Kompositionsauftrag vom Kammerorchester Basel gefördert durch
Mit finanzieller Unterstützung durch die FONDATION SUISA.
Wir danken für die Unterstützung des heutigen Konzerts.
Geniessen Sie vor dem Konzert ein Abendessen im
mit einem Ticket zu einem Stadtcasino-Konzert des Kammerorchester Basel (ausser «Toxisch», aber vor dem Extrakonzert am 17.12.2024).
Und so geht's:
Sie reservieren vorab selbstständig einen Tisch im Teufelhof (ab 18 Uhr).
Dort gibt es einen Hauptgang für pauschal CHF 50.00 pro Person. Zudem erhalten die Gäste gegen Vorzeigen der Tickets ein kostenloses Apéro-Getränk.
Sie sitzen entweder im Atelier oder in der Bar Zum Teufel (nach Verfügbarkeit).
Gegen 19.00 Uhr machen Sie sich auf den Weg ins Stadtcasino und sind rechzeitig zum Konzertbeginn dort und verbringen einen schönen Konzertabend.
Fr 27.9.2024 – 19.30 Uhr, Stadtcasino Basel
Konzerteinführung Hingehört um 18.45 Uhr mit Christoph Dangel, Solo-Cellist des Kammerochester Basel
Arthur Honegger (1892 – 1955)
Pastorale d'été 10'
Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840 – 1893)
Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester, op.33 20'
Thema. Moderato simplice
Var. 1. Tempo della Thema
Var. 2. Tempo della Thema
Var. 3. Andante sostenuto
Var. 4. Andante grazioso
Var. 5. Allegro moderato
Var. 6. Andante
Var. 7 e Coda. Allegro vivo
Pause
Helena Winkelman (*1974)
Summer heat (Kompositionsauftrag, UA) 15'
I. Big Mama
II. Battle of Bells (batalha de sinos)
Arthur Honegger
Sinfonie Nr. 4, H. 191 «Deliciae Basilienses» 30'
I. Lento e misterioso – Allegro – Lento – Allegro molto tranquillo
II. Larghetto
III. Allegro – Adagio – Allegro Konzertende ca. 21.20 Uhr
Das Kammerorchester Basel ist mit diesem Programm auf Tournee: 6.10.2024 bis 10.10.2024 São Paulo, Teatro Cultura Artística
Das Programm in Kürze
Arthur Honegger schreibt kraftvolle, energiegeladene Musik, die zunehmend schwermütig daherkommt, spröde sogar, kantig und schroff. Aber auch wenn Resignation, Weltuntergangsstimmung und Pessimismus in seiner Tonsprache im Lauf der Zeit zunehmen, kennt er eben auch Groteske, Witz, Heiterkeit. 1946 schreibt er die vierte Sinfonie mit dem Untertitel «Deliciae Basilienses». Sie ist die unbeschwerteste seiner fünf Sinfonien und voller musikalischer Anspielungen auf die Stadt Basel. Die «Pastorale d'été» entstand im Eindruck der Wengernalp mit Bienen und heisser Sonne auf der Bank vor dem Haus, mit Schnee und Eislawinen im Schatten gegenüber auf der Jungfrau.
Die Rokoko-Variationen geschrieben von Tschaikowski sind eher eine Gemeinschaftsarbeit, denn der Cellist Fitzenhagen überarbeitete gern und viel die Partitur von Tschaikowski. Der liess ihn gewähren, denn die Grundsubstanz wurde nicht angetastet.
Das Kammerorchester Basel geht mit diesem Programm auf Tournee nach Brasilien und Helena Winkelman schreibt dafür «Summer heat». Eine Musik voll verbindender Elemente zwischen den Kulturen.
Hör-Impuls
Düster und fröhlich zugleich erklingt der zweite Satz «Larghetto» der vierten Sinfonie von Arthur Honegger. Es mischen sich vom Jazz anmutende Passagen mit zarten Melodien. Hören Sie «Z'Basel an mym Rhy»?
