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In Schieflage geraten
Schlaf-wach-Rhythmusstörungen erhöhen das Risiko, Depressionen, einen Myokardinfarkt und Unfälle zu erleiden – wie sich Schlafdruck aufbauen lässt
Rund 25 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher sind von Insomnien, sprich anhaltend ungenügender Schlafdauer oder Schlafqualität, betroffen. Ist der Schlaf-wach-Rhythmus langfristig gestört, hat dies entscheidende Auswirkungen auf den Menschen. „Ein Schlafzyklus dauert ca. 90 Minuten und umfasst die REM-Phase, in welcher wir träumen, sowie die Schlafstadien I, II, III und IV. Letzteres bezeichnet den Tiefschlaf“ , erklärt Dr.in Margit Mehlmauer, Oberärztin an der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Klinikum WelsGrieskirchen. „In einer Nacht durchlaufen wir mehrere Schlafzyklen. “ Die Schlafstunden pro Tag und der Prozentanteil des REM-Schlafes nehmen mit zunehmendem Alter ab. Der individuelle Schlafbedarf und der persönliche Biorhythmus sind genetisch festgelegt – CLOCK-Gene steuern unsere innere Uhr. „Schlafgesunde Menschen geben Wohlbefinden bei vier bis zwölf Stunden Schlaf am Tag an“ , fasst OÄ Mehlmauer zusammen. „Die Lerche, der Morgentyp, zeigt ein frühes Aktivitätsmaximum, die Eule, der Abendtyp, ein spätes zweites Aktivitätsmaximum.“
Insomnische Beschwerden sind häufig
Als vorübergehendes Problem beträfen insomnische Beschwerden mehr als die Hälfte der Bevölkerung, führt die Psychiaterin weiter aus. „Ursachen dieser Ausprägung sind zum Beispiel aktueller Stress, ungünstige Umgebungsbedingungen wie Lärm und nicht ideale Temperatur, eine Störung des Schlaf-wach-Rhythmus durch einen Jetlag sowie Nebenwirkungen von Medikamenten. “ Eine chronische Form der Insomnie trete bei ca. zehn Prozent der Bevölkerung auf, Frauen seien davon öfter betroffen als Männer. Ein erhöhtes Vorkommen werde unter älteren Menschen und innerhalb von Familien verzeichnet. „Zu den auslösenden Faktoren der Chronifizierung zählen körperliche Erkrankungen wie Nieren- und Herzerkrankungen, Asthma, Schilddrüsenüberfunktion, Schlafapnoe- oder Restless-Legs-Syndrom, aber auch Depression, Konsum von Koffein, Alkohol oder Beruhigungsmitteln, chronischer Stress oder Schichtarbeit“ , erläutert OÄ Mehlmauer. Die Folgen einer lang andauernden Schlafstörung reichen von kognitiven Einschränkungen über Störungen der psychischen Befindlichkeit bis hin zu somatischen Beschwerden und verminderter Lebensqualität. „Chronische Insomnien sind mit einem erhöhten Risiko verbunden, Depressionen, Angststörungen und einen Alkoholmissbrauch zu entwickeln“ , gibt die Expertin zu bedenken. „Auch stellen sie einen Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus und neurodegenerative Erkrankungen dar.“
Umfangreiche Abklärung, wirkungsvolle Therapie
Die Diagnosestellung erfolgt in der Regel mittels Schlaffragebögen und Schlaftagebücher, die morgens und abends vom Patienten auszufüllen sind. „Ferner sollten eine organmedizinische Abklärung inklusive Laboruntersuchung und psychiatrischer Untersuchung sowie gegebenenfalls eine spezifische Untersuchung des Schlafes mittels Aktigraphie, einer Messung des Ruhe- und Aktivitätsrhythmus über mehrere Wochen, oder mittels Polysomnographie im Schlaflabor durchgeführt werden“ , schildert OÄ Mehlmauer. In der medikamentösen Behandlung wird zum Beispiel auf Schlafmittel gesetzt. „Sowohl klassische Benzo-
diazepine als auch die neuen Z-Substanzen sollten aufgrund des ausgeprägten Missbrauchs- und Abhängigkeitspotentials ausschließlich in der Kurzzeitbehandlung mit einer maximalen Dauer von vier Wochen eingesetzt werden“ , betont die Expertin. „Die Einschlafzeit wird dadurch verkürzt, die Gesamtschlafzeit verlängert, wobei es allerdings zur Abnahme von Tiefschlaf und REM-Phase kommt. “ Wirkungsvoll sind zudem sedierende Antidepressiva. „Vor allem für Patienten ab 55 Jahren ist auch Melatonin eine Option. Die Schlafarchitektur wird dadurch nicht wesentlich beeinflusst, es verbessert sich allerdings die subjektive Schlafqualität. “ Wichtig seien darüber hinaus die Einhaltung schlafhygienischer Regeln sowie Psychotherapie in Form kognitiv-verhaltenstherapeutischer Techniken wie Entspannung, Bettzeitrestriktion und die Reduktion nächtlicher Grübeleien.
