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Nikotinkarenz Enzymsubstitution und Rehabilitation“
SeriePULMO

Außer Atem – wie bei AAT-Mangel die Lebensqualität Betroffener nachhaltig verbessert werden kann
Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel/ALPHA-1 zählt zu den „Rare Diseases“ – weltweit sind weniger als fünf von 10.000 Menschen betroffen. Die autosomalrezessive Erbkrankheit bewirkt unter anderem, dass die Leberzellen aufgrund einer Mutation im SERPINA1-Gen das Enzym Alpha-1-Antitrypsin (AAT) fehlerhaft, in zu geringer Menge oder gar nicht bilden oder freisetzen. Unbehandelt kann sich die Stoffwechselerkrankung je nach Ausprägung früher oder später in Lunge und Leber – in selteneren Fällen auch auf der Haut und in weiteren Organen – manifestieren. So gilt ALPHA-1 als häufigste Ursache für genetisch bedingte Lebererkrankungen im Kindesalter. Bei Erwachsenen geht der ALPHA-1-Mangel mit einem erhöhten Risiko einher, eine COPD zu entwickeln – insbesondere ein panlobuläres Lungenemphysem. Dieses kann alle Bereiche der Lunge betreffen und zu gravierender Behinderung und frühem Tod führen. Deshalb kommt der Früherkennung besondere Bedeutung zu. Und deshalb ist es wichtig, das Bewusstsein von Allgemeinmedizinern und Patienten für die Seltene Erkrankung zu steigern.

Prim. Priv.-Doz. Dr. Christopher Lambers
Leiter der Abteilung Pneumologie am Ordensklinikum Linz, Elisabethinen, im Gespräch.
© Ordensklinikum Linz
HAUSÄRZT:IN: ALPHA-1 wird nach wie vor selten als Ursache für eine COPD bzw. ein schweres Lungenemphysem in Betracht gezogen. Wäre in diesem Kontext mehr Awareness notwendig?
Prim. LAMBERS: Ja, denn die Früherkennung ist wichtig, um von der Seltenen Erkrankung Betroffene zu identifizieren und in der Folge rechtzeitig einer Therapie zuzuführen. Der Verdacht auf einen Mangel liegt aus pneumologischer Sicht etwa dann vor, wenn sich ein Lungenemphysem bei vergleichsweise jungen Patientinnen und Patienten – unter 45 Jahren – entwickelt hat oder ohne dass Risikofaktoren wie aktives Rauchen oder eine berufliche Schadstoffbelastung bestehen. Oder auch, wenn aus unerfindlichen Gründen eine Leberzirrhose vorliegt. Es gibt ja sehr unterschiedliche Varianten der Erkrankung: Wird ein Alpha1-Antitrypsin-Mangel im Serum nachgewiesen – die Diagnose sollte unbedingt durch eine erfahrene Kollegin/einen erfahrenen Kollegen erfolgen –, ist allerdings in jedem Fall eine Nikotinabstinenz der erste wichtige Schritt. In der Folge muss der Mangel genetisch abgeklärt werden.
Worauf kommt es dabei an?
Da es sich beim ALPHA-1 um eine autosomal-rezessive Erkrankung handelt, gilt es, mittels Sequenzierung des Alpha-1Antitrypsin-Gens/SERPINA-1 herauszufinden, ob nur ein Elternteil oder beide das Erbmerkmal weitergegeben haben. Während bei der heterozygoten Form das Krankheitsbild fast gar nicht auftreten kann, schreitet die Erkrankung bei der homozygoten Form oft sehr rapide voran. Der genetische Test liefert diesbezüglich wichtige Informationen.
Es gibt jetzt auch Testkits mit Wangenabstrich, welche die Ärzte einschicken können. Die DNA wird per Invitro-Diagnostik in Hinblick auf 14 Varianten des AATM-Gens analysiert. Was ist von diesen zu halten?
