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Das Atomphantom als Klimaretter?“
Ein Expertenkommentar zu umweltmedizinischen Aspekten der Kernenergie
FOKUS UMWELT
Dr. Piero Lercher, Umweltmediziner und ÖÄK-Referent für Umweltmedizin.
Aktuell sind wir mit einer Teuerungsrate, einer hohen Inflation, den Folgen einer Pandemie und diversen Kriegen und Konflikten – leider auch in nächster Nähe – konfrontiert. Dazu gesellt sich ein Klimawandel, der sich längst als Klimakrise manifestiert hat. Es erwartet uns eine „strahlende“ Zukunft, denn gerade die Klimaschutzdebatte hat zu einer Renaissance der Kernenergie geführt. So wird auch die Atomkraft von der Europäischen Kommission als grüne und umweltfreundliche Energieform eingestuft. Achtung – spätestens jetzt gilt es, wieder den Vernunftschalter umzulegen: Wollen wir wirklich die Büchse der Pandora öffnen?
Radioaktive Freisetzung
Betrachtet man den gesamten Ablauf – vom Uranabbau bis zur Endlagerung des Atommülls –, so führt der dafür notwendige Ressourcen- und Energieeinsatz die Klimafreundlichkeit ad absurdum. Was den Umgang mit dem radioaktiven Abfall betrifft, wird eine enorme Interpretationsplastizität der Gesetzestexte angewandt. Beispielsweise spült die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague jeden Tag ca. 400 Kubikmeter radioaktives Abwasser durch ein viereinhalb Kilometer langes Rohr in den Ärmelkanal. Ganz legal. Denn der Vertrag von 1993 verbietet nur, dass Fässer mit Atommüll im Meer versenkt werden. In Kürze will auch Japan riesige Mengen radioaktives Kühlwasser aus der Atomruine Fukushima ins Meer leiten. Dort fallen pro Tag unvorstellbare 140 Tonnen an verstrahltem Wasser an. Aufgrund der spärlichen Datenlage sind die Folgen für die Meeresökologie und die Nahrungskette unbekannt. Ein Umstand, der nur wenigen bewusst ist: Auch Binnenländer wie Österreich haben ein Anrecht auf Unversehrtheit und Schutz internationaler Gewässer, denn Radioaktivität kennt keine Grenzen.
Bedrohungsszenarien im Krieg
Die Nuklearkatastrophe von Fukushima war das folgenschwerste Atomunglück seit dem Unfall in Tschernobyl im Jahr 1986. Inzwischen sind seit dem Tschernobyl-Super-GAU mehr als 35 Jahre vergangen. Während aufgrund der jahrzehntelangen Latenzzeiten nach wie vor über die Langzeitfolgen kontroversiell diskutiert wird, hat sich die unbewohnbare Sperrzone mittlerweile auf 4.300 Quadratkilometer ausgedehnt. Die Wolken mit dem radioaktiven Fallout haben sich damals über weite Teile Europas und der nördlichen Hemisphäre verteilt, immer noch sind landwirtschaftliche Flächen und Waldgebiete radioaktiv belastet. Die Ukraine unterhält an vier Standorten Atomkraftwerke mit insgesamt 15 Druckwasserreaktoren, wobei das AKW Saporischschja mit sechs Reaktoren das größte in ganz Europa ist. In Tschernobyl sind zwar alle Reaktoren stillgelegt, der schützende Sarkophag über dem Unglücksreaktor stellt aber eine vulnerable Struktur dar. Die AKWs im Konfliktgebiet können jederzeit durch Querschläge oder fehlgeleitete Raketen beschädigt, wichtige Sicherheits- und Versorgungsinfrastruktur durch Kampfhandlungen beider Konfliktparteien funktionsunfähig gemacht werden.
