Pädiatrische Reisemedizin
„Vorsorge ist das Wichtigste“
… bereits von Kindesbeinen an Der richtige Sonnenschutz
… trotz Prader-Willi-Syndrom Dem Leben gewachsen
DIALOG 05/2023
…
…
Österreichische Post AG, MZ16Z040661M, 32. Jahrgang, RegionalMedien Austria GesundheitRMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien
Dem Sommer entgegen PÄDIATRIE
04 „Vorsorge ist das Wichtigste“ Beratungsthemen in der pädiatrischen Reisemedizin
06 Baby- und Kinderhaut effektiv vor der Sonne schützen
Was die sensible Haut der Jüngsten während der Sommermonate braucht
Prader-Willi-Syndrom:
Das klinische Bild kann vielfältig zum Vorschein kommen.
Pädiatrie
08 Damit das Bett nachts trocken bleibt ... Enuresis: Die kinderurologische Abklärung ist das A und O
11 Über tausend Studien ... ... über die ersten Zähnchen
12 Dem Leben gewachsen
Eine frühe multidisziplinäre Mehrbereichsbetreuung kann das Outcome bei Menschen mit Prader-WilliSyndrom verbessern
Die Haut vergisst nicht: Sonnenschutz von Kindesbeinen an.
IMPRESSUM
Herausgeber und Medieninhaber:
RegionalMedien Austria Gesundheit – RMA Gesundheit GmbH, Am Belvedere 10 / Top 5, 1100 Wien, Tel. 01/74321708114, office@gesund.at.
Geschäftsführung: Mag.a Birgit Frassl, Marlis Rumler.
Redaktionsleitung: Mag.a Karin Martin.
Redaktion: Mag.a Karin Martin, Anna Schuster, BSc, Mag.a Ines Pamminger, BA, Margit Koudelka.
Lektorat: Mag.a Katharina Maier.
Produktion & Grafik: Angie Kolby.
Cover-Foto: shutterstock.com/Yuganov Konstantin
Verkaufsleitung: Mag.a Birgit Frassl, birgit.frassl@regionalmedien.at.
Kundenbetreuung: Mag.a Dagmar Halper, dagmar.halper@regionalmedien.at.
Druckerei: Bösmüller Print Management GesmbH & Co. KG.
Verlags- und Herstellungsort: Wien.
Grundlegende Richtung: Unabhängige österreichische Fachzeitschrift für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte.
Die HAUSÄRZT:IN – Praxis-Magazin für Primärversorgung –ist ein interdisziplinäres Informations- und Fortbildungsmedium.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir in den Artikeln teilweise auf die gendergerechte bzw. gänzlich orthografisch/grammatikalisch korrekte Schreibweise. Sofern nicht anders vermerkt, gelten alle Bezeichnungen für sämtliche Geschlechter.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Verlages wieder, sondern fallen in den Verantwortungsbereich der Autor:innen. Der Inhalt von entgeltlichen Einschaltungen und Beilagen sowie die Angaben über Dosierungen und Applikationsformen liegen außerhalb der Verantwortung der Redaktion oder des Verlages und sind vom/von der jeweiligen Anwender:in im Einzelfall auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt, verwertet oder verbreitet werden.
Mit „Bezahlte Anzeige“ gekennzeichnete Beiträge/Seiten sind gemäß §26 Mediengesetz bezahlte Auftragswerke. Offenlegung: gesund.at/impressum
Hausärzt:in DIALOG Inhaltsverzeichnis
2 Mai 2023 12 ©
©
06
shutterstock.com/marikun
shutterstock.com/linavita
Haus Ärzt:in
Hausärzt:in trifft Kliniker:in
Moderne Schmerzmedizin –Möglichkeiten & Grenzen
PräsenzFortbildung
Sa., 3. Juni 2023
IN LINZ
Themen (mit Fallbeispielen aus der Allgemeinpraxis):
Chronischer Schmerz – eine Herausforderung: von der Diagnose bis zur Therapie
Geriatrie & Palliativmedizin – Schmerztherapie ist Teamarbeit
Klinische Pharmazie – Medikationsmanagement & Polypharmazie
Pädiatrie – Kleiner Mensch, großer Schmerz
Podiumsdiskussion:
Ambulante Schmerztherapie heute – Was tun gegen Lücken in der Versorgung?