Tatsächlich gibt es Angebote, Wangenabstriche in der Praxis durchzuführen. Mir fehlen leider noch genaue Daten darüber, welchen Effekt diese im Vergleich zur Blutuntersuchung haben, die derzeit als Goldstandard gilt. Aber ja, wenn sie der verbesserten Früherkennung dienen, sind sie ebenfalls sinnvoll.
Können auch Haus- oder niedergelassene Fachärzte die Erstdiagnose stellen?
Grundsätzlich schon, wobei man achtsam sein muss: Das Alpha-1-Antitrypsin ist auch ein Akute-Phase-Protein, es wird also zum Beispiel bei Infekten vermehrt gebildet (siehe Infokasten). Nach Rücksprache mit Experten und unter Berücksichtigung gewisser Anforderungen kann den Bluttest aber durchaus ein erfahrener niedergelassener Arzt durchführen. Liegt ein verdächtiger Alpha-1-Antitrypsin-Konzentrationsnachweis bei normalem CRP-Wert oder aufgrund der Symptomatik ein Verdacht vor, sollte man Betroffene an ein spezialisiertes
UNTERSUCHUNG
Der Gehalt an Alpha-1-Antitrypsin (AAT) kann im Blutserum bestimmt werden, um die Erkrankung nachzuweisen bzw. sicher auszuschließen. Dazu erfolgt eine einfache Blutentnahme, entweder am Ohr oder aus einer Vene. Wenn der Serumwert unter 50 Prozent des
Normalwertes beträgt (das heißt: < 100 mg/dl), sollte eine genetische Analyse erfolgen, um festzustellen, welcher Genotyp (homo- oder heterozygot) vorliegt. Beträgt der AAT-Gehalt des Blutserums dauerhaft unter 35 Prozent des Normalwertes, also unter 80 mg/dl, kann sich die Erkrankung in Lunge oder Leber oder selten in weiteren Organen manifestieren. Wichtig zu wissen ist, dass Alpha-1-Antitrypsin bei Infektionen vermehrt gebildet wird. Wird der AAT-Spiegel während einer Infektion bestimmt, kann der Wert daher fälschlicherweise im Normalbereich liegen und so ein eventuell vorhandener
AAT-Mangel übersehen werden. Daher wird meistens gleichzeitig ein
Entzündungsparameter wie das C-reaktive
Protein (CRP) bestimmt. Ist der CRP-Wert normal, ist eine Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen und der
AAT-Spiegel aussagekräftig.
Quelle: lungenaerzte-im-netz.de
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Zentrum überweisen. Untersuchungen der Lunge und Leber helfen dabei, den Schweregrad etwaiger Organschäden einzuschätzen.
Wie lässt sich nach der Diagnose die Lebensqualität Betroffener nachhaltig verbessern?
Egal, auf welche Therapien man setzt – Nikotinkarenz steht ganz oben. Denn im Rauch sind Substanzen enthalten, die den pathologischen Prozess weiter triggern. Als therapeutische Maßnahmen kommen z. B. inhalative Medikamente zur Anwendung, entsprechend den Lungenfunktionsveränderungen, die gemessen werden. Die Behandlung orientiert sich an den Empfehlungen für eine COPD. Eine weitere Therapieform ist die Enzymsubstitution. Sie ist für Patienten mit mittelgradig fortgeschrittenem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel zugelassen. Um den Krankheitsverlauf abzumildern oder zu inhibieren, wird das Protein parenteral oder inhalativ substituiert. Das Antitrypsin kann entweder genetisch oder aus gepooltem Blutplasma hergestellt sein. Impfungen sind ebenfalls wichtig, z. B. die Influenzavakzine, um zu verhindern, dass die Lunge durch einen massiven Entzündungsstress weiter geschädigt wird. Bei Patienten in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung sind darüber hinaus Rehabilitationsmaßnahmen und/oder Sporttherapien von großer Bedeutung. Wir wissen: Je mehr wir auf physikalische Therapien setzen und damit die physikalische Mobilität Betroffener erhöhen, desto stärker reduzieren wir das Sterberisiko/die Mortalität.

