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Kolumne mit Patti Basler Basler
from LANDxSTADT 4/2020
FRAUENSTIMMEN
PATTI BASLER BÜHNENPOETIN I KABARETTISTIN I AUTORIN Patti Basler bringt die Bodenständigkeit einer Bauerntochter von der Heu- auf die Show-Bühne. Die ehemalige Lehrerin und studierte Erziehungswissenschaftlerin schreibt und ist auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum unterwegs.
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Lustig waren sie, die weiblichen Stimmen auf dem Bauernhof, wenn sie gackerten und glucksten, bevor man ihnen den Grund zu ihrer Freude unter dem Hintern wegholte, die unausgebrüteten Eier. Sie wurden nicht gefragt, wie sie zur Abtreibung stehen, der Embryo war beim Eiverzehr noch nicht erkennbar. Der einzige Marsch fürs Läbe führte abends in den Hühnerstall, draussen hätte sie der Fuchs geholt.
Sie waren laut und tief die Stimmen, sie erinnerten an bronzene Glocken, sie riefen nach ihren Kindern, die man von ihnen getrennt hatte. Irgendwann riefen die Kühe aber nur noch nach Futter.
Herzerweichend und angsteinflössend, die Stimmen der Katzen, wild waren sie und bettelten nur, wenn es nicht genügend Mäuse für sie hatte. Dann bekamen sie etwas von der Milch, welche die Kühe ihren eigenen Kälbern vorenthalten mussten.
Die lauteste Stimme gehörte Rex, der eigentlich eine Regina war, misgendering nennt man das heute, wenn man jemandem ein falsches Geschlecht andichtet, der Züchter war schon alt und halbblind gewesen und Rex eine Strassenmischung, da kam es wohl nicht drauf an. Sie war stark und stolz, ein wunderbarer Wachhund, meine Beschützerin, die mich verteidigte, als wäre ich ihr Kind. Ihre eigenen Welpen nahm man ihr weg nach der Säugezeit. Fürsorglich und gebieterisch war sie, einfühlsam und fordernd, die Stimme der Mutter. Ganz ähnlich der von Grossmutter, wobei bei Grossmutter noch jene Weichheit dazu kam, die man wohl als Altersmilde bezeichnet. Mild blieb sie zumindest so lange, wie sie nicht nur Herrin über ihre Stimme, sondern auch über ihre Gedanken war. Als ihre Demenz einsetzte, sagte sie alles, was sie nicht hatte sagen dürfen, nicht hatte sagen können als Mädchen, als junge Frau. Sie erzählte nun plötzlich mit Furor, wie sie dem Pfarrer eine geklatscht habe, weil dieser täglich ihren Sohn geschlagen habe, nur wegen dessen Linkshändigkeit. Natürlich hatte sie dem Pfarrer keine Ohrfeige gegeben. Auch keine Maulschelle. Im Gegenteil. Sie hatte Lippenbekenntnisse ablegen müssen. Dem Pfarrer nach dem Mund reden. Und die trockene Hostie schlucken wie eine bittere Pille.
Sanft und spöttisch, gewohnt, so waren die Stimmen meiner Schwestern. Als mich der Ruf der Schule ins Dorf trug, lernte ich die Stimmen der Lehrerinnen kennen. Klar sehr eindeutig, von Alt bis Sopran. So waren die weiblichen Stimmen meiner Kindheit auf dem Land.
Die Knaben sprachen wenig und wenn, dann eher stockend. Im Bauerndorf wurde nicht allzu viel Wert auf schulische Bildung gelegt. Ich musste fast erwachsen werden, bis ich von meiner kindlichen Überzeugung wegkam: Dass das Wort der Frau mehr Gewicht habe. Dass sie, sowohl im Tierreich als auch bei den Menschen das weitaus produktivere, intelligentere und wichtigere Geschlecht seien. Die einzig intellektuell gebildeten Menschen, die ich kannte, meine Lehrerinnen, waren schliesslich Frauen. Mädchen waren in der Schule besser als Jungs. Und sie hatten die schöneren Singstimmen. Die Jungs hingegen brachten immer sich selbst und andere in Gefahr, machten alles kaputt, redeten dummes Zeug und als ihre Stimme zu brechen begann, konnte man sie ohnehin nicht mehr gebrauchen, da sie nur noch auf die Brüste starrten wie die Viehzüchter an der Olma auf das Euter unserer Preiskuh Irène. Dass es zum Überleben der Spezies auch einige wenige Zuchtmänner und ein paar Samenbanken tun würden, war mir als Bauerntochter klar. Nun wohne ich längst in der Stadt und weiss vieles besser als damals. Mädchen sind immer noch besser in der Schule, wichtiger für die Fortpflanzung und haben einen grösseren Stimmumfang. Aber ich muss anerkennen, dass die Männer vieles unternehmen, um das zu kompensieren. Sie sorgen für Stimmung als Unterhalter, bauen laute Motoren, stimmen leise Töne an und im besten Fall stimmen sie für die Gleichstellung der Frauen. Dafür bin ich dankbar.
Meine Grossmutter hat übrigens den Pfarrer dann doch noch mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt, als er ihr eine letzte Hostie bringen wollte, von so einem Sauhund lasse sie sich nicht das Maul stopfen, rief sie mit einer klaren Stimme, die man einer so gebrechlichen Frau gar nicht zugetraut hätte.
Ihre Frauenstimme schweigt nun. So wie die all der Tiere meiner Kindheit. Für unsere beste Henne habe ich ein Requiem geschrieben: EINE EIER LEGENDE EIER-LEGENDE KOMMT ZU IHREM EIER-LEG-ENDE. 0 0 0 0 0 0 ENDE
JAHRE
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