Programm und Anmeldung: meinmed.at/dialogtag-linz
7 DFP-Punkte
Teilnahmegebühr:
Mitglieder der OBGAM, ÖGAM, Vinzenz Gruppe 65€, Nichtmitglieder 85€ Rückfragen an info@meinmed.at
Mit freundlicher Unterstützung von:
Veranstalter:innen:
DIALOGTAG Änderungen vorbehalten.
„Vorsorge ist das Wichtigste“
Beratungsthemen in der pädiatrischen Reisemedizin
EXPERTE: Dr. Johann Sommer
Dr. Sommer & Dr. Schacherl Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde OG, Wien, reisemedizin.at
4 Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie Mai 2023 © privat
© shutterstock.com/Yuganov Konstantin
5 Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie Mai 2023
Baby- und Kinderhaut effektiv vor der Sonne schützen
kann es nötig sein, die Kinder ab und an zusätzlich mit geeigneten Hautpflegeprodukten einzucremen. Außerdem verfärben mineralische Sonnencremen die Kleidung oftmals gelb und lassen sich schwer auf der Haut verteilen. Dennoch gilt: Sie belasten die Babyhaut in den ersten Lebensmonaten weniger als Sonnencremen mit physikalischen Filtern“, so Dr.in Jahn-Bassler.
Sonnenschutz im Babyalter
Die Haut vergisst nicht. Sonnenbrände, die oft viele Jahrzehnte zurückliegen bzw. in der Kindheit passiert sind, stehen später einmal mit einem besonders hohen Hautkrebsrisiko in Verbindung. Studien bestätigen zudem den Zusammenhang zwischen Sonnenbränden in der Kindheit, der Anzahl von Muttermalen und dem Auftreten eines malignen Melanoms – verstärkt durch eine (zu) intensive UV-Bestrahlung. Aus diesen Gründen ist der richtige Sonnenschutz bereits von Kindesbeinen an wesentlich. Worauf gilt es dabei zu achten?
Mineralischer vs. chemischer Sonnenschutz
Nun verfügt die menschliche Haut nicht von Geburt an über einen Eigenschutz gegen UV-Strahlen, dieser muss sich erst entwickeln. Die Haut von Babys und Kleinkindern hat grundsätzlich noch kein ausgeprägtes Reparatursystem für den Sonnenschutz ausgebildet. Daher ist sie UV-Strahlen gegenüber besonders empfindlich und folglich in hohem Maße schutzbedürftig – vor allem im ersten Lebensjahr. Denn gerade Babyhaut ist noch sehr dünn, da-
mit verletzlicher und weniger robust gegenüber irritativen Substanzen und Keimen. Außerdem hat sie im Vergleich zur Erwachsenenhaut eine größere Oberfläche im Verhältnis zum restlichen Körper. Somit nehmen Babys vergleichsweise mehr Chemikalien über die Haut auf. Da besagte Chemikalien oft in Sonnencremen enthalten sind, ist bei der Wahl des geeigneten Kindersonnenschutzes auf bestimmte Aspekte zu achten. „ Bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres sollten alle Eltern für ihre Kinder mineralische Sonnencremen mit Lichtschutzfaktor 50 verwenden, welche Wasserbeständigkeit und die Absorption des gesamten UV-Strahlenspektrums garantieren“, erklärt Dr.in Karin JahnBassler, Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Kinderarztpraxis Schumanngasse in Wien.
Weshalb? Mineralische Sonnencremen wirken physikalisch, indem sie die Sonnenstrahlen reflektieren bzw. brechen.
Demgegenüber wirken chemische Lichtschutzfilter in der Haut, indem sie Sonnenstrahlen absorbieren und beispielsweise deren Energie unterbrechen.
„L eider trocknen mineralische Sonnencremen die Haut meist aus. Daher
Eine weitere Besonderheit im Babyalter: Durch das Fehlen der Schweißdrüsenfunktion in den ersten Lebenswochen haben Babys eine erschwerte Thermoregulation. Sie können noch nicht richtig schwitzen. Sonnencremen können die Transpiration nun zusätzlich erschweren. Dr.in Jahn-Bassler: „Es ist entscheidend, Eltern darauf hinzuweisen, Babys in den ersten zwölf Lebensmonaten nur an unbedeckten Körperstellen einzucremen.“ Daraus ergibt sich auch die Wichtigkeit von Kopf-, Nacken- und Gesichtsbedeckung bzw. Kleidung (optimalerweise aus Baumwolle) zum Schutz vor Sonnenbestrahlung. „Babys und Kleinkinder unter einem Jahr sollten grundsätzlich nicht der direkten Sonne ausgesetzt werden, auf keinen Fall zwischen 12 und 15 Uhr. Der beste Schutz für sie sind immer noch Schatten und Kleidung. Das gilt übrigens auch für ältere Kinder und Erwachsene“, erklärt Dr.in Jahn-Bassler.
