vorarlberg ruft zurück. Andrea Grabic bittet den Beamten eindringlich die Abschiebung aufgrund der Schwangerschaft der Frau abzubrechen. Der BFA-Mitarbeiter verspricht die Sache abzuklären und wieder anzurufen. 6.20 Uhr: Der leitende BFA-Mitarbeiter ruft zurück und behauptet, in Sulzberg sei ein Arzt vor Ort. Die Frau sei reisefähig. Der Abflug nach Armenien sei in den nächsten Tagen vorgesehen. 6.50 Uhr: Grabic erhält per Telefon von Kanzleikollege Harg die Information,

dass die Abschiebung rechtswidrig sei, weil die 14-Tage-Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingehalten sei. 7.20 Uhr: Andrea Grabic bekommt von Freunden der Familie P. aus Sulzberg die Information, dass diese von der Polizei ins Spital nach Bregenz gebracht werde. 7.30 Uhr: Grabic fordert eine Mitarbeitern des BFA Vorarlberg im Spital in Bregenz persönlich auf, den Abschiebevorgang abzubrechen, weil er rechtswidrig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise sei noch nicht abgelaufen. Die BFA-Mitarbeiterin informiert ihren Vorgesetzten in Feldkirch darüber. 8 Uhr: Rückruf aus Feldkirch. Alles sei rechtens, die maßgebliche Entscheidung sei schon lange rechtskräftig (ohne ein konkretes Datum zu nennen). Ca. 8.15 Uhr: Die schwangere Frau P. liegt (nach Angaben von Grabic) verkrümmt im Krankenbett, weiß-grau im Gesicht, und weint unaufhörlich. Ihr 3jähriger Sohn und ihr Mann müssen im Polizeiauto warten. Ein Polizist sagt zu einer Mitarbeiterin des BFA Vorarlberg, die schwangere Frau solle sich zusammenreißen, dann werde sie es bis Wien schon schaffen. Die beiden Mitarbeiter­ innen des BFA Vorarlberg üben währenddessen Druck auf die behandelnde Ärztin aus, reden auf sie ein, sie solle die Frau reisefähig schreiben. Aber die Ärztin will nicht. Sie sagt (nach Angaben von Grabic) sinngemäß: „Man muss es doch nicht übertreiben und das Kind von der Mutter trennen. Nicht, dass das Kind davon noch einen Schaden hat.“ Die eine Mitarbeiterin des BFA Vorarlberg ist andauernd am Telefonieren, hält also offensichtlich Rücksprache mit höheren Stellen. Ca. 8.30 Uhr: Eine Mitarbeiterin des BFA Vorarlberg sagt, dass jetzt einmal bis

Mittag nichts mehr passiere. Vater und Sohn würden zur Mutter ins Spital gebracht, dann werde man abwarten. Grabic verlässt das Spital. 11 Uhr: Freunde und Bekannte der Familie P. aus Sulzberg haben sich zum Protest vor dem Spital in Bregenz versammelt. Und bekommen mit, wie Vater und Sohn – ohne Mutter – aus dem Spital abgeführt werden und ins Polizeiauto einsteigen müssen. 11.05 Uhr: Andrea Grabic fährt zum Spital. Dort ist inzwischen auch ihr Kanzleikollege Ludwig Weh eingetroffen. Rechtsanwalt Weh will umgehend mit der Polizei sprechen. Dies wird nicht zugelassen. Eine BFA-Mitarbeiterin schreit in Richtung Polizei: „Losfahren.“ Das Polizeiauto mit dem Vater und seinem 3 Jahre alten Sohn auf dem Rücksitz fährt los, an Rechtsanwalt Weh vorbei, in Richtung Autobahn. Weh weist die Mitarbeiterin des BFA Vorarlberg dezidiert darauf hin, dass die Abschiebung rechtswidrig sei, weil die Frist für die freiwillige Ausreise noch nicht abgelaufen sei. Die BFA-Mitarbeiterin ruft einen Vorgesetzten in Feldkirch an. Dieser sagt am Telefon zu Weh: „Die Sache ist in Wien abgeklärt worden, es gibt nichts mehr zu besprechen.“ Montag 29.10.2018: Der Vorfall in Sulzberg bzw. Bregenz ist medial verbreitet und löst österreichweit Empörung aus. Der Vater und sein dreijähriger Sohn sind nach Wien in ein Anhaltezentrum gebracht worden. Sie werden – möglicherweise aufgrund des medialen Drucks – freigelassen und in Wien einfach auf die Straße gesetzt. Ohne etwas zu essen oder zu trinken und ohne einen Cent in der Tasche. Bekannte aus Vorarlberg holen sie mit dem Auto in Wien ab und bringen sie zurück nach Vorarlberg.


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