Zum Hörbeispiel
Neben dem Hörbeispiel ist auch dieses Programmheft über den QR-Code abrufbar.
Anastasia Kobekina Violoncello
Delyana Lazarova Leitung
Mit Antonio Meneses hatten wir das heutige Konzert in Basel und unsere Gastauftritte in Brasilien geplant. Im Juni haben wir erfahren, dass Antonio Meneses sehr schwer erkrankt ist und keine Konzerte mehr spielen wird. Am 3. August ist er seiner Krankheit erlegen.
Kammerorchester Basel
Flöte
Isabelle Schnöller
Regula Bernath
Oboe
Svetlin Doychinov
Francesco Capraro
Klarinette
Etele Dosa
Guido Stier
Fagott
Matthias Bühlmann
Matteo Severi
Horn
Olivier Darbellay
Pere Andreu Gómez
Trompete
Simon Lilly
Violine 1
Baptiste Lopez
Matthias Müller
Tamás Vásárhelyi
Fanny Tschanz
Nina Candik
Regula Schär
Violine 2
Anna Troxler
Valentina Giusti
Elisabeth Kohler
Mirjam Steymans-Brenner
Carolina Mateos
Viola
Mirjam Töws
Carlos Vallés García
Stefano Mariani
Anne-Françoise Guezingar
Stand 4.9.2024, Änderungen vorbehalten
Violoncello
Christoph Dangel
Georg Dettweiler
Ekachai Maskulrat
Kontrabass
Peter Pudil
Benedict Ziervogel
Schlagzeug
Alexander Wäber
Lucas Hettinger
Martina Balz
Mirco Huser
Klavier
Thomas Thüring
Hol dir Hühnerhaut
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Einfache Sprache
Das Programm in einfacher Sprache
Sie hören heute vier Musikstücke.
1. Arthur Honegger: Pastorale d'été.
Eine Pastorale ist eine Musikgattung aus dem Barock (das war ca. 1600–1750).
Pastorale ist wortwörtlich ein Hirtentanz.
Honegger ist ein Komponist aus dem 20. Jahrhundert. Er hat die Pastorale wiederaufgenommen.
2. Pjotr Tschaikowski: Variationen über ein Rokoko-Thema.
Diese Musik ist in 8 Sätze gegliedert.
Zuerst hört man das Hauptthema
Danach wird dieses Thema in vielen Versionen gespielt.
Es ist ein Zusammenspiel zwischen dem Cello und dem Orchester.
3. Helena Winkelman: Summer heat.
Die Komponistin hat dieses Musikstück für das Kammerorchester Basel geschrieben.
Es passt zur Brasilientournee.
Die Tour macht das Orchester im Oktober.
4. Arthur Honegger: Sinfonie Nr. 4 «Deliciae Basilienses».
Das ist lateinisch für Basler Freuden.
«Z'Basel an mym Rhy» ist im zweiten Satz zu hören.
Im dritten Satz der «Morgestraich» mit Piccolo und Trommel.
Als Träger des Labels Kultur Inklusiv setzt sich das Kammerorchester Basel für eine inklusive Gesellschaft ein. Ein Text in einfacher Sprache ist Teil davon. www.kulturinklusiv.ch
1947
«Deliciae Basilienses» wird in Basel uraufgeführt.
Am 27. April wird die erste und bis heute bekannteste unabhängige Fotografenagentur Magnum in Paris gegründet, die z. B. für das Haydn2032-Projekt die Fotos im CD-Booklet gestalten.
Am 16. Juni wird das Basler Stadtoriginal -minu geboren.
Mit der Entdeckung des Elements Promethium in den Produkten der Uranspaltung wird die letzte Lücke im Periodensystem geschlossen.
Mit der Resolution 181 am 29. November beschliesst die UN-Vollversammlung mit 33 gegen 13 Stimmen den Teilungsplan für Palästina, der nach dem Ende der britischen Mandatsherrschaft im Mai 1948 die Bildung eines jüdischen und eines palästinensischen Staates sowie die Internationalisierung Jerusalems vorsieht.