PA/KaM
Quellen: neurologen-und-psychiater-im-netz.org Riemann D et al., S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/
Schlafstörungen/Insomnie bei Erwachsenen, 2017, doi.org/10.1007/s11818-016-0097-x.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Den Schlafrhythmus (wieder-)finden:
Eigenen Chronotyp berücksichtigen: Bei wiederkehrenden Ein- und Durchschlafstörungen ist es entscheidend, das individuelle Schlaffenster so gut wie möglich an den eigenen Chronotyp – also die innere Uhr – anzupassen und dann einen regelmäßigen Schlafrhythmus beizubehalten.
Das heißt, möglichst regelmäßig – sowohl unter der Woche als auch am Wochenende – entweder immer früh aufstehen und auch früh zu Bett gehen (Stichwort „Lerchen“) oder später aufwachen und dann auch abends später einschlafen („Eulen“). Schlafdruck aufbauen: Es ist bei wiederkehrenden Ein- und Durchschlafstörungen kontraproduktiv zu versuchen, den versäumten Schlaf am Wochenende oder tagsüber nachzuholen.
Vielmehr empfiehlt es sich, ein ausreichendes Bedürfnis nach Schlaf (Schlafdruck) über die
Wachdauer (also die Dauer des Wachseins) aufzubauen, indem man die Bettzeit kontrolliert bzw. kurzhält. Was bedeutet das in der Praxis? Wird man nach einer nächtlichen Schlafdauer von circa fünfeinhalb oder sechs Stunden wach, sollte man – anstatt immer wieder auf den
Wecker zu schauen, sich herumzuwälzen und zu grübeln – lieber einfach aufstehen und akzeptieren, dass gelegentliches Wachliegen oder Schwankungen der Schlafdauer ganz normal sind. So wird Schlafdruck aufgebaut. Und gleichzeitig (durch positive Konditionierung) das Bett nicht mit Frust und Ärger über schlechten Schlaf verknüpft, sondern mit Ruhe und Erholung.
Auch zusätzliche Nickerchen tagsüber gilt es bei Schlafproblemen zu vermeiden, um genügend nächtlichen Schlafdruck für die Nacht aufzubauen. Lebensstilmaßnahmen: Wesentlich ist, sich tagsüber genügend zu bewegen bzw. ausreichend körperlich aktiv zu sein und sich hinreichendem Tageslicht auszusetzen. Den Konsum von
Kaffee, Cola und ähnlichen Wachmachern sollte man ab Nachmittag einschränken und Alkohol nur in Maßen trinken. Fachärztliche Abklärung: Ein- und Durchschlafstörungen, die mehr als dreimal pro Woche vorkommen, über einen Zeitraum von drei Monaten andauern und Leidensdruck verursachen, sollten immer fachärztlich abgeklärt werden. Sie können auf psychische Erkrankungen wie eine
Depression oder eine posttraumatische Belastungsstörung hinweisen, aber auch – wie das
Restless-Legs-Syndrom oder die Schlafapnoe – organische Ursachen haben.