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Vom Gedächtnis der Orte. Aktuelle Projekte. Karin Waldner-Petutschnig

Vom Gedächtnis der Orte

CARINTHIja 2020 setzt auf das Sich-Erinnern und das BrückenSchlagen, auf die Kraft des Erzählens und das Verändern von Perspektiven. Eine Anleitung zum Neugierig-Sein.

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Gegen die Verortstafelung. In einem Land, in dem Sprache und Kultur nicht verortet, sondern „verortstafelt“ wurden, lebte und arbeitete der 2016 verstorbene Literat und Übersetzer Fabjan Hafner. Gegen diese „Verortstafelung“, wie es einmal in einer Laudatio über ihn hieß, tritt das Festival horizontal 20 (Schule der Wahrnehmung) an sieben Orten mit 34 Künstler*innen quer durch die einstige Abstimmungszo ne an. Als Anregung zum Perspektivenwechsel lässt sich dabei etwa eine Installation aus 20 Spiegeln von Armin Guerino direkt am Drauradweg bei Unterkrajach im Rosental verstehen. Die Grenze zwischen Schein und Wirklichkeit beginnt dabei zu verschwimmen, der Blick nach vorne ist ein Blick zurück, die Paneele reflektieren den eigenen Standpunkt, machen aber auch Verborgenes sichtbar. Hier war auch Fabjan Hafner zu Hause, dessen „Erste und letzte Gedichte“, über setzt von Peter Handke, kürzlich bei Suhrkamp erschienen sind [siehe DIE BRÜCKE Nr. 17]. Das Werk des Kärntner Slowenen, der in beiden Landessprachen schrieb, steht im Mittelpunkt der Veran staltung „Hafner goes Hafner“ (2.8., Suetschach), bei der Maximilian Achatz und Magda Kropiunig lesen werden, musika lisch umrahmt vom Duo Masis. Mit Konzerten (u. a. Wolfgang Puschnig und das Koehne Quartett am 28.8., Jani Oswald und Gabriel Lipuš mit dem Carinthia Saxophon Quartett am 20.9.), Ausstellungen und Performances schließt sich der Veranstaltungskreis.

Fabjan Hafner war auch gemeinsam mit Janez Gregorič und Rudi Benétik vor 20 Jahren Begründer des Trivium auf dem Hemmaberg bei Globasnitz/Globasnica, eines sparten- und sprachenübergreifen den Treffens von Künstler*innen aus dem Alpen-Adria-Raum. Musik, Literatur und bildende Kunst werden dabei heuer (14.8.) von Bartolo Musil und Janez Gregorič, Cvetka Lipuš, Lilian Faschinger und Tanja Malle sowie von Eric M. Kressnig und Nataša Sienčnik vertreten. Wie jedes Jahr führt wieder der Archäologe Franz Glaser durch das frühchristliche Pilger heiligtum auf dem Hemmaberg. Hier, an diesem symbolstarken Ort, findet knapp einen Monat später (18.9.) auch eine Buchpräsentation des Verlags Hermagoras/ Mohorjeva statt, der erstmals mit Unser Kärnten/Naša Koroška eine zweisprachige Anthologie mit Texten des Kärntner und des Slowenischen Schriftstellerverbandes herausgibt [siehe DIE BRÜCKE Nr. 18].

Sprachbrücken zu bauen ist das erklärte Ziel einer interaktiven Ausstellung, die der Elternverein des Slowenischen Gym nasiums initiiert hat. In der Mittelschule Ferlach wurde dafür ein „Sprachgarten“ konzipiert, bei dem man durch fünf Sprachbeete spazieren kann und so spielerisch für das Thema Mehrsprachigkeit sensibi lisiert wird (21.9.). Die Schulprojekte im Rahmen von CARINTHIja 2020 sind bunt und einfallsreich. Sie reichen von einer Performance mit Menschenkette entlang der Karawanken (Die Grenze ändert sich

horizontal 20: Die Drau, wie sie niemand kennt, obwohl sie so ist: in zehn beidseitig verspiegelten Stellwänden. „Es gibt keinen Blick nach vorne, der nicht auch ein Blick zurück und in sich selbst ist.“ (Armin Guerino) Foto: Gerhard Maurer | Brücken bauen – Gradimo mostove: Barbara Ambrusch-Rapp auf der Brücke bei Selkach/Želuče: DeinMeinUnserWeg – TvojaMojaNašaPot. Foto: Gerhard Leeb

in unseren Köpfen, siehe BRÜCKEseite 58) über Installationen im öffentlichen Raum der Volksschule Völkermarkt (Völ kermarkt 2020 – quo vadis?) bis zu diversen Film- und Videoprojekten: Demokratie in Szene gesetzt nennt die CHS Villach ihren Filmbeitrag (29.9.), Kärnten – gestern, heute, übermorgen die HAK Völkermarkt ihren, während das AlpenAdria-Gymnasium der Stadt sein Projekt Servus – Srečno – Ciao (2.10.) zeigt.