Das Kammerorchester Basel wird 40!
2024 feiert das Kammerorchester Basel sein 40-jähriges Bestehen. Mit unserer Illustrationsserie begleiten wir das Jubiläum in den Programmheften und dokumentieren wichtige Stationen des Ensembles. Illustriert wird diese Serie von Ursula Knapp, von 2020 – 2023 Stagemanagerin des Kammerorchester Basel.
2014 spielt das Kammerorchester Basel zum ersten Mal im Teatro Colon Buenos Aires in Argentinien mit Giovanni Antonini und Sol Gabetta. Dieses Jahr sind wir in Brasilien in São Paulo zu Gast.
Wissen Sie noch? Die alte Schweizer 20-Franken-Note? Von 1996 bis 2017 zierte sie ein Portrait des Komponisten Arthur Honegger. Sein Vater hiess ebenfalls Arthur, war Kaufmann in Sachen Kaffee, stammte aus dem Zürcher Oberland und hatte sich berufshalber in Le Havre niedergelassen. Dort kommt im Frühling 1892 sein Sohn zur Welt. Vater Honegger nennt ihn ebenfalls Arthur, wünscht sich also eine kleine Unsterblichkeit (die dann allerdings nicht er, sondern sein Sohn bekommt). Seine ganze Kindheit verbringt der kleine Arthur, umweht von Wolken gerösteten Kaffees, in der Nähe des Handelshafens von Le Havre. Er ist musikalisch sehr begabt, seine Eltern erkennen und goutieren das (keine Selbstverständlichkeit!) und schicken ihn von der Normandie zum Studieren nach Paris: Geige, Musiktheorie, Komposition. Als 19-, 20- und 21-Jähriger pendelt Arthur nun allwöchentlich mit dem Zug zwischen Le Havre und Paris hin und her. Und in Paris bleibt er, als sich seine Eltern entschliessen, zurück in die Schweiz zu gehen. Da findet er gute Freunde: Georges Auric, Louis Durey, Darius Milhaud, Francis Poulenc und Germaine Tailleferre. Alle sechs sind begabt und begierig und ergreifen jede Inspirationsgelegenheit. Für Arthur Honegger kommt eine schöne Gelegenheit im Sommer 1920. Er ist in der Heimat seiner Eltern unterwegs und hat sich einen der allerschönsten Flecken ausgesucht, das grandiose Bergpanorama von Eiger, Mönch und Jungfrau. In Wengen residiert er in einem der altehrwürdigen Hotels mit dem grandiosen Blick. Vielleicht auf der Wengernalp mit Bienen und heisser Sonne auf der Bank vor dem Haus, mit Schnee und Eislawinen im Schatten gegenüber auf der Jungfrau strömen ihm Melodien ins Herz, leichte, fröhliche, leb- und zauberhafte. Und Arthur Honegger schreibt sie nieder als «Pastorale d’été».
Danach entfalten sich andere Seiten des vielseitigen, experimentierfreudigen und ideologisch unabhängigen Arthur Honegger. Er schafft den internationalen Durchbruch mit einer Hommage an die 300-Tonnen-Dampflokomotive «Pacific 231», der ästhetischen Darstellung von Kraft und Bewegung. Als Oratorienkomponist macht er sich einen Namen («Le Roi David»), schreibt komplexe, dissonant geschärfte Kammer-
Arthur Honegger Pastorale d'été, H. 31
Besetzung
Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Streicher
Uraufführung
17. Februar 1921 im Salle Gaveau in Paris, dirigiert von Vladimir Golschmann
21.1.1947 in Basel zum 20-jährigen Bestehen des Basler Kammerorchesters
Dauer
Ca. 30'
musik und programmatische sinfonische Dichtungen. In der Romandie baut er sich neben Le Havre und Paris eine dritte Heimat auf, entwickelt sich mit grossen Chorwerken, Balletten und Filmmusiken zu einem der interessantesten Komponisten in der Mitte des 20. Jahrhunderts, und er findet zwei grosszügige Gönner und Multiplikatoren: Werner Reinhart in Winterthur und Paul Sacher in Basel. Mit zwei Frauen hat er Kinder (gleichzeitig) und lebt als Einsiedler am Fuss des Montmartre, schräg gegenüber der Wohnung seines Freunds Darius Milhaud.