Sonnenschutz im Kindesalter
Nach dem ersten Lebensjahr – und sofern keine schweren Hauterkrankungen vorliegen – empfiehlt die Dermatologin alle gängigen Sonnenschutzprodukte für Kinder. „Da sich Kinder sehr viel bewegen, sollten Eltern auf jeden Fall einen photostabilen, gut verträglichen und multiresistenten – also wasser-, abrieb- und schwitzfesten – Sonnenschutz mit hohem
6 Mai 2023 Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie
© shutterstock.com/linavita
Was die sensible Haut der Jüngsten während der bevorstehenden Sommermonate braucht
Lichtschutzfaktor (LSF 50) verwenden. Sonnencremen sollten etwa 30 Minuten vor dem Aufenthalt im Freien aufgetragen werden; das Eincremen ist alle zwei Stunden zu wiederholen – insbesondere nach dem Kontakt mit Wasser, selbst bei wasserfester Sonnencreme.“
Sonnenschutz von innen
Eltern, die neben den genannten Sonnenschutzvorkehrungen bzw. Verhaltensregeln bei ihren Kindern zusätzlich auf Nummer sicher gehen möchten, stehen seit Kurzem auch orale Sonnenschutz- bzw. Photoimmunschutzpräparate zur Verfügung. Die darin enthaltenen natürlichen Antioxidantien unterstützen das hauteigene Immunsystem von Kindern ab vier
Jahren, indem sie den Schutz vor freien Radikalen erhöhen. Diese entstehen durch Sonneneinstrahlung und Umwelteinflüsse bei verschiedenen Stoffwechselprozessen. Insbesondere der in den Präparaten enthaltene Wirkstoff Polypodium Leucotomos (PLE), ein natürlicher Extrakt, der aus einer in Südamerika heimischen Farnpflanze gewonnen wird, kann – vor dem Sonnenaufenthalt oral eingenommen – zur Verhinderung bzw. Minimierung bestimmter Hautprobleme, darunter auch Sonnenbrand, beitragen. „Wichtig ist, Eltern klar zu vermitteln, dass orale Sonnenschutzpräparate keinesfalls ein Ersatz für andere Sonnenschutzverhaltensregeln sind. Sie stellen einen zusätzlichen Schutz dar, z. B. für Kinder mit Sonnenallergie oder bestimmten Hautproblemen. Das A und O bleiben die Verwendung von Sonnencremen mit Lichtschutzfaktor 50, das Nachcremen und das Meiden der direkten Sonneneinstrahlung zwischen 12 und 15 Uhr“, hebt Dr.in Jahn-Bassler in diesem Kontext hervor.
Dermatologische Kontrolle
Neben der Vermittlung und Aufklärung in puncto geeigneter Sonnenschutzmaßnahmen ist es außerdem wesentlich, Eltern auf dermatologische Kontrolluntersuchungen hinzuweisen. Denn gerade in der Hautkrebsvorsorge ist die Früherkennung der Schlüsselfaktor für eine im Bedarfsfall effektive Therapie. „ S ollte ein Kind bereits bei der Geburt eine auffällige Hautläsion haben, empfehle ich Kontrollen ab der Geburt; bei positiver Familienanamnese in Bezug auf Melanome schon als Kleinkind, wenn sich die ersten Muttermale entwickeln. Spätestens ab dem Volksschulalter ist es essenziell, Kinder proaktiv dazu zu animieren und zu motivieren, auf die eigene Hautgesundheit und den geeigneten Sonnenschutz zu achten – ähnlich wie beim Zähneputzen“, so Dr.in Jahn-Bassler abschließend.
Lisa
Beim Spielen vergessen Kinder die Welt. Doch die Haut vergisst nie. Anders als Schürfwunden sind sonnenbedingte Hautschäden weniger sichtbar, dafür nachhaltiger und über die Zeit oft irreparabel. Polypodium leucotomos, eine südamerikanische Farnpflanze, enthält wertvolle, antioxidative Verbindungen und ist die Basis der patentierten SonnenschutzTechnologie in Heliocare.
