4 minute read

Denk-Male. Sinnbilder historischer und gegenwärtiger Beziehungsgeflechte. Bertram Karl Steiner

Denk-Male

Sinnbilder historischer sowie gegenwärtiger Beziehungsgeflechte.

Advertisement

Foto: Gerhard Pilgram | UNIKUM

Bedeutungsschwere Male. Von Mal zu Mal auf seinem Lebenswege sieht sich der Mensch, in diesem Jahre 2020 im besonderen auch der Kärntner Mensch, mit bedeutungsschweren Malen konfrontiert: Grabmalen, Mahnmalen, Siegesmalen, Totenmalen, Gedenkmalen, Erinnerungsmalen, Denkmalen. Die Male sind untrennbar mit dem im Weltall singulären Phänomen der menschlichen Kultur verbunden: Ohne Male erlischt die Erin nerung, ohne Erinnerung keine Geschichte, ohne Geschichte keine Kultur. Weshalb totalitäre Ideologien jedweder Provenienz auf „Kulturrevolutionen“ setzen; solche kulminieren immer und überall im Ver such, möglichst alle Erinnerungen zu löschen, die den einzelnen Menschen, aber auch eine Gesellschaft über die zum Popanz erhöhte „Gegenwart“ hinaus mit den Erfahrungen jener Generationen verbinden, die vor uns gelebt, geliebt, auch gestritten haben. Denn es sind die Erin nerungen, die glücklichen wie die tragischen, es sind die heute scheel angesehenen, vielfältigen Traditionen und Sprachen, die uns im Ernstfalle innerlich immun machen gegen den totalitären Machtan spruch des „Zeitgeistes“, gegen die Verführungen eines totalen Staates.

Sämtliche totalen Staaten und die totalitären Ideologien, auf welchen sie aufgebaut sind, sehen nämlich ihren Daseinszweck in der Auslöschung der persönlichen, familiären und kollektiven Erinnerungen der Bevölkerungen in ihrem Machtbereich und fördern konsequenterweise einen monokulturellen Nationalismus. So haben es zum Beispiel die rabiaten Ideologen der Französischen Revolution durchgesetzt, dass die polyphone Kultur des „alten Frankreich“ per Gesetz und unter Gewaltanwendung verboten wurde. Der öffentliche (oft auch der private) Gebrauch vordem gleichberechtigter Sprachen, wie des Bretonischen in der Bretagne oder des Deutschen im Elsass, wurde mit zuweilen drakonischen Strafen geahndet. Es durfte nur mehr eine einzige „revolutionäre“ Sprache der „einen“ gleichgeschalteten „Nation“ geben. In gleicher Weise agierten in Italien der Faschismus (siehe Südtirol!), oder in einem monströsen Ausmaß der Nationalsozialismus (siehe ganz Europa!), der gleich die gesamte, deutsche Kulturgeschichte mit ihrem Reichtum an Sprachen und Traditionen in Geiselhaft nahm.

Denkmale hüben und drüben. Es gibt unzählige Denkmäler im Kärnten des Jubiläumsjahres 2020. Römer setzten überall ihre Grabstelen ins Land, Slawen funktionierten ein römisches Säulenkapitell um in das Symbol des ganzen Landes, den „Fürstenstein“, auf dem der jeweilige Landesherr in slowenischer Sprache seinen Eid zu leisten hatte; in einer Zeit, als Sprachen und Überlieferungen noch nicht als Waffen missbraucht wurden, um eine Sprach- oder Volksgruppe gegen eine andere aufzuhetzen. Franken, Karolinger, Bayern errichteten mit ihren Bauten DenkMale in Kärnten; und alle heirateten, was ihre Sprachen betrifft, lustig durcheinan der und zeugten Kinder, von welchen die Kärntnerinnen und Kärntner des Jahres 2020 abstammen.

