Nr. 19 | Brückegeneration 5 | August - September 2020

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Wanderausstellung an der Wolkengrenze

CARINTHIja 2020

Die Mobile Ausstellung zur Geschichte der Volksabstimmung macht am Großglockner Station.

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Über den Wolken ist es auch im Hochsommer kühl. Ein frischer Wind weht über die Franz-Josefs-Höhe, 2.369 Meter über dem Meeresspiegel, wo gleich zwei Bedrohungen der Gegenwart unübersehbar sind: zum einen der sich lichtende Gletscher auf den umringenden Bergkuppen des Großglockners als überdeutliches Zeichen der Erderwärmung; zum anderen die all­ gegenwärtigen Desinfesktionssprays und die Abstände zwischen den Besucherinnen und Besuchern der höchstgelegenen Wanderausstellung Österreichs. Die Corona-Ansteckungsgefahr lauert auch am Großglockner, wo die holzüberdachte Installation rund um die Volksabstimmung des Jahres 1920 noch bis 2. August Station macht. „Wer weiß, ob die Pavillons einem starken Wind standhalten?“, sagt ein Vater zu seinem kleinen Sohn. Was den Knirps zum Nachdenken bringt: „Fliegen sie dann mit uns davon?“ Die Gefahr besteht nicht. Die vom Kärntner Landesmuseum im Rahmen des Jubiläumsjahres CARINTHIja in Auftrag gegebene gut 40 Meter lange, ausgeklügelte Holzkonstruktion der Architekten Winkler + Ruck mag auf den ersten Blick einen luftigen Eindruck machen. Aber sie ist

DIE BRÜCKE Nr. 19 | Brückengeneration 5

solide geplant und gut verankert. Sie sollte nicht nur Wind und Wetter standhalten, sondern auch der Wucht der Geschichte oder – richtiger – der Geschichten rund um Abwehrkampf, Volksabstimmung und die Folgen. „Eine Ausstellung ist immer auch eine Erzählung“, sagt Igor Pucker, Kulturamtsleiter und Ideengeber der Exposition. „Aber es erweist sich, dass es nicht nur eine Erzählung gibt, sondern viele, die miteinander verwoben sind, sich überschneiden und sich mitunter auch widersprechen.“ Von außen betrachtet handelte es sich vor 100 Jahren um einen Grenzfindungskonflikt im Nachgang des Ersten Weltkrieges. Österreich wurde von der Monarchie zur Republik, Jugoslawien zum Königreich, das den südlichen Teil Kärntens für sich beanspruchte. Der darauffolgende „Abwehrkampf“ führte auf Vermittlung der Alliierten zu einem Referendum, bei dem sich die Bevölkerung für den Verbleib bei Österreich aussprach. Möglich wurde dieses Votum dank der Stimmen slowenischsprachiger Bürgerinnen und Bürger. Dennoch wurde im Zuge der Volksabstimmung in Kärnten ein giftiger

und während der NS-Zeit tödlicher Nationalismus salonfähig. Nach dem Krieg zeigte nicht zuletzt der Streit um zweisprachige Ortstafeln, dass es in Kärnten lange bloß ein übellauniges Nebeneinander der Volksgruppen gab, kein herzliches Miteinander. Noch bei den 90-Jahr-Feierlichkeiten zum Jahrestag der Volksabstimmung lag die Betonung stark auf dem Abwehrkampf gegen die Eroberer aus dem Süden. Das sollte heuer anders werden. Die Mobile Ausstellung ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen, die die damaligen Ereignisse möglichst differenziert aufarbeiten sollen – mit dem Ziel, Brücken für die Zukunft zu schlagen. Man war von Seiten der Veranstaltenden im Vorfeld keineswegs ganz sicher, dass das Konzept aufgehen würde. Die Feuerprobe fand ab Mitte Juni in Völkermarkt statt, der historischen Abstimmungsstadt. Dort machte die Mobile Ausstellung zum ersten Mal Station, am Hauptplatz, gleich neben der Gedenktafel mit den Namen gefallener Abwehrkämpfer. Der historisch vorbelastete Standort sei eine Herausforderung gewesen, erzählt die Kulturwissenschafterin Hillary Plasch.


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