Die neuen Heliocare 360°
Junior Oral Sticks ergänzen die tägliche Sonnenschutz-Routine und helfen Kinderhaut, sich vor Schäden durch UV-Strahlen zu schützen. Ohne Wasser leicht zu schlucken und mit Orangengeschmack!
ORAL
HELIOCARE 360°
Junior Oral Sticks
• Nahrungsergänzungsmittel mit Polypodium leucotomos Extrakt
• Kann direkt ohne Wasser
eingenommen werden
• Empfohlen ab 4 Jahren
KÖRPERSPRAY
HELIOCARE 360°
Pediatrics Atopic
Lotion Spray SPF 50
GESICHT UND DEKOLLETÉ
HELIOCARE 360°
Pediatrics
Mineral SPF 50+
Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie
© Jahn Jörg
heliocare.at
NEU!
Nahrungsergänzungsmittel stellen keinen Ersatz für abwechslungsreiche Ernährung dar. Empfohlene tägliche Verzehrmenge nicht überschreiten.
Türk, BA
EXPERTIN: Dr.in Karin JahnBassler Fachärztin für Hautund Geschlechtskrankheiten in Wien
Damit das Bett nachts trocken bleibt ...
Enuresis: Die kinderurologische Abklärung ist das A und O
Einnässen ist ein Symptom, mit dem Kinder häufig in der Ordination vorgestellt werden. Immerhin 15 % aller Fünfbis Sechsjährigen sind Bettnässer, und ca. 5 % der siebenjährigen Kinder nässen nachts regelmäßig ein. In ganz Österreich gibt es rund 70.000 Kinder und Jugendliche, die dieses Problem haben. Seit Ende der Pandemieeinschränkungen kommen immer mehr ältere Kinder und Jugendliche zwischen dem neunten und elften Lebensjahr in unsere Enuresisambulanz. Die Jugendlichen hatten leider während der Pandemie andere Probleme zu lösen. Umso älter die Enuresispatientinnen und -patienten sind, desto schwieriger ist es, sie zu behandeln, da die Compliance oft fehlt. Wir müssen die Jugendlichen vor allem in der Ambulanz motivieren, die Therapie fortzusetzen, da es einige Zeit dauert, bis diese greift. Umso wichtiger ist es, ein gutes Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Physiotherapie, der Diätologie, der Psychologie, der Urologie und Kinderchirurgie zu haben, um unterschiedliche Diagnostiken und Therapiemöglichkeiten anzubieten.
Pathogenetische Zuordnung
Entgegen früheren Annahmen weiß man heute, dass das Bettnässen bei der überwiegenden Zahl der Fälle nicht die
Folge einer psychischen Störung ist, sondern die einer multifaktoriellen Verzögerung des Reifungsprozesses der Blasenfunktion, der zyklischen Ausschüttung des ADH und des Schlaf-aufwach-Mechanismus. Wesentlich ist die Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern, die ebenfalls mit dem Einnässen (auch am Tag) einhergehen können. Besonders häufig liegen Harnwegsinfekte, eine falsch eingelernte Blasenentleerung, Obstipation und neuropsychiatrische Krankheitsbilder wie ADHS vor. Aber auch angeborene Veränderungen des harnableitenden Systems, etwa vesikoureteraler Reflux, infravesikale Obstruktion, Meatusstenose oder Phimose, können dem Harnverlust zugrunde liegen.
Die Basisdiagnostik umfasst die Untersuchung des Genitales, den Harnbefund, die Sonographie der Nieren und der Harnblase sowie die Bestimmung des Restharns. Bei Kindern, die nach der Basisdiagnostik unauffällig sind, ist eine korrekte Zuordnung zu monosymptomatischer Enuresis, nicht monosymptomatischer Enuresis und kindlicher Harninkontinenz (Tagesinkontinenz) entscheidend für den Therapieerfolg – siehe Nomenklatur der International Children’s Continence Society. Immerhin ca. 20 % zeigen Tagessymptome wie vermehrten Harndrang, Pollakisurie etc. Die sorgfältige Anamnese, die klinische Untersuchung, Miktionsprotokolle und die genannte Basisdiagnostik erlauben meist eine pathogenetische Zuordnung,
ohne dass invasive diagnostische Maßnahmen erforderlich werden.
Mehrstufige Therapie
In den letzten Jahrzehnten ist die Zahl der Therapiemöglichkeiten bei Enuresis und kindlicher Harninkontinenz deutlich gestiegen. Beigetragen haben dazu moderne verhaltenstherapeutische Verfahren, aber auch zahlreiche Medikamente wie Desmopressin und Anticholinergika sowie technische Entwicklungen, z. B. Biofeedback.