Er schreibt kraftvolle, energiegeladene Musik, die zunehmend schwermütig daherkommt, spröde sogar, kantig und schroff. Aber auch wenn Resignation, Weltuntergangsstimmung und Pessimismus in seiner Tonsprache im Lauf der Zeit zunehmen, kennt er eben auch Groteske, Witz, Heiterkeit, und 1946 verspürt er den starken Drang, den geistig-moralischen wie physischen Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs etwas entgegenzusetzen: In diesem Jahr schreibt er für seinen Mäzen Paul Sacher und dessen Basler Kammerorchester zum 20. Jubiläum die vierte Sinfonie mit dem Untertitel «Deliciae Basilienses». Sie ist die unbeschwerteste seiner fünf Sinfonien und voller musikalischer Anspielungen auf die Stadt Basel, den Rhein («Z’Basel an mym Rhy» kommt vor) und die Fasnacht mit dem «Morgestraich».
«Ich habe diesen Untertitel wegen der Zitate und charakteristischen Lieder, mehr aber noch aus persönlichen Gründen gewählt. Das Stück kennzeichnet sehr genau einen Seelenzustand. Mitten in diesen schweren und unsinnigen Zeiten, die uns auferlegt worden sind, heisst das: die Hoffnung, eine Zeit lang aus dieser Atmosphäre fliehen und den Sommer in der Schweiz verbringen zu können, umgeben von der Zuneigung lieber Freunde.»
Zauber der Schönheit, eine Erlösungsmusik, nicht mehr eine Beschwörung und Verheissung des Glücks, sondern das Auskosten überstandener Schrecken.
Tschaikowskis Cellokonzert
Kennen Sie Wilhelm Fitzenhagen? Bestimmt. Wenn auch nur indirekt. Er war nicht nur Professor in Moskau und ein berühmter Cellist, sondern auch Freund diverser Komponisten, die alle gern etwas für ihn schrieben. Die Bekanntheit des Namens Fitzenhagen garantierte per se schon Aufmerksamkeit und Erfolg. Bei Pjotr Tschaikowski war das nicht anders, aber bei den beiden wuchs darüber hinaus auch eine Freundschaft. Für seinen Cellistenfreund schrieb Tschaikowski die Rokoko-Variationen, und Fitzenhagen führte sie unzählige Male auf, in Russland und im Westen. Allerdings war er auch eitel, will heissen: von seiner Bedeutung sehr überzeugt. Und er baute die Musik um, meinte, sie zu verbessern. Tschaikowskis Original, das sich ganz bescheiden und rokokohaft gibt, kürzte er hier, verlängerte dort, fügte hinzu und stellte um. Alles für die brillante Wirkung. Und alles erst, nachdem er die Variationen 1877 bereits in Moskau uraufgeführt hatte. Fitzenhagens Eingriffe in die Originalfassung hat Tschaikowski zunächst gutgeheissen (die Freundschaft…). Und er berücksichtigte die Änderungen (die vorwiegend den Solopart betreffen) auch in seinem Partiturautograf. Aber Fitzenhagen nahm offenbar bei den Herstellungsarbeiten an der Erstausgabe 1878 weitere, nicht autorisierte Eingriffe in die Originalfassung vor. Er fühlte sich dazu wohl berechtigt, weil ihm Tschaikowski in Freundschaft und Vertrauen «carte blanche» für die Vorbereitung zum Druck gegeben hatte. Es gab Verwerfungen. Tschaikowskis Verleger hatte stärkste Bedenken und schrieb dem Komponisten: «Dieser widerliche Fitzenhagen! Er möchte Dein Cellostück unbedingt umarbeiten, umcellisieren, und sagt, dass Du ihm die Vollmacht dazu gegeben habest. Herrgott! Cajkovskij revu et corrigé