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Keine Angst vor Ängsten
Fallen im Gespräch mit Patient:innen vermeiden
SeriePSYCHE
„Das ärztliche Gespräch ist das Zentrum ärztlichen Handelns“ , schreibt Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Florian Menz.1 Dabei steht das Gespräch in einem Spannungsfeld aus den Bedürfnissen der Behandelten sowie jenen der Behandelnden. Dieses Spannungsfeld beinhaltet so manche Falle, aber auch „gute Gründe“ für die Aufrechterhaltung von ängstlichen Verhaltensweisen und Denkmustern. Daneben gebe es nützliche Hinweise für die Gesprächsführung, welche die Beschwerden der Patientinnen und Patienten in einen größeren Kontext einbetteten, wie Dr.in Barbara Hasiba, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin in Birkfeld, aus dem Behandlungsalltag weiß (siehe auch HA 11/21, S. 51–52).2
Der Hilferuf als Falle
Andrea Ebbecke-Nohlen, diplomierte deutsche Psychologin und Psychotherapeutin, verweist darauf, dass im ärztlichen Gespräch oftmals implizite Einladungen ausgesprochen und von den Medizinern mitunter bereitwillig angenommen würden.3,4 „Über solche Einladungen, die Fallen darstellen können, müssen wir Bescheid wissen“ , unterstreicht Dr.in Hasiba. Beispiele dafür seien Aufforderungen wie: „Helfen Sie mir – beseitigen Sie die Ängste!“ oder „Sagen Sie mir, was ich machen soll!“3 „Wenn wir Hausärzte die Einladungen unüberlegt annehmen, dann tragen wir ungewollt zur Aufrechterhaltung des Symptoms bei. Wir zeigen dem Gegenüber: ‚Ich kann dein Problem lösen‘. Dadurch erlebt sich der Betroffene als unwissend, statt seine eigenen Möglichkeiten zu erkennen und zum Mitgestalter und Experten seines Lebens zu werden. Statt gut gemeinter Ratschläge können Fragen den Patienten neue Optionen eröffnen“ , so die Expertin.
Gute Gründe für die Angst
Zudem sollen Ärztinnen und Ärzte weitere zur Perpetuierung der Angstsymptomatik beitragende Faktoren in Betracht ziehen. Diese „guten Gründe“ umfassen: sich selbst aus der Verantwortung nehmen; Erwartungen nicht erfüllen, ohne nein sagen zu müssen; Schutz vor unbekannten Erfahrungen und Gefühlen etc.4 „Hier kann man Patienten Reflexion ermöglichen, indem man sagt: Der Körper ist weise – was möchte er Ihnen mit der Angst signalisieren? Wann möchte Ihr Körper, dass Sie besonders achtsam sind?“ , beschreibt Dr.in Hasiba ihre Strategie. Diese Fragen beinhalten den Hinweis, dass die Angst ein Grundgefühl ist, das den Menschen vor etwas schützen soll. „Damit setze ich die Angst in einen größeren Rahmen und bewege mich vom Pathologisieren des Problems weg“ , erklärt sie.
Nützliche Fragen und Tipps
Die Einbettung in einen breiteren Kontext erweist sich im Behandlungsalltag generell als nützlich. „Hier geht es um Fragen wie: ‚Wie viel Zeit Ihres Tages beanspruchen die ängstlichen Gedanken?‘ oder ‚Was würden Sie mit der Zeit tun, wenn Sie sich nicht mit der Angst beschäftigen
würden?‘“ , berichtet die Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin. Die Antworten tragen dazu „Eine fixe Wiederbestellung bei, zu ergründen, in kurzen Einheiten erweist ob eine Dysbalance sich als hilfreicher Taktgeber – gerade bei Angstpatientinnen zwischen Anspannung und Entspannung vorliegt und und -patienten.“ inwiefern soziale Beziehungen unter der Angstsymptomatik leiden. Nützlich erscheint es auch, das Tempo der Patienten zu berücksichtigen.2 „Die Angst kann auf das Gehirn als Motor oder Bremse wirken. So müssen wir entweder das Tempo durch Fragen kanalisieren oder den Behandelten genügend Zeit zum Nachdenken lassen, indem man die beim Zuhören notwendige Stille zulässt. Eine fixe Wiederbestellung in kurzen Einheiten erweist sich als hilfreicher Taktgeber – gerade bei Angstpatienten“ , betont Dr.in Hasiba. Ein Termin von zehn Minuten reiche dazu oft schon aus.
Ärztliche Selbstreflexion
Wie eingangs angesprochen, bilden auch die ärztlichen Bedürfnisse einen Pol im Spannungsfeld des Arzt-Patienten-Gesprächs. „Der Wunsch, rasch zu handeln oder etwas zu verändern, kann auch auf ärztliche Ängste zurückzuführen sein“ , macht die Expertin aufmerksam. Diese Ängste können z. B. darauf beruhen, EXPERTIN: Dr.in Barbara Hasiba nichts Abwendbares übersehen zu wollen, Allgemeinmedizinerin nicht schnell genug das Wesentliche zu erund Psychotherapeutin in Birkfeld, kennen oder sich rat- und hilflos zu fühÖGPAM-Präsidentin len. Ein Ausblenden und Übergehen der eigenen Ängste beeinflusst das ärztliche Vorgehen. Um diese Ängste zu wissen, kann jedoch entlastend wirken.2
Mag.a Marie-Thérèse Fleischer, BSc
Quellen: 1 Menz F et al., Effiziente ärztliche Gesprächsführung. Optimierung kommunikativer Kompetenz in der ambulanten medizinischen Versorgung. Ein gesprächsanalytisches Trainingskonzept. 1. Aufl. Münster: Lit Verlag; 2008. 2 Hasiba B, Das hausärztliche Gespräch angesichts der Symptome bei Angst und Panik. In: Allgemeinmedizin up2date. Stuttgart: Thieme Verlag; 2020; 1: 79-96. 3 Ebbecke-Nohlen A, Der systemische Ansatz in der Borderline-Therapie. In: Dammann G, Janssen PL (Hrsg.), Psychotherapie der Borderline-Störungen. Stuttgart: Thieme; 2001. 4 Ebbecke-Nohlen A. Gute Gründe für ängstliches Verhalten. Heidelberg: Helm Stierlin Institut; 2019.