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An COVID sterbende sind lebende Menschen
OA Dr. Dietmar Weixler, Präsident der Österreichischen Palliativgesellschaft, über schmerzliche und schützende Grenzen am Lebensende
+++ Gemeinschaftliche Werte befinden sich im Wandel +++ Grenzverschiebung am Lebensende +++ Einsamkeit in existenziellen Grenzsituationen in der Pandemie +++ Raum für Palliativ-undHospizkulturschaffen +++
HAUSÄRZT:IN: Das Motto des diesjährigen Österreichischen Interprofessionellen Palliativkongresses, der leider abgesagt werden musste, lautete: „GrenzWerte“. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
OA WEIXLER: Palliativ- und Hospizkultur versteht sich seit den Anfängen als Sorgekultur: Jenen gilt die Sorge, die verletzlich und vom Tode bedroht sind, unabhängig von Alter oder Erkrankung. Diese Menschen kommen aus unserer Gemeinschaft und sollen auch in für sie schwierigen Zeiten auf Schutz und Achtung der Gemeinschaft vertrauen dürfen. Nun konfrontiert uns die Zeit, in der wir leben, mit vielen Grenzen, auch mit schmerzlichen, die Selbstbestimmung und die Gesundheit betreffend: sei es durch die Pandemie, seien es Grenzen der Machbarkeit oder Grenzen der Belastbarkeit unseres Planeten. Genauso gibt es aber Grenzen, die Werte schützen, Anderes und Fremdes abwehren, Entwicklung ermöglichen sowie Ordnung und Struktur schaffen können. Gemeinschaftliche Werte sind im Wandel begriffen …
Eine besondere Grenze hat der Verfassungsgerichtshof Ende 2020 aufgehoben und damit den assistierten Suizid ermöglicht. Wie sehen Sie das?
Als wir das Motto dieses Kongresses gewählt haben, konnte noch niemand ahnen, welche Aktualität das Thema „GrenzWerte“ erfahren sollte. Diese Grenzverschiebung am Lebensende stellt uns vor große Unwägbarkeiten. Gerade in Zeiten großer Bewegung sollte der Blick auf dem Festen und Sicheren ruhen: Palliativ- und Hospizkultur muss Raum schaffen können und jenen, die es brauchen, die Sicherheit vermitteln, dass sie weiter der Gemeinschaft angehören und sie unbedingten Wert haben, unabhängig von Leistungsfähigkeit und Ansehen. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Sterben unter würdigen Bedingungen, muss darauf vertrauen können, in der letzten Lebensphase mit seinen Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert zu werden.
Könnten Sie uns das eine oder andere Beispiel dafür nennen?
Wenn von „Würde“ oder „Menschenwürde“ gesprochen wird, lohnt es sich stets, ein Gegenüber zu fragen, wie die andere Person den Begriff versteht. Der Psychiater Dr. Harvey Chochinov gilt als der Begründer der würdezentrierten Therapie. Er hat die dignity question vorgestellt: „Was muss ich über Sie als Person wissen, damit Ihnen die bestmögliche Versorgung zuteilwerden kann?“ Welche Werte einen Menschen leiten, kann ich nicht in einer Fünf-Minuten-Anamnese erheben, in der ich vielleicht sogar noch den häufigen ärztlichen Fehler mache, mehr Redezeit zu beanspruchen als mein Gegenüber. Das braucht wirklich Zeit, in der sich Vertrauen entwickeln kann. Vertrauen ist ein Geschenk. Die Hausärztin wird auch als lebensbegleitende Ärztin verstanden – in diesem Beziehungskontext hat man sicher oft Einblick in das umfassende Wesen eines Menschen und seines sozialen Umfelds.
Wie ist die Palliative Care – speziell auch in der Pandemie – gefordert?
