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Dunkle Stunden für das Gehirn
Morbus Alzheimer: Aktuelle Studien zur Rolle des Schlafes
+++ Genetisches Alzheimer-Risiko ist mit schlechtem Schlaf assoziiert +++ Menschen mit Demenz weisen verminderten Tief- und REM-Schlaf auf +++ Melatonin verbessert kognitive Fähigkeiten, Selbstfürsorge und Aktivitäten des täglichen Lebens +++ Von Benzodiazepinen soll abgesehen werden +++
Der Zusammenhang zwischen Schlaf und Gedächtnisinhalten beschäftigt Forscherinnen und Forscher schon seit mehr als einem Jahrhundert. Während lange Zeit der REM-Schlaf diesbezüglich im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stand, löste ihn der Tiefschlaf (auch slow-wave sleep, SWS) inzwischen ab. Er zeichnet für die Konsolidierung von Erinnerungen verantwortlich, während sich das wache Gehirn um die Enkodierung von Gedächtnisinhalten kümmert. Der REM-Schlaf könnte allerdings zur Stabilisierung der konsolidierten Erinnerungen beitragen.1 Anlässlich des Welt-Alzheimertags am 21. September lohnt sich ein Blick auf die rezenten wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie Schlaf mit jener Erkrankung zusammenhängt, die das Gedächtnis und andere kognitive Funktionen nach und nach schwinden lässt.
Macht mangelnde Nachtruhe krank?
Während einige Studien nur den Mangel an Schlaf mit einem erhöhten Risiko in Verbindung bringen, eine DemenzErkrankung zu entwickeln, postulieren andere einen U-förmigen Zusammenhang, wonach auch zu viel Schlaf ein Risiko darstellt. Klar ist aber noch nicht, was zuerst auftritt – neurodegenerative Veränderungen, welche Betroffenen den Schlaf rauben, oder schlechter bzw. ungenügender Schlaf, der zuvor genannte Veränderungen bedingt. Beispielhaft seien hier zwei aktuelle Studien genannt, die sich mit diesem Henne-EiProblem auseinandersetzen. Die erste Studie nutzte Daten der „UK Biobank“.2 Für über 400.000 Teilnehmer, die zu Beginn der Studie nicht an Alzheimer erkrankt waren, wurde ein genetischer Risiko-Score bezüglich der Entwicklung einer Demenz berechnet. In jenen Risiko-Score bezogen die Forscher 23 Genloci ein, die mit der Erkrankung assoziiert sein dürften. Sie stellten fest, dass ein höherer Score mit kürzerem Schlaf in Verbindung stand – vor allem in der Altersgruppe ab 55 Jahren. Die Autoren sind der Meinung, dass das Einsetzen der Demenz die Schlafdauer um fast 1,9 Stunden reduzieren und eine kurze Schlafdauer einen frühen Marker für eine Alzheimer-Erkrankung darstellen könne. Das Panel der zweiten Studie inkludierte Daten von knapp 8.000 Probanden aus der Whitehall-II-Studie, die über 25 Jahre hinweg begleitet wurden.3 521 Personen entwickelten im Verlauf der Studie eine demenzielle Erkrankung. Die Autoren berichten, dass das Risiko einer Demenz steige, wenn die Schlafdauer im mittleren Alter – zwischen 50 und 60 Jahren – sechs Stunden oder weniger betrage. Ihr Fazit: Vor allem jene Menschen, die ein erhöhtes Alzheimer-Risiko aufwiesen, sollten auf die Wichtigkeit einer guten Schlafhygiene aufmerksam gemacht werden.
Schlafoptimierung bei Demenz
Obwohl das zuvor beschriebene HenneEi-Problem noch nicht vollständig gelöst ist, existieren bereits einige Studien, die für eine medikamentöse Verbesserung des Schlafes sprechen, selbst wenn die Erkrankung schon ausgebrochen ist. Vor allem in frühen Stadien zeigen solche Maßnahmen eine gute Wirkung und können sogar kognitive Parameter posi-
tiv beeinflussen. Denn der Großteil der an Morbus Alzheimer erkrankten Menschen leidet unter fragmentierter Nachtruhe, vermehrtem Einschlafen tagsüber sowie einer Reduktion des SWS und des REM-Schlafs.4 Einen Ansatzpunkt zur Verbesserung des Schlafes stellt laut einer heuer erschienenen Metaanalyse der Einsatz von Melatonin dar. Bei einer längerfristigen Anwendung des Wirkstoffes über zwölf Wochen zeigte sich eine signifikante Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten in der MMSE (Mini-Mental-State-Examination). Insbesondere Patienten mit noch milder AlzheimerErkrankung profitierten davon.6 Die Studienautoren zitieren eine Evidenz, der zufolge die Gabe von Benzodiazepinen jedoch vermieden werden soll, da deren Einnahme – sowohl bei gesunden Menschen mittleren Alters als auch bei älteren Personen – mit
einem Verlust kognitiver Fähigkeiten assoziiert ist. Eine längerfristige Einnahme wird sogar mit einem höheren Alzheimer-Risiko in Verbindung gebracht.6,7 Eine Studie zu retardiertem Melatonin zeigte überdies, dass bei den Patienten keine Insomnie vorliegen muss, um ihre Lebensqualität nachhaltig zu steigern. Verglichen mit einem Placebo, kam es nach einer Einnahme über 24 Wochen zu „Die Schlafqualität dementer einer Verbesserung
Patienten zu verbessern, der Selbstfürsorge bedeutet auch, die kognitive der Patienten so-
Leistung zu erhalten oder wie der Aktivitäten leicht zu steigern. Retardiertes des täglichen LeMelatonin kann ein wichtiger bens. In der MMSE Beitrag zur Verbesserung der konnte eine Steigekognitiven Fähigkeiten sein.“ rung der kognitiven Fähigkeiten um 1,5 Punkte beobachtet werden, während sich in der Placebogruppe das Ergebnis um 2,8 Punkte verschlechterte. Obwohl in diesem Sample über 70 % der Patienten nicht unter Insomnie litten, nahm ihre Schlafeffizienz durch die Medikation erheblich zu.8
Fazit für die Praxis
Die Schlafqualität dementer Patientinnen und Patienten zu verbessern, bedeutet auch, die kognitive Leistung zu erhalten oder sogar leicht zu steigern – egal ob eine manifeste Insomnie vorliegt oder nicht. Zudem werden die Kompetenzen im Alltag und für die Selbstfürsorge erhöht, was auch die Ressourcen von pflegenden Angehörigen und Pflegekräften schont. Des Weiteren gibt es Hinweise dafür, dass ausreichender Schlaf im mittleren Lebensalter einer Demenz-Erkrankung vorbeugen kann und umgekehrt bei jenen, die schlecht schlafen, die kognitiven Fähigkeiten im Auge behalten werden sollten.
Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc
Quellen: 1 Rasch B & Born J, Physiol Rev 2013; 93(2): 681-766. 2 Leng Y et al., Ann Neurol 2021; 89: 177-181. 3 Sabia S et al., Nature Communications 2021; 12: 2289. 4 Kent BA et al., Progress in Neurobiology 2021; 197: 101902. 5 Sumsuzzman DM et al., Neuroscience and Biobehavioral Reviews 2021; 127: 459-473. 6 Chavant F et al., Br J Clin Pharmacol 2011; 72: 898-904. 7 Etchetto M et al., Front Aging Neurosci 2020; 11: 344. 8 Wade AG et al., Clin Interv Aging 2014; 9: 947-961.