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Coping-Mechanismus Angst vs. Angststörung“
Über die Wichtigkeit einer klaren Differenzierung
SeriePSYCHE
Vor dem Hintergrund der Coronapandemie erörtert Prim.a Dr.in Christa Rados, Leiterin der Abteilung Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin am Landeskrankenhaus Villach, im Gespräch mit der Hausärzt:in omnipräsente Themen rund um Angst und Angststörungen.
HAUSÄRZT:IN: Mit welchen Ängsten sind die Menschen aktuell zunehmend konfrontiert?
Prim.a RADOS: Viele Menschen reagieren auf die Gegebenheiten der COVID-19-Pandemie mit Verunsicherung, Besorgtheit, leiden unter schlechterer Schlafqualität, deren Folgen und unter allgemeiner Angespanntheit. Es gilt als psychologisch erforschtes Phänomen, dass vor allem neuartige Bedrohungen, die – ganz unabhängig von ihrem Ausmaß – meist mit großer Ungewissheit einhergehen, vermehrt Ängste hervorrufen. Nach zwei Jahren Pandemie wünschen sich die Menschen zudem ihre frühere Lebensqualität zurück. Sie wurden dahingehend in ihren Hoffnungen jedoch bereits mehrfach enttäuscht. Eine Folge davon ist zunehmende Mutlosigkeit. Hinzu kommt nun ein neues Phänomen der psychologischen Abwehr, im Zuge derer insbesondere Verleugnung der Bedrohung und Aggression zutage treten können. Sofern sich diese Emotionen im Rahmen befinden, sind sie nicht weiter besorgniserregend. Eine potenzielle psychologische oder sogar psychopathologische Relevanz für die Zukunft ergibt sich allerdings dann, wenn sich aus der aggressiven Abwehr Feindseligkeit und infolge Letzterer oft auch Isolation und Einsamkeit entwickeln.
Wann ist die Rede von krankheitswertigen Ängsten?
Es ist sehr wichtig, auf eine klare Differenzierung zwischen realistischer bzw. angemessener Angst sowie Angststörung zu achten. Ängste in Bezug auf ver-
änderte potenziell gefährliche Gegebenheiten gelten als höchst angemessene Coping-Reaktion, als Anpassung des Organismus an seine Umwelt. Angst ist eine menschliche Uremotion und per se nichts Negatives – selbstverständlich jedoch nicht zu verharmlosen. Bis zu einem gewissen Ausmaß wirkt Angst motivierend, hilft bei der Lösungsfindung im Falle von Problemsituationen und animiert die Menschen – wie aktuell am Beispiel von COVID-19 erkennbar, Hygiene- sowie Abstandsregeln einzuhalten und sich impfen zu lassen. Angststörungen hingegen, die grundsätzlich zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen, bezeichnen laut International Classification of Diseases (Anmerkung: ICD) einen krankheitswertigen Zustand, bei dem ein bestimmter Leidensdruck überschritten ist. Deutschen Studien zufolge liegt die Jahresprävalenz von Angststörungen bei 16 Prozent; es sind doppelt so viele Frauen wie Männer betroffen. Typischerweise treten Angststörungen erstmals in jungen Lebensjahren, teils sogar bereits in der Kindheit auf.
Hat die Pandemie dazu geführt, dass nun mehr Menschen an Angststörungen leiden?
Nein, eine Zunahme der Angststörungen etwa im Vergleich zu Zeiten vor der COVID-19-Krise ist derzeit nicht belegt. Betont sei allenfalls, dass Menschen, die auf SARS-CoV-2 mit angemessener Angst reagieren, keinesfalls automatisch an einer Angststörung leiden. Die Pandemie bringt durchaus die Gefahr der Verstärkung bestehender Angststörungen mit sich – allerdings nur bei Personen, die schon vor COVID-19 körperlich oder psychisch davon betroffen waren. Gesunde Menschen schaffen es auch unter erschwerten Bedingungen, angemessen mit Ängsten und beispielsweise Einsamkeit umzugehen. Im Zusammenhang mit Isolation und Einsamkeit ergab sich allerdings eine Sondersituation für Jugendliche, die – entwicklungspsychologisch betrachtet – eher auf analoge Sozialkontakte angewiesen sind als Menschen, die bereits in ein soziales Netzwerk eingebettet sind.
