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Wenn das Schulter gelenk schmerzt

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Wenn das Schultergelenk schmerzt

Die instabile Bizepssehne – Promotor der Rotatorenmaschettenruptur? Ein Anatomie-Update

Schmerzen im Schultergelenk mit Rissen bzw. Teileinrissen der Rotatorenmanschette sind die häufigste pathologische Veränderung des Schultergelenkes. Bei allen Rissen kommt es zu einer fortschreitenden Verschlechterung mit zunehmender Retraktion des Sehnenstumpfes. Die Muskelfasern verlieren an Elastizität, verschmächtigen, und das Fettgewebe in der Muskulatur überwiegt. Sehnenrisse beeinträchtigen nicht nur die aktive Beweglichkeit der Schulter, sondern auch die Beziehung vom Oberarmkopf zum Glenoid. In der Entstehungsgeschichte der Sehnenveränderungen der Rotatorenmanschette werden heute zwei Mechanismen als Ursachen generell anerkannt: 1. intrinsische – innere – Faktoren, die altersbedingt und durchblutungsbedingt vorliegen, 2. extrinsische – äußere – Faktoren, die sich auf ein mechanisches Impingement zurückführen lassen und entweder einen fortschreitenden Abrieb der Sehne oder nach zusätzlichem Trauma eine Ruptur bewirken. Anatomisch besteht die Rotatorenmanschette aus einem Sehnenspiegel, der aus der Subskapularis- (SSC), der Supraspinatussehne (SSP) und der Sehne des M. infraspinatus (ISP) gebildet wird. Ihre Funktion ist die Zentrierung des Oberarmkopfes in die Schultergelenkpfanne. Manche Autoren rechnen auch die lange Bizepssehne (LBS) in die Rotatorenmanschette mit ein. Sie verläuft anatomisch im Intervall zwischen Subskapularis- und Supraspinatussehne und wirkt synergistisch mit der Rotatorenmanschette.

GASTAUTOR: Dr. Martin Schwarz, MSc, Prim. A. D.

Ordination für Unfallchirurgie und Orthopädie, Health Service Center, Wien Vienna Shoulder Institute, schulter.wien

Anatomie der Bizeps-Region

In der Genese der Rotatorenmanschettenpathologie spielt der anterosuperiore Schulterquadrant eine tragende Rolle. Dieser setzt sich im Großen und Ganzen aus sieben anatomischen Teilgebieten zusammen. • Das Rotatoren-Kabelsystem: Diese

Kabelverdickung spannt sich zwischen der oberen Facette des Tuberculum minus bzw. am anterioren Eck des Tuberculum majus bis zur posteroinferioren Ecke des Tuberculum majus. • Der Ansatz des M. Subskapularis erfolgt im Wesentlichen am Tuberculum minus, gibt aber auch Fasern an

das Lig. Coracohumerale ab – zudem an die Fovea capitis, an das Bizeps-

Pulley-System und den Sulcus intertubercularis. Tiefe Faserzüge sind mit der Gelenkkapsel verwoben. • Das Rotatorenintervall ist eine Lücke zwischen dem oberen Rand der Subskapularissehne und dem vorderen

Rand der Supraspinatussehne. Hier befindet sich die Rotatorenintervallschlinge. Die Basis dieser dreieckigen

Struktur ist das Korakoid, die Spitze besteht aus dem Lig. humerale transversum und dem Sulcus intertubercularis. Das Dach des Rotatorenintervalls stellt das Lig. Coracohumerale dar. • Das Pulley-System (Flaschenzug-

System) setzt sich aus dem Lig. coracohumerale als Dach sowie dem Lig. glenohumerale superius zusammen.

Es bildet die Schlinge für die lange

Bizepssehne als Teil des Rotatorenintervalls und wird aus den beiden zuvor genannten Strukturen geformt.

Dabei bildet das Lig. coracohumerale die kraniale halbmondförmige Umscheidung der Bizepssehne bis zum Lig. transversum humeri, das Lig. glenohumerale superius entspringt dem Tuberculum supraglenoidale und dem kranialen Labrum, kreuzt den Boden des Rotatorenintervalls und setzt am superioren lateralen

Bereich des Tuberculum minus an. Es wird somit eine nach lateral offene

U-förmige Schiene um die Bizepssehne gebildet. • Der Sulcus intertubercularis ist die

Knochenrinne am Oberarm zwischen Tuberculum majus und minus.

Die Sulkustiefe ändert sich vom proximalen Eingang bis zum distalen

Ausgang. Die Subluxierbarkeit der langen Bizepssehne ist besonders im proximalen Anteil zu beachten. Ein objektives Maß für die Luxationstendenz stellt der mediale Sulkusrandwinkel dar, der von 15° bis 90° variiert. Zur Stabilisierung der Bizepssehne am Eintritt in den Sulkus dient das Lig. transversum humeri.

Ein weiterer Stabilisator ist das Lig. coracohumerale mit seinen zwei

Schenkeln zum Tuberculum majus und zum minus. Auch die Subskapularissehne und die zwei Anteile des M. pectoralis major (Pars sternocostalis und Pars clavicularis) tragen mit ihren sulkusübergreifenden Fasern zur Stabilität bei.

• Das Tuberculum supraglenoidale fungiert als Ansatzpunkt für das Labrum glenoidale, für Fasern vom Lig. coracoglenoidale und besonders für die lange Bizepssehne. In diesem Bereich spielen der sublabrale Rezessus und das Foramen sublabrale eine Rolle bei der Abgrenzung von einer SLAP-Läsion oder einem La-

„Sehnenrisse beeinträchtigen nicht nur die aktive Beweglichkeit der Schulter, sondern auch die Beziehung zwischen Oberarmkopf und Glenoid.“

brumschaden. Im vorderen oberen

Schulter-Quadranten vervollständigen das Lig. glenohumerale superius, mit Fasern am Tuberculum supraglenoidale und verbindenden Fasern zur Bizepssehne, den oberen periartikulären Ring. • Der Processus coracoideus ist ein prominenter Teil der Skapula und wird zum Schulterdach gerechnet.

Es besteht eine Verbindung mit der

Klavikula durch die zwei Strukturen des Lig. Coracoclaviculare und es besteht eine Bandverbindung mit dem Tuberculum supraglenoidale mittels des Lig. Coracoglenoidale. Vom Processus coracoideus aus verläuft das Lig. coracohumerale als Dach des anterioren Rotatorenintervalls bis hin zum Lig. transversum humeri. Weiters dient der Processus dem kurzen Kopf des M. biceps brachii (dem sogenannten Caput breve), dem M. pectoralis minor und dem M. coracobrachialis als Ansatz. Die Gegenzugstruktur für diese Muskeln sind die Ligg. Coracoclavicularia. Das Korakoid und das Akromion, beide Anteile der Skapula, sind mittels des Lig. coracoacromiale als Zuggurtung zwischen den beiden Knochenfortsätzen verbunden. Dieser Bogen überspannt vorne den Oberarmkopf sowie das Schulterhauptgelenk mit den unter diesem Bogen ziehenden Strukturen der Rotatorenmanschette sowie der Subskapularissehne.

Bizepssehnenschmerz und intraartikuläre Begleitverletzungen

In dieser aufwendigen anatomischen Konstruktion bildet die Bizepssehne in ihrem anatomischen Verlauf – aus dem Schultergelenk hinaus in den Oberarm – einen 90 Grad gewinkelten Knick. Und das scheint die Schwachstelle des Systems zu sein. Klinisch ist der typische Bizepssehnenschmerz im Sulcus auffällig, und in einer Ultraschalluntersuchung lässt sich fast immer ein Flüssigkeitssaum um die lange Bizepssehne im Recessus nachweisen, der mit dem Gelenkbinnenraum, dem glenohumeralen Gelenk, in Verbindung steht. Das erklärt traumatologisch die hohe Rate intraartikulärer Begleitverletzungen bei Schultereckgelenksprengungen. Besteht eine Instabilität der LBS an einem der Fixationspunkte, so führt dies zu einer schrittweisen Ablösung der benachbarten Sehnenstrukturen (Subscapularis vorne oder Supraspinatus oben). Die Pulley-Schlinge ist lateral offen und wandert nach lateral aus und löst zuerst die Supraspinatus-Sehne ab. In der Bildgebung (MRT, Ultraschall) präsentiert sich dieser Zustand als Teilruptur. Endzustand ist die Ablösung des oberen Randes der Subscapularis-Sehne mit Verlagerung der LBS aus dem Sulcus nach medial, und die komplette Ablösung der SSC-Sehne ist zu befürchten. Als stärkste und einzige ventral liegende Sehne der Rotatorenmanschette verhindert sie den gefürchteten Humeruskopfhochstand mit hochgradiger Funktionseinschränkung des Schultergelenkes. <

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