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CARINTHIja 2020. Wanderausstellung an der Wolkengrenze. Wolfgang Rössler

Wanderausstellung an der Wolkengrenze

Die Mobile Ausstellung zur Geschichte der Volksabstimmung macht am Großglockner Station.

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Über den Wolken ist es auch im Hochsommer kühl. Ein frischer Wind weht über die Franz-Josefs-Höhe, 2.369 Meter über dem Meeresspiegel, wo gleich zwei Bedrohungen der Gegenwart unübersehbar sind: zum einen der sich lichtende Gletscher auf den umringenden Bergkuppen des Großglockners als überdeutliches Zeichen der Erderwärmung; zum anderen die allgegenwärtigen Desinfesktionssprays und die Abstände zwischen den Besucherinnen und Besuchern der höchstgelegenen Wanderausstellung Österreichs. Die Corona-Ansteckungsgefahr lauert auch am Großglockner, wo die holzüberdachte Ins tallation rund um die Volksabstimmung des Jahres 1920 noch bis 2. August Station macht. „Wer weiß, ob die Pavillons einem starken Wind standhalten?“, sagt ein Vater zu seinem kleinen Sohn. Was den Knirps zum Nachdenken bringt: „Fliegen sie dann mit uns davon?“

Die Gefahr besteht nicht. Die vom Kärntner Landesmuseum im Rahmen des Jubiläumsjahres CARINTHIja in Auftrag gegebene gut 40 Meter lange, ausgeklügelte Holzkonstruktion der Architekten Winkler + Ruck mag auf den ersten Blick einen luftigen Eindruck machen. Aber sie ist solide geplant und gut verankert. Sie sollte nicht nur Wind und Wetter stand halten, sondern auch der Wucht der Geschichte oder – richtiger – der Geschichten rund um Abwehrkampf, Volksabstimmung und die Folgen. „Eine Ausstellung ist immer auch eine Erzählung“, sagt Igor Pucker, Kulturamtsleiter und Ideengeber der Exposition. „Aber es erweist sich, dass es nicht nur eine Erzählung gibt, sondern viele, die miteinander verwoben sind, sich überschneiden und sich mitunter auch widersprechen.“

Von außen betrachtet handelte es sich vor 100 Jahren um einen Grenzfindungs konflikt im Nachgang des Ersten Weltkrieges. Österreich wurde von der Monarchie zur Republik, Jugoslawien zum Königreich, das den südlichen Teil Kärn tens für sich beanspruchte. Der darauffolgende „Abwehrkampf“ führte auf Vermittlung der Alliierten zu einem Referendum, bei dem sich die Bevölkerung für den Verbleib bei Österreich aussprach. Möglich wurde dieses Votum dank der Stimmen slowenischsprachiger Bürgerinnen und Bürger. Dennoch wurde im Zuge der Volksabstimmung in Kärnten ein giftiger und während der NS-Zeit tödlicher Nationalismus salonfähig. Nach dem Krieg zeigte nicht zuletzt der Streit um zweisprachige Ortstafeln, dass es in Kärnten lange bloß ein übellauniges Nebeneinander der Volksgruppen gab, kein herzliches Miteinander. Noch bei den 90-Jahr-Feierlichkeiten zum Jahrestag der Volksabstimmung lag die Betonung stark auf dem Abwehrkampf gegen die Eroberer aus dem Süden.

Das sollte heuer anders werden. Die Mobile Ausstellung ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen, die die damaligen Ereignisse möglichst differenziert aufar beiten sollen – mit dem Ziel, Brücken für die Zukunft zu schlagen. Man war von Seiten der Veranstaltenden im Vorfeld keineswegs ganz sicher, dass das Konzept aufgehen würde. Die Feuerprobe fand ab Mitte Juni in Völkermarkt statt, der his torischen Abstimmungsstadt. Dort machte die Mobile Ausstellung zum ersten Mal Station, am Hauptplatz, gleich neben der Gedenktafel mit den Namen gefallener Abwehrkämpfer.