par Fitzenhagen!!» Tschaikowskis Antwort war distanziert: «Ich erlaube mir zu erklären, dass ich nicht möchte, dass irgendein Werk von mir ohne meine definitive Korrektur gedruckt wird. Darum bitte ich Dich, […] das Konzert noch andere Sachen erscheinen zu lassen, ehe sie nicht bei mir gewesen sind. […] und darum werde ich mich mit ihrer Korrektur befassen, wenn ich wieder in Moskau bin.» Da er nun aber nicht, wie angekündigt, im September nach Moskau zurückkehrte (er war am Genfersee gewesen), übernahm ein Konservatoriumskollege das Korrekturlesen der
Pjotr Iljitsch Tschaikowski Variationen über ein Rokoko-Thema für Violoncello und Orchester, op. 33
Druckfahnen – mit Ausnahme derjenigen der Variationen op. 33, deren Ausgabe weiterhin Fitzenhagen betreute. Tschaikowski war zufrieden. Er quittierte Fitzenhagens Fassung mit der Bemerkung «revue par l'auteur». Obwohl Fitzenhagen einiges geändert hatte: den Solopart und auch die Reihenfolge der Variationen: die originale Nr. 3 wird Nr. 6, auch die Kadenz wird umgestellt; Nr. 4 wird zur letzten Variation; Nr. 5 wird Nr. 4; Nr. 6 wird Nr. 5; Nr. 7 wird Nr. 3, die achte (ursprünglich letzte) Variation wird gestrichen und ihre Coda wird zur Coda von Nr. 7. Dazu kommen Umstellungen von Teilen innerhalb von Variationen, Kürzungen und Einschübe sowie Tempoänderungen und Ergänzungen von Tempo- und dynamischen Angaben, Bögen und Artikulationszeichen. Am Ende von Variation Nr. 4 kommen zwei Takte dazu, in Variation Nr. 8 werden drei Takte gestrichen.
Warum Tschaikowski all das zuliess? Vielleicht, weil die Änderungen der Grundsubstanz und -idee keinerlei Abbruch taten. Es war eine Zeit, in der Tschaikowski manches schwer bedrückte. Viele seiner Werke bekamen schlechte Kritiken, dann heiratete er, um seine Homosexualität vor der Öffentlichkeit zu verbergen (die Ehe hielt drei Monate), seine Musik wurde düsterer. Aber es gab eine Gegenwelt: das «sonnige Genie» Mozart, den er zutiefst verehrte und auf dessen Tonsprache er in seinen Variationen zurückgriff. Am 30. November 1877 spielte sein Freund und Cellist Wilhelm Fitzenhagen die Variationen unter der Leitung von Nikolai Rubinstein zum ersten Mal öffentlich. Danach nahm er sie mit auf seine Konzertreisen und sorgte dafür, dass sie in ganz Europa bekannt wurden.
Basel und Brasilien
«Summer heat» schreibt Helena Winkelman für die Brasilienreise des Kammerorchester Basel und verbindet die Schweizer mit der südamerikanischen Welt, den Salsa mit der Kuhglocke (tatsächlich!) und Melancholie mit virtuoser Brillanz.
«Big Mama», der erste Satz, mit leisen Erinnerungen an ein durch João Gilberto bekannt gewordenes Lied voller melancholischer Magie: Estate (Sommer). Winkelman dazu: «Was für mich bei Gilberto immer faszinierend war, ist seine Art, die Flöten einzusetzen. Es sind Paradiesvögel, hochliegende Kontrapunkte über der tief und entspannt rezitierenden Stimme
die in dem Orchestersatz hier von Fagotten, Englischhorn und Klarinetten übernommen werden. Weder die Melodie noch die harmonischen Progressionen des Bossa Nova werden direkt in der Komposition zitiert. Sie sind nur als Schatten oder als Gesten vorhanden.»