Die Lebensader Drau lädt nicht nur dazu ein sie zu überqueren – wie es Gerhard Leeb mit seiner Installationsserie von 30 Kärntner Künstler*innen an 12 Brücken über den Fluss tut: „Brücken bauen – Gradimo mostove“ (Verbund-Kraftwerk Annabrücke mit Edwin Wiegele und Schülern der HAK Völkermarkt am 25.9.). Sie bittet auch an ihre Ufer auf beiden Seiten, wo das Kärntner Bildungswerk Kulturver eine, engagierte Frauen und Jugendliche bei diversen Kulturveranstaltungen prä sentiert und so den kreativen Reichtum der Region darstellen will (An den Ufern der Drau, 19. September 2020: Präsenta tionsveranstaltung der Projektergebnisse aus den oben genannten drei Perspekti ven). Dieser manifestiert sich auch in den Arbeiten jener zehn Bildhauer*innen aus Kärnten und Slowenien, die den Sommer lang nahe Völkermarkt arbeiten. Das Symposium Krastal gastiert dabei in Bergstein (Steinbruch Modre) und lädt zu einer „perspektivischen Zeitreise durch Gestein, Skulpturen und Klang“. Konzipiert vom Bildhauer Helmut Machhammer können Besucher*innen dabei (bevorzugt nach mittags) den Kunstschaffenden über die Schultern sehen (u.a. Catrin Bolt und Dušan Kirbiš). Jeweils am Freitag ab 19 Uhr gibt es Führungen (bis 28.8.), am Samstag, 22.8., 19 Uhr, wird bei einem Schlussfest mit den Künstler*innen gefeiert.

Auch mit Festen (Fest des Miteinan ders in Bleiburg/Pliberk am 8.8.), Tagungen (Landschaft und Identität – Überliefertes Namengut als immaterielles Kulturerbe, Bleiburg/Pliberk am 16.9.) und Symposien (Arbeit und Demokratie, Institut für Geschichte der Kärntner Arbeiterbewegung, 24.9. in Klagenfurt) geht CARINTHIja 2020 im Corona-Jahr also in ihre nächste Runde.

Bei gleich zwei spannenden Projekten, die Sichtweisen verändern und Verhalten reflektieren wollen, ist der Villacher Historiker Werner Koroschitz dabei. Gemeinsam mit dem Verein Erinnern wirft er einen genauen Blick auf ein Abwehrkämpferdenkmal aus dem Jahr 2002 am Drauradweg beim Silbersee nahe Villach. Darauf wird neben anderen auch der einstige Villacher Bürgermeister und Nationalsozialist Oskar Kraus genannt. Eine Fußnote wird diese Würdigung kritisch erweitern (24.9.). Wissenschaft lich begleitet von Werner Koroschitz ist das Ausstellungsprojekt Petzen/Peca : Obir des slowenischen Kulturvereins Zarja in Bad Eisenkappel/Železna Kapla (ab 16.9.), das sich mit zwei in mehrfacher Hinsicht herausragenden Bergen Unterkärntens beschäftigt: mit der Petzen,

einem einstigen Partisan*innen-Stützpunkt, und dem Hochobir, auf dessen Gipfelkreuz eine Gedenkplakette für den Abwehrkämpfer und Nationalsozialisten Hans Steinacher angebracht ist. Beide so unterschiedlich bewerteten Berge „sind durch Höhlensysteme und Bergbau geprägt“ (Koroschitz).

Familiengeschichten. Unweit der Petzen, in Bad Eisenkappel/Železna Kapla, erinnert die Künstlerin und Präsidentin des österreichischen Künstlerhauses Tanja Prušnik mit einer Gedächtniswanderung mitsamt Performance an das (von Peter Handke empfohlene) Buch „Gämsen auf der Lawi ne/Gamsi na plazu“ von Karel PrušnikGašper [siehe DIE BRÜCKE Nr. 16]. Für eine Neuauflage des Buches ihres Großvaters über den Widerstandskampf der Kärntner Partisanen hatte sie eine Bilderserie zur Umschlaggestaltung (Wieser Verlag) geschaffen. Das war 2005, doch die Auf arbeitung der Familiengeschichte dauert noch immer an (6. und 13.9.).

Eine andere Familien-Saga erzählt ein Haus im Loibltal/Brodi. In diesem Seitental des Rosentals, am Weg in den Süden, liegt das Haus Brodi 1. Anhand einer Familiengeschichte quer durch die Jahr zehnte entwickelte der Kulturverein INTERFERENZEN ein kleines, feines Festival, das sich mit Ausstellungen, Konzerten, Lesungen rund um das Gedächtnis dieses Ortes dreht. Das Erin nern und die Kraft des Erzählens setzen die aus Brodi stammende Grazer Archi tektin und Autorin Petra Kohlenprath detailreich in Szene: 1896 vom k. u. k. Straßeneinräumer Miha Kohlnprat und seiner Frau Neža errichtet, ist das Haus seit Anfang der 1980er Jahre unbewohnt. Erhalten geblieben sind Fotos, Urkunden, Bücher, Alltagsgegenstände. Das Projekt Das Gedächtnis des Ortes/Kraj in njegov spomin lädt ein, sich „Zeit zu nehmen für die Erzählung der Gegenstände“. Gemeinsam mit Wissenschafter*innen und Künstler*innen erarbeiteten die Urenkelinnen der Erbauer ein spannendes,

medienübergreifendes Programm. Am 13. und 14.8.: audiovisuelle Installation (Musik: Gerald Preinfalk), Ausstellung „Ihr Zuhause finden“ über die Frauen aus Brodi 1, Konzert & Lesung mit Gerald Preinfalk und Alois Hotschnig, u.a.m. (www.interferenzen.at).

Bild-Reflexionen. Einer, dessen Werk durch die Nationalsozialist*innen beson ders in Mitleidenschaft gezogen wurde, war der Nötscher Maler Anton Kolig. Im Klagenfurter Landhaus war anlässlich der 10-jährigen Wiederkehr der Kärntner Volksabstimmung ein Freskenzyklus entstanden, der 1938 von den Nazis als entartete Kunst vollständig zerstört wur de. Von dem Monumentalwerk blieben nur Schwarz-Weiß-Fotos erhalten. Das Museum des Nötscher Kreises zeigt Schwarz-Weiß-Reproduktionen in Origi nalgröße sowie Gemälde Koligs aus der Zeit um 1930. Dem werden Werke junger Kunststudentinnen aus Wien und der Künstlerin Elisabeth Wedenig gegen

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