Der historisch vorbelastete Standort sei eine Herausforderung gewesen, erzählt die Kulturwissenschafterin Hillary Plasch.

Nicht das Land besucht die Ausstellung, die Mobile Ausstellung kommt ins Land. Foto: grossglockner.at

Sie gehört zu jenen Ansprechpartnerinnen, die den Besucherinnen und Besuchern der Wanderausstellung Frage und Antwort stehen. Plasch hatte sich auf heftige Diskussionen und Streitgespräche vorbereitet. Doch diese blieben aus. „Es gab keinen Konflikt“, erzählt sie. Wohl habe es mitunter Einwände gegeben, vor allem von Seiten der älteren Generation. Ob es wirklich notwendig sei, die Aus stellung durchgehend zweisprachig zu beschildern. Ob man nicht dem Unrecht, das manchen Deutschkärntner Familien widerfahren sei, mehr Raum hätte geben können. „Gerade in Völkermarkt haben fast alle Menschen bedingt durch ihre Familien geschichte einen sehr persönlichen Zugang zu dem Thema“, sagt Plasch. Nicht immer ließen sich die Überlieferungen der Eltern und Großeltern mit den auf den Schautafeln gezeigten Beschreibungen in Einklang bringen. Doch am Ende hätten gerade diese Irritationen Menschen zum Reden gebracht. „Es zeigt sich eben, dass man Geschichte nicht auf die Schnelle einatmen kann“, sagt Plasch. Die Wunden sind noch nicht völlig verheilt. Aber es tut nicht mehr so weh. Nach den durchwegs positiven Erfahrungen in Völkermarkt war die zweite Station über den Wolken gewissermaßen die Kür. Kurzfristig wurde der kühne Plan umgesetzt, die Mobile Ausstellung auf den höchsten noch mit Fahrzeugen zu errei chenden Ort Österreichs zu verfrachten. Dort richtet sie sich auch an Touristinnen und Touristen, die sich mit der wechselvollen Geschichte ihres Urlaubslandes bisher noch nicht beschäftigt hatten. „Kärnten soll als gelebtes Beispiel dafür wahrgenommen werden, wie in einem jahrzehntelangen Prozess aus einstigen Feinden Freunde mit wechselseitigem Verständnis für die jeweils anderen wur den“, erklärte Landeshauptmann Peter Kaiser bei der Eröffnung.

Diesen Prozess bildet die Ausstellung auch räumlich nach. Während sich die ersten Module mit den historischen Kernereignissen beschäftigen und ausgewählte Protagonist*innen beider Seiten vorstellt, führt die Reise anschließend in die Gegenwart – besonders verdeutlicht durch den spielerischen Umgang mit beiden Landes sprachen. Auf Grundlage eines gewitzten Sprachkurses des Universitätskulturzentrums UNIKUM können Besucher*innen etwa mit Hilfe einer VR-Brille virtuelle Kärtchen mit deutschen oder slowenischen Alltagsphrasen „pflücken“ und sich diese übersetzen lassen. Das letzte Drittel der Ausstellung schließlich ist in die Zukunft gerichtet, die von einem neuen Miteinander der Volksgruppen im Zeichen neuer Technologien gekennzeichnet sein soll. Das ist jedenfalls die hoch gesteckte Hoffnung der Organisator*innen der höchstgelegenen Wanderausstellung Österreichs. ● Wolfgang Rössler 39, aus Steindorf am Ossiacher See, lebt in Wien, ist Korrespondent der NZZ am Sonntag.

CARINTHIja 2020 – Die Mobile Ausstellung Kaiser-Franz-Josefs-Höhe am Großglockner: bis 2. August Hauptplatz Feldkirchen: 15. – 31. August Rathausplatz Villach: 6. – 27. September Neuer Platz Klagenfurt: 3. Oktober – 1. November www.carinthija2020.at

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