Der humorvolle zweite Satz hat den Titel «Battle of Bells (batalha de sinos)» nimmt Bezug auf den Ursprung des Sambarhythmus, der scheinbar aus einem Streit geboren ist: Ticutuco Nucutuco: Ich hau dich! – hau mich nicht!
Mit seinen repetitiven Perkussions- und Bläserpattern ist «Summer heat» eine Hommage an die Naturheiler, von denen es in Südamerika nur so wimmelt. Auch in den Schweizer Alpen sollen aber schon welche gesehen worden sein – und die bekommen im Stück eine Menge schönster Obertonstrukturen. In diesem musikalischen Spannungsfeld hat Helena Winkelman ein ganz spezielles Anliegen: Wie lässt sich Heilung eines Individuums oder eines Kollektivs nicht nur darstellen, sondern auch herbeiführen? «Wir haben zumindest im Westen heute oft die Ansicht, dass Kunst dazu dient, den Status Quo und seine Problematik abzubilden: Kunst ist Zeitzeuge und oft auch Anklage. Dieses Werk hingegen ist ein Versuch, vielmehr wie die Heiler von Urvölkern zu arbeiten, für die Klang, Rhythmus und Musik ein bewusst eingesetztes Werkzeug zur Heilung von individuellen oder kollektiven Missständen oder Krankheiten ist.»
Florian Hauser
Charme einer Uraufführung – Hinweis der Redaktion: Ursprünglich sind wir beim Werk von Helena Winkelman von einer Komposition mit drei Sätzen ausgegangen. Im Arbeitsprozess haben sich zwei Sätze ergeben: Big Mama und Bathalha de sinsos. Das Naturheiler-Thema, wie im Text beschrieben, wird es wahrscheinlich nicht geben.
Wir können gespannt sein auf die Klänge und musikalischen Erlebnisse in dieser Musik.
Werktext SUMMER HEAT
Von Helena Winkelman
Die Residenz des Kammerorchester Basel in São Paolo im Oktober 2024 war Anlass für diesen Auftrag – und Winkelman nimmt in der zweisätzigen Komposition mit den Titeln «Big Mama» und «Bathalha de sinos» (Glockenschlacht) Bezug auf die Musikkultur Brasiliens.
Vier Perkussionisten – davon zwei Gäste aus der brasilianischen Musikszene – sind an Bord für den rhythmisch muskulösen letzten Satz, der zwei Drittel des fünfzehn Minuten dauernden Stückes stellt.
Über grosse Strecken etabliert das Drumset einen Groove über dem sich Streicher und Bläser blockweise wie eine Bigband bewegen. Trompete und Cello haben waghalsige solistische Parts. Der Höhepunkt des letzten Satzes ist die Glockenschlacht. Darin treffen Schweizer Kuhglocken auf die Agogo-bells des Samba und raufen sich in spielerischen Dialogen… deswegen Batalha-Schlacht.
«Big Mama», der langsame Eröffnungssatz, ist eine Hommage an João Gilberto – den grossen brasilianischen Musiker.
Seit ihrer ersten und einzigen Brasilientournee mit 25 Jahren war Winkelman fasziniert von dem Klangbild der ruhigen, melancholischen Songs von Gilberto. Die synkopierte Begleitung und die Verwendung von Flöten und Streichern die einen kurzen Blick ins Paradies erlauben.
Helena Winkelman, Komponistin, 1974 in Schaffhausen geboren, gilt die Geigerin und Komponistin heute als eine der interessantesten Musikerpersönlichkeiten ihrer Generation.
Sie schloss ihr Violinstudium in Luzern, Mannheim und Basel (2001) mit Auszeichnung ab. Ab 2003 studierte sie in Basel Komposition bei Roland Moser und Georg Friedrich Haas. Prägenden Einfluss auf ihr Schaffen hatte der Unterricht bei Pierre Favre, Hansheinz Schneeberger und György Kurtag.
2016 erhielt sie den Georg Fischer Preis ihrer Heimatstadt Schaffhausen und 2017 den Schweizer Musikpreis.
