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Sechzehn Kilometer Menschlichkeit. Eine Menschenkette als Begegnungszone. Markus Waitschacher

Sechzehn Kilometer Menschlichkeit

Eine Menschenkette verbindet Grenzen zur Begegnungszone.

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Slow Walk in Silence. Der britische Konzeptkünstler Hamish Fulton inszenierte 2013 einen Public Art Walk in Bad Kleinkirchheim. Foto: Johannes Puch

Kärnten ist ein grenzgebeuteltes Land. Als ein in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts Geborener habe ich aller dings nur ein vages Verhältnis zu den nächstgelegenen Grenzen. Geld wechseln, im Stau stehen, Passkontrollen oder Schmuggelware – alles Gegebenheiten, die im Laufe des Erwachsenwerdens immer mehr wie Szenen aus einem schlechten Film anmuteten. Das änderte sich allerdings mit der restriktiveren Grenzpolitik der letzten Jahre und zeigte sich markanter denn je in den CoronaMonaten, wo (staatliche) Grenzen wieder (Denk-)Landschaften formen.

Eine ganze Schule, die Landwirtschaft liche Fachschule Stiegerhof, hat sich anlässlich des Kulturjahres „CARINTHIja 2020“ diesem Thema angenommen. Ihr Vorhaben ist kein geringeres als am 26. September dieses Jahres eine sechzehn Kilometer lange Menschenkette zu bilden. Das alleine wäre bereits ein Mammutprojekt, gäbe es nicht noch Corona und dessen Nachwehen, die eine Kette aus Menschen an einer internationalen Grenze noch gewagter erscheinen lassen. Direktor Johannes Leitner und der Lehrer Martin Ladinig lassen sich jedoch nicht beirren und bleiben voller Vorfreude. 294 Grenzmarkierungen gibt es zwi schen dem Mallestiger Mittagskogel, dem westlichsten Punkt der damaligen Demarkationslinie der Abstimmungszone A und dem Dreiländereck. Was die Abstimmungsgrenze damals verband oder eben zu trennen versuchte, wollen die beiden Lehrenden gemeinsam mit ihren Schüle rinnen und Schülern in die Gegenwart setzen: Grenzen verstehen, respektieren, aber auch überwinden – und das kollektiv. Ein verbindendes Zeichen der Freundschaft über die Grenzen hinweg nach Italien und Slowenien soll entstehen.

Ursprünglich sollte das ganze Event von einer Reihe Veranstaltungen, wie dem „Fest der Freunde“, sowie einem gemein samen runden Tisch auf der Blekovaalpe, begleitet werden, was den aktuellen Umständen entsprechend adaptiert wer den musste. Der runde Tisch, der zum grenzüberschreitenden Austausch auf Augenhöhe anregen sollte, wird nächstes Jahr als permanentes Kunstwerk installiert werden. Dort können sich dann Wanderinnen und Wanderer während ihrer Rast treffen und die Grenze zur Begegnungszone umfunktionieren.

Dokumentiert wird das wohl einmalige und außergewöhnliche Vorhaben der Menschenkette filmisch. Dazu braucht es jedoch noch etliche Kettenglieder. Die lokalen Gemeinden, der Alpenverein und die Schülerinnen und Schüler sind bereit. Alle Interessierten in Kärnten und darüber hinaus sind herzlichst eingeladen, als ein Kettenglied mitzuwirken. Mit kleinerem oder größerem Abstand könnte sich dieses besondere Zeichen auch in diesen besonderen Zeiten ausgehen.

Wie könnte die Zukunft unserer nächstliegenden Grenzen aussehen? Hoffen wir, dass es weniger (Auto-)Stau geben wird, nie mehr Währung wechseln, weniger Kontrollen, kein Militär, dafür mehr Menschenketten des Friedens, runde Tische zum gleichberechtigten Austausch und Feste der Freundinnen und Freunde. Hoffen wir, dass für die Schülerinnen und Schüler des LFS Stiegerhof die aktuellen Grenzsituationen einmal wie Szenen aus einem schlechten Film wirken werden. Dass sie sich nicht einmal mehr vorstellen werden können, wie einfach Menschenleben wegen Linien auf Landkarten auseinanderdividiert werden können. ● Markus Waitschacher * 1991 in Klagenfurt, lebt in Graz, wo er am Universalmuseum Joanneum als Kunstvermittler für moderne und zeitgenössische Kunst tätig ist. Nebenbei arbeitet er als freischaffender Kurator.

Menschenkette 26. September zwischen dem Mallestiger Mittagskogel und dem Dreiländereck www.lfs-stiegerhof.ksn.at

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