Sterben findet zurzeit im Spannungsfeld der herrschenden Pandemie statt und ist für Menschen, die im Gesundheits- und Sozialbereich arbeiten, und für Angehörige pflegebedürftiger Menschen besonders belastend. Es muss uns gelingen, Hospizkultur und Palliative Care in allen Versorgungsformen und -einrichtungen des Gesundheitswesens zu ver-
© Bauer ankern. Als größtes Problem der Pandemie im medizinischen Betrieb sehe ich die Einsamkeit in existenziellen Grenzsituationen. Wie wir erfahren durften, können auch Barrieren, die zum Schutz anderer errichtet wurden, auf kreative Weise überwunden werden: Z.B. ist in voller Schutzausrüstung auch eine Umarmung möglich! Es braucht Mut, gepaart mit Verantwortungsgefühl. Angst ist ein schlechter Ratgeber.
Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich rund um den sterbenden COVID-Patienten?
An COVID sterbende Menschen sind lebende Menschen. Was wir gelernt haben: Sie haben Atemnot, Angst und sind meistens im Delir. Auf der Ebene der Symptomtherapie haben wir alle Mittel zur Verfügung. Ein besonderer Irrweg, den man therapeutisch gehen kann, sind Unterstellungen im emotionalen Bereich, wie „Sterbende haben immer Angst. “ Da muss man wirklich zum Äußersten greifen, will heißen: das Gespräch suchen. Menschen im Sterben haben immer auch existenzielle und/oder spirituelle Fragen, viele sehnen sich nach Nähe zu vertrauten Personen. Es gibt aber auch immer wieder Menschen, die Ruhe und Alleinsein brauchen. Als Palliativmedizinerin bzw. -mediziner hat man die Aufgabe, den „medizinischen Lärm“ zu reduzieren, d. h. konkret, jede Diagnostik und Therapie auszuräumen, die für den konkreten Menschen nicht zielführend sein kann oder ihm sogar im Weg ist, sei es eine Infusion, ein Zugang, eine Drainage u. v. m. – diese Aufgabe stellt sich täglich.
Welche kontroversiell diskutierten Themen wären beim Kongress noch behandelt worden?
Die Verantwortung im kommunalen Bereich/Stichwort Sorgekultur, die Grenzen der Dialysetherapie, Palliative Care bei Migrantinnen und Migranten, der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit u. v. m. Kontroversen gibt es, wohin man blickt – und hoffentlich auch Synthesen und Lösungsideen.
Auf welche Programmpunkte hätten Sie sich persönlich noch besonders gefreut?
Auf die Sitzung mit den Themen „Der perfekte Palliativarzt“ , „Die perfekte Palliativschwester“ sowie „Ansprüche und Grenzen der Zumutbarkeit“ zum Beispiel. Zum einen wird bereits mit dem Titel in Hinblick auf Rollen- und Genderklischees provoziert, der Begriff der Perfektion auf Lebenstauglichkeit geprüft. Zum anderen kommt es zum Blick in den Spiegel: Was ist für mich/ uns eine Zumutung, welche Ansprüche habe ich mir bzw. haben wir uns selbst auferlegt, was erwartet man von außen? Eine zu hohe Erwartung an sich selbst ist häufig der Weg zum geplanten Scheitern, wenn man will: ins Burnout. Ein Thema, das in unserem Bereich sehr häufig vorkommt. Weitere persönliche Highlights wären die Uraufführung von „Kasperl, Pezi und die Patientenverfügung“ von Prof.in Dr.in Eva Masel sowie die humorvollen Pausen dazwischen gewesen.
EXPERTE: OA Dr. Dietmar Weixler
FA für Anästhesie und Intensivmedizin, Landesklinikum Horn
Ihr dringlichster Appell an Politik und Gesellschaft?
It's not funny, when you are next! Gesellschaft und Politik hätten es heute in der Hand, Rahmenbedingungen für ihr eigenes gutes Sterben zu schaffen. Die Mortalität beträgt 100 Prozent.
Das Interview führte Mag.a Karin Martin.
X INFO
Die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG) versteht sich als interprofessionelle wissenschaftliche Vereinigung aller Berufsgruppen, die mit der Betreuung schwerkranker Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenem Leiden befasst sind.
Der 8. Österreichische Interprofessionelle Palliativkongress, der heuer vom 1. bis 3. März angesetzt war, musste leider Coronabedingt abgesagt werden.
Infos: palliativ.at
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