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Schilddrüse mitbeteiligt
Eine regelmäßige Bestimmung der Schilddrüsenfunktionsparameter wird bei COVID-19-Patienten mit mittelschweren bis schweren Verläufen empfohlen
Im März 2020 wurde die Coronavirus2019(COVID-19)-Pandemie erstmals offiziell von der WHO als solche bezeichnet, eine Pandemie mit über hundert Millionen Infizierten und zum jetzigen Zeitpunkt knapp drei Millionen Toten weltweit.1 Das SARS-CoV-2 (engl.: „severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“, dt.: schweres akutes Atemwegssyndrom – Coronavirus Typ 2), verantwortlich für die COVID-19-Erkrankung, wirkt im menschlichen Organismus primär durch die zelluläre Bindung an den Angiotensin-Converting-Enzyme-2(ACE-2)-Rezeptor und an die transmembrane Serinprotease 2 (TMPRSS2). Letztere wird vermehrt in menschlichen Epithelzellen gefunden, vorrangig in der Lunge, im Verdauungstrakt, im Blutgefäßsystem, in der Niere wie auch in den Follikelzellen der Schilddrüse.2,3 Die Schilddrüsenbeteiligung durch SARS-CoV-2, welche dieser Artikel in den Fokus rückt, kann aus zweierlei Gründen erfolgen. Einerseits wegen der direkten Schädigung des Schilddrüsengewebes durch das Virus, andererseits wegen der durch das Virus induzierten komplexen immunmediierten Kaskade.
Autor: OA Dr. Felix Knöbl
Facharzt für Innere Medizin, LK Mödling
Studien belegen Zusammenhänge
Die Arbeiten von Rotondi et al. zeigen, dass SARS-CoV-2 potentiell in die epithelialen Schilddrüsenzellen eindringen kann.4 Bei der vergleichenden Betrachtung von verstorbenen und überlebenden COVID-19-Patientinnen und -Patienten wies in einer Arbeit von Chen et al. die Gruppe der verstorbenen Patienten einen signifikant niedrigeren Spiegel von TSH (thyreoidstimulierendes Hormon) sowie von fT3 (freies Triiodthyronin) bei gleichen fT4 (Freies-Thyroxin)-Spiegeln auf.5 Eine weitere retrospektive Studie von Chen et al. belegt, dass die TSH- und fT3Spiegel bei Patienten mit einer COVID19-Erkrankung gegenüber gesunden Personen deutlich niedriger waren, wobei sich eine progrediente Absenkung der TSH- und fT3-Spiegel je nach Schweregrad der Erkrankung zeigte.6 Bei intensivpflichtigen Patienten mit bestehender Thyreotoxikose ließ sich in einer Arbeit von Muller et al. bei 15,3 % der COVID-19-positiven Personen versus 1,3 % der Personen in der Kontrollgruppe eine subakute Thyreoiditis als Ursache diagnostizieren. Die subakute Thyreoiditis bei COVID-19-positiven Patienten manifestierte sich in den Beobachtungen klinisch mit Schmerzen im Zervikalbereich, wobei die Thyreoiditis bei Männern häufiger vorkam als bei Frauen. Laborchemisch zeigten sich niedrige TSH- sowie fT3-Spiegel bei normalen oder sogar erhöhten fT4-Werten. Die beschriebenen Charakteristika unterschieden sich somit sehr deutlich von dem bei Intensivpatienten üblicherweise vorkommenden klassischen NonThyroidal-Illness-Syndrom (Synonym: Euthyroid-Sick-Syndrom). Laut Muller et al. lassen sich diese abnormen Schilddrüsenwerte bei COVID-19-positiven Patienten als Folge einer Kombination von subakuter Thyreoiditis und NonThyroidal-Illness-Syndrom deuten.7 Wobei es drei Monate nach überstandener COVID-19-Erkrankung zur Normalisierung der Schilddrüsen- und der Entzündungsparameter kommt.7 Eine retrospektive Studie von Lania et al., die 287 hospitalisierte COVID-19-positive Patienten inkludierte, dokumentierte das Auftreten einer Hypothyreose in 5 % der Fälle, einer Thyreotoxikose bei 20 % der Teilnehmer. Die Thyreotoxikose war zudem assoziiert mit erhöhten Interleukin-6(IL-6)-Spiegeln, weshalb ein Zusammenhang zwischen COVID-19assoziierter Thyreoiditis sowie einer systemischen Immunreaktion vermutet wurde.7
COVID19assoziierte subakute Thyreoiditis
