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Interview Markus Schneider
from LANDxSTADT 4/2020
«ICH BRAUCHE LEBEN UM MICH HERUM»
Stadtammann Markus Schneider lebt seit Geburt in Baden, aufs Land zog es ihn nie. Im Interview erzählt er vom Politisieren in seiner Herzensregion, in einer Zeit mit grossen, existentiellen Themen.
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Interview: Anouk Holthuizen, Daniel Zobrist Bilder: zVg.
Herr Schneider, Sie wohnen Ihr Leben lang in Baden. Was schätzen Sie am Leben in der Stadt?
Zunächst das Vertraute: Ich kenne jede Ecke. Als typisch städtische Qualität empfinde ich das Pulsieren, die Nähe von allem, egal wo ich wohne. Spezifisch an Baden schätze ich ihre Lage in einer Klus und die Geschichte der Bäder und der Industrie.
Zog es Sie nie aufs Land?
Nein. Ich brauche Leben um mich herum. Es stellte sich allerdings auch gar nie die Frage. Ich studierte an der ETH und musste nicht nach Zürich ziehen, und meine erste Anstellung erhielt ich als Turnlehrer in Baden. Unsere Stadt bietet für jede Lebensphase eine gute Wohnlage. Meine Kindheit verbrachte ich auf der Allmend, meine wilden Jahre in der Weiten Gasse, danach zog ich nach Dättwil, jetzt wohne ich an der Mellingerstrasse nahe dem Zentrum.
Unser Magazin heisst «LANDxSTADT»: Würden Sie dem zustimmen, dass Stadt und Land ein Vielfaches ergeben?
Es ist die Stärke einer Region, wenn sie verschiedene Möglichkeiten bietet. Die Region Baden tut das sehr ausgeprägt. Sie bietet Raum für sowohl Städter als auch für ländlich Orientierte. Die Frage, ob die Stadt oder das Land besser ist, ist gar nicht wichtig. Das Zusammenspiel beider bringt einen Mehrwert für alle.
In den vergangenen Jahren waren Gemeindefusionen wiederholt ein Thema, zurzeit jene zwischen Turgi und Baden. Wie sieht es mit anderen Gemeinden aus? Unser jüngstes Projekt ist die sogenannte Modellstadt. Dabei geht es aber nicht um Fusionen. Auf rein theoretischer Ebene legen wir 13 Gemeinden mit total 94'000 Einwohnern zusammen und vergleichen verschiedene Bereiche mit jenen einer Gemeinde gleicher Grösse, etwa Winterthur: zum Beispiel die Organisation der Verwaltung, Steuerfüsse, Investitionsplanung, Bildung oder Gesundheitswesen. Wir möchten wissen, ob, wo, und ab welcher Bevölkerungsgrösse es Sinn machen könnte, gewisse Strukturen zusammenzulegen.
Markus Schneider, Stadtammann Baden
Welche 13 Gemeinden sind das? Wettingen, Neuenhof, Ennetbaden, Obersiggenthal, Oberrohrdorf, Mellingen, Fislisbach, Mägenwil, Birmenstorf, Gebenstorf, Turgi, Ehrendingen und Baden. Bezüglich Turgi prüfen wir zurzeit, ob wir im Sommer die Bevölkerung fragen können, ob sie uns den Auftrag gibt, einen Fusionsvertrag auszuarbeiten. Das läuft unabhängig vom Projekt Modellstadt.
Ein Blick zurück: Im Januar verlieh der Schweizer Heimatschutz Baden den Wakkerpreis für die qualitätsvolle Gestaltung des öffentlichen Raums. Welche Auswirkungen hatte dies bisher? Corona machte uns leider einen dicken Strich durch die Rechnung. Der öffentliche Raum wurde mit dem Lockdown dichtgemacht. Wir hätten den Preis gerne mit einem Fest für die Bevöl-
kerung gefeiert. Zwar wurden Wakkerpreis-Führungen gebucht, aber natürlich weniger als erwartet. Dennoch sind wir stolz. Der Preis zeichnet die Arbeit mehrerer Generationen aus. Die Gestaltung von Plätzen und Parks wird uns weiterhin beschäftigen.
Was steht diesbezüglich als nächstes an? Wir haben vom Parlament den Auftrag, den Raum rund ums AZ-Gebäude zu prüfen. Die Fassadenbegrünung beim Löschwasserbecken und beim Gartenstrasse-Parkhaus sind Themen, und auch die Neugestaltung von Plätzen in der Innenstadt.