Als Interpretin arbeitete sie mit vielen bekannten Komponist:innen zusammen, darunter Sofia Gubaidulina, Gérard Zinsstag, Roland Moser, György Kurtag, Garth Knox, Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm, Beat Furrer, Toshio Hosokawa, Alfred Zimmerlin und Thomas Larcher.
Seit 2011 ist sie die Geigerin und Künstlerische Leiterin der Camerata Variabile, ein grosses Schweizer Kammerensemble das bekannt ist für seine innovative Programmgestaltung.
Anastasia Kobekina gilt als eine der vielversprechendsten Cellistinnen ihrer Generation und hat bereits im Alter von sechs Jahren als Solistin debütiert. Seitdem hat sie mit vielen herausragenden Orchestern wie den Moskauer Virtuosen, der Kremerata Baltica, dem Konzerthaus Orchester Berlin, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, den Wiener Symphonikern, dem Warschauer Sinfonieorchester unter der Leitung von Krzysztov Penderecki und dem Mariinsky Theater Orchester unter der Leitung von Valery Gergiev konzertiert. Im Juni 2019 hat die junge Cellistin die Bronze Medaille des Tchaikovsky Wettbewerbs in St. Petersburg erhalten. Seit 2018 ist sie «New Generation Artist» vom BBC Radio, was zahlreiche Studioaufnahmen, sowie Projekte mit dem BBC Radio 3 umfasst. Ebenfalls im Jahr 2019 ist ihre Debüt-CD mit dem Berner Symphonieorchester mit Werken von Schostakowitsch, Weinberg und ihrem Vater Vladimir Kobekin beim Label Claves erschienen. 2023 ist «Venice» gemeinsam mit Kammerorchester Basel erschienen.
Die Musikerin begeistert sich für die Kammermusik und spielt regelmässig zusammen mit bekannten Künstler:innen wie L. Vogt, I. Faust, F. Say, Vl. Spivakov, G. Kremer und A. Schiff.
Im russischen Jekaterinburg geboren, erhielt Anastasia Kobekina ihren ersten Cellounterricht im Alter von vier Jahren. Nach ihrem Abschluss am Moskauer Konservatorium in der Klasse von Olga Galochkina hat sie mit Frans Helmerson an der Kronberg Academy studiert, war Studentin bei Jens-Peter Maintz an der Universität der Künste Berlin und setzt zurzeit ihr Studium am Pariser Konservatorium in der Klasse von Jerome Pernoo fort. Zudem studiert sie Barockvioloncello an der Frankfurter Hochschule bei Kristin von der Goltz. Im Jahr 2015 gewann Anastasia Kobekina den ersten Preis beim renommierten TONALi-Musikwettbewerb, in dessen Rahmen ihr ein Leihcello von Giovanni Guadagnini aus dem Jahre 1743 zu Verfügung gestellt worden ist.
Als Dirigentin sieht sich Delyana Lazarova als Musikerin unter Musikern. Zusammenarbeit, Offenheit und Sensibilität für den spezifischen Klang und Charakter eines jeden Orchesters sind die Basis ihrer Arbeit, immer im Dienste der Musik. Orchester weltweit schätzen ihre Fähigkeit, Klang zu vermitteln und eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Musik frei entfalten kann. Die letzten Spielzeiten waren für Lazarova reich an neuen Begegnungen und die Nachricht ihres aussergewöhnlichen Talents hat sich schnell herumgesprochen: In dieser Saison gibt sie ihr Debüt mit dem Royal Philharmonic Orchestra, dem hr-Sinfonieorchester, dem Minnesota Orchestra und dem Orchestre de Chambre de Lausanne und dirigiert das Malmö Symphony, das Orquesta Sinfónica de Tenerife und das Sao Paolo State Symphony Orchestra. Erstmals wird sie auch mit dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg und der Royal Northern Sinfonia zusammenarbeiten. Nach ihrem Debüt beim Enescu-Festival in der vergangenen Saison wird sie im Herbst 2024 auch den Internationalen George-Enescu-Wettbewerb eröffnen.