Eine COVID-19-assoziierte subakute Thyreoiditis kann entweder direkt im Rahmen der Akutinfektion oder zeitlich versetzt wenige Wochen nach der Erstinfektion auftreten. Klinische Symptome sind Fieber, zervikale Schmerzen, Abgeschlagenheit, Zittern, Schwitzen sowie Palpitationen.9 Laborchemisch zeigen sich eine manifeste Hyperthyreose (TSH-Abfall, fT4 sowie fT3 erhöht), erhöhte Entzündungsparameter (CRP, IL-6), eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit sowie eine Leukozytose. Die Antikörperdiagnostik ergibt meist negative TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) und ein erhöhtes Thyreoglobulin.9 In einer sonographischen Darstellung der Schilddrüse ist üblicherweise eine vergrößerte, hypoechogene Schilddrüse mit verminderter Vaskularisierung erkennbar.9 Die Therapie der COVID-19assoziierten subakuten Thyreoiditis besteht aus der Gabe von Glukokortikoiden sowie aus der Verabreichung von
Autor: OA DDr. Nawras Al-Taie, MSc
Facharzt für Endokrinologie und Stoffwechsel, LK Mödling
Schmerzmitteln je nach Bedarf. Bei einem Großteil der Betroffenen kommt es nach ein bis zwei Monaten zur vollständigen Normalisierung der Schilddrüsenparameter, bei 5 % kann jedoch eine dauerhafte Hypothyreose entstehen.9,10
Das NonThyroidalIllnessSyndrom
Das sogenannte Non-Thyroidal-Illness-Syndrom oder auch Low-T3-Syndrom bzw. Euthyroid-Sick-Syndrom findet sich vorrangig bei Patienten mit akuter oder chronischer schwerwiegender systemischer Erkrankung. Laborchemisch ergeben sich erniedrigte fT3-Werte, erhöhte reverse T3-Werte und normale oder erniedrigte fT4- sowie TSHWerte. Dieses Krankheitsbild kommt bei bis zu 70 % der Intensivpatienten vor.11 Der Mechanismus hinter den erwähnten laborchemischen Veränderungen ist komplex: Es kommt zu Veränderungen im Bereich der TSH-Freisetzung, der Bildung der peripheren Schilddrüsenhormone, der Bindungskapazität in Bezug auf Transportproteine sowie Schilddrüsenhormon-Rezeptoren und letztlich auch zu Veränderungen in der zellulären Aufnahme der Schilddrüsenhormone. Ein Erfolg therapeutischer Interventionen konnte bis dato nicht nachgewiesen werden, eine generelle Therapieempfehlung gibt es demnach zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Bei Überstehen der schwerwiegenden systemischen Erkrankung normalisieren sich im Verlauf die Schilddrüsenparameter für gewöhnlich wieder.11
Fazit
Eine Mitbeteiligung der Schilddrüse mit Affektion des Schilddrüsenhormonhaushaltes wird bei COVID-19-positiven Patientinnen und Patienten häufig gesehen. Als ursächlich können hier vor allem die subakute Thyreoiditis sowie das Non-Thyroidal-Illness-Syndrom erachtet werden. Eine regelmäßige Bestimmung der Schilddrüsenfunktionsparameter wird empfohlen, insbesondere bei mittelschweren bis schweren Verläufen, welche eine stationäre Aufnahme erfordern. <
Literatur: 1 World Health Organisation. Coronavirus disease 2019 (COVID-19): situation report, 66. 2020. DOI: who.int/docs/default-source/coronaviruse/situationreports/20200326-sitrep-66-covid-19.pdf?sfvrsn=9e5b8b48_2. 2 Wan Y et al. (2020): Receptor Recognition by the Novel Coronavirus from Wuhan. doi.org/10.1128/JVI.00127-20. 3 Lam SD et al. (2020): SARS-CoV-2 spike protein predicted to form complexes with host receptor protein orthologues from a broad range of mammals. doi.org/10.1038/s41598-020-71936-5. 4 Rotondi M et al. Detection of SARS-COV-2 receptor ACE-2 mRNA in thyroid cells: doi:10.1007/s40618-020-01436-w. 5 Chen T et al. Clinical characteristics of 113 deceased patients with coronavirus disease 2019: retrospective study. BMJ.2020;368:m1091. 6 Chen M et al. Thyroid function analysis in 50 patients with COVID-19: a retrospective study. Thyroid.2021;31(1):8-11. 7 Muller I et al. “SARS-CoV-2-related atypical thyroiditis.” doi:10.1016/S22138587(20)30266-7. 8 Lania A et al. “Thyrotoxicosis in patients with COVID-19: the THYRCOV study.” doi:10.1530/EJE-20-0335. 9 Tabassom A et al. De Quervain Thyroiditis. StatPearls Publishing; 2021. PMID: 30252322. 10 Wenjie C et al. Potential Interaction Between SARS-CoV-2 and Thyroid: doi. org/10.1210/endocr/bqab004. 11 Economidou F et al. Thyroid Function in Critical Illness. doi.org/10.1007/978-14614-7836-2_2.