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Schlank ohne Zwang
Mit Hypnose lassen sich unterbewusste Verhaltensmuster verändern
Viele Menschen haben den Wunsch, ihr Gewicht zu reduzieren, und machen bei entsprechenden Versuchen leider häufig frustrierende Erfahrungen. Zahlreiche Diäten scheinen Wunder zu versprechen, doch das Geheimnis des Erfolges ist komplexer als eine reine Ernährungsumstellung und so vielschichtig wie die Ursachen des Übergewichts selbst. Aus ärztlicher Sicht gilt es zunächst, mögliche körperliche Ursachen des Übergewichts, beispielswiese eine Schilddrüsenunterfunktion oder Stoffwechselerkrankungen, auszuschließen oder gegebenenfalls zu behandeln. Ein besonderes Augenmerk sollte aber auch auf die psychosoziale Bedeutung des individuellen Essverhaltens gelegt werden, denn Essen hat für jeden von uns – neben dem Genuss – noch andere wichtige Rollen. Meist trainieren wir uns bereits im Kindesalter bestimmte Essensmuster ein, die uns ein Leben lang begleiten können. Essen kann dabei zum Freund in Zeiten von Einsamkeit werden, die Langeweile vertreiben oder eine andere emotionale Leere füllen. Die übermäßige Körperfülle kann als schützender Wall gegenüber Mitmenschen empfunden oder aber unterbewusst mit der liebenden Fürsorge der Großmutter assoziiert werden. Wenn solche tiefsitzenden Muster für das Übergewicht mitverantwortlich sind, dann führt die reine Diät meist nicht zum gewünschten Erfolg. Hier kommt die Hypnose ins Spiel, da sie unbewusste Mechanismen aufzudecken und auch zu ändern vermag.
Ein „urnatürlicher“ Zustand
Häufig haben Menschen einen übermäßigen Respekt oder sogar einen inneren Widerstand gegenüber der Hypnose, weil sie meist mit Vorurteilen behaftet ist. Dies betrifft sowohl Ärzte als auch Patienten. Dabei zählt die Hypnose zu den ältesten Behandlungsmethoden – sie wurde bereits von den alten Römern praktiziert. Zu vieles jedoch wird – vor allem im Fernsehen – über Menschen berichtet, die in Hypnose Dinge täten oder sagten, die sie eigentlich nicht wollten. Auch dass man willenlos gemacht werden könne, die Kontrolle verliere oder dabei bewusst nichts mitbekomme, ist ein Mythos. Mit der Realität hat das nichts zu tun. Denn in Hypnose erlebt man schlichtweg einen Zustand geistiger Fokussierung mit nach innen gerichteter Aufmerksamkeit – ähnlich dem des Tagträumens oder jenem des künstlerischen Schaffens, bei welchem kreative Impulse aus dem Inneren, sprich dem Unterbewusstsein, aufsteigen. Im Rahmen der Hypnose werden die Patientinnen und Patienten angeleitet, die Aufmerksamkeit nach innen zu fokussieren sowie Körper und Geist zu entspannen. Dadurch senken sich die Gehirnfrequenzen in den Alpha- und Thetawellenbereich ab und es entsteht ein Trancezustand, in dem innere Bilder sehr lebendig werden. Dieses innere Erleben wird als Erfahrung im Gehirn abgespeichert und kann somit das Unterbewusstsein verändern.
GASTAUTOR: Dr. Wolf-Dieter Nagl
Arzt für Allgemeinmedizin, Psychosomatische Medizin und Medizinische Hypnose, Mödling „Hypnose ist das direkte In-Kontakt-Treten des Wachbewusstseins mit dem Unterbewusstsein.“
Das breite Einsatzgebiet der Hypnose
Auf diese Weise können vergangene Traumata, die sich tief ins Gehirn eingegraben haben und fest verdrahtet scheinen, sich wieder lockern und oft gänzlich lösen. Andererseits lassen sich gewünschte Ereignisse und Gefühlszustände in Hypnose durch die Vorstellungskraft erleben. Dadurch werden neurologische Bahnen gelegt, die den
X HAUSÄRZT:IN-Buchtipp
Denke, was dein Herz fühlt
Von Wolf-Dieter Nagl Kneipp Verlag Wien 2021

Patienten später im Alltag zur Verfügung stehen, um neue und erwünschte Verhaltensweisen umzusetzen. Auch kann das Erzeugen innerer Bilder einige autonome Organfunktionen beeinflussen, die sich üblicherweise der willentlichen Ansteuerung entziehen. Ein einfaches Beispiel ist das Anregen der Speicheldrüsen, was durch die Vorstellung, eine Zitrone zu verzehren, bewusst erfolgen kann. Die Wahl der betreffenden Bilder ist dabei entscheidend für die Beeinflussung der jeweiligen Körperfunktionen. Dadurch lassen sich mit Hypnose sowohl psychosomatische Beschwerdebilder wie das Reizdarmsyndrom behandeln – als auch entzündliche Darmerkrankungen oder etwa die Migräne.
Abnehmen beginnt im Kopf
Jede Veränderung im menschlichen Handeln beginnt bekanntlich im Geiste. Und der Geist ist das, was das Gehirn tut. Er ergibt sich also aus der Summe aller neuronalen Aktivitäten. Heute geht man davon aus, dass das Gehirn zehn Millionen Bits, also Informationseinheiten pro Sekunde, verarbeitet – das Wachbewusstsein hingegen lediglich rund 60 davon. Weit über 99 Prozent des Geistes werden also unterbewusst verarbeitet. Diese Prozesse reichen von automatisierten Bewegungsabläufen über Denk- und Verhaltensmuster bis hin zum gewohnten Gemütsempfinden. Wenn Menschen nun ihr Gewicht reduzieren möchten, müssen sie mehr oder weniger umfangreiche Änderungen ihrer Alltagsgewohnheiten vollziehen. Dies betrifft sowohl die Menge und Auswahl der Nahrungsmittel als auch die Frequenz oder Intensität sportlicher Aktivität. Nachhaltig kann dies nur gelingen, wenn man das Unterbewusstsein mit auf die Reise nimmt und unbewusste, dem Ziel widerläufige Muster verändert sowie die motivationalen stärkt. Durch Hypnose lassen sich Muster, wie sie oben beschrieben wurden, aufspüren und modulieren.
Indikationen versus Kontraindikationen
Voraussetzung für eine erfolgreiche Hypnosebehandlung ist die Fähigkeit der Patienten, ihre Aufmerksamkeit für einen Zeitraum von 20 bis 40 Minuten zu fokussieren. Eine relative Kontraindikation besteht daher für Patienten mit Demenz oder ausgeprägtem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Bei Menschen mit psychotischer Symptomatik und/oder entsprechender Medikation liegt je nach Ausprägungsgrad eine relative bis absolute Kontraindikation vor. Ansonsten sind so gut wie alle Patientinnen und Patienten für eine Behandlung mit Hypnose geeignet. Ein eindeutiger Veränderungswunsch muss allerdings vorhanden sein, außerdem das Verständnis, dass Hypnose der Mitarbeit des Patienten bedarf und der Behandler nicht einfach „einen Schalter umlegen“ kann. Wenn hingegen ein klarer Veränderungswille besteht, der innere Schweinehund aber immer wieder zuschlägt oder alte Muster die Oberhand behalten, dann stellt die Hypnose eine sehr effektive Therapieform dar. Je nach Therapeut und Patient sollte man bei der Hypnosebehandlung mit ein bis fünf Sitzungen rechnen. <