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Heimat: ein Minenfeld. Das lange Scheitern an einem kurzen Wort. Reinhard Kacianka

Heimat: ein Minenfeld Das lange Scheitern an einem kurzen Wort.

Es ist ein kurzes Wort. Aber die Geschichte der gescheiten und gescheiterten Definitionsversuche ist lang: Heimat. Kaum ein Begriff ist von seiner Intension her so vage, kaum einer in seiner Extension so unfassbar. Ja, und Heimat ist in der Umstrittenheit seiner Bedeutung ein Spezifikum der deutschen Sprache. Jedes Lexikon und jedes Wörterbuch wird auf diese uniqueness des Begriffs hinweisen. Im Duden wird Heimat dem Wortschatz des Goethe-Zertifikats B1 zugezählt und somit zu einem Kompetenzkriterium für den Fremdsprachenerwerb. Denn keine andere Sprache kennt die Tücken, die dieser Begriff im Deutschen bereithält.

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Zunächst einmal, auf einer ersten Ebe ne definitorischer Annäherung scheint alles klar: Heimat wurzelt in der familiären Dimension des Wortes Heim. Da gibt es noch Übereinstimmung mit einem ähnlichen Begriff in anderen Sprachen: dem englischen homeland, dem slowenischen domovina, dem ungarischen szülöföld oder auch dem italienischen patria. Während im Slowenischen und Englischen Heimat noch konkret mit dem Heim assoziiert ist, ist im Ungarischen oder Italienischen die Familie das Definiens: Elternland im Ungarischen, Vaterland im Italienischen. Und dieser Vater ist ein direkter Nachfahre des griechischen oikos despot, Echo aus einer tribalen Epoche der Menschheitsgeschichte.

Die begriffliche Schwierigkeit mit Heimat beginnt mit ihrer sozialpolitischen Verrechtlichung im deutschen Sprachraum: Erst das Heimatrecht gewährte dem Men schen ein Bleiberecht, das seine Existenz bis zu einem gewissen Grad bürokratisch legitimierte. Das System intervenierte in die Lebenswelt und unterwarf naturrecht liche Selbstverständlichkeiten der Deutungshoheit seiner Macht. Nicht zufällig fällt diese Verrechtlichungstendenz mit der Ausprägung des bürgerlichen Rechts staates und der beginnenden Moderne zeitlich zusammen. Plötzlich eröffnet sich eine (macht-)politische Dimension des Heimat-Begriffs. Das System, der Staat bemächtigt sich einer lebensweltlichen Kategorie, die sich politisch instrumenta lisieren lässt. Zeitgleich beginnt die Idee des Nationalstaates zu keimen. Heimat ist nicht mehr länger konkreter Ort, sondern wird räumlich-territorial definiert; – als Machtbereich, dem der/die Einzelne sich einzuordnen hat. Heimat wird zu einer flexiblen, mobilisierbaren Kategorie.

Die Unschuld geraubt. Für diese Heimat sterben im Verlauf des 20. Jahrhunderts Millionen Menschen – tausende Kilometer von der Heimat entfernt, in der Fremde. Und Millionen, deren Heimat sich der Prophezeiung zufolge erst in der Wurzel losigkeit ihres Wanderns offenbaren sollte, werden zum „Schutz“ einer fragwürdigen „Heimat“ ermordet. Und damit wurde der Heimat die Unschuld geraubt. Heimat wurde zu einem Unwort, unlösbar asso ziiert dem Holocaust und den Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht.

Gleichzeitig wurde Heimat zum Lieb lingssujet der Kulturindustrie. Wieder wird der Begriff prostituiert. Wieder wer den Klischees produziert. Und wieder wird der Mensch um seine legitime Sehnsucht betrogen, seinen Ort in den Funktionsräu men des Empire zu finden. Heimat wird zu einer Kategorie des Verlusts, zum Topos unerfüllbarer Sehnsucht; positiv nicht mehr formulier- oder imaginierbar. Paso linis Freibeuterschriften beklagen angesichts des Furors der Moderne den Verlust der bäuerlichen Welt der Friaul. Ernst Bloch assoziiert im amerikanischen Exil Heimat mit Kindheit und Zukunft, als Vision eines Prinzip Hoffnung, das sich dynamisch entwickelt und als unerfüllbares Begehren dem Menschen Sinn verleiht.

In der Literatur wird Heimat ex negativo neu definiert. Franz Innerhofer, Werner Kofler, Josef Winkler oder Gernot Wolfgruber – um nur einige zu nennen – haben sich mit Heimat auseinandergesetzt, auf die traumatischen und traumatisierenden Aspekte hingewiesen und große Literatur geschaffen. Aber auch für Peter Handke war Heimat als emotionale Defiziterfahrung Ansporn für seine Selbsterlösung in der Poesie. Einzigartig aber und unvergleich lich: Gert Jonke. Er hat mit dem Hauptplatz, auf dessen Bühne sich der Geometrische Heimatroman abspielt, eine Metapher geschaffen, die als Definition von Heimat gelten kann: auf den ersten Blick problemlos zu queren, beim Abwägen aller Konsequenzen aber niemals gefahrlos zu betreten – ein Minenfeld eben. ● Reinhard Kacianka * 1957, Kulturarbeiter, Übersetzer und Kulturwissenschaftler an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt; seit 2009 PhiloCafétier im raj in Klagenfurt.

Marko Lipuš: Fotocartoon, 2020. Der Künstler wurde 1974 in Bad Eisenkappel/Železna Kapla geboren, lebt und arbeitet in Wien. Sein Schwerpunkt liegt auf experimenteller transformativer Fotografie, mit unterschiedlichen Interventionen entstehen neue Formen der Sichtbarkeit. 2018 veröffentlichte er den Bildband „Kratzungen blau“. www.markolipus.com Foto: Marko Lipuš

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