Die Behandlung des einnässenden Kindes findet in der Regel in mehreren Stufen statt. Zunächst erfolgt eine Urotherapie. Sie besteht aus verschiedenen verhaltenstherapeutischen Methoden zur Behandlung von Stuhl- und Harninkontinenz. Wesentliche Bestandteile der Standardurotherapie sind die Vermittlung von Informationen an die Patientin bzw. den Patienten und die Eltern über die Entwicklung und Funktion der Harnblase und der Blasenentleerung, eine Anleitung zu einem optimalen Miktionsverhalten sowie Empfehlungen bezüglich einer ausgewogenen Ernährung und eines optimalen Trinkverhaltens. Die Mehrzahl der Kinder muss jedoch zumindest einer weiteren Therapiestufe zugeführt werden. Nach Marschall-Kehrel et al. werden etwa 16 % der Enuretiker bereits durch Urotherapie trocken. Komorbide Störungen wie Obstipation müssen entweder vor der Urotherapie oder begleitend dazu behandelt werden. Neben einer
8 Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie Mai 2023
© privat
GASTAUTORIN:
OÄ Dr.in Katja Canigiani de Cerchi Abt. für Kinder- und Jugendchirurgie, Klinik Donaustadt, Wien
© zVg
Abb. 1: Phimose. Abb. 2: Vesikoureteraler Reflux – prä- und postoperative Miktionszystourographie nach Ostiumunterspritzung.
ausführlichen Anamnese bzw. einem ausgefüllten Stuhlprotokoll kann eine Abdomensonographie und Messung des Rektumquerdurchmessers zusätzliche Informationen über die vorliegende Obstipation liefern. Bei einer Verstopfung werden mit den Eltern und den betroffenen Patienten eine medikamentöse Therapie und eine gültige Ernährungsempfehlung besprochen.
Insgesamt muss den Eltern bei allen Therapiemöglichkeiten klargemacht werden, dass eine Behandlung bis zu zwei Jahre, in Einzelfällen auch länger dauern kann. Dies erfordert somit eine hohe Compliance von Eltern und Kind, um eine langanhaltende Kontinenz zu erreichen.
Ursachenzentriert vorgehen
Es ist nochmals zu betonen, dass jedes Kind, das mit dem Symptom des Bettnässens zum Arzt gebracht wird, hinsichtlich anderer Ursachen abgeklärt werden muss – in unserem Krankenhaus betreffen diese über 20 % der Patienten mit einer kindlichen Harninkontinenz. Sie reichen von neurologischen Ursachen wie Spina bifida über rezidivierende Harnwegsinfekte bis hin zu Urogenitaltraktfehlbildungen, z. B. dem vesikoureteralen Reflux, ektop mündenden Harnleitern, Harnröhrenklappen, Harnröhrenstrikturen, Meatusstenose, Phimose (siehe Abbildung 1) etc.
Bei Verdacht auf infravesikale Obstruktion sowie nach fieberhaften rezidivierenden symptomatischen Harnwegsinfektionen sollte eine spezielle weiterführende kinderurologische Diagnostik mit Miktionszystourographie (MCU), Uroflowmetrie und Urethrozystoskopie in einer spezialisierten Klinik für Kinderchirurgie/Kinderurologie erfolgen. In einigen Fällen können die Ursachen des „Harnverlierens“ nur durch einen operativen Eingriff behoben werden. Bei Vorliegen eines vesikoureteralen Refluxes ist das Ziel der Behandlung der Schutz der Nieren vor Infektionen und Parenchymabbau. Nach Möglichkeit soll unter konservativer Therapie (antibiotische Harnwegsinfektprophylaxe) eine Maturation, also die Verstärkung der fibromuskulären Strukturen der Blase, abgewartet werden. Die Indikation zur Art der Behandlung ergibt sich vor allem aus dem Refluxgrad, dem Alter des Kindes und der Entwicklung der renalen Funktion. Neben der konservativen Behandlung kann ohne viel Aufwand die endoskopisch submuköse Ostiumunterspritzung durchgeführt werden (siehe Abbildung 2). Viele Patienten mit kindlicher Harninkontinenz werden über einen langen Zeitraum erfolglos als Bettnässer behandelt, und das eigentliche zugrundeliegende Problem ist noch nicht einmal diagnostiziert worden. Die „vorschnelle“ Gabe eines Medikamentes ohne vorausgegangene kinderurologische Abklärung ist strikt abzulehnen.