Fracking als potienzielle Gefahr
Auch die – wegen der sich zuspitzenden Gaskrise erneut entfachte – Diskussion, mittels Frackings die Förderung von Gas aus Tausenden Metern Tiefe zu ermöglichen, muss ernsthaft hinterfragt werden. Und zwar unabhängig davon, ob Chemikalien oder eine „umweltschonendere“ Methode angewandt wird. Aufgrund der potenziellen Gefahr, Mikroerdbeben zu provozieren, gibt es in vielen Ländern mittlerweile ein Frackingverbot. In Kenntnis der in Österreich für das Fracking vorgesehenen Gebiete muss hinsichtlich der tektonischen Folgen auf ein apokalyptisch anmutendes Gefährdungspotential hingewiesen werden: Den allerwenigsten mag bekannt sein, dass im Jahr 2011 der Beschluss für ein atomares Endlager in Mochovce und für ein atomares Integrallager in Trnava unweit der österreichischen Grenze gefasst wurde.1 Die Folgen einer Freisetzung der dort gelagerten radioaktiven Stoffe durch ein Erdbeben würden ein Einzugsgebiet von mehreren Millionen Menschen in und um Österreich betreffen.
Gesundheitsverantwortung
Fatal sind die gesundheitlichen, ökologischen und sozioökonomischen Folgen, wenn sich eine nukleare Katastrophe im Umfeld von Millionenmetropolen ereignet. Man denke hier auch an die potenziellen Gefährdungen durch die technisch veralteten Kraftwerke in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Slowenien, die teilweise keine hundert Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt sind. Was nützen die beste medizinische Versorgung und das beste medizinische System, wenn Menschen ihren Lebensraum vernichten oder lebensfeindlich machen? Auch die Flucht auf andere Planeten und Galaxien ist keine Lösung beziehungsweise wird diese nur wenigen Menschen möglich sein.
Es ist daher nicht nur ein rasches Umdenken, sondern auch ein rasches Handeln gefordert. Letztendlich sind Maßnahmen notwendig, die das Umwelt- und Klimabewusstsein stärken, sei es durch Motivation, sei es durch empfindliche Strafen und Sanktionen bei Nichtbefolgung. Dass die Atomenergie als geeignete klimaschützende Alternative angepriesen wird, ist mittlerweile unvertretbar. Nach wie vor ist die Frage nach der atomaren Endlagerung weltweit ungeklärt, es gibt keine Versicherungen für Kernkraftbetreiber und keine verbindliche Rechtssicherheit in Haftungsfragen bei Katastrophenfällen für Betroffene. Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernkrafttechnologie ist daher unabdingbar und muss umgehend erfolgen. Hinsichtlich der Energiegewinnung ist ein Umstieg auf umweltfreundliche, nachhaltige Energieformen empfohlen und es muss endlich offen angesprochen werden, dass von politischer und gesellschaftlicher Seite auch das Energiesparen forciert werden sollte. Es sei explizit nochmals darauf hingewiesen, dass Atomkraft wegen der technischen Unbeherrschbarkeit keine umweltschonende Energieform darstellt, welche gefördert werden sollte. Atomenergie ist zudem aufgrund der Irreversibilität bei Unfällen im Sinne der generationsübergreifenden Gesundheitsverantwortung gänzlich abzulehnen. <
Referenz: 1 Umweltbundesamt: UVP Endlager Standort Mochovce, umweltbundesamt.at/ uvpendlager-emo (abgerufen am 17.8.22).
TIPPS FÜR BESORGTE PATIENT:INNEN
Vorbereitung für den Fall einer Nuklearkatastrophe
Einen Vorrat an lagerfähigen Lebensmitteln und Getränken anlegen, erwachsene Personen sollten pro Tag bis zu drei Liter Wasser trinken können. Die Hausapotheke auf Vollständigkeit prüfen. Hygieneartikel beschaffen. Wichtige Dokumente und Unterlagen griffbereit in einer Mappe in einem Rucksack für den Bedarfsfall bereithalten. Bargeld (auch in kleinen Scheinen) vorrätig halten. Sich erkundigen, wo es einen möglichen Schutzraum gibt, für die
Einrichtung eines Schutzraumes gibt es Fördermöglichkeiten.