Als Ultima Ratio gibt es noch die
Lungentransplantation als kurativen Ansatz.
Die Angst vor der Atemnot kann ebenfalls die Lebensqualität beeinträchtigen – wie lässt sich ihr entgegentreten?
Diese Angst vor der Atemnot kann auch am ehesten gelindert werden, indem die Patienten Rehabilitationsmaßnahmen zugewiesen werden. Regelmäßig! Wir können die Patienten damit aus ihrer Passivität herausholen. Ihnen werden Trainingsmaßnahmen gezeigt, die sie selbst zuhause umsetzen können. Oft sind Erkrankte ja von einer Muskelatrophie betroffen. So bekommen sie die Möglichkeit, sich trotz der muskulären Beeinträchtigung und der Atemnot wieder mehr zu bewegen. Somit steigen die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität.
IM ÜBERBLICK
Indikationen für die Suche nach einem Mangel an Alpha-1-Antitrypsin
Nichtreversibles Obstruktionssyndrom (chronisch obstruktive Lungenerkrankung oder Asthma, vor allem im Erwachsenenalter aufgetretenes Asthma)
Nicht erklärbare Lebererkrankung
ANCA-assoziierte Vaskulitis
Nekrotisierende Pannikulitis
Bronchiektasie
Eltern und Geschwister einer Person mit AAT-Mangel
Bei Kinderwunsch: Partnerin bzw. Partner einer Person mit AAT-Mangel
Quellen: European Respiratory Society statement:
Eur Respir J. 2017;50(5):1700610. Strnad P et al., Alpha1-Antitrypsin Deficiency.
N Engl J Med. 2020;382(15):1443–55.
Ist es schwierig, Betroffene zu notwendigen Lebensstiländerungen zu motivieren?
Viele Patienten werden mit einem frühen Zufallsbefund konfrontiert. Bei ihnen ist meist der Wille vorhanden, die „lifestyle modification“ als wichtigen Parameter zu akzeptieren. Die Rehabilitation bietet eine zusätzliche Motivation. Sie kann entweder ambulant oder im Rehabilitationszentrum durchgeführt werden.
Welche Rolle kommt der Untersuchung potenziell Betroffener zu?
Da es sich – wie gesagt – um eine autosomal-rezessive Erbkrankheit handelt, sollte man Familienmitglieder jedenfalls auch testen.
Was möchten Sie unseren Leser:innen abschließend noch mitgeben?
Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist eine Seltene Erkrankung. Daher ist es wichtig, dass man daran denkt, zumal es meist eher jüngere Patienten sind, die mit zunehmenden Lungenfunktionsveränderungen in die Praxis kommen. Wenn man den Verdacht oder das Gefühl hat, dass es keine klassische COPD ist, wenn z. B. ein panlobuläres Lungenemphysem oder eine rapide Lungenfunktionsverschlechterung vorliegt, sollte man immer auch an ALPHA-1 denken und nicht nur an die COPD.
Wie erfolgt die weitere Betreuung und welche Rolle kommt den niedergelassenen Kolleg:innen dabei zu?
Die Betreuung erfolgt in spezialisierten Zentren – nicht zuletzt, weil es sich häufig um jüngere Patienten handelt, bei denen abgewogen werden muss, ob auch eine Lungentransplantation in Frage käme. Unterstützen können uns die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel bei der Motivation zum Rauchverzicht. Wenn sie aus Zeitmangel im Ordinationsalltag nicht näher auf die Notwendigkeit der Nikotinkarenz eingehen können, können sie z. B. das Rauchertelefon (0810 810 013) empfehlen. Natürlich haben auch Passivrauchen, Stäube und Rauch generell oder Feinstaubpartikel einen schädlichen Einfluss. Es gilt: Möglichst meiden!
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