Empfinden Sie die Pandemie-Massahmen als einschränkend oder können Sie sich gut darin einrichten? Wir haben in der Schweiz sehr viele Freiheiten, und ich finde das Tragen der Maske nicht schlimm. Überhaupt fühle ich mich nicht sehr eingeschränkt, obwohl ich grossen Respekt vor Covid-19 habe, denn ich weiss nicht, wie mein Körper damit umgehen würde. Aber bisher kann ich hinaus, habe Arbeit, kann einkaufen gehen. Mir ist alledings bewusst, dass andere weniger Glück haben. Gewisse Branchen trifft es brutal.
Bietet Baden ergänzend zum Bund und Kantonen Massnahmen für Betroffene an? Ja. Bereits früh führten wir das Badener Mietmodell ein, in der Hoffnung auf Nachahmer. Die Mieter von städtischen Liegenschaften erhalten angepasst an ihren Einkommensverlust Mietreduktionen. Auch verzichteten wir auf gewisse Gebühren im öffentlichen Raum, so konnten etwa Restaurantbesitzer mehr Platz beanspruchen. Zudem äufneten wir einen Topf mit einer Million Franken, den wir für künftige Massnahmen bereithalten. Mit diesem unterstützen wir dort, wo finanzielle Engpässe entstehen. Zudem liessen wir 2020 die Unterstützungsgelder für Kulturprogramme unverändert stehen, auch wenn ein Programm reduziert stattfand.
Ein existentielles Thema ist auch der Klimawandel. Was unternimmt Baden dagegen? Vieles auf verschiedenen Ebenen. Eine ist die Begrünung, zum Beispiel jene der Betonfront beim Löschwasserbecken. Auch überlegen wir, mehr Stadtbäume zu pflanzen als Massnahme gegen die Hitze in der Stadt. Eine andere ist die Energieversorgung. Mittels Fernwärme und -kälte sollen neue Stadtteile durch die Regionalwerke erschlossen werden. Zudem beschlossen wir eine Abgabe, um das Förderprogramm für Privatpersonen, die zum Beispiel ihre Gebäudehülle energetisch optimieren lassen wollen, zu unterstützen. Ab März wird der Bus Nummer 5 mit Strom fahren.
Wie könnte die Mobilität grüner werden? Wir möchten erreichen, dass mehr Leute ohne Auto in die Stadt zum Einkaufen kommen. Es steigen zwar immer mehr aufs Velo um, aber wegen der Pandemie nehmen viele statt den ÖV das Auto. In Sachen Velorouten sind wir noch relativ weit entfernt von anderen Städten im Ausland.
Jede neue Massnahme führt zu Diskussionen, die nicht immer freundlich ablaufen. Wie gehen Sie damit um? Natürlich gibt es heftigere Debatten, vor allem dann, wenn man finanziell den Gürtel anziehen muss. Doch ich finde, wir haben in Baden und Region eine gute, anständige Gesprächskultur. Das Volk ist kritisch, und das ist richtig so. Als Verwaltung kann man es nie allen recht machen, doch wer damit nicht umgehen kann ist im falschen Job. Uns alle treibt die Lust an, für Baden etwas Gutes hinzubringen. Und das scheinen wir zu schaffen, das zeigte sich auch jetzt in der Pandemie. Gewerbetreibende lobten unser Handeln. Das macht stolz, das tut gut.
Markus Schneider, Stadtammann Baden
Die Zeiten sind turbulent. Wie schalten Sie abends ab? Das gelingt mir recht gut. Ich mache meine Arbeit gern und voller Überzeugung. Das Team im Stadtrat und in der Verwaltung sind toll, wir schöpfen unsere Möglichkeiten aus und können vorwärts gehen. Das gibt mir extrem viel. Mein Hirn lüfte ich am besten auf dem Heimweg aus. Und im Gespräch mit Vertrauenspersonen.
Ob realistisch oder nicht: Was ist Ihr grösster Wunsch für Baden? Ich wünsche mir, dass unsere Politikkultur von einer solch guten Qualität bleibt. Ich mag es nicht, wenn man ständig schmürzelig und angriffig ist. Wir können grosszügig denken, das sollten wir unbedingt erhalten.
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