An der Kinder- und Jugendchirurgischen Abteilung Klinik Donaustadt findet jeden Mittwoch eine kinderurologische Spezialambulanz von 9:30 bis 13:00 Uhr statt. Terminvergabe möglich unter: 01/28802-4350 oder -4402
9 Mai 2023 Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie
> INFO
Über tausend Studien …
… über die ersten Zähnchen
Was haben das vermeintliche „Zahnfieber“ und andere beunruhigende Symptome wirklich mit dem Zahnen zu tun? Mit dieser Frage hat sich eine Gruppe brasilianischer Wissenschafter in einer groß angelegten Metaanalyse befasst.1 Dafür sichteten sie insgesamt 1.179 Publikationen zum Thema Zahnen und es bestätigte sich: 70,5 Prozent aller Babys zeigten beim ersten Zahndurchbruch Symptome oder Auffälligkeiten. Am häufigsten waren Rötungen des Zahnfleisches, Unruhe und vermehrter Speichelfluss. Hinzu kamen Durchfall, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Schnupfen, vereinzelt auch Veränderungen der Haut im Gesicht sowie Erbrechen. Wenn mehrere Zähne gleichzeitig durchbrachen, wurden mehr Beschwerden berichtet. Was das vermeintliche „Zahnfieber“ und seine Folgen betrifft, gaben die Studienautoren hingegen Entwarnung: Der Zahndurchbruch führte
zwar schon häufiger zu einem leichten Temperaturanstieg, jedoch nur selten zu Fieber über 38 Grad. Wenn Kinder höheres Fieber oder ernstere Beschwerden hätten, gelte es daher, auch an andere krankmachende Ursachen als das Zahnen zu denken und einen Kinderarztbesuch zu empfehlen – so das Resümee.
Was kann man Eltern raten?
Bei den typischen Zahndurchbruchsymptomen hingegen können verschiedene Präparate aus der Apotheke und nichtmedikamentöse Maßnahmen Linderung bringen:
Zahnende Babys brauchen oft intensivere Zuwendung und wollen an etwas herumkauen können. Mit Wasser gefüllte und gekühlte Beißringe eignen sich besonders gut dazu. Oft hilft es auch, die Zahnleiste des Kleinen mit dem Finger zu massieren.
Flüssige Zahnungsmittel aus der Apotheke enthalten betäubende Substanzen sowie entzündungshemmende und schmerzlindernde Wirkstoffe, meistens allerdings auch Alkohol. Eine gute Alternative können Zahngels auf pflanzlicher Basis sein, z. B. mit Kamillen-, Nelken-, Salbei- und Pfefferminzöl oder Propolis.
Auch homöopathische Arzneien sind bei Eltern beliebt, z. B. Zahnkügelchen mit Chamomilla recutita, Magnesium phosphoricum, Calcium carbonicum und Ferrum phosphoricum oder Zäpfchen mit homöopathischen Bestandteilen und Chamomilla.
Fieberzäpfchen sollten möglichst nur nach Rücksprache mit dem Arzt gegeben werden.
Literatur:
1 Massignan C et al., Signs and Symptoms of Primary Tooth Eruption: A Meta-analysis. Pediatrics. 2016 Mar; 137:e20153501.
Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie
PA/KaM
© shutterstock.com/Sergey Pekar
Dem Leben gewachsen
Eine frühe multidisziplinäre Mehrbereichsbetreuung kann das Outcome bei Menschen mit Prader-Willi-Syndrom verbessern
Als genetisch bedingte Erkrankung ist das Prader-Willi-Syndrom (PWS) die häufigste Form der syndromalen Adipositas. Seine Prävalenz wird mit 1 : 15.000 bis 1 : 30.000 angegeben. Ursächlich ist ein fehlender respektive ein nicht aktivierter Genabschnitt am Chromosom 15. Dieser funktionell inaktive Genabschnitt führt zu Störungen der Regulationsmechanismen im hypothalamischhypophysären Steuerungsbereich, wo auch die Hunger- und Sättigungsregulationszentren lokalisiert sind. Neben der extremen Adipositas geht die hypothalamisch-hypophysäre Dysfunktion mit hormonellen Fehlfunktionen einher, welche die Wachstumshormonsekretion, aber auch die Sekretion der Schilddrüse und der Nebennieren sowie die Funktion der Gonaden betreffen können. Zusätzlich zu den hormonellen Problemfeldern treten häufig auffällige emotionale und kognitive Verhaltensmuster auf.