Welche spezifischen Formen der Angststörung gibt es?
Zu den wichtigsten und häufigsten Unterformen der Angststörungen gehören Phobien, gefolgt von Panikstörungen, generalisierten Angststörungen und einer Sonderform der Phobien, den sozialen Phobien. Jede Unterform der Angststörung ist gemäß ICD durch spezifische Symptomkriterien gekennzeichnet. Phobien gehen charakteristischerweise mit einer heftigen emotionalen und vegetativ-physischen Reaktion auf spezifische Auslöser, z. B. bestimmte Tiere oder Situationen, einher. Von Panikstörungen betroffene Patientinnen und Patienten haben mit regelmäßigen und wiederkehrenden Panikattacken inklusive Herzrasens zu kämpfen. Die generalisierte Angststörung, die etwas seltener vorkommt, verläuft oft im Verborgenen und geht mit einem hohen Leidensdruck einher. Die Patientinnen und Patienten berichten von einer konstanten, übermäßigen und – objektiv betrachtet – unrealistischen Besorgnis. Die soziale Phobie ist durch übersteigerte Schüchternheit und in der Folge durch Einschränkung der Sozialkontakte gekennzeichnet.
Was ist bei Verdacht auf eine Angststörung unbedingt zu beachten?
Von den genannten 16 Prozent der Betroffenen sind generell nur etwa zwölf Prozent tatsächlich behandlungsbedürftig. Phobien, deren Krankheitswertigkeit Betroffenen oft gar nicht bewusst ist, werden durch die Vermeidung triggernder Faktoren oder Situationen oft erfolgreich kompensiert. Bleiben therapiebedürftige Angststörungen allerdings unbehandelt, neigen sie zur Chronifizierung. Die Be-
troffenen sind zwar oft durchaus in der Lage, am Sozial- und Erwerbsleben teilzuhaben, sind jedoch in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt. Sowohl auf Patienten- als auch auf Arztseite ist die Bedeutung einer frühzeitigen Diagnose zu vermitteln. Je früher eine Angststörung diagnostiziert wird, desto besser ist auch die Behandlungsprognose. Ebenso ist zu beachten, dass insbesondere im Zusammenhang mit Phobien eine gewisse genetische Prädisposition besteht. „Angst ist eine menschliche Uremotion und per se nichts Welche Therapieoptionen stehen zur Verfügung? Negatives – selbstverständlich Der erste Schritt basiert auf einer jedoch nicht zu verharmlosen.“ sorgfältigen Diagnostik, welche die Allgemeinmedizinerin bzw. der Allgemeinmediziner selbst z. B. anhand von Fragebögen vornehmen kann. Ebenso kann sie oder er zur psychologischen Testung überweisen. Als therapeutischer Goldstandard gilt die Kombination von Psycho- und medikamentöser Therapie. In puncto letzterer gelten Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Englisch: Serotonin Reptake Inhibitors, SRI) als Therapie der ersten Wahl. Im Hinblick auf PsychoEXPERTIN: pharmaka und die damit verPrim.a Dr.in Christa Rados bundenen möglichen NebenLeitung Abteilung wirkungen empfiehlt es sich Psychiatrie und psychotherapeutische im Kontext der AngststöMedizin, LKH Villach rungen generell, nach dem Prinzip „Start low, go slow“ vorzugehen, demnach mit einer niedrig dosierten Medikation zu starten und diese nur langsam zu steigern. Bei stark ausgeprägten Angststörungen mit massiver Beeinträchtigung ist eine Überweisung an die Fachärztin bzw. den Facharzt ratsam. Eine psychologische Beratung kann für die Betroffenen bereits sehr hilfreich sein; in schwereren Fällen ist eine Psychotherapie unbedingt angezeigt. Verhaltenstherapie mit Exposition ist als Methode am besten belegt. Es ist jedenfalls ausschlaggebend für den Behandlungserfolg, die Patientinnen und Patienten sorgfältig aufzuklären und psychologisch zu unterstützen, ohne dabei jedoch reale und berechtigte Ängste automatisch zu pathologisieren.