Delyana Lazarovas internationale musikalische Ausbildung spiegelt sich in ihrem breit gefächerten Repertoire wider. Die gebürtige Bulgarin hat eine natürliche Affinität zum osteuropäischen und russischen Repertoire (Dvořák, Strawinsky, Tschaikowsky, Bartók), fühlt sich aber – vor allem beeinflusst durch ihr Studium in der Schweiz – gleichfalls in der Wiener Klassik zu Hause.
Lazarova studierte Dirigieren an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) bei Professor Johannes Schlaefli. Ausserdem besuchte sie zahlreiche Meisterkurse, unter anderem bei Bernard Haitink, Paavo Järvi,
Leonard Slatkin, Mark Stringer, Robert Spano und Matthias Pintscher. Neben ihrem Master in Dirigieren ist sie auch eine versierte Geigerin mit einem Master-Abschluss und einem Diplom der Jacobs School of Music in Indiana, wo sie bei Mauricio Fuks studierte und ein Stipendium für künstlerische Spitzenleistungen erhielt.
Das Kammerorchester Basel, 1984 gegründet, ist ein fester Bestandteil der Basler Musiklandschaft mit zwei Abonnementreihen im Stadtcasino Basel sowie Don Bosco Basel. Weltweit und mit mehr als 70 Konzerten pro Saison ist es auf Tourneen unterwegs.
Als Spezialistenensemble mit dem Schwerpunkt in der Wiener Klassik wurde das Kammerorchester Basel 2019 als erstes Orchester mit einem Schweizer Musikpreis geehrt.
Der Entdeckergeist treibt die Musiker:innen auf die Spuren des historisch informierten Klangbildes, wodurch ein ganz eigener Kammerorchester Basel-Klang entsteht, der verschiedene Stile und Richtungen verbindet und vielseitig ist.
Mit ausgewählten Solist:innen wie Hélène Grimaud, Regula Mühlemann, Vilde Frang, Bertrand Chamayou oder Sebastian Bohren arbeitet das Kammerorchester Basel immer wieder gerne zusammen. Unter der künstlerischen Leitung der Konzertmeister:innen sowie ausgewählter Dirigent:innen wie u. a. Delyana Lazarova, Izabelė Jankauskaitė, René Jacobs oder Marc Minkowski präsentiert das Kammerorchester Basel sein breites Repertoire.
Die Konzertprogramme reichen von Alter Musik auf historischen Instrumenten über historisch informierte Interpretationen bis hin zu zeitgenössischer Musik. Die Vermittlungsarbeit ist seit vielen Jahren Herzstück der musikalischen Arbeit.
Eine umfangreiche, vielfach preisgekrönte Diskografie dokumentiert das künstlerische Schaffen des Kammerorchester Basel.
Seit 2019 ist die Clariant Foundation Presenting Sponsor des Kammerorchester.
Wählen Sie Ihre Lieblingskonzerte und buchen Sie Ihre Tickets : www.kammerorchesterbasel.ch | 061 306 30 44 (Mo, Mi, Do: 10.30 – 12.30 Uhr) oder bei Bider und Tanner
Herausgeber Kammerorchester Basel
Direktor Marcel Falk
Redaktion Claudia Dunkel, Sarina Leuenberger
Dieses Programmheft erscheint einmalig zum Abokonzert am 27.9.2024, in einer Auflage von 1000 Exemplaren. Inhaber von Urheberrechten, die wir nicht ermitteln konnten, werden wegen nachträglicher Rechtsabgeltung um Nachricht erbeten. WEITERES KONZERT DI 17.12.2024
Text Florian Hauser
Design Stadtluft
Druck Schwarz auf Weiss Impressum
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Greater chemistry
Greater chemistry is a promise. A promise to ourselves and to the world. To never stand still. To reflect achievements. It’s a promise to strive for a future worth living, for harmonious coexistence, and for greater solutions with a greater impact, Greater chemistry – between people planet. That is our purpose. That is how we are measured.