Altersspezifisch: das klinische Bild
Die Folgen der fehlerhaften Genexpression sind vielfältig und können bei Betroffenen in unterschiedlicher Weise – abhängig vom Alter – zum Vorschein kommen. Bereits pränatal fällt das PWS durch eine verminderte fetale Aktivität und häufig durch eine abnormale Kindslage auf –viele Kinder werden aus Beckenendlage geboren. Zu den klinischen Hauptmerkmalen im Säuglingsalter zählt eine ausgeprägte Hypotonie mit einer anfänglich erheblichen Trinkschwäche und einer dadurch bedingten Gedeihstörung. In der Neonatologie stellt das PWS eine wichtige Differentialdiagnose dar: „ Bei schwerer neonataler Hypotonie sollte stets an ein PWS gedacht und eine molekular-
genetische Untersuchung veranlasst werden“, empfiehlt MR Dr. Hannes Mühleder, Leiter der PWS-Ambulanz an der Universitätskinderklinik Salzburg und Medizinischer Beirat bei PWS AUSTRIA*, die möglichst frühzeitige basale Abklärung der Symptomatik. Die Diagnose kann anhand einer genetischen Untersuchung inklusive einer methylierungssensitiven PCR (Methylierungstest) gestellt werden. Ungefähr ab dem zweiten Lebensjahr werden die Kinder zunehmend kräftiger – der Verlauf der motorischen Entwicklung bleibt jedoch verzögert. Im dritten Lebensjahr entwickelt sich häufig ein übermäßiges, zwanghaftes Hungergefühl. Dieses impliziert das Risiko einer Adipositas und nachfolgender Komplikationen, etwa eines Diabetes mellitus und kardiopulmonaler Erkrankungen. Die fehlende
12 Mai 2023 Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie
© shutterstock.com/marikun > © privat
EXPERTE: MR Dr. Hannes Mühleder Leiter der PWSAmbulanz an der Universitätskinderklinik Salzburg und Medizinischer Beirat bei PWS AUSTRIA
Hausärzt:in DIALOG Pädiatrie
Hormonfreisetzung im Hypothalamus beeinflusst auch andere hormonproduzierende Drüsen wie die Schilddrüse, die Nebennieren und die Keimdrüsen. Oft besteht ein Hypogonadismus, der sich meist als genitale Hypoplasie, als unvollständige Pubertätsentwicklung und in vielen Fällen als Unfruchtbarkeit manifestiert.
Zeitige Wachstumshormontherapie ratsam
Bislang steht keine kausale medikamentöse Therapie zur Verfügung – die medizinische Betreuung erfolgt rein symptomatisch. „ Entscheidend ist es, von Beginn an adäquate Betreuungsschienen aufzubauen“, ermutigt MR Mühleder zu interdisziplinärer Zusammenarbeit. Eine wesentliche therapeutische Maßnahme stellt der Einsatz von rekombinantem Wachstumshormon dar. Neuesten Empfehlungen zufolge sollte die Behandlung nicht – wie ursprünglich postuliert – mit Ende des zweiten Lebensjahrs gestartet werden, sondern so früh wie möglich. „ Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, mit der Wachstumshormontherapie zwischen dem dritten und vierten Lebensmonat zu beginnen“, sagt MR Mühleder.