Sprachen sind Gnaden, keine Waffen. Von Stephan, dem heiligen König von Ungarn, ist uns ein weises Wort überlie

fert: „Armselig ist ein Reich, in dem nur eine einzige Sprache gesprochen wird.“

Viele Denkmäler, die meisten in Mittel europa, erinnern an Tote. Denkmale für die Toten der jeweils eigenen Seite. Tote vergangener Kriege. Allein im Verlauf der Isonzo-Schlachten fielen rund eine Million Soldaten, Österreicher aller Volksgruppen, Ungarn, Italiener. In den Kämpfen um die Grenzen Kärntens kamen dann insgesamt an die 500 Menschen zu Tode. Das 20. Jahrhundert, voreilig gepriesen als Epoche des „Umbruches“, der endlich erlangten Selbstbestimmung der Menschen und der jungen Nationen, des Aufbruches, des Nationalbewusstseins, war, bislang (aber wir werden noch sehen ...) das mörde rischste überhaupt.

Es ist legitim und menschlich, den Toten (allen Toten ...) Ehrerbietung zu erweisen, ihnen als Zeichen der Pietät Denkmale aufzurichten. Aber eben allen Toten, denn den Toten sind im Augenblick ihres Hin scheidens von allerhöchster Autorität die irdischen Ausweise entzogen worden, welche sie dieser oder jener Volks- oder Sprachgruppe zuweisen würden. Nicht legitim ist es, Denkmale für Menschen oder Regime zu errichten, die sich objektiv dem Hass gegen andere verschrieben haben.

Herz-Land Europas. Das Land Kärnten befindet sich, wie wir theoretisch wohl wissen, aber nur selten bedenken, im Herzen Europas. Gibt es für diese gerade für Kärnten eminente kulturhistorische Tatsache nicht wenigsten ein Denk-Mal an einer frequentierten Stelle?

Doch, ein solches zum Denken und durchaus zu einem authentischen patrio tischen Fühlen anregendes Mal passieren wir täglich, wenn wir die Klagenfurter Wiener Gasse am Heuplatz verlassen. Es handelt sich um die Replik des steinernen Wappenschildes, das im 16. Jahrhundert über dem später abgerissenen Wiener Tor angebracht worden war. Da wird es vor unseren Augen wahrnehmbar: Kärnten als geographisches und historisches HerzLand Europas. Im Zentrum des Schildes sehen wir das Kärntner Wappen, gemeinsam mit jenem von Kärntens siamesischem Zwilling durch die Jahrhunderte, dem Herzogtum Krain. Darüber, daneben und darunter angeordnet die Wappen von Böhmen, Burgund, Tirol, Altungarn, Kastilien, León, Aragon, Granada, Sizilien, Elsass et cetera, et cetera.

Orangen aus Sizilien, Granatäpfel aus Granada, elsässisches Sauerkraut, urkeltisches Ritschert aus Kärnten ... bedenken wir, angesichts dieses Denkmales, in welchem immensen historischen Beziehungsgeflecht Kärnten lebte (und, Gott sei Dank, eigentlich immer noch lebt), obgleich der Virus „nationaler“ Ressenti ments durch einige Jahrzehnte in der Bevölkerung das Bewusstsein für die echten Traditionen dieses gesegneten Landes beinahe gelöscht hätte.

Dennoch, Kärntens Denkmale, die frommen wie die traurigen, nicht zuletzt die kulinarischen, zwischen Frigga und gegrendelten Nudeln, leben in uns weiter; frei und ungeteilt, so wie Kärnten anno 2020. ● Bertram Karl Steiner * 1948 in Niederösterreich, lebt und arbeitet in Kärnten, studierte Geschichte und Romanistik in Wien, verweilte als Lehrbeauftragter für österreichische Zivilisation an der Universität Brest in der Bretagne, war Kulturchef der

Kärntner Tageszeitung, ist Verfasser mehrerer Bücher über Kärnten.

This article is from: