Hausärzt:in medizinisch
Krankheit mit 1.000 Gesichtern
Für die einzelnen Verlaufsformen der Multiplen Sklerose steht heute eine Reihe von Medikamenten zur Verfügung. Laufend kommen neue hinzu – ein Update schlossen und vom peripheren Immunsystem weitgehend getrennt. Deswegen ist letztere Form der Erkrankung vielen Medikamenten schwer zugänglich.
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) und wird durch eine Fehlfunktion des Immunsystems ausgelöst. Durch die initiierten entzündlichen Prozesse kommt es zu einer Schädigung von Nervenfasern. Daraus resultieren – je nach Lokalisation – unterschiedliche neurologische Ausfälle. Die Erkrankung verläuft in den meisten Fällen in Schüben („schubförmige MS“). In seltenen Fällen kann sie schon ab ihrem Beginn schleichend verlaufen („primär progrediente MS“) bzw. von einem über viele Jahre schubförmigen Verlauf in einen sich schleichend verschlechternden Prozess übergehen („sekundär progrediente MS“). Diese Unterscheidung ist für den Einsatz der unterschiedlichen verlaufsmodifizierenden Medikamente wichtig.
Drei Therapieansätze Die Behandlung der Multiplen Sklerose beruht auf drei wichtigen Säulen, wobei ein multimodales Therapiekonzept wesentlich ist: • Bei akuten MS-Schüben erfolgt eine Infusionstherapie mit hochdosierter Kortisongabe. • Medikamentöse verlaufsmodifizierende Langzeittherapien greifen in den Entzündungsprozess ein und sollen das Fortschreiten der Erkrankung sowie das Neuauftreten von Krankheitsschüben bremsen. Nach neuesten Studiendaten sollten diese Langzeittherapien schon
36
Juni 2022
Bei den derzeit verfügbaren Medikamenten handelt es sich einerseits um immunmodulierende, die in den Entzündungsprozess regulierend eingreifen. Andererseits gibt es sogenannte immunsuppressive Therapien, die bei hochaktiven frühzeitig im Erkrankungsprozess beVerläufen eingesetzt werden. Immunsupgonnen werden, um bleibende Schäden pressive Medikamente können jedoch das zu verhindern. Immunsystem schwächen und Betroffene • Die gezielte Symptomtheraanfälliger für Infekte machen. pie kann einerseits medikaDie ersten Medikamente für mentös erfolgen, andererseits die Behandlung der schubfördurch Rehabilitationsmaßmigen Multiplen Sklerose wanahmen, z. B. aus den Bereiren als Injektabilia die Interchen Physiotherapie, Ergotheferone (Interferon-beta 1a, 1b: rapie und Logopädie. Hierbei Rebif®, Avonex®, Betaferon®, sollen bei MS häufig auftrePlegridy®) in den 1990er Jahren, tende Symptome wie Spastik gefolgt von Glatirameracetat GASTAUTORIN: OÄ Dr.in Bettina Heschl (Muskelverkrampfungen), (Copaxone®, Perscleran®) im LKH Graz – Schmerzen oder HarnentleeJahr 2001. Beide Medikamente Universitätsklinik für rungsstörungen gezielt behanNeurologie werden nach wie vor regelmädelt werden. ßig zur Behandlung der milden/ moderaten Verlaufsform der MS sowie des klinisch isolierten Syndroms (KIS, einSchwierigkeiten der Therapie maliges Ereignis ohne Erfüllung der MSKriterien) eingesetzt. Multiple Sklerose ist nicht heilbar, jedoch Seit 2006 steht Natalizumab (Tysabri®) steht heutzutage schon eine Vielzahl von Medikamenten (aktuell sind es 17) zur als monoklonaler Antikörper für die BeVerfügung. Für die Therapie der schubhandlung hochaktiver Verlaufsformen förmigen Multiplen Sklerose gibt es mittzur Verfügung. Die ersten oralen Medilerweile etliche wirksame Medikamente, kamente waren 2011 der S1P-Modulator während die Therapie der progredienten, Fingolimod (Gilenya®), 2013 Teriflunoschleichend verlaufenden Multiplen Sklemid (Aubagio®) und 2014 Dimethylfumarose aufgrund des anderen Entzündungsrat (Tecfidera®). Ein weiteres orales Medimechanismus nach wie vor eine große kament – Cladribin (Mavenclad®) – kam Herausforderung darstellt. Bei der schub2017 auf den Markt. förmigen Multiplen Sklerose spielt sich Mit den CD20-B-Zelldepletierenden der Entzündungsprozess sowohl im perimonoklonalen Antikörpern wurde 2018 pheren Immunsystem als auch durch die ein Durchbruch erzielt, da Ocrelizumab Interaktion über die Blut-Hirn-Schranke (Ocrevus®) das erste (und derzeit einzige) im zentralen Nervensystem ab. Dieser ist zugelassene Medikament für die primär bei progredienten Verlaufsformen hinprogredient verlaufende Multiple Sklegegen im zentralen Nervensystem eingerose darstellt. 2021 wurde Ofatumumab
© Fotostudio Hartlauer
© shutterstock.com/CC7
Medikamente im Lauf der Zeit