Was im Ernstfall zu tun ist
Ruhe bewahren. Aufenthalte im Freien meiden, Fenster und Türen verschlossen halten oder – falls möglich bzw. vorhanden – einen Schutzraum aufsuchen. Vorsicht, bei Frischgemüse und Obst – auch aus dem Garten – besteht Kontaminationsgefahr. Die Atemwege mit einer speziellen Schutzmaske, behelfsmäßig mit einer FFP3-Maske, schützen – diese später entsorgen. Einen Schutzanzug tragen und den Haushalt bzw. den Schutzbereich nicht mit kontaminierter Bekleidung betreten. Kaliumjodidtabletten schützen speziell die Schilddrüse vor der
Aufnahme radioaktiver Jodpartikel, sind jedoch nur unter speziellen
Bedingungen indiziert und auch nur für spezielle Personen geeignet.
Weiterführende Informationen:
Strahlenschutzratgeber des Bundesministeriums für Inneres: bmi.gv.at/204/Download/files/007_Strahlenschutzratgeber.pdf
In der EU entwickelt und hergestellt
VLA2001: der erste inaktivierte COVID-19-Ganzvirusimpfstoff
Am 29. August gab Valneva die Auslieferung seines inaktivierten COVID-19Ganzvirusimpfstoffs in Österreich bekannt. Dieser ist in der Europäischen Union zur Verwendung als Erstimpfung bei Menschen im Alter von 18 bis 50 Jahren zugelassen und für berechtigte Stellen über das Portal der Bundesbeschaffungs GmbH (BBG) abrufbar. Bei VLA2001 handelt sich nicht nur um den einzigen inaktivierten COVID-19-Ganzvirusimpfstoff, sondern auch um das erste Coronavakzin mit Standard-Marktzulassung in der EU. Die Technologie basiert auf Valnevas bereits zugelassenem Impfstoff gegen Japanische Enzephalitis kombiniert mit zwei Wirkverstärkern. Die Phase-3-Studie zeigte, dass das Vakzin eine Immunreaktion gegen das SpikeProtein auslöste und außerdem gegen die M- und N-Proteine, welche (bisher in der Pandemie) weniger anfällig für Mutationen sind. Der COVID-19-Impfstoff kann im Kühlschrank (2 bis 8° C) gelagert werden. Nach dem Öffnen der Ampulle kann VLA2001 sechs Stunden lang verwendet werden. Nähere Informationen zur europäischen Zulassung finden Sie unter: covid19-vaccine-valneva.com
Quelle: Valneva Austria GmbH
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Awareness-Monat Blutkrebs
Innovative Therapien erhöhen die Chancen auf langes Überleben bei guter Lebensqualität

Der Monat September steht ganz im Zeichen von Leukämien, Lymphomen und dem Multiplen Myelom. Aus diesem Anlass lud der Verein „Leben mit Krebs“ am 30. 8. zu einem Pressefrühstück in Wien. Im Fokus der Expert:innen-Vorträge standen innovative Therapien der chronisch lymphatischen Leukämie (CLL) und des Multiplen Myeloms. Zwei Beispiele: Moderne Inhibitoren blockieren bei Patienten mit CLL bestimmte Proteine, die für das Wachstum und Überleben der Krebszellen zuständig sind. Aufgrund überzeugender Studienergebnisse kommen sie zunehmend bereits als Erstlinientherapie zum Einsatz. Beim Multiplen Myelom ist die CAR-T-Zell-Therapie eine innovative Option – eine Immuntherapie, bei der den Betroffenen T-Zellen entnommen werden. Diese werden vermehrt und genetisch so verändert, dass sie sich nach ihrer Wiedereinbringung in den Körper gegen Myelomzellen richten und diese eliminieren können. Tipp: Am 26. 9. lädt der Verein zu einem Infoabend „Hämatologie“ in Wien. Auf der Website leben-mit-krebs.at finden sich Infos dazu. Die Vorträge werden nach der Veranstaltung online gestellt.

Quelle: Verein „Leben mit Krebs“