IM ÜBERBLICK
Das Prader-Willi-Syndrom in seiner Symptomatik
Klinische Hauptbefunde
Pränatal: verminderte Kindsbewegungen, häufig abnorme Kindslage
Säuglingsalter: ausgeprägte Muskelhypotonie sowie Trinkschwäche und Gedeihstörung
Kindesalter: meistens Entwicklung einer Hyperphagie, die zu einer Adipositas führen kann
Weitere häufige Merkmale
Kleinwuchs, kleine Hände und Füße, sich distal verschmälernde Finger, Skoliose
Hypogonadismus und Hypogenitalismus
charakteristische Gesichtsmerkmale: schmale Stirn, nach unten gebogene Mundspalte, mandelförmige Augen, häufig blaue Augen, Strabismus
Entwicklungsauffälligkeiten: mentale Retardierung (mild bis moderat)
Verhaltensauffälligkeiten: Wutanfälle, Sturheit und übermäßiges Hautkratzen
Theoretisch könne man schon mit dem zweiten Lebensmonat starten, jedoch sei das in der Praxis nur schwer umsetzbar. „ Die Patientinnen und Patienten müssen zuvor im Schlaflabor auf Anzeichen einer Verengung der Atemwege oder auf einen nächtlichen Atemstillstand untersucht werden“, erklärt der Pädiatrische Endokrinologe. Ihm zufolge kann sich eine unbehandelte obstruktive Schlafapnoe unter Wachstumshormontherapie verschlechtern. Die Vorteile einer im Säuglingsalter initiierten Wachstumshormontherapie gehen über ihren auxologischen Nutzen hinaus. „Neben dem positiven Einfluss auf das Längenwachstum hat diese auch förderliche Auswirkungen auf die Körperzusammensetzung der Patientinnen und Patienten“, so der Mediziner. Durch die anabole Wirkung kommt es zu einer Abnahme des Körperfetts bei gleichzeitiger Stabilisierung der fettfreien Körpermasse. Die Muskulatur der Betroffenen wird stärker – folglich verbessern sich auch die motorischen Aktivitäten und die Leistungsfähigkeit im Allgemeinen. „ Fehlende Schluckund Saugreflexe erfordern in den ersten Lebenswochen oftmals eine Sondenernährung“, nennt MR Mühleder eine medizinische Notwendigkeit in 95 Prozent aller Fälle. „Ich habe es wiederholt erlebt, dass betroffene Kinder bei frühem Therapiebeginn rascher von der Magensonde wegkommen“, berichtet er aus seiner Praxis. In späteren Lebensjahren trete bei wachstumsbehandelten Patientinnen und Patienten außerdem weniger oft Adipositas auf – im Vergleich zu unbehandelten Betroffenen.
Hyperphagie: erhöhtes Adipositasrisiko
Fehlende Appetitsteuerung stellt bei den meisten Erkrankten ein wesentliches Problem im Alltag dar. Jedoch gilt es zu differenzieren: „Betroffene mit einer Deletion sind grundsätzlich anfälliger für diese extreme Esssucht als solche mit uniparentaler Disomie“, informiert MR Mühleder. Bei etwa 70 Prozent der Personen mit PWS findet sich eine Deletion am paternalen Chromosom 15, die überwiegend de novo entsteht. Circa 25 Prozent der
Erkrankten haben eine maternale uniparentale Disomie 15 – beide Chromosomen 15 werden demnach von der Mutter vererbt.
Der Hunger der Patientinnen und Patienten ist kein pädagogisches Problem, sondern vielmehr ein biologisches. Hinzu kommt eine eher unsichere, kindliche Persönlichkeitsstruktur, mit der ein erhöhtes Grundbedürfnis nach Essen einhergeht. „ Menschen mit PWS brauchen eine klare Mahlzeitenstruktur, auf die sie sich verlassen können“, hebt der Endokrinologe den Stellenwert eines guten Essensmanagements hervor. Essen solle möglichst zu bestimmten Zeiten an einem bestimmten Platz stattfinden und weder zur Bestrafung noch zur Belohnung dienen.
Bis heute gibt es keine ätiologische Therapie, die das mangelnde Sättigungsgefühl beeinflussen kann. „Wir setzen eine gewisse Hoffnung in GLP-1-Rezeptoragonisten, die offenbar das Hungergefühl reduzieren und günstig auf den Zuckerstoffwechsel wirken“, spricht der Mediziner über aktuell laufende Forschungsstudien. Insgesamt sind in allen Phasen des PWS symptomatische Fördermaßnahmen wie Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie indiziert. Durch ein Zusammenspiel sämtlicher Interventionsmaßnahmen lässt sich die Erkrankung in gute Bahnen lenken.
Mag.a Sylvia Neubauer
* Österreichische Gesellschaft Prader-Willi-Syndrom.
Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Humangenetik. Molekulare und cytogenetische Diagnostik bei Prader-WilliSyndrom und Angelman-Syndrom. AWMF-Leitlinie
Nr. 078-010, Stand: 2020.
Deal CL et al., Growth Hormone Research Society
Workshop Summary: Consensus Guidelines for Recombinant Human Growth Hormone Therapy in Prader-Willi Syndrome. J Clin Endocrin Metab. 2013 Jun;98(6):E1072-87.
14 Mai 2023
Die Vorteile einer im Säuglingsalter initiierten Wachstumshormontherapie können über ihren auxologischen Nutzen hinaus gehen.
Fachkurzinformation siehe Seite 18