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Die ersten drei Lebensjahre sind entscheidend
Wachstumshormonmangel bei Kindern – (Be-)Handlungsbedarf, Diagnose und Therapie
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Wenn Kinder nicht ausreichend wachsen, kann das multiple Ursachen haben. In manchen Fällen ist ein Wachstumshormonmangel (Growth Hormone Deficiency – kurz GHD) für den Kleinwuchs verantwortlich. Um die Awareness für die Krankheit zu steigern, findet weltweit am 20. September der International Child Growth Day statt. Organisiert wird die Veranstaltung von der International Coalition of Organizations Supporting Endocrine Patients (ICOSEP).
Kleinwuchs – ab wann?
Wann spricht man nun konkret von Kleinwuchs? Im Zusammenhang mit Wachstumshormonmangel geben Geburtsgröße und -gewicht grundsätzlich noch keinen Hinweis auf die Erwachsenengröße (Adult Height – kurz AH). Denn der Mensch wächst zunächst nur zum Teil abhängig vom normalen Wachstumshormon (Somatotropin). Erst im Laufe seiner Entwicklung nimmt die wechselseitige Abhängigkeit von Längenwachstum und Somatotropin zu. „Ob ein Kind unzureichend wächst, lässt sich daher erst innerhalb der ersten drei Lebensjahre feststellen – und zwar dann, wenn es in der Perzentilenkurve deutlich kleiner als 97 Prozent seiner Altersgenossen ist. Das ist auch der Marker, bei dem niedergelassene Pädiater hellhörig werden und weitere Schritte in die Wege leiten sollten“ , erklärt Mag. DDr. Werner Schlegel, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und Hormonspezialist mit Ordination in Wien. Weitere Schritte stellen etwa nähere Abklärungen oder eine Überweisung an den Spezialisten dar.
EXPERTE: Mag. DDr. Werner
Schlegel Facharzt für Kinder- Behandlungsbeginn ab und Jugendheilkunde und Hormonspezialist viertem Lebensjahr in Wien Aufgrund der zunehmenden wechselseitigen Abhängigkeit von Längenwachstum und Somatotropin sehen die internationalen Guidelines bei
tatsächlich (!) vorliegendem Kleinwuchs erst ab dem vierten Lebensjahr einen Behandlungsbeginn vor. Auch bei SGA-Kindern (Short for Gestational Age; zu klein für das Gestationsalter), also Kindern, die zu klein zur Welt kommen, wartet man in puncto Therapie die ersten drei Lebensjahre ab. „Selbst wenn ein Kind am Ende des dritten Lebensjahres kleiner als seine Altersgenossen ist, gilt es zunächst, differenzialdiagnostisch vorzugehen und potenzielle weitere Ursachen für den Kleinwuchs auszuschließen. Das könnte etwa eine Schilddrüsenproblematik oder bei Mädchen ein Turner-Syndrom sein“ , so DDr. Schlegel. In vielen Fällen spiele auch der Druck seitens Eltern eine große Rolle. Wenn diese etwa glaubten, ihr Kind sei zu klein, obwohl das laut Guidelines und medizinischen Parametern gar nicht zutreffe.
Eindeutige Diagnose wesentlich
Bei Verdacht auf Wachstumshormonmangel und zwecks Treffsicherheit der Diagnose führt der Spezialist zunächst einen endokrinologischen Funktionstest durch, den sogenannten GHRH-Arginin-Test (GHRH für Growth Hormone -Releasing Hormone; Somatoliberin). Dieser gibt Aufschluss darüber, ob das betroffene Kind in der Lage ist, Somatotropin auszuschütten. Im Zuge des Tests wird auf glykämischer Ebene eine Stresssituation herbeigeführt, die im Normalfall bewirkt, dass das Kind Somatotropin ausschüttet. „Geschieht dies nicht, so liegt tatsächlich ein Wachstumshormonmangel vor. Dieser Test liefert demnach eine eindeutige Diagnose und zeigt, dass das Kind von einer entsprechenden Therapie höchstwahrscheinlich auch profitieren wird“ , erläutert DDr. Schlegel.
Therapie mit rhGH
Ergibt der GHRH-Arginin-Test tatsächlich einen Wachstumshormonmangel, ist laut dem Experten etwa ab dem vierten Lebensjahr die Gabe von rekombinantem menschlichem Wachstumshormon (recombinant human Growth Hormone) State of the Art. Ziel einer Therapie mit Wachstumshormon ist stets das Erreichen eines Aufholwachstums, das letztlich zu einer normalen Erwachsenengröße führt. Die Behandlung erfolgt zumindest bis zum Eintritt der Pubertät, dem Zeitpunkt, an dem sich die Wachstumsfugen schließen. In Einzelfällen ist auch eine niedrig dosierte Behandlung über den Pubertätseintritt hinaus indiziert. „Beginnt man mit der Therapie erst sehr spät, so sollte man sicherstellen, dass man zumindest zwei Jahre lang behandelt, um ein gewisses Aufhol- bzw. Längenwachstum zu ermöglichen“ , so DDr. Schlegel.
Behandlungsprognose
Im ersten Behandlungsjahr mit rhGH sollte das Kind bereits eine vernünftige Perzentile erreichen, entlang welcher es dann auch weiterwachsen sollte – in den meisten Fällen gelingt das auch. Behandlungserfolg und -prognose hängen allerdings von multiplen Faktoren ab – u. a. von der Compliance.„Im Zuge der Langzeittherapie sind die Eltern dafür verantwortlich, ihrem Kind täglich Wachstumshormon zu spritzen. Das ist vor allem bei kleineren Kindern, deren Leidensdruck noch nicht so hoch ist, nicht immer eine leichte Aufgabe und erfordert Konsequenz sowie Durchhaltevermögen von allen Beteiligten“ , unterstreicht der Experte. Obgleich die Prognosen bei Wachstumshormongabe aus medizinischer Sicht grundsätzlich gut seien, seien eindeutige diesbezügliche Versprechungen aufgrund der genannten Umstände nicht möglich.
Ausblick
Um die Compliance zu erhöhen und die betroffenen Familien zu entlasten, haben Experten bereits langwirksame Wachstumshormone enwickelt („long acting growth hormones“), die nur mehr einmal pro Woche verabreicht werden müssen. „Ganz wesentlich ist es auch, die Awareness für das Krankheitsbild und vor allem die Therapie zu steigern. Denn werden Kinder mit Wachstumshormonmangel nicht adäquat diagnostiziert bzw. behandelt, leiden sie ein Leben lang darunter – vor allem unter den psychosozialen Auswirkungen der Erkrankung“ , betont DDr. Schlegel. Einschränkungen durch Kleinwuchs betreffen stets das eigene Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl, die Partnerwahl und meist berufliche sowie sportliche Karrieren. „Ich halte die Therapie mit Wachstumshormonen aus diesen Gründen für gut und richtig – sofern man sauber diagnostiziert und davor andere Erkrankungen ausgeschlossen hat. Denn obgleich die Gabe von Wachstumshormon sicher und effektiv ist, handelt es sich um einen hormonellen Eingriff, der stets gut überlegt sein sollte“ , resümiert der Experte.